Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.04.2011, Az.: 3 Sa 1679/10

Beschäftigte des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe eines prozentualen Anteils von jedenfalls 60 %; Anspruch der Beschäftigten des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe eines prozentualen Anteils von jedenfalls 60 %

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.04.2011
Aktenzeichen
3 Sa 1679/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 21965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2011:0419.3SA1679.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 29.09.2010 - AZ: 6 Ca 179/10
nachfolgend
BAG - 11.07.2012 - AZ: 10 AZR 365/11

Amtlicher Leitsatz

Die Auslegung von § 19 MTV für die Beschäftigten des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems vom 11.09.2009 ergibt, dass die Arbeitnehmer Anspruch auf eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 in Höhe eines prozentualen Anteils von jedenfalls 60% haben. Auch wenn die unterschiedlichen Prozentsätze für die einzelnen Entgeltgruppen bisher nicht geregelt wurden, ist die tarifliche Regelung wegen des grundsätzlichen Bestehens eines Anspruchs in Höhe von zumindest 60% des Entgelts nicht lückenhaft.

In dem Rechtsstreit
...
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2011
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,
den ehrenamtlichen Richter Herrn von Heimburg,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Abraham
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 29.09.2010 - 6 Ca 179/10 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Jahressonderzahlung gemäß § 19 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten des ehemaligen AWO Bezirksverbandes Weser-Ems vom 11.09.2009 (im Folgenden: MTV).

2

Die Klägerin ist seit Juli 1996 bei der Beklagten im Altenwohnzentrum A-Stadt beschäftigt.

3

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden für die AWO-Gruppe Weser-Ems geltenden Tarifverträge Anwendung. Zunächst galt der Bundesmanteltarifvertrag vom 01.11.1997 (im Folgenden: BMT-AW II). Dieser Tarifvertrag sah ursprünglich eine Jahressonderzahlung in Höhe von 100% der Bemessungsgrundlage vor, die durch spätere Zusatzverträge eingefroren wurde. Ab 2003 galten verschiedene Restrukturierungstarifverträge. Im September 2006 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di mehrere neue Tarifverträge für die Beschäftigten der AWO-Gruppe, unter anderem einen neuen MTV, der unter § 19 wegen der Jahressonderzahlung folgende Regelung enthält:

§ 19 Jahressonderzahlung

(1)

Beschäftigte, die am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung.

(2)

die Jahressonderzahlung beträgt bei Beschäftigten,

in den Entgeltgruppen X bis X 90 v.H.,

in den Entgeltgruppen X bis X 80 v.H. und

in den Entgeltgruppen X bis X 60 v.H.

des der/dem Beschäftigten in den Kalendermonaten Juli, August und September durchschnittlich gezahlten monatlichen Entgelts; unberücksichtigt bleiben hierbei das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt (mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Überstunden), Leistungszulagen, Leistungs- und Erfolgsprämien. Der Bemessungssatz bestimmt sich nach der Entgeltgruppe an 1. September. Bei Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nach dem 30. September begonnen hat, tritt an die Stelle des Bemessungszeitraums der erste volle Kalendermonat des Arbeitsverhältnisses. (...)

4

Gleichzeitig schlossen die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe des ehemaligen AWO-Bezirksverbandes Weser-Ems (im Folgenden TV AstD). Hierdurch wurde § 19 MTV außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig regelte der TV AstD Ausgleichsleistungen für ver.di - Mitglieder. Dieser Tarifvertrag konnte frühestens zum 30.06.2009 gekündigt werden, eine Nachwirkung wurde ausgeschlossen.

5

Die Tarifvertragsparteien konnten sich in der Folgezeit nicht auf eine neue Entgeltordnung einigen. Die Eingruppierung neu eingestellter Arbeitnehmer erfolgt seit Juli 2008 anhand eines eigenen Systems, das sich an die Regelungen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst anlehnt. Die Gewerkschaft ver.di kündigte den TV AstD zum 30.06.2009.

