Landesarbeitsgericht Niedersachsen
v. 14.04.2011, Az.: 16 Sa 560/10 E
Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines ärztlichen Direktors bei unterlassener Betriebsratsanhörung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 14.04.2011
- Aktenzeichen
- 16 Sa 560/10 E
- Entscheidungsform
- Teilurteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29817
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0414.16SA560.10E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 10.03.2010 - AZ: 4 Ca 441/09 E
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 3 S. 1, 2 BetrVG
- § 5 Abs. 4 BetrVG
- § 102 Abs. 1 S. 1, 3 BetrVG
- § 611 Abs. 1 BGB
- § 626 Abs. 1 BGB
Amtlicher Leitsatz
Die Stellung als ärztlicher Direktor und damit als Mitglied der Krankenhausleitung eines Krankenhauses kann zugleich die Stellung eines leitenden Angestellten i. S. § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 BetrVG begründen. Maßgebend für die Beurteilung sind nicht allein der Titel oder die Bezeichnung, sondern die nach Vertrag und Stellung im Einzelfall übertragenen Befugnisse.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungsbeklagter,
gegen
Beklagte und Berufungsklägerin,
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2011 durch
den Richter am Arbeitsgericht Ermel,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Baldenhofer,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Möller
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 10.03.2010 - 4 Ca 441/09 E - wird zurückgewiesen,
soweit das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 25.08.2009, 12.10.2009 und 26.10.2009 nicht aufgelöst worden ist,
und soweit die Beklagte verurteilt worden ist, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreites tatsächlich als Chefarzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin am C. Krankenhaus in A-Stadt zu beschäftigen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses, Weiterbeschäftigung, die Frage der Einreihung des Klägers in das zutreffende Tarifwerk sowie die sich hieraus ergebende Vergütungshöhe.
Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit den Fachabteilungen Anästhesie und Intensivmedizin, Allgemein- und Unfallchirurgie, Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Gastroenterologie, Klinik für ganzheitliche Onkologie und Palliativmedizin. Die Beklagte beschäftigt ca. 300 Arbeitnehmer. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat.
Der 1948 geborene Kläger wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 31.08.1988 seit dem 26.09.1988 als Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin eingestellt.
In § 1 des Dienstvertrages heißt es:
"§ 1 Dienstverhältnis
...
(3) Soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, finden die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) sowie die ihn ergänzenden und ersetzenden tariflichen Regelungen und die vom Krankenhausträger erlassenen Dienstanweisungen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung."
Die Stellung des Chefarztes regelt § 2 des Dienstvertrages, die Frage der Dienstaufgaben im Bereich der Krankenbehandlung § 3 des Dienstvertrages.
In § 4 heißt es unter "Sonstige Dienstaufgaben":
d) "Auf Verlangen des Krankenhausträgers hat der Chefarzt die Aufgaben des Ärztlichen Direktors des Krankenhauses wahrzunehmen".
Unter § 6 "Mitwirkung in Personalangelegenheiten" heißt es:
"(1) Bei der Vorbereitung des Stellenplanes für den ärztlichen Dienst seiner Abteilung wird der Chefarzt gehört.
(2) Bei der Anstellung, Umsetzung, Versetzung oder Entlassung der nachgeordneten Ärzte seiner Abteilung hat der Chefarzt ein Vorschlagsrecht. Vor entsprechenden Maßnahmen bei Mitarbeitern der Abteilung im medizinischen- technischen Dienst, bei Pflegepersonen in herausgehobener Stellung (Stationsschwester/-Pfleger, 1. Operationsschwester/-pfleger) sowie bei Schreibkräften für den Chefarzt wird dieser gehört."
Gemäß § 7 Abs. 1 des Arbeitsvertrages erhält der Kläger für seine Tätigkeit Bezüge nach der Vergütungsgruppe BAT I einschließlich aller üblichen Zulagen und Zuschläge sowie als variable, nicht gesamtversorgungsfähige Vergütung das Liquidationsrecht für von ihm erbrachte Leistungen bei Patienten, die gesondert berechenbare ärztliche Leistungen gewählt und mit dem Krankenhaus vereinbart haben sowie in bestimmten Fälle das Liquidationsrecht für Gutachten.
In § 7 Abs. 1 c) ist vereinbart, dass dann, wenn die Summe der Bruttobezüge den Gesamtbetrag von 195.000,00 DM jährlich nicht erreicht, eine weitere Zulage bis zu diesem Betrag zu zahlen ist, welche auf Antrag ab 01.01.1989 der Dynamisierung gemäß dem Erhöhungssatz der Vergütungsgruppe BAT I (Grundvergütung) in der jeweiligen Stufe des Chefarztes unterliegt.
§ 16 des Dienstvertrages enthält eine Regelung über die Vertragsdauer und Kündigung. Hiernach beträgt nach Ablauf des 15. Vertragsjahres die Kündigungsfrist 24 Monate zum Jahresende.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Dienstvertrages wird auf Blatt 29 bis 42 der Gerichtsakte verwiesen.
