Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.08.2011, Az.: 3 Sa 133/11 B
Beschränkung einer Invalidenrente auf den Eintritt der Invalidität nach Vollendung des 50. Lebensjahres ist eine wirksame betriebliche Versorgungsregelung; Mindestalter für betriebliche Invalidenrente; Zahlungsklage bei Nichterreichen tariflicher Altersgrenze
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 16.08.2011
- Aktenzeichen
- 3 Sa 133/11 B
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29455
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0816.3SA133.11B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 17.11.2010 - AZ: 3 Ca 266/10 B
Rechtsgrundlagen
- § 305c Abs. 2 BGB
- § 611 Abs. 1 BGB
- § 1 Abs. 1 BetrAVG
- § 10 S. 1 AGG
- Art. 6 Abs. 1 RL 78/2000/EG
- Art. 6 Abs. 2 RL 78/2000/EG
Amtlicher Leitsatz
Eine betriebliche Versorgungsregelung kann vorsehen, dass eine Invalidenrente nur geschuldet wird, wenn die Invalidität nach Vollendung eines bestimmten Mindestalters (hier: des 50. Lebensjahres) eintritt (BAG 20.10.1987 - 3 AZR 208/86 - AP 7 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente).
Eine solche Regelung verstößt weder gegen Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG noch gegen die Bestimmungen des AGG.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 16. August 2011 durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Andritzky,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Koop
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.11.2010 - 3 Ca 266/10 B - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Kläger ab dem 01.12.2003 Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsrente hat.
Der 0.0.1956 geborene Kläger war seit dem 01.06.1977 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Ihm wurde auf Grundlage der "Pensionsordnung für die H. W. KG D." vom 01.07.1976, wegen deren genauen Inhalts auf die mit der Klage überreichte Kopie (Bl. 8 - 11 d.A.) Bezug genommen wird, eine betriebliche Altersversorgung zugesagt.
Mit Bescheid vom 06.03.2003 bewilligte die Landesversicherungsanstalt Hannover dem Kläger mit Wirkung vom 01.09.2002 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Parteien schlossen unter dem 25.03.2003 einen Aufhebungsvertrag, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2003 regelte. Am 09.12.2003 stellte der Kläger bei der Beklagten erstmalig einen Antrag auf Zahlung einer betrieblichen Invaliditätsrente. Unter dem 30.09.2009 wandte der Kläger sich erneut an die Beklagte und bat um Überprüfung seines Antrages aus dem Jahr 2003. Die Beklagte wies den Antrag des Klägers unter dem 18.01.2010 schriftlich zurück.
Der Kläger hat behauptet, er sei aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Er hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein Anspruch auf Gewährung einer betrieblichen Invaliditätsrente zu. Bei dem in der Pensionsordnung genannten Mindestalter handele es sich um eine bloße Fälligkeitsregelung für den Beginn der Rentenzahlung. Darüber hinaus verstoße eine Voraussetzung "Mindestalter 50 Jahre" ohnehin gegen das Diskriminierungsverbot, weil hierin eine Benachteiligung aus Gründen des Alters liege.
Wegen der Berechnung der Klageforderung wird auf die Ausführungen im Schriftsatz des Klägers vom 30.09.2010 (Bl. 54 - 56 d.A.) verwiesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.940,42€ nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.10.2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Regelung in der Pensionsordnung normiere zweifelsfrei eine Anspruchsvoraussetzung für die Invaliditätsrente. Hierin liege keine Altersdiskriminierung. Zudem seien die Bestimmungen des AGG erst zum 18.08.2006 in Kraft getreten und die Umsetzungsfrist gemäß der Richtlinie 2000/78/EG sei im Jahre 2003 noch nicht abgelaufen gewesen. Im Übrigen seien die Ansprüche des Klägers teilweise verjährt.
Durch Urteil vom 17.11.2010 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 100 - 101 d.A.) Bezug genommen. Das Urteil ist dem Kläger am 29.12.2010 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 24.01.2011 Berufung eingelegt und diese am 21.02.2011 begründet.
