Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.03.2011, Az.: 3 Sa 567/11 B
Die Qualifizierung einer Ortskrankenkasse als eine bundesunmittelbare Körperschaft hängt von dem in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich ab; Versorgungsbezüge eines Dienstordnungsangestellten bei Fusion einer bundesunmittelbaren Körperschaft mit landesrechtlicher Krankenkasse
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 17.03.2011
- Aktenzeichen
- 3 Sa 567/11 B
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29816
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0317.3SA567.11B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 4 Ca 367/10 Ö - 17.3.2011
Rechtsgrundlagen
- Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG
- § 143 SGB V
- § 144 Abs. 2 S. 2 SGB V
- § 144 Abs. 4 SGB V
- § 164 Abs. 2 SGB V
- § 171a Abs. 1 S. 3 SGB V
- § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V
- Art. VIII § 1 Abs. 1 Nr. 2 2. BesVNG
- § 256 Abs. 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Für die Frage, ob es sich bei einer Ortskrankenkasse um eine bundesunmittelbare Körperschaft handelt, die verpflichtet ist, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen (hier: für einen ehemaligen Dienstordnungsangestellten) nach Bundesrecht zu gewähren, kommt es auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an.
Bezieht sich dieser auf ein einziges Bundesland, gilt das jeweilige Landesrecht. Das gilt auch nach einer Fusion mit einer früheren Betriebs- und Innungkkasse, die für Regionen in mehreren Bundesländern zuständig war.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. November 2011 durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Lange,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Benz
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 17.03.2011 - 4 Ca 367/10 Ö - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der an den Kläger ab April 2010 zu zahlenden Versorgungsbezüge sowie Erstattung erhöhter Krankenversicherungskosten.
Der Kläger war als Direktor bei der KRANKENKASSE A-Stadt beschäftigt. Mit Wirkung zum 01.01.2004 fusionierte sie mit der KRANKENKASSE Niedersachsen zur "neuen" KRANKENKASSE Niedersachsen, ebenfalls einem bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger.
Der Kläger wurde zwischenzeitlich in den Ruhestand versetzt und erhielt Versorgungsbezüge nach den Vorschriften für Bundesbeamte.
Zum 01.04.2010 fusionierte die KRANKENKASSE Niedersachsen mit der ehemaligen C. Niedersachsen zur Beklagten. Die Beklagte ist nunmehr auch zuständig für die ehemaligen Mitglieder der KRANKENKASSE Niedersachsen, die sich neben der Region Niedersachsen auf fünf weitere Regionen verteilen. Der Anteil der ehemaligen Mitglieder der KRANKENKASSE Niedersachsen an der Gesamtmitgliederzahl der Beklagten beträgt ca. 10 %. In der Folgezeit teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nunmehr in ihrer Dienstordnung die Anwendung des Landesrechts Niedersachsen geregelt sei. Er erhalte daher ab April 2010 Bezüge und Beihilfeleistungen nach niedersächsischem Landesrecht.
Der Kläger habe die Ansicht vertreten, er habe gemäß § 164 Abs. 2 SGB V einen Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen nach Bundesrecht. Die Beklagte sei nach Artikel 87 II GG eine bundesunmittelbare Körperschaft. Zudem sei sie aus Gründen der Besitzstandswahrung verpflichtet, weiterhin die ursprüngliche Bruttoversorgung zu gewähren. Die Beklagte müsse ihm darüber hinaus die durch die Anwendung des Niedersächsischen Beihilferechts entstehenden zusätzlichen monatlichen Krankenversicherungskosten in Höhe von 117,60 € erstatten.
Der Kläger hat beantragt,
1. es wird festgestellt, dass die Beklagte weiterhin verpflichtet ist, ab April 2010 an den Kläger eine monatliche Bruttoversorgung in Höhe von 3.517,62 € zu zahlen.
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab Juli 2010 eine monatliche Zahlung in Höhe von 117,60 € wegen erhöhter Krankenversicherungskosten zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, mit der Fusion sei sie in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen eingetreten. Damit seien auch die bisherigen Dienstordnungen beider Träger außer Kraft getreten.
Durch Urteil vom 17.03.2011 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 07.04.2011 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 20.04.2011 Berufung eingelegt und diese am 06.06.2011 begründet.
Der Kläger ist der Ansicht, unzutreffend nehme das Arbeitsgericht an, dass es sich bei der Beklagten um eine landesunmittelbare Körperschaft handele. Darüber hinaus ergebe sich der geltend gemachte Anspruch auch aus § 164 Abs. 2 SGB V.
Der Kläger beantragt,
1. es wird festgestellt, dass die Beklagte und Berufungsbeklagte weiterhin verpflichtet ist, ab April 2010 an den Kläger und Berufungskläger eine monatliche Bruttoversorgung in Höhe von 3.517,62 € zu zahlen
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte und Berufungsbeklagte verpflichtet ist, an den Kläger und Berufungskläger ab Juli 2010 eine monatliche Zahlung in Höhe von 117,60 € wegen der erhöhten Krankenversicherungskosten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, sie sei eine landesunmittelbare Körperschaft. Die Region, für die sie bestehe, sei in § 1 Abs. 2 der Satzung festgelegt. Die Zuständigkeit erstrecke sich damit nur auf das Gebiet eines Bundeslandes. Die KRANKENKASSE Niedersachsen habe mit Wirksamwerden der Fusion ihre Existenz ebenso verloren wie die frühere C. Niedersachsen. An die Stelle der Verschmelzungsmitglieder sei sie (die Beklagte) getreten. Ihre Kassenartzugehörigkeit im Rahmen der Fusion sei festgelegt: Sie sei eine allgemeine Ortskrankenkasse. Damit seien die Bestimmungen der §§ 90, 90 a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV anwendbar. Die vom Kläger genannte Bestimmung des § 164 Abs. 2 SGB V sei nicht einschlägig. Sie werde vielmehr durch die Sonderregelung für Vereinigungen in § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V verdrängt.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§ 66, 64 ArbGG, § 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat.