Im Verlaufe des Arbeitsverhältnisses wurde der Kläger zum ärztlichen Direktor bestellt. Nach der "Geschäftsordnung für die Krankenhausbetriebsleitung" vom 14.06.2004 (Anlage B 6, Blatt 235 der Gerichtsakte) war der Kläger neben der Pflegedienstleitung und dem Verwaltungsleiter als ärztlicher Direktor Mitglied der Krankenhausbetriebsleitung.
Bei der Wahl zum Betriebsrat der Beklagten im Jahr 2006 befand sich der Kläger nicht auf der Wählerliste.
Mit Schreiben vom 25.08.2009, dem Kläger am 26.08.2009 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst möglichen Zeitpunkt.
Am Tag des Ausspruches der außerordentlichen Kündigung forderte die Beklagte den Kläger auf, den Schlüssel für sein Dienstzimmer auszuhändigen, welchem der Kläger nachkam. Ob und in welchem Umfang in diesem Zusammenhang noch weitere Erklärungen abgegeben wurden, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 12. und 26.10.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut vorsorglich außerordentlich mit dem Vorwurf, der Kläger sei am 07.10.2009 unbefugt in sein Dienstzimmer eingedrungen.
Mit seiner am 15.09.2009 gegen die Kündigung vom 25.08.2009 gerichteten sowie am 13.10. und 27.10.2009 gegen die Kündigungen vom 12. und 26.10.2009 gerichteten Klageerweiterungen wehrt sich der Kläger gegen die ausgesprochenen Kündigungen.
Kündigungsgründe lägen nicht vor. Eine ordentliche Kündigung sei aufgrund der vertraglichen Bezugnahme auf die Vorschriften des BAT ausgeschlossen. Im Übrigen seien die Kündigungen mangels Anhörung des Betriebsrates nichtig. Der Kläger sei nicht leitender Angestellter im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Eigene Einstellungs- und Entlassungsbefugnisse habe er nicht besessen. Die in der Geschäftordnung vom 14.06.2004 beschriebenen Aufgaben des ärztlichen Direktors habe er so tatsächlich nicht wahrgenommen. Wenn der Kläger überhaupt an Entscheidungen der Geschäftsführung beteiligt worden sei, dann nur gleichberechtigt mit den anderen Chefärzten.
Ferner begehrt der Kläger die Feststellung, dass sich seine Vergütung und die daraus resultierende jährlich Garantiesumme nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) richte.
Die Garantiesumme für das Jahr 2005 habe 142.742,23 € brutto betragen und sei seitdem nicht mehr von der Beklagten dynamisiert worden. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
Mit Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA sei die Beklagte verpflichtet gewesen eine Dynamisierung durchzuführen. Die Garantiesumme für das Jahr 2009 beziffere sich auf 202.218,89 € brutto.
Der Kläger hat beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die erste Kündigung der Beklagten vom 25.08.2009, dem Kläger zugegangen am 26.08.2009, nicht aufgelöst wird.
2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die zweite Kündigung der Beklagten vom 12.10.2009, dem Kläger zugegangen am 13.10.2009, nicht aufgelöst wird.
3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die dritte Kündigung der Beklagten vom 26.10.2009, dem Kläger zugegangen am 26.10.2009, nicht aufgelöst wird, sondern unverändert über den 31.12.2011 hinaus fortbesteht.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den Bedingungen des Dienstvertrages und des Zusatzvertrages vom 31.08.1988 unverändert als Chefarzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin am C.-Krankenhaus A-Stadt zu beschäftigen.
5. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger rückwirkend ab dem 01.03.2009 ein Festgehalt entsprechend der Entgeltgruppe IV (Leitender Chefarzt) des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) zu bezahlen.
6. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger für das Jahr 2009 eine Garantiesumme in Höhe von 202.218,89 € zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Kündigung vom 25.08.2009 sei wegen schwerwiegender Vertragsverletzungen des Klägers berechtigt. Dem Kläger seien zahlreiche Mängel in der Organisation, im Hygienebereich, im Bereich der Risikoaufklärung, der Beaufsichtigung von Narkosen und Patienten während der Aufwachphase vorzuhalten. Dies betreffe insbesondere eine am 26.08.2009 durchgeführte Operation. Im Rahmen dieser Operation habe der Kläger ferner ein Narkoseprotokoll bereits vor Durchführung der Narkose ausgefüllt. Ferner habe er der anwesenden Praktikantin angeboten, die Narkose auszuführen.
Wegen der Vorwürfe im Einzelnen wird auf die Seiten 2 bis 5 des Schriftsatzes der Beklagten vom 19.10.2009 sowie Blatt 147 der Gerichtsakte verwiesen.
Dem Kläger sei ferner am 26.08.2009 ausdrücklich aufgegeben worden, die nicht öffentlich zugänglichen Räume der Klinik, insbesondere sein Büro, nur nach Absprache und in Begleitung des Verwaltungsleiters nach Aushändigung des Schlüssels durch diesen zu den üblichen Bürozeiten zu betreten. Der Kläger habe sich am 07.10.2009 gegen 22:00 Uhr von einem Bediensteten den Schlüssel beschafft und sein Büro aufgesucht. Letzteres ist zwischen den Parteien unstreitig.
