Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.04.2011, Az.: 6 Sa 1252/10
Begriff des Urlaubs in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L umfasst auch den Sonderurlaub aus familiären Gründen; Begriff des Urlaubs in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L; Anspruch auf Sonderurlaub aus familiären Gründen für Angestellte des öffentlichen Dienstes im Bundesland Niedersachsen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 01.04.2011
- Aktenzeichen
- 6 Sa 1252/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 21947
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0401.6SA1252.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück - 11.05.2010 - AZ: 1 Ca 530/09
Rechtsgrundlagen
- Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L
- § 5 Abs. 6 TVÜ-Länder
- § 315 BGB
- Art. 6 GG
Amtlicher Leitsatz
Der Begriff des Urlaubs in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L umfasst auch den Sonderurlaub aus familiären Gründen; andernfalls hätten die Tarifparteien bei der Schaffung der Besitzstandsregelung gegen Art. 6 GG verstoßen und die betroffene Arbeitnehmerin hätte nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot einen Anspruch auf die vorenthaltene Vergünstigung in Gestalt der Besitzstandszulage.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2011
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Klausmeyer,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Wichmann,
die ehrenamtliche Richterin Frau Gärtner
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11.05.2010 - 1 Ca 530/09 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat das beklagte Land zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Widerruf einer tariflichen Besitzstandszulage (ehemals Bewährungszulage).
Die Klägerin ist seit dem Juli 1983 als Justizangestellte beim beklagten Land beschäftigt und beim Amtsgericht A-Stadt in der Betreuungsabteilung tätig.
Auf Grundlage des Schreibens vom 12.03.1998 wurde der Klägerin ab dem 05.04.1998 nach zwölfjähriger Bewährung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VI BAT gemäß Fußnote 1 zur Vergütungsgruppe VI Teil II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1a) zum BAT eine Bewährungszulage gewährt (vgl. Bl. 98 d.A.). In dem Zeitraum von 1992 bis 2001 bekam die Klägerin insgesamt drei Kinder. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes nahm die Klägerin bis zum Jahr 2004 Elternzeit und anschließend bis August 2007 Sonderurlaub zur Betreuung ihrer Kinder unter Fortfall der Dienstbezüge. Nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im August 2007 erhielt die Klägerin die ihr zuvor gewährte Bewährungszulage zunächst unverändert weiter in Höhe von zuletzt monatlich 115,51 EUR brutto ausgezahlt. Seither erfolgt der Einsatz der Klägerin in einer Serviceeinheit beim Amtsgericht A-Stadt.
Mit Schreiben vom 11.03.2009 (vgl. Bl. 6 und 7 d.A.) widerrief die Beklagte die der Klägerin mit Schreiben vom 12.03.1998 bewilligte Bewährungszulage rückwirkend zum 11.09.2008. Dabei bezog sich die Beklagte auf die Regelungen in § 9 Abs. 4 TVÜ-L. In der Gehaltsabrechnung für den Monat April 2009 hielt das beklagte Land für die Monate September 2008 bis Februar 2009 einen Betrag in Höhe von insgesamt 678,94 EUR brutto ein. Ab März 2009 zahlt das beklagte Land an die Klägerin die streitgegenständliche Zulage nicht mehr.
Die Klägerin hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass die ihr seit 1998 gewährte Zulage weiter zu zahlen sei. Die im Schreiben vom 11.03.2009 zur Begründung angeführte Vorschrift des § 9 Abs. 4 TVÜ-L rechtfertige den Widerruf der Zulage nicht. In dieser Vorschrift werde als unschädliche Unterbrechungen u.a. der Urlaub aufgeführt. Nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck umfasse dieser Begriff auch den Sonderurlaub zur Kinderbetreuung. Andernfalls würde das eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber vergleichbaren Mitarbeitern ohne Sonderurlaub am 31.10.2009 bedeuten und zu einer ungerechtfertigten mittelbaren Benachteiligung von Frauen führen.
Die Klägerin hat beantragt,
- 1.
das beklagte Land zu verurteilen, an sie 678,94 EUR brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 01.05.2009 zu zahlen;
- 2.
das beklagte Land zu verurteilen, an sie weitere 693,09 EUR brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 115,51 EUR seit dem 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009 und 01.09.2009 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, schon im Anschluss an den Sonderurlaub dazu berechtigt gewesen zu sein, die Zulage zu widerrufen. Im TV-L sei die Bewährungszulage nicht mehr vorgesehen und könne nur dann als außertarifliche Besitzstandszulage weiter gezahlt werden, wenn sie der Klägerin am 31.10.2006 zugestanden habe. Der Sonderurlaub aus familiären Gründen sei jedoch nach der insoweit abschließenden Protokollerklärung Ziffer 1) zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L gerade kein unschädlicher Unterbrechungstatbestand. Hieraus resultiere auch keine mittelbare Diskriminierung der Klägerin wegen ihres Geschlechtes, da der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den Sonderurlaub aus familiären Gründen stets die gemeinsame Entscheidung der Eltern vorgeschaltet sei, wer von ihnen die Arbeit wegen Kindererziehung unterbreche.