Er ist der Ansicht, die Bestimmung in § 1 Ziffer 2 Abs. 2 der Pensionsordnung könne man nach ihrem Wortlaut sowohl als anspruchsbegründende Voraussetzung aber auch als Fälligkeitsregelung verstehen. Auslegungszweifel gingen gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten. Das Arbeitsgericht deute im Übrigen Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG unzutreffend. Danach könnten nämlich lediglich die Mitgliedstaaten bestimmte Ausnahmetatbestände vorsehen, die Beklagte dagegen könne eine solche Ausnahmeregelung nicht normieren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.11.2010 zum Aktenzeichen 3 Ca 266/10 B abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.571,66 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 12.940,42 € seit dem 07.10.2010 und jeweils 157,81 € ab dem 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011 und 01.02.2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 21.03.2011 (Bl. 128 - 134 d.A.).
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Kläger ist statthaft, sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsrente.
1.Aus der Regelung in § 1 der Pensionsordnung ergibt sich ein entsprechender Anspruch entgegen der Ansicht des Klägers gerade nicht. Hierin heißt es:
"§ 1
Voraussetzung für die Gewährung von Renten
1. Rentenleistungen werden gewährt, wenn der Betriebsangehörige bei Eintritt des Versorgungsfalles die Mindestdienstzeit und das Mindestalter gemäß Ziffer 2 in den Diensten der Firma erreicht hat.
2. Die Zahlung einer Invalidenrente infolge Erwerbsunfähigkeit oder einer Witwenrente setzt voraus, dass der Betriebsangehörige bei Eintritt des Versorgungsfalles mindestens 5 volle Jahre in den Diensten der Firma steht und das 25. Lebensjahr vollendet hat (Wartezeit).
Bei Invalidität infolge Berufsunfähigkeit betragen für die Rentenzahlung die Mindestdienstzeit 15 Jahre und das Mindestalter 50 Jahre.
3. Ein Anspruch auf Rentenleistungen nach dieser Pensionsordnung besteht für die Betriebsangehörigen nicht, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres (bei weiblichen Betriebsangehörigen nach Vollendung des 50. Lebensjahres) in die Dienste der Firma treten."
a) Bei der Pensionsordnung handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB. Die entsprechenden Regelungen wurden von der Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen formuliert und standardmäßig für alle Arbeitnehmer verwendet. Als allgemeine Geschäftsbedingungen sind die Regelungen der Pensionsordnung nach ihrem objektiven Inhalt und typischem Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werde. Dabei sind nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zulegen. Ausgangspunkt für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Parteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (vgl. BAG, Urteil vom 09.06.2010 - 5 AZR 332/09 - NZA 2010, 877 m.w.N.).
Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt sich, dass Voraussetzung für die Zahlung einer Invalidenrente ein Mindestalter von 50 Jahren ist. Dies belegt bereits die Überschrift des § 1 der Pensionsordnung, wo ausdrücklich von einer Voraussetzung für die Gewährung von Renten die Rede ist. In Ziffer 2 wird darüber hinaus in Satz 1 ausdrücklich die Formulierung "setzt voraus" verwendet. Da, wo die Pensionsordnung demgegenüber lediglich Fälligkeitsbestimmungen enthält, wird dies im Wortlaut deutlich gemacht. So spricht § 6 ausdrücklich in der Überschrift von "Beginn, Ende und Auszahlung der Renten". Erkennbar wird damit auch der Regelungszweck, nämlich die Ansprüche auf Zahlung einer Invalidenversorgung und die damit verbundene finanzielle Belastung der Beklagten zu begrenzen. Bei über 50jährigen Mitarbeitern ist der Zeitraum zwischen dem etwaigen Eintritt einer Invalidität und dem Beginn einer Altersrente nicht mehr so lang, dass hierdurch unüberschaubare wirtschaftliche Risiken erwachsen könnten. Dass es der Beklagten insoweit um die Begrenzung ihres wirtschaftlichen Risikos ging, macht auch die weitere Anspruchvoraussetzung, nämlich eine Mindestdienstzeit von 15 Jahren deutlich.
b) Aufgrund des klaren Auslegungsergebnisses ist im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Klägers für eine Anwendung der Regelung in § 305 c Abs. 2 BGB kein Raum. Die Unklarheitenregelung greift nämlich nur ein, wenn die Auslegung einer allgemeinen Geschäftsbedingung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen "erhebliche Zweifel" an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht (BAG, Urteil vom 10.12.2008 - 10 AZR 1/08 - AP 40 zu § 307 BGB = NZA-RR 2009, 576 [BAG 10.12.2008 - 10 AZR 1/08]; BAG, Urteil vom 09.06.2010 - 5 AZR 332/09 - NZA 2010, 877). Die Kammer hält die Regelung in§ 2 der Pensionsordnung jedoch aus den dargelegten Gründen für hinreichend klar und unmissverständlich.