Die Geschäftsführerin der Beklagten Frau D. habe nach Kenntnis des Umstandes, dass sich eine Person in den Büroräumen des Klägers aufgehalten habe, am 07.10. den Austausch des Schlosses der Bürotür veranlasst. Am Abend des 08.10.2009 habe der Kläger erneut versucht, sein Büro aufzusuchen. Die Geschäftsführerin der Beklagten habe erst am 12.10.2009 erfahren, dass es sich bei der Person, welche am 07.10. das Büro aufgesucht habe, um den Kläger gehandelt habe.
Eine Betriebsratsanhörung sei nicht erforderlich gewesen, da es sich bei dem Kläger um einen leitenden Angestellten handele. Als Mitglied der Geschäftsleitung und in der Funktion des ärztlichen Direktors sei der Kläger leitender Angestellter. Vor Ausspruch der Kündigung vom 25.08.2009 sei der Betriebsrat vorsorglich angehört worden. Dieser habe sich für unzuständig erklärt. Vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 26.10.2009 sei der Betriebsrat vorsorglich gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG zu dem weiteren Kündigungssachverhalt gehört worden. Dies ergebe sich aus der Stellungnahme des Betriebsrates vom 23.10.2009.
Ein Anspruch auf Dynamisierung der Vergütung stehe dem Kläger nicht zu. Der TV-Ärzte sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anzuwenden, weil es sich bei diesem Tarifvertrag nicht um den den BAT ersetzenden Tarifvertrag handele.
Mit Urteil vom 10.03.2010 hat das Arbeitsgericht Göttingen der Klage weitgehend stattgegeben. Die Kündigungen vom 25.08. und 12.10.2009 seien bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat entgegen § 102 BetrVG nicht vor Ausspruch der Kündigungen angehört habe. Der Kläger sei nicht leitender Angestellter. Die mit der Stellung des Chefarztes verbundene ärztlich medizinische Leitungsverantwortung reiche zur Erfüllung der hierfür erforderlichen Merkmale nicht aus. Dies gelte ebenfalls für die Stellung des Klägers als ärztlichen Direktor. Die Beklagte habe nicht konkret dargelegt, dass der Kläger entsprechende unternehmerische Aufgaben wahrgenommen habe, insbesondere die in der Geschäftsordnung aufgeführten Aufgabenbereiche tatsächlich vom Kläger wahrgenommen worden seien. Die Kündigung vom 26.10.2009 sei ebenfalls mangels vorheriger Anhörung des Betriebsrates unwirksam, da die Beklagte nicht substantiiert den konkreten Inhalt der Betriebsratsanhörung vorgetragen habe. Im Übrigen liege auch kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vor.
Da die Klage gegen die Kündigungen Erfolg habe, bestehe nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ein vorläufiger Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites. Im Übrigen sei die Klage hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsanspruches abzuweisen gewesen.
Auch soweit der Kläger Einreihung in das Tarifwerk TV-Ärzte/VKA begehre sowie die Feststellung der Höhe des ihm zustehenden Garantiebetrages für das Jahr 2009 sei die Klage begründet.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird im Übrigen auf Blatt 463 bis 478 der Gerichtsakten verwiesen.
Dieses Urteil ist der Beklagten am 16.03.2010 zugestellt worden. Mit einem am 13.04.2010 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31.05.2010 mit einem am 28.05.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches vorgetragenes Vorbringen. Die Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Kündigungen sei entbehrlich gewesen, da der Kläger leitender Angestellter sei. Das Arbeitsgericht habe in seinem Urteil die Anforderungen an die Stellung eines leitenden Angestellten überspannt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts könne es der Einschätzung als leitenden Angestellten nicht entgegenstehen, dass das Leitungsgremium nicht permanent getagt habe. Jedenfalls durch die Kündigung der Beklagten vom 26.10.2009 sei das Arbeitsverhältnis wirksam beendet worden.
Die Beklagte habe vorsorglich den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu dem maßgeblichen Kündigungssachverhalt am 22.10.2009 mündlich in Person des Betriebsratsvorsitzenden angehört.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung wird kostenpflichtig abgewiesen.
Hilfsweise:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 10.3.2010 (4 Ca 441/09 E) wird hinsichtlich der Punkte 3 und 4 wie folgt abgeändert:
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger rückwirkend seit dem 1.3.2009 ein Festgehalt entsprechend der Entgeltgruppe 15 Ü des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD), Besonderer Teil Krankenhäuser (BT-K) zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaft ver.di zu bezahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für das Jahr 2009 eine Garantiesumme nach § 7 (1) c) des Arbeitsvertrages der Parteien in Höhe von 170.748,75 € zu bezahlen.
Wiederum hilfsweise:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 10.3.2010 (4 Ca 441/09 E) wird hinsichtlich der Punkte 3 und 4 wie folgt abgeändert:
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger rückwirkend seit dem 1.3.2009 ein Festgehalt entsprechend der Entgeltgruppe 15 Ü des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD), Besonderer Teil Krankenhäuser (BT-K) zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaft ver.di zu bezahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Garantiesumme nach § 7 (1) c) des Arbeitsvertrages der Parteien zu bezahlen, deren Dynamisierung sich ab dem 1.10.2005 nach dem Erhöhungssatz der Entgeltgruppe 15 Ü (Grundvergütung) des TVöD an den kommunalen Krankenhäusern in der jeweiligen Stufe des Chefarztes richtet.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Soweit es die vertragliche Vergütung angehe, werde der Anspruch im Hinblick auf den durch das Landesarbeitsgericht am 07.04.2011 erteilten rechtlichen Hinweis hilfsweise neu beziffert.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG, 511, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist - soweit über sie durch Teilurteil gemäß § 301 ZPO entschieden werden konnte - unbegründet. Insoweit hat das Arbeitsgericht Göttingen den Rechtsstreit zutreffend entschieden.
1. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 25.08.2009, dem Kläger zugegangen am 26.08.2009, nicht aufgelöst worden ist.
Die Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung den bei ihr bestehenden Betriebsrat nicht angehört hat.
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 BetrVG findet das BetrVG keine Anwendung auf leitende Angestellte, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. Wäre der Kläger leitender Angestellter im Sinne der Vorschrift, hätte es damit einer Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Kündigung nicht bedurft.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung gegenüber der Beklagten erklärt hat, einer Anhörung bedürfe es nicht. Ob eine Person leitender Angestellter ist oder nicht, bestimmt sich nach zwingendem Recht und unterliegt nicht der Disposition von Arbeitgeber, Betriebsrat oder Arbeitnehmer. Entscheidend - und damit auch entscheidend für die Pflicht zur Anhörung vor Ausspruch einer Kündigung - ist allein die objektive Rechtslage (BAG, 25.10.2001, 2 AZR 358/00, EzA Nr. 64 zu § 5 BetrVG 1972; Richardi/Thüsing, 12. Auflage, § 102 BetrVG, Rn. 34; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, 25. Auflage, § 5 BetrVG). Deshalb kann eine bloße Information an den Betriebsrat nach § 105 BetrVG nicht ohne Weiteres in eine Anhörung nach § 102 BetrVG umgedeutet werden, wenn sich später herausstellt, dass der gekündigte Arbeitnehmer kein leitender Angestellter ist (BAG, 7.12.1979, 7 AZR 1063/77, AP Nr. 21 zu § 102 BetrVG 1972; Fitting aaO., Rn. 15 m.w.N.).
Auf das Vorbringen der Beklagten, der Betriebsrat sei der Auffassung, der Kläger sei leitender Angestellter, kommt es für die Frage der Erforderlichkeit einer vorherigen Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG damit nicht an. Im Übrigen hat die Beklagte bereits in erster Instanz auf die Auflage vom 21.10.2009 zum Inhalt einer etwaigen Anhörung nicht weiter vorgetragen.
a) Der Kläger ist nicht leitender Angestellter i.S. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG.
Leitender Angestellter nach dieser Vorschrift ist derjenige, der nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zu selbständigen Einstellungen und Entlassungen von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist.
Die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis darf nicht nur im Außen- sondern muss auch im Innenverhältnis bestehen. Sie darf nicht von der Zustimmung einer dritten Person abhängen (BAG, 10.10.2007, 7 ABR 61/06, AP Nr. 72 zu § 5 BetrVG 1972).
Eine Befugnis des Klägers zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern ergibt sich weder nach § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrages noch aus der Geschäftsordnung der Krankenhausbetriebsleitung vom 14.06.2004. Nach § 6 Abs. 2 des Arbeitsvertrages besitzt der Kläger bei der Anstellung, Umsetzung, Versetzung oder Entlassung der nachgeordneten Ärzte seiner Abteilung ein Vorschlagsrecht, bei den übrigen Arbeitnehmern ist er zuvor lediglich zu hören. Eine eigenständige Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis ist damit nicht verbunden. Auf eine abweichende Praxis hat sich die Beklagte nicht berufen.
b) Der Kläger ist nicht leitender Angestellter i.S. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG.
Leitender Angestellter nach dieser Bestimmung ist, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebes von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst.
(aa) Allein die formale Stellung als Chefarzt genügt nicht, um den Kläger gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG als einen leitenden Angestellten anzusehen. Maßgeblich für die Qualifizierung eines Chefarztes als leitender Angestellter im Sinne der Vorschrift ist vielmehr, ob er nach der konkreten Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben kann (BAG, 05.05.2010, 7 ABR 97/08, NZA 2010, Seite 955 = NJW 2010, Seite 2746).
(1) Eine Stellung des Klägers als leitender Angestellter ergibt sich nicht bereits aus dem im Dienstvertrag der Parteien vom 31.08.1988 umschriebenen Aufgabenbereich.
Der Kläger ist aufgrund der ihm übertragenen Pflichten in § 2 und § 3 des Arbeitsvertrages im Wesentlichen für die medizinische Versorgung und den geordneten Dienstbetrieb seiner Abteilung verantwortlich. § 3 des Dienstvertrages (Blatt 30 der Gerichtsakte) regelt überwiegend die Pflichten des Klägers im Rahmen der medizinischen Zielsetzung des Krankenhauses. § 4 überträgt dem Kläger unter "Sonstige Dienstaufgaben" u.a. die Verantwortung für den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene in seiner Abteilung sowie die Verpflichtung, nach bestem Können die ärztlichen Anordnungen und Maßnahmen, die einen ordnungsgemäßen Betrieb des Krankenhauses im Allgemeinen und seiner Abteilung im Besonderen gewährleisten, zu treffen.