6

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, aus § 19 Abs. 1 MTV ergebe sich dem Grunde nach ein Anspruch auf eine Jahressonderzahlung. Dieser betrage gemäß Absatz 2 mindestens 60% des durchschnittlichen monatlichen Entgelts. In ihrem Fall sei ein ausgehend von der tariflichen Eingruppierung und in Anlehnung an die entsprechende Regelung im TVöD wohl von einem Anspruch in Höhe von 90% auszugehen.

7

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an sie 2.953,41 EUR brutto nebst

Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit

dem 01.12.2009 zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hat die Ansicht vertreten, § 19 MTV stelle eine unvollständige Regelung dar. Eine isolierte Betrachtung nach Anspruchsgrund und Anspruchshöhe sei nicht möglich. Die Tarifvertragsparteien hätten wegen der Sonderzahlung bewusst eine lückenhafte Regelung geschaffen. Das sei für die Gewerkschaft damals akzeptabel gewesen, weil die Arbeitgeberseite an anderer Stelle zu einem Entgegenkommen bereit gewesen sei. Dokumentiert werde dies auch durch das Fehlen einer Übergangsregelung. Die Arbeitsgerichte seien nicht befugt, eine derartige bewusste Tariflücke durch eine ergänzende Auslegung zu schließen. Im Übrigen sei es auch denkbar, dass Entgeltgruppen vereinbart würden, die nicht in die Aufstellung des § 19 Abs. 2 MTV aufgenommen würden. Zudem seien einige der Gesellschaften der AWO-Gruppe auch finanziell nicht in der Lage, eine Sonderzahlung zu leisten. Man könne jedoch nicht davon ausgehen, die Tarifvertragsparteien würden Ergebnisse vereinbaren, die zu einer Insolvenz einzelner Unternehmen der AWO-Gruppe führen müssten.

10

Durch Urteil vom 29.09.2010 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin eine Jahressonderzahlung für 2009 in Höhe von 1.977,47 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten zu 2/3 und der Klägerin zu 1/3 auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Beklagte zur Zahlung einer Jahressonderzahlung in Höhe von 60% des durchschnittlichen Bruttogehalts verpflichtet sei. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Urteil ist der Beklagten am 04.10.2010 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 02.11.2010 Berufung eingelegt und diese am 06.12.2010 begründet. Die Klägerin hat die von ihr eingelegte Berufung zurückgenommen.

11

Die Beklagte ist der Ansicht, aus dem Tarifvertrag lasse sich nicht ansatzweise entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien damals davon ausgegangen seien, mit § 19 MTV auch den Übergangszeitraum abschließend geregelt zu haben. Auch das Fehlen einer Übergangsregelung stelle eine (zweite) Regelungslücke dar. Durch seine Entscheidung habe das Arbeitsgericht nunmehr eine tarifliche Regelung geschaffen, die von den Tarifvertragsparteien damals, gerade auch im Wissen um die finanzielle Situation der Arbeitgeberseite, offensichtlich nicht gewollt gewesen sei. Das verstoße gegen die Tarifautonomie. Selbst wenn man dem Grunde nach einen Anspruch annehme, sei jedenfalls die Anspruchshöhe objektiv nicht bestimmbar. Hieraus müsste sich dann ein Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 BGB ergeben. Jedenfalls lasse sich die vom Arbeitsgericht vorgenommene Berechnung mit§ 19 Abs. 2 MTV nicht vereinbaren, zumal die Entgeltsätze derzeit noch nicht feststünden.

12

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 29.09.2010

- 6 Ca 179/10 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt

abzuweisen.

13

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 20.12.2010 (Bl. 178 - 183 d.A.).

15

Wegen des weiteren Sachvorbringens der Parteien wird auf die in beiden Instanzen überreichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

I.

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbGG, 519, 520 ZPO).

