Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.11.2011, Az.: 3 Sa 865/11

In der Satzung festgelegter Zuständigkeitsbereich gibt Auskunft über die Einordnung einer Ortskrankenkasse als bundesunmittelbare Körperschaft; Versorgungsbezüge eines Dienstordnungsangestellten bei Fusion einer bundesunmittelbaren Körperschaft mit landesrechtlicher Krankenkasse

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
01.11.2011
Aktenzeichen
3 Sa 865/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 29829
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2011:1101.3SA865.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 21.01.2014 - AZ: 3 AZR 905/11

Amtlicher Leitsatz

Für die Frage, ob es sich bei einer Ortskrankenkasse um eine bundesunmittelbare Körperschaft handelt, die verpflichtet ist, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen (hier: für einen ehemaligen Dienstordnungsangestellten) nach Bundesrecht zu gewähren, kommt es auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an.

Bezieht sich dieser auf ein einziges Bundesland, gilt das jeweilige Landesrecht. Das gilt auch nach einer Fusion mit einer früheren Betriebs- und Innungkkasse, die für Regionen in mehreren Bundesländern zuständig war.

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger,

gegen

Beklagte und Berufungsbeklagte,

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. November 2011 durch

den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Lange,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Benz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 06.05.2011 - 7 Ca 25/10 Ö - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe der an den Kläger ab April 2010 zu zahlenden Versorgungsbezüge sowie sonstiger geldwerten Leistungen.

2

Der Kläger war Angestellter einer KRANKENKASSE, die mit Wirkung zum 01.01.2004 mit der KRANKENKASSE Niedersachsen zur "neuen" KRANKENKASSE fusionierte, ebenfalls ein bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger.

3

Zwischenzeitlich bezieht der Kläger Versorgungsbezüge, die ihm zunächst nach den Vorschriften für Bundesbeamte gewährt worden.

4

Zum 01.04.2010 fusionierte die KRANKENKASSE Niedersachsen mit der ehemaligen C. Niedersachsen zur Beklagten. Die Beklagte ist nunmehr auch zuständig für die ehemaligen Mitglieder der KRANKENKASSE Niedersachsen, die sich neben der Region Niedersachsen auf die Regionen Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg, Bremen, Westfalen-Lippe, Bayern und Hessen verteilen. Der Anteil der ehemaligen Mitglieder der KRANKENKASSE Niedersachsen an der Gesamtmitgliederzahl der Beklagten beträgt ca. 10 %. In der Folgezeit teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nunmehr in ihrer Dienstordnung die Anwendung des Landesrechts Niedersachsen geregelt sei. Er erhalte daher ab April 2010 Bezüge und Beihilfeleistungen nach niedersächsischem Landesrecht.

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Der Kläger ist der Ansicht, die Qualifizierung der Beklagten als bundesunmittelbare Körperschaft sei gemäß Artikel 87 Abs. 2 GG obligatorisch. Wenn eine bundesunmittelbare Körperschaft mit einer landesunmittelbaren Körperschaft fusioniere, könne die neue Körperschaft nur bundesunmittelbar sein. Eine weitere Anwendung des Bundesrechts ergäbe sich auch aus Vertrauensschutzgesichtspunkten. Für ihn ergebe sich zudem die Besonderheit, dass es für ihn aufgrund seiner Vorerkrankungen nicht möglich sei, die aus der Anwendung des Niedersächsischen Beihilferechts folgenden Veränderungen durch eine private Versicherung aufzufangen.

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Der Kläger hat beantragt,

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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 01. April 2010 rechtsstandswahrend Besoldung, Versorgung, alle Geld- und geldwerten Leistungen sowie Beihilfe nach den für Bundesbeamte geltenden Regelungen zu gewähren.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat die Ansicht vertreten, mit der Fusion sei sie in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen eingetreten. Damit seien auch die bisherigen Dienstordnungen beider Träger außer Kraft getreten.

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Durch Urteil vom 06.05.2011 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 27.05.2011 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 15.06.2011 Berufung eingelegt und diese am 21.07.2011 begründet.