Der Umstand, dass dem Chefarzt eines Krankenhauses die Verantwortung im ärztlichen Bereich obliegt, wenn er eigenverantwortlich handelt und an Weisungen im Zweifel nicht gebunden ist, begründet nicht seine Stellung als leitender Angestellter. Insbesondere die ärztliche Behandlung einschließlich der Entscheidung über bestimmte Behandlungsmethoden hat nicht in erster Linie eine unternehmerische Dimension, sondern zielt auf den Heilerfolg. Ärztliche Entscheidungen des Chefarztes sind der Disposition des Arbeitgebers entzogen und betreffen nicht ohne Weiteres eine unternehmerische Aufgabenstellung i.S. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG (BAG, aaO., B II 1 b) bb) der Entscheidungsgründe).
Die Übertragung der Verantwortung für den geordneten Dienstbetrieb seiner Abteilung erfüllt ebenfalls nicht das Merkmal des leitenden Angestellten. Die bloße Vorgesetztenstellung für den eigenen Bereich kennzeichnet gerade noch nicht das Merkmal des leitenden Angestellten. Voraussetzung für die Wahrnehmung einer unternehmerischen (Teil-) Aufgabe ist, dass dem leitenden Angestellten rechtlich und tatsächlich ein eigener und erheblicher Entscheidungsspielraum zur Verfügung steht, d. h. er muss mit weitgehender Weisungsfreiheit und Selbstbestimmung seines Tätigkeitsbereich wahrnehmen und Kraft seiner leitenden Funktion maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben (BAG, aaO., B II 1 a) der Entscheidungsgründe). Die bloße Übertragung der Vorgesetztenstellung und der fachlichen Verantwortung für die Abteilung beinhaltet noch keinen maßgeblichen unternehmerischen Entscheidungsspielraum.
(2) Die im Dienstvertrag vorgesehene Mitwirkung in Personalangelegenheiten begründet keinen maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung.
Leitender Angestellter ist auch derjenige, der der Leitungs- und Führungsebene zuzurechnen ist und unternehmens- oder betriebsleitende Entscheidungen entweder selbst trifft oder maßgeblich vorbereitet.
Der Arbeitsvertrag der Parteien regelt in § 6 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 abgestufte Vorschlags- und Anhörungsrechte des Klägers.
Sieht der Arbeitsvertrag lediglich eine Beteiligung in Personalfragen vor, bei welcher die tatsächliche Entscheidungsbefugnis aber bei dem Arbeitgeber verbleibt, kommt es für die Annahme des Status nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG darauf an, in welchem Umfang der Kläger über seine medizinischen Aufgaben hinaus tatsächlichen Einfluss auf die personellen Entscheidungen der Beklagten ausgeübt hat.
Das vertraglich eingeräumte Vorschlagsrecht des Klägers bei personellen Maßnahmen, welche die dem Kläger nachgeordneten Ärzte betreffen, geht weiter als das bloße Anhörungsrecht vor Durchführung der Maßnahmen bei sonstigen Mitarbeitern der Abteilung des Klägers und auch weiter als das Anhörungsrecht bei der Vorbereitung des Stellenplanes.
Hierbei ist aber bereits das Mitwirkungsrecht des Klägers nur in Fällen personeller Maßnahmen des ärztlichen Personals seiner Abteilung stärker ausgeprägt. Ein Vorschlagsrecht ist stärker als ein bloßes Anhörungsrecht. Bei dem bestehenden Vorschlagsrecht darf der Arbeitgeber mithin den Vorschlag des Arbeitnehmers nicht einfach übergehen. Sieht der Arbeitsvertrag entsprechende Beteiligungsrechte vor, die auf den Status eines leitenden Angestellten hindeuten könnten, kommt es auf die tatsächliche Vertragsausübung an (BAG, 05.05.2010, aaO., B II 1 b).
Zu dieser Frage hat die Beklagte keine konkreten Tatsachen vorgetragen. Selbst wenn man das Vorschlagsrecht des Klägers für die Durchführung personeller Maßnahmen, die die ärztlichen Mitarbeiter seiner Abteilung betreffen, als unternehmerische Teilaufgabe ansehen würde, ist aus dem Sachvortrag nicht erkennbar, dass diese Teilaufgaben der Tätigkeit des Klägers das Gepräge gegeben hätten und nur ansatzweise einen beachtlichen Teil seiner Tätigkeit ausgemacht haben.
Die dem Kläger im Arbeitsvertrag eingeräumten Beteiligungsrechte bei personellen Maßnahmen erfüllen damit ebenfalls nicht das Merkmal des leitenden Angestellten i.S. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG.
(3) Der Kläger ist nicht leitender Angestellter aufgrund seiner Funktion als ärztlicher Direktor.