2. Die getroffene Regelung ist auch rechtswirksam. Eine betriebliche Versorgungsregelung kann vorsehen, dass eine Invalidenrente nur geschuldet wird, wenn die Invalidität nach Vollendung eines bestimmten Mindestalters (z.B. des 50. Lebensjahres) eintritt (BAG, Urteil vom 20.10.1987 - 3 AZR 208/86 - AP 7 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente = NZA 88, 394). Das gilt auch nach Inkrafttreten des AGG sowie aufgrund der Richtlinie 2000/78/EG.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das AGG bzw. die genannte Richtlinie im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht der Beklagten -überhaupt anwendbar sind. Selbst wenn man dies unterstellt, ergäbe sich keine Unwirksamkeit der Bestimmung in § 2 Ziffer 2 der Pensionsordnung. Das AGG enthält insoweit bereits in § 10 Satz 3 Nr. 4 eine Ausnahme. Danach ist nämlich die Festsetzung von Altersgrenzen bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft und dem Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität ausdrücklich zugelassen. Dabei gibt das AGG lediglich die in Art. 6 Abs. 2 der zugrunde liegendenRichtlinie 2000/78/EG vorgesehene Rechtfertigungsmöglichkeit wieder.
Die Regelung hält auch einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gem. Art. 6 Abs. 1 RL/2000/78 EG, § 10 Satz 1 AGG stand. Danach müssen die eingesetzten Differenzierungsmittel das angestrebte Ziel auch tatsächlich fördern können und die Interessen der benachteiligten Gruppen nicht unverhältnismäßig stark beeinträchtigen. Die Differenzierung nach dem Lebensalter bei Eintritt der Invalidität ist objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt. Die Beklagte verfolgt hiermit das legitime Ziel, das wirtschaftliche Risiko von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, hier Invaliditätsleistungen zu begrenzen und Versorgungsleistungen nurälteren Mitarbeitern zugute kommen zu lassen. Hierbei nimmt sie jüngere Mitarbeiter, bei denen statistisch ein geringeres Invaliditätsrisiko besteht, vom Leistungsbezug aus. Gerade bei solchen Mitarbeitern würde jedoch die Zahlung einer Invaliditätsrente hohe finanzielle Belastungen zur Folge haben, weil eine Invaliditätsrente an diese voraussichtlich über einen längern Zeitraum geleistet werden müsste. Gleichzeitig besteht ein Bedürfnis für Leistungen im Rahmen eines betrieblichen Vorsorgesystems typischerweise gerade bei älteren Arbeitnehmern. In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass die Beklagte gesetzlich nicht verpflichtet war, ein System der betrieblichen Alterssicherung einzuführen und bei Einführung eines solchen Systems außerdem nicht verpflichtet war, neben Altersleistungen auch Invaliditätsleistungen vorzusehen. Wenn sie dies gleichwohl regelt, ist es ihr im Rahmen des geltenden Rechts unbenommen, Anspruchsvoraussetzungen und Ausnahmetatbestände zu regeln.
Unerheblich ist ferner der Einwand des Klägers, lediglich der Gesetzgeber sei nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG berechtigt gewesen, eine Altersgrenze festzusetzen, nicht jedoch die Beklagte als Arbeitgeberin. Dieses Argument des Klägers wäre lediglich dann schlüssig, wenn es einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung gäbe und dieser gesetzliche Anspruch durch entsprechende Regelungen eingeschränkt werden sollte. Bezogen auf die bei der Beklagten geltende Pensionsordnung bedeutet der Ausnahmetatbestand vielmehr lediglich, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn nationale Gesetze - hier dasBetrAVG sowie das AGG - Regelungen über eine Altersgrenze jedenfalls nicht entgegenstehen. Die Beklagte hat mit der Pensionsordnung daher eine Regelung getroffen, die mit dem nationalen Gesetzesrecht vereinbar ist, das seinerseits mit den europarechlichten Vorgaben im Einklang steht.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Andritzky
Koop