Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.05.2011, Az.: 3 Sa 1867/10

Urlaubsabgeltungsanspüche können tariflichen Ausschlussfristen unterliegen; Zulässigkeit von tariflichen Ausschlussfristen im Zusammenhang mit Urlaubsabgeltungsansprüchen; Urlaubsansprüche in dem Zeitraum der Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
17.05.2011
Aktenzeichen
3 Sa 1867/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 21960
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2011:0517.3SA1867.10.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 19.02.2013 - AZ: 9 AZR 543/11

Fundstelle

  • schnellbrief 2011, 5

Amtlicher Leitsatz

Urlaubsabgeltungsanspüche können tarflichen Ausschlussfristen unterliegen.

In dem Rechtsstreit
...
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2011
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Kohlstedt,
die ehrenamtliche Richterin Frau Beese
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 13.10.2010 - 3 Ca 94/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Mit dem vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger Zahlung von Urlaubsabgeltung wegen des gesetzlichen Urlaubs sowie des Schwerbehindertenzusatzurlaubs für die Jahre 2003 bis 2008.

2

Der 1961 geborene Kläger war bei der Beklagten als KFZ-Mechaniker beschäftigt. Seit 1994 ist er Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50%. Ab dem 16.09.2002 war er durchgehend arbeitsunfähig und erhielt bis zum 30.10.2002 Entgeltfortzahlung und anschließend bis zum 30.10.2003 Krankengeld. Ab dem 01.11.2003 bezog er eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, seit dem 01.10.2008 bezieht er eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.

3

Mit Schreiben vom 29.07.2009 machte er gegenüber der Beklagten Urlaubsabgeltung für den gesetzlichen Mindesturlaub nach demBundesurlaubsgesetz seit dem 16.09.2002 bis zum 30.09.2008 geltend. Mit Schriftsatz vom 07.06.2010 hat er darüber hinaus im Wege der Klageerweiterung die Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs eingeklagt.

4

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts verfalle der gesetzliche Mindesturlaub bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht. Dieser Urlaub sei mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2008 abzugelten. Der Anspruch sei weder verfallen noch verjährt. Die tarifliche Ausschlussfrist des§ 37 TVöD gelte nicht für gesetzliche Mindesturlaubsansprüche.

5

Der Kläger hat beantragt,

die beklagte Bundesrepublik zu verurteilen, an den Kläger 15.540,48 EUR

brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus

12.410,80 EUR seit 07.01.2010 und aus 3.129,68 EUR seit 17.06.2010 zu

zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat die Ansicht vertreten, in der Zeit vom 01.01.2004 bis zum 30.09.2008 seien Urlaubsansprüche des Klägers nicht entstanden, da das Arbeitsverhältnis gemäß § 33 Abs. 2 TVöD geruht habe. Wenn ein Urlaubsanspruch entstanden sei, sei dieser jedenfalls gemäß § 26 Abs. 2 c TVöD entsprechend zu kürzen, so dass ein Abgeltungsanspruch insgesamt entfalle. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des EuGH und des BAG könne auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden, weil der Verlust der Urlaubsansprüche auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Klägers, nämlich seinem Rentenantrag, beruhe. Jedenfalls seien die Ansprüche verfallen und verjährt.

8

Durch Urteil vom 13.10.2010 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 43 - 44 Rs. d.A.) verwiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 26.11.2010 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 15.12.2010 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.02.2011 am 24.02.2011 begründet.

9

Der Kläger ist der Ansicht, die tarifliche Ausschlussfrist greife im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ein, weil die Anspruchsgrundlage für den hier geltend gemachten Abgeltungsanspruch erst seit dem 24.03.2009, dem Datum der maßgeblichen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, bestehe. Im Übrigen habe er das Ruhen des Arbeitsverhältnisses nicht selbst gewählt. Vielmehr sei lediglich sein Antrag auf berufliche und medizinische Reha in einen Rentenantrag umgewandelt worden.

10

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg - 3 Ca 94/10 - abzuändern und

nach den zuletzt vom Kläger gestellten Anträgen zu entscheiden.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie ist der Ansicht, die Rechtsprechung zur Entstehung von Urlaubsansprüchen während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit könne auf die Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht übertragen werden. Während dieses Zeitraums seien nämlich nicht nur die Hauptleistungspflichten suspendiert, sondern alle Pflichten, die ein bestehendes Arbeitsverhältnis enthalte. Ein Arbeitsverhältnis ohne Rechte und Pflichten sei lediglich ein formeller Rahmen, der nur als Anwartschaft auf eine Wiederaufnahme der Beschäftigung nach Ende der Erwerbsminderung Sinn habe. Jedenfalls könne sie sich für Urlaubsansprüche aus der Zeit vor dem 02.08.2006 (dem Tag des Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf) auf Vertrauensschutz berufen.

Entscheidungsgründe

13

Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbGG, §§ 519,520 ZPO).

14

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat. Ein Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG besteht nicht.

15

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Urlaubsansprüche in dem Zeitraum der Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung überhaupt zur Entstehung gelangt sind, insbesondere ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 20.01.2009 - C-350/06 u.a. AP Nr. 1 zu RL 2003/88/EG = NZA 2009 135 (Schultz-Hoff)) sowie des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07 - AP 39 zu § 7 BUrlG = NZA 2009 538 [BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07]) zur Frage des Bestehens eines Urlaub- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs bei langanhaltender Erkrankung auf die Fälle des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses übertragen werden kann. Das Arbeitverhältnis des Klägers hat nämlich in dem Zeitraum des (zunächst befristeten) Rentenbezugs gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 TVöD geruht. In diesem Zeitraum sind die beiderseitigen vertraglichen Pflichten der Arbeitsvertragsparteien suspendiert, das Arbeitsverhältnis ist also - anders als bei einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit - in seinem Kerninhalt umgestaltet (vgl. hierzu LAG Düsseldorf, Urteil vom 05.05.2010 - 7 Sa 1571/09 - NZA - RR 2010, 568; a.A. z.B. LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.12.2010 - 4 Sa 209/10 - BB 2011, 372 (LS); LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.04.2010 - 11 Sa 64/09 - LAGE § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 28).