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Antrag zu 2. gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind im Bereich des öffentlichen Dienstes grundsätzlich Feststellungsklagen zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wieder hergestellt wird (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 4 AZR 632/02, AP-Nr. 38 zu § 256 ZPO 1977 = NZA-RR 2004, 442 [BAG 05.11.2003 - 4 AZR 632/02]).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Versorgungsbezügen und Gewährung sonstiger Leistungen nach den für Bundesbeamten geltenden Bestimmungen besteht nicht. Daher kommt auch eine Verpflichtung zur Erstattung von erhöhten Krankenversicherungskosten nicht in Betracht.
Die Beklagte ist nicht gemäß Artikel VIII § 1 Abs. 1 Nr. 2 des 2. BesVNG verpflichtet, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen nach den Grundsätzen der für die Bundesbeamten geltenden Bestimmungen zu regeln. Bei der Beklagten handelt es sich nämlich nicht um eine bundesunmittelbare Körperschaft.
Nach Artikel 87 Abs. 2 Satz 1 gelten als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Das trifft auf die Beklagte nach der Fusion mit der KRANKENKASSE nicht zu. Der Zuständigkeitsbereich der Beklagten ergibt sich vielmehr aus ihrer Satzung. Dort heißt es in § 1 Abs. 2:
"Die C. umfasst die Region des Landes Niedersachsen; sie hat ihren Sitz in C-Stadt (Direktion). Die C. unterhält C.-Regionen und Service-Zentren."
Damit ist der Zuständigkeitsbereich definiert, und zwar das Gebiet des Landes Niedersachsen. Diese Regelung korrespondiert mit § 143 SGB V, wonach Ortskrankenkassen für abgegrenzte Regionen bestehen. Einer solchen Festlegung steht es auch nicht entgegen, wenn einzelne Mitglieder der Krankenkasse ihren Wohnsitz nicht in Niedersachsen haben. Mit der Festlegung des Zuständigkeitsbereichs einer Krankenkasse wird der Kreis derjenigen Personen festgelegt, der zukünftig Zugang zu der jeweiligen Kasse hat. Unerheblich ist es, wenn beispielsweise einzelne Versicherte ihren Wohnsitz verlegen. Damit endet die Zuständigkeit der C. nicht. Gleichzeitig führt dies aber auch nicht dazu, dass sich der Zuständigkeitsbereich nunmehr auf mehr als ein Bundesland erstreckt. Bei Gebietskrankenkassen kommt es insoweit ausschließlich auf die satzungsmäßige Festlegung des örtlichen Zuständigkeitsbereichs an (vgl. schon BSG, Urteil vom 16.12.1965 - 3 RK 33/62 - BSGE 24,171 [BSG 16.12.1965 - 3 RK 33/62]). Daher ist es entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich, dass die Beklagte im Rahmen Fusion Zuständigkeitsbereiche der ehemaligen KRANKENKASSE Niedersachsen übernommen hat. Damit wird sie zwar für ehemalige Versicherte der KRANKENKASSE zuständig. Für die Begründung neuer sozialversicherungsrechtlicher Rechtsbeziehungen kommt es aber allein auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an. Demgemäß ist für den Kläger gemäß Artikel VIII § 2 des 2. BesVNG das für Landesbeamte geltende Recht maßgeblich.
In diesem Zusammenhang ist der satzungsmäßige Zuständigkeitsbereich der früheren KRANKENKASSE, der sich auch auf andere Bundesländer erstreckt hat, unmaßgeblich. Denn aufgrund der Regelung in § 171 a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 144 Abs. 4 SGB V sind die bisherigen Krankenkassen mit dem Wirksamwerden der Vereinigung geschlossen. Die KRANKENKASSE Niedersachsen hat ihre Rechtsfähigkeit verloren. An die Stelle der beiden früheren Rechtsträger ist die jetzige Beklagte getreten.
Der Kläger kann sich ferner nicht mit Erfolg auf die Regelung § 164 Abs. 2 SGB V berufen. Diese Bestimmung regelt nämlich nur den Fall einer Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse. Die speziellere Norm für den hier vorliegenden Fall einer Vereinigung ist dagegen die Regelung des § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Hierbei handelt es sich um eine Öffnungsklausel für Betriebs- und Innungskassen. Diese können durch die Möglichkeit der Eröffnung für betriebs- bzw. innungsfreie Versicherte selbst über ihren organisationsrechtlichen Zuschnitt entscheiden. Demgegenüber ist eine Ortskrankenkasse auf einen bestimmten räumlichen Geltungsbereich beschränkt.
Damit ist nach der Fusion der Kassen für den Kläger allein die neue Dienstordnung der Beklagten maßgeblich, die die Rechtsbeziehungen sowohl der aktiven Dienstordnungsgestellten als auch der Versorgungsempfänger regelt.
Eine abweichende Regelung wäre im Übrigen auch unzulässig. Denn eine landesunmittelbare Körperschaft des Öffentlichen Rechts kann keine Dienstordnung aufstellen, die Leistungen vorsieht, die über die für Landesbeamte hinausgehen. Eine solche Regelung widerspräche vielmehr Artikel VIII § 2 des 2. BesNVG (BAG, Urteil vom 01.08.2007 -10 AZR 493/06 - NZA-RR 2008, 105; vgl. auch BAG, Urteil vom 20.02.2008 - 10 AZR 440/07 - ZTR 2008, 323).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Benz