Die Stellung als ärztlicher Direktor und damit als Mitglied der Krankenhausleitung kann die Stellung eines leitenden Angestellten i.S. des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG begründen. Maßgebend für die Qualifizierung ist allein nicht der Titel oder die Bezeichnung als ärztlicher Direktor, sondern die Wahrnehmung der Aufgaben nach Vertrag und Stellung. Hinzu kommt, dass die Wahrnehmung der Aufgaben, welche die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG erfüllen sollen, für die Tätigkeit des Angestellten prägend sein und jedenfalls einen beachtlichen Teil seiner Tätigkeit beanspruchen müssen (BAG, 05.05.2010, aaO., B. II 2. b. ee).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Geschäftsordnung für die Krankenhausbetriebsleitung vom 14.06.2004 regelt, dass die Mitglieder der Krankenhausbetriebsleitung die Geschäfte ihres Aufgabenbereiches eigenverantwortlich nach Maßgabe der Geschäftsordnung ausführen. Gemäß § 2 ist der ärztliche Direktor Mitglied der Krankenhausbetriebsleitung, welche wiederum vom Geschäftsführer geleitet wird. § 4 Nr. 1 der Geschäftsordnung weist dem ärztlichen Direktor im Wesentlichen Überwachungsaufgaben im ärztlichen Bereich sowie Pflichten zur Unterstützung der Geschäftsführung zu. Daneben heißt es ausdrücklich, das "alle Vorgänge und Maßnahmen wesentlicher Art mit der Geschäftsführung abzustimmen sind" (Blatt 237 der Gerichtsakte).
Aus der letzt genannten Klausel folgt bereits, dass dem Kläger keine eigenständigen Entscheidungsbefugnisse bei Maßnahmen wesentlicher Art zugewiesen sind.
Bereits diese Regelung ist Indiz dagegen, dass der Kläger in seiner Funktion als Mitglied der Krankenhausbetriebsleitung in eine Stellung berufen war, in welcher er rechtlich und tatsächlich über einen eigenen und erheblichen Entscheidungsspielraum verfügte.
Hinzu kommt, dass ausweislich der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils in tatsächlicher Hinsicht Dienstbesprechungen der Krankenhausbetriebsleitung seit Übernahme der Geschäftsanteile durch die GeHoMa tatsächlich nur in so genannter "großer Runde" unter Beteiligung sämtlicher Chefärzte stattgefunden haben und dass Entscheidungen, an welchen der Kläger in seiner Funktion als ärztlicher Direktor zu beteiligen gewesen wäre, nicht angestanden hätten (Seite 9 des Urteils des Arbeitsgerichts Göttingen vom 10.03.2010, Blatt 471 der Gerichtsakte).
Diesen Feststellungen des Arbeitsgerichts Göttingen ist die Beklagte mit ihrer Berufungsbegründung nicht entgegengetreten. Es fehlt damit an Sachvortrag dafür, ob bzw. welche Aufgaben des § 4 Nr. 1 der Geschäftsordnung des Klägers tatsächlich wahrgenommen und eine Stellung ausgefüllt hat, die sich von der der anderen Chefärzte abhob.
(cc) Die Stellung des Klägers als leitender Angestellter folgt nicht gemäß § 5 Abs. 4 BetrVG.
Die Regelung des § 5 Abs. 4 BetrVG enthält keine Regelbeispiele, sondern gibt lediglich dann eine Entscheidungshilfe, wenn noch Zweifel bestehen (BAG, 25.10.2001, 2 AZR 358/00, aaO.) Unerheblich ist daher zum einen die Frage, ob der Kläger einer Leitungsebene angehört, auf der in dem Unternehmen überwiegend leitende Angestellte vertreten sind (§ 5 Abs. 4 Nr. 2 BetrVG). Im Übrigen hat die Beklagte nicht dargelegt, dass im Rahmen der Krankenhausbetriebsleitung neben dem Kläger "überwiegend" leitende Angestellte vertreten sind. Insbesondere für die Position der Pflegedienstleitung ergeben sich hierzu keine Anhaltspunkte aus dem Sachvortrag.
Unerheblich ist daher auch der Umstand, dass der Kläger bei der Betriebsratswahl im Jahr 2006 nicht auf der Wählerliste verzeichnet war. Hieraus ergibt sich im Übrigen nicht einmal, ob der Kläger aus Anlass dieser Wahl ausdrücklich den leitenden Angestellten i.S. des § 5 Abs. 4 Nr. 1 BetrVG zugeordnet wurde.
Unerheblich für die Frage der Einordnung des Klägers als leitenden Angestellten ist schließlich auch die Frage des regelmäßigen Jahresarbeitsentgeltes i.S. § 5 Abs. 4 Nr. 3 BetrVG bzw. die Frage des Überschreitens der Bezugsgröße nach § 18 des 4. Buches Sozialgesetzbuch i.S. § 5 Abs. 4 Nr. 4 BetrVG.
2. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12.10.2009 nicht aufgelöst worden ist.
Die ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung den bei ihr bestehenden Betriebsrat nicht angehört hat.