Mit Urteil vom 11.05.2010 hat das Arbeitsgericht Osnabrück der Klage stattgegeben.
Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Ausschluss von Arbeitnehmern in der Protokollerklärung Ziffer 1) zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L, die am 31.10.2006 Sonderurlaub zum Zwecke der Kinderbetreuung in Anspruch genommen hätten, gegenArt. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verstoße. Hieraus folge der Anspruch der Klägerin auf die streitgegenständliche Besitzstandszulage.
Gegen dieses ihm am 12.07.2010 zugestellte Urteil hat das beklagte Land mit am 11.08.2010 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung unter dem 25.10.2010 begründet.
Es ist der Auffassung, dass Ziffer 1) der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L den von der Klägerin in Anspruch genommenen Sonderurlaub nicht als unschädliche Unterbrechungen umfasse. Die der Klägerin ursprünglich bewilligte Bewährungszulage sei nach dem TV-L nicht mehr vorgesehen. Die Tarifvertragsparteien hätten sich jedoch darauf verständigt, diese bis zum Inkrafttreten einer neuen Entgeltordnung als außertarifliche Besitzstandszulage fortzuzahlen unter der Voraussetzung, dass die anspruchsbegründende Tätigkeit ununterbrochen ausgeübt werde und die sonstigen Voraussetzungen für die Vergütungsgruppenzulage nach bisherigem Recht weiter bestünden. Die Voraussetzung einer ununterbrochenen Ausübung der anspruchsbegründenden Tätigkeiten hätten die Tarifvertragsparteien dann nach sorgfältiger Abwägung in der Protokollerklärung Ziffer 1) zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L geregelt und insoweit festgehalten, dass nur Unterbrechungen wegen Mutterschutz, Elternzeit, Krankheit und Urlaub unschädlich seien. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien diese Ausnahmevorschrift auf den Sonderurlaub aus familiären Gründen hätten erweitern wollen. Den Tarifvertragsparteien seien nämlich die besondere Problematik und Regelungsbedürftigkeit des Sonderurlaubs durchaus bekannt gewesen, was sich daran zeige, dass in verschiedenen tariflichen Regelungen spezielle Vorschriften gerade zum Sonderurlaub enthalten seien, beispielsweise in § 17 Abs. 3 TV-L oder in § 20 Abs. 4 TV-L. Die Regelung der Tarifvertragsparteien, den Sonderurlaub nicht zu den unschädlichen Unterbrechungstatbeständen zu zählen, sei auch nicht zu beanstanden. Das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot, Ehe und Familie zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen, erfasse nicht jede Rechtsfolge, die sich negativ auf Ehe und Familie auswirken könne, aber nicht auf die Stellung des Einzelnen in einer Ehe oder Familie ausgerichtet sei. Eine Beeinträchtigung des verfassungsmäßigen Rechts aus Art. 6 Abs. 1 GG sei durch die Nichtgewährung der Besitzstandszulage offenkundig nicht gegeben. Andernfalls wäre bereits die Entscheidung der Tarifvertragsparteien, künftig nach dem TV-L keine Bewährungszulage mehr zu zahlen, rechtswidrig.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 11.05.2010 - 1 Ca 530/09 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, soweit diese Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, und auf die in der mündlichen Verhandlung abgegebenen wechselseitigen Erklärungen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des beklagten Landes hat keinen Erfolg.
A.
Sie ist statthaft, form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden; die Berufung ist damit insgesamt zulässig,§§ 64, 66 ArbGG, 517, 519 ZPO.
B.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Arbeitsgericht Osnabrück hat im Urteil vom 11.05.2010 das beklagte Land zu Recht zur Zahlung von 1.372,00 EUR brutto nebst Zinsen verurteilt. Das beklagte Land war nicht dazu berechtigt, die mit Schreiben vom 12.03.1998 bewilligte Bewährungszulage, die sich zwischenzeitlich in eine Besitzstandszulage umgewandelt hat, rückwirkend zum 11.09.2008 zu widerrufen.
1.