17

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat.

18

Die Beklagte ist gemäß § 19 MTV verpflichtet, an die Klägerin eine Jahressonderzahlung für 2009 in Höhe von 60% des durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts der Monate Juli bis September 2009 zu zahlen. In diesem Punkt ist die tarifliche Regelung entgegen der Rechtsansicht der Beklagten nicht lückenhaft. Einer ergänzenden Tarifauslegung bedarf es - jedenfalls wegen eines 60%igen Anspruchs - gerade nicht. Dies ergibt sich aus der Auslegung des § 19 Abs. 1 und Abs. 2 MTV.

19

1.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 12.09.1984 - 4 AZR 336/82 - AP 135 zu § 1 TVG Auslegung = NZA 85, 160; BAG, Urteil vom 05.10.1999 - 4 AZR 578/98 - AP 15 zu § 4 TVG Verdienstsicherung = NZA 2000, 268 [BAG 05.10.1999 - 4 AZR 578/98]).

20

2.

a)

Aus dem Wortlaut von § 19 Abs. 1 MTV folgt, dass ein Anspruch auf eine Jahressonderzahlung dem Grunde nach besteht. Dies wird durch die Regelung in § 19 Abs. 2 MTV auch nicht in Frage gestellt. Hier wird zwar nach Entgeltgruppen differenziert, es besteht jedoch kein Anhaltspunkt dafür, dass hierbei bestimmte Entgeltgruppen von dem Anspruch auf eine Jahressonderzahlung ausgeschlossen werden sollten. Wäre eine solche Regelung beabsichtigt gewesen, hätte es viel näher gelegen, bereits in Absatz 1 zu formulieren, dass der Anspruch nur für Beschäftigte bestimmter Tarifgruppen gelten solle, etwa durch einen Verweis auf die in Absatz 2 (dann nicht vollständig) aufgeführten Tarifentgeltgruppen. Darüber hinaus ergibt sich aus § 19 Abs. 2 MTV, dass für alle Beschäftigten ein bestimmter Prozentsatz des Entgelts geleistet werden soll und nicht etwa ein anderer, beispielsweise fester Betrag.

21

b)

Diese Auslegung des Tarifwortlauts korrespondiert auch mit dem Zweck der Regelung in § 19 MTV. Eine Zuordnung von Entgeltgruppen zur Höhe der Jahressonderzahlung ist allein deshalb unterblieben, weil die Tarifparteien sich nicht auf eine neue Entgeltordnung und damit auch nicht auf neue Entgeltgruppen einigen konnten. Allein aus diesem Grund ist eine Zuordnung zu bestimmten Prozentstufen für den Anspruch auf die Jahressonderzahlung bisher unterblieben.

22

c)