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Wie unter I 1 der Entscheidungsgründe ausgeführt, ist der Kläger nicht leitender Angestellter i.S. § 5 Abs. 3 BetrVG. Der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat hätte daher vor Ausspruch der Kündigung vom 12.10.2009 angehört werden müssen. Die Beklagte hat die Durchführung eines vorherigen Anhörungsverfahrens nicht behauptet. Die ausgesprochene Kündigung ist daher gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
3. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.10.2009 aufgelöst worden ist.
a) Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar erscheint. Danach muss eine Vertragsverletzung vorliegen, durch die das Arbeitsverhältnis so schwer gestört ist, dass dem Kündigenden auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und dessen weitere Fortsetzung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist (BAG 17.05.1984, 2 AZR 3/83, AP Nr. 14 zu § 626 BGB "Verdacht strafbarer Handlung"; BAG 13.12.1984, 2 AZR 454/83, AP Nr. 81 zu § 626 BGB; BAG 14.11.1984, 7 AZR 474/83, AP Nr. 83 zu § 626 BGB). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kündigungsrecht (BAG 30.05.1978, 2 AZR 630/76, AP Nr. 70 zu § 626 BGB) ist zu berücksichtigen, dass eine Kündigung in Betracht kommt, wenn andere, nach den jeweiligen Umständen mögliche und angemessene mildere Mittel erschöpft bzw. nicht zumutbar sind. Danach ist insbesondere eine außerordentliche Kündigung nur als unausweichlich letzte Maßnahme des Kündigungsberechtigten zulässig. Die Prüfung des Kündigungssachverhaltes ist deshalb dahingehend vorzunehmen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und ob bei der Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (vgl. BAG aaO. sowie auch BAG 02.03.1989, 2 AZR 280/88, AP Nr. 101 zu § 626 BGB).
Der Arbeitgeber hat im Rahmen der sogenannten abgestuften Darlegungs- und Beweislast nicht nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund zu beweisen, sondern auch alle Tatsachen, die einen vom Kündigenden behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG 12.08.1976, 2 AZR 237/75, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; BAG 24.11.1983, 2 AZR 327/82, AP Nr. 76 zu § 626 BGB; BAG 24.08.1993, 2 AZR 154/93, AP Nr. 112 zu § 626 BGB).
b) Unter Anlegung dieser Maßstäbe wäre das dem Kläger von der Beklagten vorgeworfene Verhalten zwar an sich - ohne besondere Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles - geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die zu treffende Interessenabwägung führt dazu, dass das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt.
Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist auch ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen. Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund i.S. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (BAG, 12.05.2010, 2 AZR 845/08, NZA 2010, Seite 1348). Nach dem Sachvortrag der Beklagten läge eine Pflichtverletzung des Klägers darin, am 07.10.2009 gegen die dem Kläger am 26.08.2009 ausdrücklich erteilte Weisung verstoßen zu haben, insbesondere sein Büro nur nach Absprache und in Begleitung des Verwaltungsleiters nach Aushändigung des Schlüssels durch diesen zu üblichen Bürozeiten zu betreten.
(aa) Die Beklagte hat vorgetragen, diese Weisung sei dem Kläger mit genau diesem Inhalt ausdrücklich am 26.08.2009 im Zuge der Überreichung der außerordentlichen Kündigung vom 25.08.2009 erteilt worden.
Nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung am 26.08.2009 bestand ein berechtigtes Interesse der Beklagten daran, dass der Kläger nicht wie bisher in seinem Büro ein- und aus geht. Da mit der außerordentlichen Kündigung die Befreiung von der Arbeitspflicht verbundenen war, bestand grundsätzlich auch ein berechtigtes Interesse der Beklagten daran, dem Kläger nicht unbeschränkten Zutritt zu seinem Dienstzimmer zu gewähren, sondern lediglich noch für bestimmte Anlässe. Dadurch, dass der Kläger sich - was insoweit unstreitig ist - von einem anderen Bediensteten einen Schlüssel zum Dienstzimmer verschafft hat, läge ein vorsätzlicher Verstoß gegen die dem Kläger erteilte Weisung.
(bb) Liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung "an sich" vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Ebenso wenig wie bei der Frage des wichtigen Grundes kommt es auf die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens an, sondern allein auf die Schwere der Vertragspflichtverletzung (BAG, aaO.).