Der Klägerin ist mit Wirkung zum 05.04.1998 eine Bewährungszulage auf Grundlage der Fußnote 1 zu Vergütungsgruppe VII des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt 1 der Anlage 1a) zum BAT gewährt worden. Infolge der Kündigung der Anlage 1a) zum BAT fand diese Vorschrift seinerzeit im Rahmen der Nachwirkung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
2.
Der TV-L sieht eine Bewährungszulage in dieser Art nicht mehr vor. Die Bewährungszulage war auch nicht nach § 5 TVÜ-L in das Vergleichsentgelt der Klägerin mit einzubeziehen.
3.
Nach Ziffer 5.1.4.d. der Durchführungshinweise der TdL zum TVÜ-Länder bestehen jedoch keine Bedenken dagegen, dass diese Bewährungszulage außertariflich im Sinne einer Besitzstandszulage entsprechend der Regelung des § 9 Abs. 1 TVÜ-Länder außertariflich befristet bis zum Inkrafttreten einer neuen Entgeltordnung weitergezahlt wird. Für die Gewährung dieser Besitzstandszulage gilt § 9 Abs. 4 TVÜ-Länder entsprechend; Voraussetzung ist damit u.a., dass die anspruchsbegründende Tätigkeit ununterbrochen ausgeübt wird, wobei nur Unterbrechungen im Sinne der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 9 Abs. 4 TVÜ-Länder unschädlich sind. Danach war das beklagte Land nicht zum Widerruf der Besitzstandszulage berechtigt.
a.
Die Klägerin übt weiterhin die für die Gewährung der ursprünglichen Bewährungszulage maßgebliche Tätigkeit aus.
Zwar wird sie nicht mehr im Schreibdienst eingesetzt, sondern in einer Serviceeinheit. Die dort zu verrichtende Tätigkeit erfüllt jedoch die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die Gewährung der Bewährungszulage. Das ergibt sich aus § 2 des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1a) zum BAT (Angestellte in Serviceeinheiten bei Gerichten und Staatsanwaltschaften) vom 29.11.2000. Durch diesen Tarifvertrag sind ab dem 01.01.2001 Tätigkeitsmerkmale für Angestellte in Serviceeinheiten bei Gerichten und Staatsanwaltschaften in die Vergütungsgruppen V b, V c, IV b und VII b eingefügt worden. § 2 enthält die Übergangsvorschriften für die Angestellten, die nach den neuen Tätigkeitsmerkmalen für Angestellte in Serviceeinheiten bei Gerichten und Staatsanwaltschaften einzugruppieren sind. Nach § 2 Nr. 2 dieses Änderungstarifvertrages ist die am 31. Dezember 2000 zustehende Summe aus Grundvergütung, allgemeiner Zulage, ggf. Funktionszulage und Leistungszulage nach den Protokollnotizen Nr. 3, 4, 6 und 7 oder Bewährungszulage nach der Fußnote 1 zur Vergütungsgruppe VII des Teils II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 1 a zum BAT unter Berücksichtigung allgemeiner Vergütungserhöhungen so lange fortzuzahlen, bis diese Summe durch die vom 1. Januar 2001 an zustehende Summe aus Grundvergütung, allgemeiner Zulage und ggf. Vergütungsgruppenzulage nach den Fußnoten der Vergütungsgruppe VI b des Teils II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a) zum BAT in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung erreicht oder überschritten wird. Diese Vorschrift enthält mithin eine Regelung zur Besitzstandswahrung, die für diejenigen Angestellten, die bisher nach den Tätigkeitsmerkmalen für Angestellte im Schreibdienst eingruppiert waren und infolge des Wegfalls von Bewährungs-, Funktions- und/oder Leistungszulagen bei Eingruppierung nunmehr nach Teil II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a) zum BAT Vermögenseinbußen erleiden. Die Übergangsvorschrift gilt tariflich also an sich nur für Angestellte, deren Bezüge sich durch das Inkrafttreten der neuen Tätigkeitsmerkmale am 01.01.2001 vermindern. Derselbe Effekt kann aber auch eintreten, wenn Angestellte aus dem Schreibdienst in neu geschaffene oder schon bestehende Serviceeinheiten umgesetzt werden. Die Geschäftsstelle der TdL hat mit Rundschreiben vom 02.02.2001 - 3-03-02-20/239/01-B/2 - deshalb keine Bedenken dagegen erhoben, die Übergangsvorschrift in Nr. 2 auch in diesen Fällen entsprechend anzuwenden (vgl. Clemens-Scheuring, Kommentar, BAT, Vergütungsordnung BL 122. Lieferung, Stand Oktober 2003, zu II T-Justizdienst, Übersicht, Erläuterung 1.3.2.). Der Wechsel in die Serviceeinheit führt nicht dazu, dass die Klägerin die für die Zulage maßgebliche Tätigkeit nicht mehr ausübt.
b.