In diesem Punkt bedarf es auch keiner ergänzenden Auslegung des Tarifvertrages. Allerdings sind die Arbeitsgerichte nicht befugt, eine bewusste Regelungslücke in einem Tarifvertrag auszufüllen. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie, weil hierdurch entgegen dem Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen geschaffen würden (st. Rspr. des BAG, vgl. z.B. BAG, Urteil vom 24.04.1985 - 4 AZR 457/83 - AP Nr. 4 zu § 3 BAT = NZA 85, 602; vgl. BAG, Urteil vom 25.02.2009 - 4 AZR 19/08 - AP Nr. 6 zu § 23 b BAT). Eine bewusste Regelungslücke im Rahmen des § 19 MTV kommt nur aber insoweit in Betracht, als es um einen 60% übersteigenden Anspruch, also einen Anspruch in Höhe von 80 oder 90% geht. Das Bestehen eines Anspruchs von jedenfalls 60% des Entgelts für alle Beschäftigten ist dagegen tariflich normiert. In diesem Punkt würde die tarifliche Regelung auch nicht etwa erst durch die Festlegung der verschiedenen Entgeltgruppen in einer neuen Entgeltordnung und der Zuordnung der Entgeltgruppen zu der Staffel in § 19 Abs. 2 MTV vollständig. Auch ohne eine solche Regelung wird die Tarifnorm nicht etwa inhaltsleer. Bei § 19 MTV handelt es sich in seiner jetzigen Fassung auch nicht nur um einen bloßen Platzhalter für eine erst später beabsichtigte Regelung. Denn dort, wo die Tarifvertragsparteien noch keine normative Regelung in Kraft setzen wollten, haben sie dies ausdrücklich in den Text des MTV aufgenommen, wie z.B. in den §§ 12, 13, 16 und 17 MTV. Eine entsprechende Offenlassung hätte auch im Fall des § 19 MTV nahegelegen, hätte man tatsächlich einen Anspruch auf Zahlung einer Jahressonderzahlung zunächst noch nicht normieren wollen. Stattdessen haben die Tarifvertragsparteien in § 19 MTV eine detaillierte Regelung getroffen, die bereits Einzelfragen über die Berechnung des Anspruchs enthält. Mag dies auch darauf beruhen, dass man bei der Abfassung des Tariftextes von dem Regelungsinhalt des TVöD ausgegangen ist und dabei Paragraph für Paragraph vorgegangen ist, hätte das jedoch die Tarifvertragsparteien, wenn sie tatsächlich eine Regelung nicht gewollt hätten, nicht davon abhalten müssen, § 19 MTV derzeit noch "unbesetzt" zu lassen. Dieses Auslegungsergebnis wird außerdem durch den zeitgleich abgeschlossenen TV AstD gestützt. Dieser enthält in den §§ 2 und 3 folgende Regelung:

§ 2 Außerkraftsetzen § 19 des Haustarifvertrages der AWO Gruppe

Der § 19 des Haustarifvertrages der AWO Gruppe vom 01. Juli 2006 wird durch diesen Tarifvertrag Ausgleich strukturelles Defizit (TV AstD) unter Beachtung der Regelungen in den folgenden Paragraphen außer Kraft gesetzt.

§ 3 Ausgleichszahlung für ver.di Mitglieder

(1)

Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlungen gem. § 19 des Haustarifvertrages der AWO-Gruppe erhalten die ver.di-Mitglieder der AWO-Gruppe in jedem Geschäftsjahr zum 31. Juli eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535 EUR brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit.

(2)

Teilzeitbeschäftigte erhalten die Ausgleichszahlung anteilig.

(3)

Diese Ausgleichszahlung erhalten Beschäftigte, die ihre Mitgliedschaft in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) für die zurückliegenden drei Monate bis zum Auszahlungstag glaubhaft zum 30. Juni nachgewiesen haben.

(4)

Für das Jahr 2006 ist die Mitgliedschaft für die zurückliegenden 3 Monate bis zum Auszahlungstag (30.09.06) glaubhaft zum 31.08.2006 nachzuweisen.

23

Die Tarifvertragsparteien haben damit eine Aussetzung des § 19 MTV geregelt. Dies macht jedoch nur dann Sinn, wenn § 19 MTV in der damaligen Fassung einen Regelungsgehalt hat. Eine nicht bestehende Regelung braucht nicht ausgesetzt zu werden, erst recht nicht unter gleichzeitiger Gewährung von Kompensationsleistungen, wie sie z.B. in § 3 TV AstD enthalten sind. In § 3 TV AstD wird sogar ausdrücklich von einer Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlung gemäß § 19 MTV gesprochen. Gebe es einen solchen Anspruch nicht, wäre nichts auszusetzen und erst recht nichts zu kompensieren gewesen. In diesem Fall hätte es näher gelegen, stattdessen für den Beginn des Anspruchs gemäߧ 19 MTV einen späteren Zeitpunkt festzulegen. Diese Auslegung korrespondiert im Übrigen auch mit der weiteren Regelung in § 12 Abs. 1 TV AstD, die folgenden Inhalt hat:

§ 12 Kündigungsfrist und Nachwirkung

(1)

Dieser Tarifvertrag kann frühestens zum 30.06.2009 mit einer Frist von 6 Monaten schriftlich gekündigt werden. Ergibt die Überprüfung durch einen externen Sachverständigen eine unveränderte wirtschaftliche Notwendigkeit hinsichtlich der Aussetzung des § 19 des Haustarifvertrages der AWO-Gruppe berät und entscheidet die Tarifkommission auf Basis der Empfehlung eines Sachverständigen gemäß Absatz 5 über die Verlängerung der Laufzeit um längstens 2 Jahre.

24

Auch diese Regelung geht erkennbar von einem dem Grunde nach bestehenden Anspruch aus, der möglicherweise unter bestimmten Voraussetzungen weiter suspendiert werden kann.

25

d)

Die Beklagte kann ferner nicht mit Erfolg einwenden, die Verpflichtung zur Gewährung von Sonderzahlungen könne zur Insolvenz führen, was auch bei der Auflegung des Tarifvertrages zu berücksichtigen sei. Allerdings befand sich die Beklagte nach ihrem unbestritten gebliebenen Vortrag 2006, also bei Abschluss der streitigen tariflichen Regelung, in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Dieser Situation haben die Tarifvertragsparteien aber erkennbar bereits auf andere Weise Rechnung getragen, insbesondere durch die Regelungen im TV AstD. Dort ist auch ein bestimmtes Verfahren vorgesehen, um in Krisensituationen die Belastung durch derartige Ansprüche zu vermeiden. Dieses Verfahren nach § 12 TV AstD hat die Beklagte jedoch gerade nicht betrieben.

26

e)

Schließlich kann die Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, der Anspruch auf Jahressonderzahlung lasse sich wegen der Lückenhaftigkeit der Regelung derzeit noch nicht berechnen, weil Ausgangspunkt hierfür gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 MTV die jeweils geltende Entgeltgruppe sei, die aber tariflich noch nicht geregelt sei. Tatsächlich ist die Regelung jedoch auch insoweit nicht unvollständig. Sie enthält vielmehr eine detaillierte Grundlage für die Berechnung des Anspruchs. Dabei ist gemäߧ 19 Abs. 2 Satz 1 MTV auf das "gezahlte Entgelt" abzustellen. Auch der Hinweis in § 19 Abs. 2 Satz 2 MTV auf Entgeltgruppe zu einem bestimmten Stichtag macht die Regelung nicht unvollständig. Für die Klägerin ist derzeit auch ohne entsprechende tarifliche Regelung eine bestimmte Entgeltgruppe maßgeblich. Nach dieser Entgeltgruppe wird sie vergütet. Einer tariflichen Festlegung der Entgeltgruppe bedarf es nur für den Bemessungssatz und damit für die Eingruppierung in die Staffel des§ 19 Abs. 2 MTV. Hiervon könnte in der Tat im Folgenden die Frage abhängen, ob der Klägerin tatsächlich für das Jahr 2009 nicht nur 60%, sondern sogar möglicherweise 80 oder 90% des Entgelts zustehen. Insoweit ist also zwischen dem Bemessungssatz nach§ 19 Abs. 2 Satz 1 MTV und dem maßgeblichen gezahlten Entgelt im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 1 MTV zu unterscheiden. Das gezahlte Entgelt ist und bleibt Maßstab für die Berechnung des Entgelts, von dem ein bestimmter Prozentsatz als Sonderzahlung zu gewähren ist, während der Bemessungssatz allein die Frage entscheidet, ob dieser Anspruch in Höhe von 60, 80 oder 90% des gezahlten Entgelts gewährt werden muss.

27

3.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286, 288 BGB.

28

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

29

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

30

Rechtsmittelbelehrung

31

Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.

32

...

Vogelsang
von Heimburg
Abraham