Bei der Frage der Würdigung des Gewichtes der Vertragspflichtverletzung und der hieraus resultierenden Zumutbarkeit ist zum einen der Sinn und Zweck des ausgesprochenen Verbotes sowie ferner der Anlass der Übertretung dieses Verbotes zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat sich hinsichtlich des Kündigungsgrundes lediglich auf die Nichtbefolgung der Anordnung durch den Kläger berufen. Nach dem Inhalt der Anweisung selbst erschöpfte sich der Zweck der Anweisung darin, den Kläger vom nicht öffentlichen Bereich der Räumlichkeiten des Krankenhauses, insbesondere seinem Dienstzimmer, fern zu halten und ihm Zutritt nur zu besonderen Anlässen zu gestatten. Im öffentlichen Bereich durfte sich der Kläger auch nach dem von der Beklagten vorgetragenen Wortlaut der Anweisung weiter aufhalten. Zwar hat die Beklagte nichts dazu vorgetragen, wie sich der nicht öffentliche Bereich vom öffentlichen Bereich abgrenzen sollte. Jedenfalls nach dem Sachvortrag der Beklagten, sollte dass Dienstzimmer des Klägers nur nach vorheriger Kontaktaufnahme mit dem Verwaltungsleiter und der Aushändigung des Schlüssels betreten werden. Die Beklagte wollte dem Kläger mithin nicht generell den Zutritt zum Dienstzimmer verweigern, sondern dieses Zutrittsrecht nur für bestimmte Fälle zu büroüblichen Zeiten gewähren. Zum weitergehenden Sinn und Zweck dieser Beschränkung des Zutrittrechtes hat die Beklagte weder vor dem Arbeitsgericht noch im Rahmen des Berufungsverfahrens vorgetragen. Insbesondere hat die Beklagte keine Tatsachen vorgetragen aufgrund derer ein gesteigertes Interesse der Beklagten erkennbar ist, den Kläger generell vom Betreten seines Dienstzimmers fernzuhalten, etwa um ihm den Zugriff auf vertrauliche Unterlagen vorzuenthalten. Vielmehr ist nicht streitig, dass ein Aufsuchen des Dienstzimmers durch den Kläger für die Durchführung offener Abrechnungen erforderlich war. Der Sachvortrag des Klägers, das Dienstzimmer sei nicht nur von dem Kläger selbst, sondern auch von weiteren Beschäftigten genutzt worden (Schriftsatz des Klägers vom 09.07.2010, Seite 8, Blatt 553 der Gerichtsakte), ist ebenfalls unstreitig geblieben.
Die Beklagte hat auch zu keinem Zeitpunkt behauptet, das Aufsuchen des Dienstzimmers durch den Kläger sei zur Durchführung unlauterer Motive erfolgt. Dem Sachvortrag des Klägers, die Sekretärin des Klägers, Frau E., habe den Kläger am 01.10.2009 telefonisch darüber informiert, von der Verwaltung vorbereitete und vom Kläger vervollständigte Unterlagen für die fällige Abrechnung mit der Kassenärztlichen Vereinigung seien im Dienstzimmer des Klägers auf dem Schreibtisch deponiert worden (Schriftsatz des Klägers vom 28.01.2010, Seite 14, Blatt 339 der Gerichtsakte), ist die Beklagte ebenfalls nicht durch entgegenstehenden Vortrag entgegen getreten.
Der dem Kläger vorgehaltene Verstoß stellt sich daher nicht als Pflichtverletzung dar, die aufgrund des konkreten Anlasses der Übertretung des behaupteten Verbotes im Einzelfall als derart schwerwiegend anzusehen ist, dass sie im konkreten Fall den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen würde.
Hinzu kommt, - wenn auch nicht mehr entscheidungserheblich - dass der Kläger im Rahmen der Kammerverhandlung vom 14.04.2011 im Rahmen seiner Anhörung erklärt hat, er habe sein Dienstzimmer gerade deshalb in den Abendstunden aufgesucht, weil mit der Geschäftsleitung die Vereinbarung bestanden habe, sich möglichst nicht zu den üblichen Zeiten im Krankenhaus zu zeigen. Gerade deshalb habe der Kläger die Abendstunden und nicht die üblichen Bürozeiten gewählt, um dem normalen Dienstbetrieb aus dem Wege zu gehen.
Bereits die besonderen Umstände des Einzelfalles führen im Rahmen der zu treffenden Interessenabwägung damit dazu, dass das Verhalten des Klägers im konkreten Einzelfall nicht geeignet ist, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu rechtfertigen. Hinzu kommt ferner, dass das Arbeitsverhältnis bis zu den die Kündigung vom 25.08.2009 auslösenden Vorwürfen, seit dem Jahre 1988 störungsfrei verlaufen ist. Die im Rahmen der ausgesprochenen Kündigung vom 25.08.2009 erhobenen Vorwürfe führen auch im Rahmen der Interessenabwägung bezüglich des Kündigungsvorwurfes der angegriffenen Kündigung vom 26.10.2009 nicht dazu, dass dieser Kündigungsvorwurf im konkreten Einzelfall das Gewicht eines wichtigen Grundes annimmt.
4. Der Kläger hat Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung als Chefarzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin am C.-Krankenhaus in A-Stadt bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreites.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (vgl. Beschluss des Großen Senates des BAG vom 27.02.1985, GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB, Beschäftigungspflicht) steht dem Arbeitnehmer auch während des Kündigungsschutzprozesses ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch zu. Mit dem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess überwiegt regelmäßig das Interesse des Arbeitnehmers an der vorläufigen Weiterbeschäftigung das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers.
Das Arbeitsgericht Göttingen hat dem Kläger unter Berufung auf diese Rechtsprechung des BAG den Anspruch auf seine tatsächliche Weiterbeschäftigung zuerkannt. Dem ist die Beklagte in der Folgezeit auch tatsächlich nachgekommen. Mit ihrer Berufung hat die Beklagte gegenüber dem Beschäftigungsanspruch keine weiteren tatsächlichen Gesichtspunkte dargelegt. Insbesondere hat die Beklagte keine Tatsachen vorgetragen aufgrund derer der Beklagten die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites nunmehr unzumutbar wäre.
III. Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.
IV. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Die Parteien haben auch keine Gesichtspunkte vorgetragen, die für eine derartige Zulassung sprechen könnten.
Baldenhofer
Möller