Die Klägerin erledigt die anspruchsbegründende Tätigkeit auch ununterbrochen im Sinne von § 9 Abs. 4 TVÜ-Länder. Dem steht der Umstand, dass sie sich am 31.10.2006 im Sonderurlaub aus familiären Gründen befunden hat, nicht entgegen.
a. a.
Zunächst ist entgegen der Ansicht des beklagten Landes davon auszugehen, dass der Begriff des "Urlaubs" in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 S. 1 TVÜ-L auch den Sonderurlaub aus familiären Gründen umfasst. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und der Systematik der tariflichen Bestimmung. Die Tarifvertragsparteien selbst haben den Abschnitt IV des TV-L überschrieben mit "Urlaub und Arbeitsbefreiung". In diesem Abschnitt befinden sich vier Regelungen:
§ 26 TV-L zum Erholungsurlaub, § 27 TV-L zum Zusatzurlaub, § 28 TV-L zum Sonderurlaub und § 29 TV-L zur Arbeitsbefreiung.
Es schließt sich der Abschnitt V überschrieben mit "Befristung und Beendigung" des Arbeitsverhältnisses an. Die einzelnen Urlaubsarten im Sinne des TV-L sind also abschließend in den Vorschriften §§ 26 - 29 TV-L geregelt worden, und zwar unter der Überschrift "Urlaub und Arbeitsbefreiung". Dies lässt eindeutig erkennen, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass der Sonderurlaub nach § 28 TV-L ein Unterfall des allgemeinen und umfassenden Begriffes des Urlaubs ist. Dass die Tarifvertragsparteien - wie das beklagte Land zutreffend festgestellt hat - sehr wohl den Unterschied zwischen Sonderurlaub und Urlaub gesehen haben, wird schon daraus ersichtlich, dass in anderen Zusammenhängen spezielle Regelungen gerade im Hinblick auf den Sonderurlaub nach § 28 TV-L getroffen worden, so z.B. in §§ 17 Abs. 3, 20 und 34 Abs. 3 TV-L. Immer dann, wenn der Sonderurlaub mithin spezielle Konsequenzen im Hinblick auf bestimmte Regelungsgebiete haben sollte, haben die Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich geregelt. Eine dahingehende ausdrückliche Klarstellung fehlt in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 S. 1 TVÜ-L. Hieraus wird ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff des Urlaubes in dieser Protokollerklärung umfassend und einschließlich des Sonderurlaubes verstanden wissen wollten. Der Sonderurlaub ist mithin als unschädlicher Unterbrechungstatbestand im Sinne dieser Vorschrift zu bewerten und rechtfertigt den vom beklagten Land erklärten Widerruf der Besitzstandszulage nicht (vgl. zum Ganzen LAG Niedersachsen, 09.09.2010 - 5 Sa 633/10 - ÖAT 2011, 20).
c. c.
Selbst wenn man hier zugunsten des beklagten Landes davon ausgehen wollte, dass der von der Klägerin in Anspruch genommene Sonderurlaub tarifvertraglich nicht als unschädliche Unterbrechung zu qualifizieren ist, vermag dieser Aspekt den Widerruf der Besitzstandszulage nicht zu rechtfertigen. Insoweit hat das Arbeitsgericht Osnabrück völlig zutreffend darauf hingewiesen, dass dann die tarifliche Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen würde. Die Inanspruchnahme von Sonderurlaub zum Zwecke der Kinderbetreuung ist nämlich in Bezug auf die Gewährung der Bewährungszulage als Besitzstandszulage nicht anders zu behandeln als z.B. die in der Protokollerklärung Ziffer 1 zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L genannte Elternzeit. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, die die durch Art. 6 GG geschützten Belange von Ehe und Familie gleichheits- oder sachwidrig außer Betracht lässt. Dabei kommt den Tarifvertragsparteien als selbstständigen Grundrechtsträgern zwar aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Diesen hätten die Tarifvertragsparteien aber dann überschritten, wenn sie den Sonderurlaub zur Kinderbetreuung im Unterschied zur Elternzeit nicht als unschädliche Unterbrechung im Hinblick auf die Weiterzahlung der Besitzstandszulage angesehen hätten. Die Tarifvertragsparteien haben erkannt, dass §§ 5, 9 TVÜ-L das tarifliche Ziel der Besitzstandswahrung bei der Überleitung der Arbeitsverhältnisse in den TV-L nicht uneingeschränkt sicherstellt. Die Tarifvertragsparteien durften dann aber bei der neu geschaffenen Besitzstandsregelung in der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 Ziffer 1 TVÜ-L bestimmte