16

Ebenso wenig ist die Frage zu klären, ob für das Entstehen und Fortbestehen von Urlaubsansprüchen allein danach zu differenzieren ist, ob der Arbeitnehmer nicht aus von seinem Willen unabhängigen Gründen gehindert war, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses auszuüben. Insoweit könnten allerdings im vorliegenden Fall Bedenken bestehen, von der Ursächlichkeit einer eigenen Willensentscheidung des Klägers für die Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung auszugehen, zumal in seinem Fall die Stellung eines Rentenantrages lediglich gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI fingiert wurde.

17

Diese Fragen können deshalb offen bleiben, weil etwaige Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers verfallen sind. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die unstreitig die Bestimmungen des TVöD Anwendung. Gem. § 37 Abs. 1 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

18

Diese Frist hat der Kläger nicht gewahrt. Die Fälligkeit des Anspruchs trat ein mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese erfolgte gemäß § 33 Abs. 2 TVöD unstreitig mit dem 30.09.2008. Grundlage hierfür ist der Rentenbescheid vom 04.09.2008 (in Kopie überreicht mit Schriftsatz der Beklagten vom 03.05.2010, Bl. 26 d.A.). Der Kläger kann demgegenüber nicht mit Erfolg geltend machen, dass ein (etwaiger) Urlaubsabgeltungsanspruch erst am 24.03.2009 mit der Änderung der BAG-Rechtsprechung entstanden sei. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist keine selbständige Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch. Hierdurch wird vielmehr eine bereits bestehende Rechtslage festgestellt. Diese Feststellung dürfte im Übrigen bereits zuvor durch die Entscheidung des EuGH vom 20.09.2009 getroffen worden sein. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang ferner nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen. Unabhängig von der Frage, ob eine etwaige Unkenntnis des Klägers von einem bestehenden Anspruch dem Eingreifen der Ausschlussfrist entgegensteht, kann von einem Vertrauenstatbestand schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die urlaubsrechtliche Problematik spätestens seit dem Vorentscheidungsersuchen des LAG Düsseldorf vom 02.08.2006 bekannt war.

19

Der Geltung der Ausschlussfrist steht ferner nicht die Regelung in § 7 Abs. 3 BUrlG sowie ein etwaiger Surrogatscharakter des Abgeltungsanspruchs entgegen. Allerdings hat die Rechtsprechung bisher angenommen, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch tariflichen Ausschlussfristen nicht unterliege. Dies folge aus der Ausgestaltung der Urlaubsvorschriften imBundesurlaubsgesetz, die den Arbeitgeber lediglich zwingen würden, seine Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes zu verlangen (vgl. BAG, Urteil vom 20.01.2009 - 9 AZR 650/07 - ArbRB 2009, 98 (LS); BAG, Urteil vom 24.11.1992 - 9 AZR 549/91 - AP 23 zu § 1 BUrlG = NZA 93, 472 [BAG 24.11.1992 - 9 AZR 549/91] Schaub/Linck § 102 Rn. 159 m.w.N.). Diese Begründung, die auf das eigenständige Zeitregime des § 7 Abs. 3 BUrlG und den Surrogatscharakter des Abgeltungsanspruchs abstellt, dürfte aufgrund der neueren Rechtsprechung des EuGH, der das BAG gefolgt ist, nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Denn mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist. Der Anspruch wird zugleich fällig und kann also auch vom arbeitsunfähigen Arbeitnehmer verwirklicht werden. Weder das Unionsrecht noch das Nationale Recht stehen dem Verfall des mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Anspruchs nach Ablauf einer Ausschlussfrist entgegen (KR/Dörner/Gallner § 13 BUrlG Rn. 14). Bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch handelt es sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vielmehr um einen reinen Geldanspruch (vgl. BAG, Urteil vom 04.05.2010 - 9 AZR 183/09 - NZA 2010, 1011).

20

Die Anwendung der Ausschlussfrist scheidet auch nicht wegen der Unabdingbarkeit des Urlaubsanspruchs nach § 13 Abs. 1 BUrlG aus. Insoweit gibt es keine Regelung im Bundesurlaubsgesetz, die einer Ausschlussfrist entgegen stünde, weil die Fristenregelung nach§ 7 Abs. 3 BUrlG gerade nicht eingreift. Insoweit gilt dasselbe wie für andere zwingende Vorschriften, bei denen auch tarifliche Ausschlussfristen zur Anwendung kommen können, insbesondere § 12 EFZG (vgl. BAG, Urteil vom 16.01.2002 - 5 AZR 430/00 - AP 13 zu § 3 EFG = NZA 2002, 746 [BAG 16.01.2001 - 5 AZR 430/00]). Eine Ausschlussfrist betrifft nämlich nicht die inhaltliche Einschränkung des Anspruchs, sondern nur dessen Geltendmachung und zeitliche Begrenzung. Insoweit kann für § 13 BUrlG nichts anderes gelten als für § 12 EFZG (ebenso LAG Düsseldorf, Urteil vom 05.05.2010 - 7 Sa 1571/09 - NZA - RR 2010, 568).

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

22

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

23

Rechtsmittelbelehrung

24

Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.

25

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Vogelsang
Kohlstedt
Beese