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Der Kläger ist der Ansicht, für die Anwendung von Artikel 87 Abs. 2 GG könne nicht der satzungsgemäße, sondern nur der tatsächliche Zuständigkeitsbereich maßgebend sein. Dieser erstrecke sich jedoch auf mehr als drei Bundesländer. Selbstverständlich müsse er - wie jeder andere Beamte - mit Änderungen bzw. Verschlechterungen des Beihilferechts rechnen und ggf. auch finanzielle Einbußen hinnehmen. Ihm würden jedoch nicht nur finanzielle Einbußen aufgebürdet, sondern es sei ihm grundsätzlich aufgrund seiner Vorerkrankungen verwehrt, die nicht von der Beihilfe gedeckten Aufwendungen durch Abschluss einer privaten Krankenversicherung abdecken zu lassen. Dies habe er bisher - wie von den Führungskräften der Krankenkasse erwartet - über die gesetzliche Krankenversicherung und nicht über eine private Versicherung getan. Das zwinge ihn nunmehr, erstmalig eine private Krankenversicherung abzuschließen, was in seinem Fall jedoch an der Risikoprüfung durch die Krankenversicherer scheitere.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 06.05.2011 - 7 Ca 25/11 Ö - abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist dem Kläger ab dem 01.04.2010 Versorgungsbezüge sowie Beihilfeleistungen nach den für Bundesbeamte geltenden Regelungen zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, sie sei eine landesunmittelbare Körperschaft. Die Region, für die sie bestehe, sei in § 1 Abs. 2 der Satzung festgelegt. Die Zuständigkeit erstrecke sich damit nur auf das Gebiet eines Bundeslandes. Die KRANKENKASSE Niedersachsen habe mit Wirksamwerden der Fusion ihre Existenz ebenso verloren wie die frühere C. Niedersachsen. An die Stelle der Verschmelzungsmitglieder sei sie (die Beklagte) getreten. Ihre Kassenartzugehörigkeit im Rahmen der Fusion sei festgelegt: Sie sei eine allgemeine Ortskrankenkasse. Damit seien die Bestimmungen der §§ 90, 90 a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV anwendbar. Die vom Kläger genannte Bestimmung des § 164 Abs. 2 SGB V sei nicht einschlägig. Sie werde vielmehr durch die Sonderregelung für Vereinigungen in § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V verdrängt.

Entscheidungsgründe

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I. Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§ 66, 64 ArbGG, § 519, 520 ZPO).

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II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat.

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1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Antrag zu 2. gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind im Bereich des öffentlichen Dienstes grundsätzlich Feststellungsklagen zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wieder hergestellt wird (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 4 AZR 632/02, AP-Nr. 38 zu § 256 ZPO 1977 = NZA-RR 2004, 442 [BAG 05.11.2003 - 4 AZR 632/02]).

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2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Versorgungsbezügen und Gewährung von Beihilfeleistungen nach den für Bundesbeamte geltenden Regelungen besteht nicht.

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Die Beklagte ist nicht gemäß Artikel VIII § 1 Abs. 1 Nr. 2 des 2. BesVNG verpflichtet, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen nach den Grundsätzen der für die Bundesbeamten geltenden Bestimmungen zu regeln. Bei der Beklagten handelt es sich nämlich nicht um eine bundesunmittelbare Körperschaft.

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Nach Artikel 87 Abs. 2 Satz 1 gelten als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Das trifft auf die Beklagte nach der Fusion mit der KRANKENKASSE nicht zu. Der Zuständigkeitsbereich der Beklagten ergibt sich vielmehr aus ihrer Satzung. Dort heißt es in § 1 Abs. 2:

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"Die C. umfasst die Region des Landes Niedersachsen; sie hat ihren Sitz in C-Stadt (Direktion). Die C. unterhält C.-Regionen und Service-Zentren."