Gruppen von Angestellten nicht ohne einen auch unter Beachtung der Wertentscheidung des Art. 6 GG sachlich vertretbaren Grund ganz von der Besitzstandsregelung ausnehmen. Daran würde es fehlen, soweit der Sonderurlaub zum Zwecke der Kinderbetreuung anders als die ausdrücklich genannte Elternzeit als schädliche Unterbrechung geregelt worden wäre. Zwischen der Gruppe der Arbeitnehmern, die Elternzeit beanspruchen, und der Gruppe der Beschäftigten, denen Sonderurlaub zur Kinderbetreuung gewährt worden ist, bestehen keine Unterschiede, die es rechtfertigen, die zweite Gruppe aus dem Kreis derer herauszunehmen, denen die Besitzstandszulage nach Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-Länder weiter gewährt werden soll. Der zur Kinderbetreuung gewährte Sonderurlaub verfolgt den gleichen Zweck wie die Elternzeit. Er dient ebenso wie diese der von Art. 6 GG geschützten Betreuung von Kindern durch ihre Eltern. Die Gewährung von Sonderurlaub stand unter der Geltung des BAT nicht im Ermessen des Arbeitgebers. Vielmehr gewährte § 50 Abs. 1 BAT trotz seiner Ausgestaltung als Sollvorschrift unter den dort geregelten Voraussetzungen gerade einen Anspruch auf Sonderurlaub, es sei denn, dringende dienstliche oder betriebliche Interessen standen dem entgegen. Die Herausnahme des Sonderurlaubs aus den Fällen der unschädlichen Unterbrechungstatbestände lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass ein solcher Sonderurlaub typischerweise erheblich länger andauert als die anderen in der Protokollerklärung Ziffer 1 zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L aufgeführten unschädlichen Unterbrechungstatbeständen. Zum einen ist auch eine Krankheit nicht von vorn herein zeitlich begrenzt und kann ebenfalls einen erheblichen Zeitraum umfassen. Gleiches gilt für die Inanspruchnahme von Elternzeit, die sich immerhin nach den gesetzlichen Vorgaben bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes erstrecken kann. Ebenso wenig überzeugt das Argument des beklagen Landes, der Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den Sonderurlaub aus familiären Gründen sei die Entscheidung der Eltern vorgeschaltet, wer von ihnen die Arbeit wegen Kindererziehung über den Zeitraum der Elternzeit hinaus unterbreche. Eine solche vorgeschaltete Entscheidung ist ebenfalls bei der Inanspruchnahme von Elternzeit zu treffen, was sich schon aus § 15 Abs. 3 BEEG ergibt, wonach die Elternzeit auch anteilig von jedem Elternteil allein oder von beiden Elternteilen gemeinsam genommen werden kann. Würde also der Begriff des Urlaubes in Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-L den von der Klägerin in Anspruch genommenen Sonderurlaub nicht erfassen, wäre die tarifliche Vorschrift insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 3 und 6 GG teilnichtig mit der Konsequenz, dass die Klägerin als unzulässigerweise ausgeklammerte Person Anspruch auf die Vergünstigung hätte, weil nur auf diesem Wege dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung getragen werden könnte und anzunehmen ist, dass die Tarifvertragsparteien bei Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes alle zu berücksichtigenden Personen in die Vergünstigung mit einbezogen hätten (vgl. zum Ganzen BAG, 24.06.2010 - 6 AZR 1037/08 - AP Nr. 5 zu § 5 TVÜ).
4.
Insgesamt ist mithin festzustellen, dass das beklagte Land nicht nach Ziffer 1 der Protokollerklärung zu § 9 Abs. 4 TVÜ-Länder dazu berechtigt war, der Klägerin gegenüber die Besitzstandszulage (Bewährungszulage) zu widerrufen. Eine sonstige Berechtigung des beklagten Landes zum Widerruf dieser Besitzstandszulage ist nicht ersichtlich und wird vom beklagten Land auch nicht vorgetragen.
5.
Die Klägerin hat mithin über den 11.09.2008 hinaus Anspruch gegen das beklagte Land auf Zahlung der monatlichen Bewährungszulage in Höhe von 115,51 EUR brutto. Dem sich auf den Zeitraum von September 2008 bis einschließlich August 2009 beziehenden Zahlungsantrag der Klägerin hat das Arbeitsgericht Osnabrück zu Recht stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten war zurückzuweisen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.
...
Wichmann
Gärtner