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Damit ist der Zuständigkeitsbereich definiert, und zwar das Gebiet des Landes Niedersachsen. Diese Regelung korrespondiert mit § 143 SGB V, wonach Ortskrankenkassen für abgegrenzte Regionen bestehen. Einer solchen Festlegung steht es auch nicht entgegen, wenn einzelne Mitglieder der Krankenkasse ihren Wohnsitz nicht in Niedersachsen haben. Mit der Festlegung des Zuständigkeitsbereichs einer Krankenkasse wird der Kreis derjenigen Personen festgelegt, der zukünftig Zugang zu der jeweiligen Kasse hat. Unerheblich ist es, wenn beispielsweise einzelne Versicherte ihren Wohnsitz verlegen. Damit endet die Zuständigkeit der C. nicht. Gleichzeitig führt dies aber auch nicht dazu, dass sich der Zuständigkeitsbereich nunmehr auf mehr als ein Bundesland erstreckt. Bei Gebietskrankenkassen kommt es insoweit ausschließlich auf die satzungsmäßige Festlegung des örtlichen Zuständigkeitsbereichs an (vgl. schon BSG, Urteil vom 16.12.1965 - 3 RK 33/62 - BSGE 24,171 [BSG 16.12.1965 - 3 RK 33/62]). Daher ist es entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich, dass die Beklagte im Rahmen Fusion Zuständigkeitsbereiche der ehemalige KRANKENKASSE Niedersachsen übernommen hat. Damit wird sie zwar für ehemalige Versicherte der KRANKENKASSE zuständig. Für die Begründung neuer sozialversicherungsrechtlicher Rechtsbeziehungen kommt es aber allein auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an. Demgemäß ist für den Kläger gemäß Artikel VIII § 2 des 2. BesVNG das für Landesbeamte geltende Recht maßgeblich.

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In diesem Zusammenhang ist der satzungsmäßige Zuständigkeitsbereich der früheren KRANKENKASSE, der sich auch auf andere Bundesländer erstreckt hat, unmaßgeblich. Denn aufgrund der Regelung in § 171 a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 144 Abs. 4 SGB V sind die bisherigen Krankenkassen mit dem Wirksamwerden der Vereinigung geschlossen. Die KRANKENKASSE Niedersachsen hat ihre Rechtsfähigkeit verloren. An die Stelle der beiden früheren Rechtsträger ist die jetzige Beklagte getreten.

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Der Kläger kann sich ferner nicht mit Erfolg auf die Regelung § 164 Abs. 2 SGB V berufen. Diese Bestimmung regelt nämlich nur den Fall einer Auflösung oder Schließung einer KRANKENKASSE. Die speziellere Norm für den hier vorliegenden Fall einer Vereinigung ist dagegen die Regelung des § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V.

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Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Hierbei handelt es sich um eine Öffnungsklausel für Betriebs- und Innungskassen. Diese können durch die Möglichkeit der Eröffnung für betriebs- bzw. innungsfreie Versicherte selbst über ihren organisationsrechtlichen Zuschnitt entscheiden. Demgegenüber ist eine Ortskrankenkasse auf einen bestimmten räumlichen Geltungsbereich beschränkt.

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Damit ist nach der Fusion der Kassen für den Kläger allein die neue Dienstordnung der Beklagten maßgeblich, die die Rechtsbeziehungen sowohl der aktiven Dienstordnungsgestellten als auch der Versorgungsempfänger regelt.

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Eine abweichende Regelung wäre im Übrigen auch unzulässig. Denn eine landesunmittelbare Körperschaft des Öffentlichen Rechts kann keine Dienstordnung aufstellen, die Leistungen vorsieht, die über die für Landesbeamte hinausgehen. Eine solche Regelung widerspräche vielmehr Artikel VIII § 2 des 2. BesNVG (BAG, Urteil vom 01.08.2007 -10 AZR 493/06 - NZA-RR 2008, 105; vgl. auch BAG, Urteil vom 20.02.2008 - 10 AZR 440/07 - ZTR 2008, 323).

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Vogelsang
Lange
Benz