Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.09.2011, Az.: 3 Sa 147/11 B

Bei der Beurteilung einer Ortskrankenkasse als bundesunmittelbare Körperschaft kommt es auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an; Versorgungsbezüge eines Dienstordnungsangestellten bei Fusion einer bundesunmittelbaren Körperschaft mit landesrechtlicher Krankenkasse

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
13.09.2011
Aktenzeichen
3 Sa 147/11 B
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 27071
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2011:0913.3SA147.11B.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 21.01.2014 - AZ: 3 AZR 829/11

Amtlicher Leitsatz

Für die Frage, ob es sich bei einer Ortskrankenkasse um eine bundesunmittelbare Körperschaft handelt, die verpflichtet ist, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen (hier: für einen ehemaligen Dienstordnungsangestellten) nach Bundesrecht zu gewähren, kommt es auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an.

Bezieht sich dieser auf ein einziges Bundesland, gilt das jeweilige Landesrecht. Das gilt auch nach einer Fusion mit einer früheren Betriebs- und Innungskasse, die für Regionen in mehreren Bundesländern zuständig war.

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger,

gegen

Beklagte und Berufungsbeklagte,

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2011 durch

den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Bost,

die ehrenamtliche Richterin Frau Senger

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 08.12.2010 - 3 Ca 386/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe der an den Kläger ab April 2010 zu zahlenden Versorgungsbezüge.

2

Der Kläger war seit dem 01.04.1968 bei der IKK B. als Dienstordnungsangestellter beschäftigt. Die IKK B. war seit dem 01.01.1987 bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger. Mit Wirkung zum 01.01.2004 fusionierte sie mit der IKK Niedersachsen zur "neuen" IKK Niedersachsen, ebenfalls einem bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger.

3

Mit Schreiben vom 19.10.2004 wurde der Kläger mit Ablauf des 30.06.2005 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Er erhielt Versorgungsbezüge nach den Vorschriften für Bundesbeamte.

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Zum 01.04.2010 fusionierte die IKK Niedersachsen mit der ehemaligen AOK Niedersachsen zur Beklagten. Die Beklagte ist nunmehr auch zuständig für die ehemaligen Mitglieder der IKK Niedersachsen, die sich neben der Region Niedersachsen auf die Regionen Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg, Bremen, Westfalen-Lippe, Bayern und Hessen verteilen. Der Anteil der ehemaligen Mitglieder der IKK Niedersachsen an der Gesamtmitgliederzahl der Beklagten beträgt ca. 10 %. Unter dem 11.06.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nunmehr in ihrer Dienstordnung die Anwendung des Landesrechts Niedersachsen geregelt sei. Er erhalte daher ab April 2010 Bezüge und Beihilfeleistungennach niedersächsischem Landesrecht.

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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine Rechtsgrundlage für die nachteiligen Veränderungen im Zusammenhang mit den Versorgungsansprüchen bestehe nicht. Vielmehr müssten die bisher vertraglich verankerten Arbeitgeberverpflichtungen jedenfalls im Wege von Übergangsregelungen weiter gelten.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 86,88 € brutto aus Versorgungsbezügen für die Zeit vom April 2010 bis September 2010 sowie für die nachfolgenden Monate den Differenzbetrag in Höhe von jeweils 14,48 € brutto zu zahlen;

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2. festzustellen, dass die Beklagte auch weiterhin ab dem 01.04.2010 die entsprechend geltenden Vorschriften und Bestimmungen für Bundesbeamte anzuwenden hat.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat die Ansicht vertreten, mit der Fusion sei sie in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen eingetreten. Damit seien auch die bisherigen Dienstordnungen beider Träger außer Kraft getreten.

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Durch Urteil vom 08.12.2010 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 37 bis 34 d. A.) verwiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 30.12.2010 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 27.01.2011 Berufung eingelegt und diese am 25.02.2011 begründet.

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Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe aufgrund der Geltung der bundesrechtlichen Bestimmungen ein um 33,91 € brutto pro Monat höherer Versorgungsbetrag zu. Die Dienstordnung der Beklagten sei nicht die geltende Dienstordnung im Sinne von § 357 Abs. 3 RVO, weil sie unter Verstoß gegen die Bestimmungen des 2. BesVNG die landesbeamtenrechtlichen Regelungen für anwendbar erkläre. Der Beklagte sei ein länderübergreifender Sozialversicherungsträger, der als bundesunmittelbare Körperschaft öffentlichen Rechts nicht von den zwingenden Vorgaben des Artikel VIII § 1 Abs. 2 Nr. 2 des 2. BesVNG abweichen dürfe. Der Zuständigkeitsbereich des Beklagten sei unstreitig über die Grenzen des Landes Niedersachsen hinaus erweitert und könne nicht allein nach der Satzung bestimmt werden. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei auch mit Artikel 87 Abs. 2 Satz 2 GG unvereinbar. Ein Anspruch auf Auszahlung der Versorgung nach Maßgabe der Vorschriften für Bundesbeamte ergebe sich zudem aus § 164 Abs. 2 SGB V.

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Der Kläger beantragt,

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1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger rückständige Versorgungsbezüge für die Monate April 2010 bis einschließlich Januar 2011 in Höhe von insgesamt 339,10 € brutto nebst Zinsen Höhe von fünf Prozent-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 33,91 € brutto seit dem 31.03.2010, 30.04.2010, 31.05.2010, 30.06.2010, 31.07.2010, 31.08.2010, 30.09.2010, 31.10.2010, 30.11.2010 und 31.12.2010 zu zahlen.

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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Versorgungsbezüge des Klägers im Rahmen und nach den Grundsätzen der für Bundesbeamte geltenden Bestimmungen zu berechnen und auszuzahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, sie sei eine landesunmittelbare Körperschaft. Die Region, für die sie bestehe, sei in § 1 Abs. 2 der Satzung festgelegt. Die Zuständigkeit erstrecke sich damit nur auf das Gebiet eines Bundeslandes. Die IKK Niedersachsen habe mit Wirksamwerden der Fusion ihre Existenz ebenso verloren wie die frühere AOK Niedersachsen. An die Stelle der Verschmelzungsmitglieder sei sie (die Beklagte) getreten. Ihre Kassenartzugehörigkeit im Rahmen der Fusion sei festgelegt: Sie sei eine allgemeine Ortskrankenkasse. Damit seien die Bestimmungen der §§ 90, 90 a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV anwendbar. Die vom Kläger genannte Bestimmung des § 164 Abs. 2 SGB V sei nicht einschlägig. Sie werde vielmehr durch die Sonderregelung für Vereinigungen in § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V verdrängt.

Entscheidungsgründe

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I. Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§ 66, 64 ArbGG, § 519, 520 ZPO).

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II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat.

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1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Antrag zu 2. gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind im Bereich des öffentlichen Dienstes grundsätzlich Feststellungsklagen zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wieder hergestellt wird (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 4 AZR 632/02, AP-Nr. 38 zu § 256 ZPO 1977 = NZA-RR 2004, 442 [BAG 05.11.2003 - 4 AZR 632/02]). Im Übrigen würde das Feststellungsinteresse nicht deshalb entfallen, weil sich das Begehren jetzt auch auf vergangene Zeiträume bezieht. Eine Partei ist, wenn sie für die Vergangenheit und Zukunft die Höhe eines zu zahlenden monatlichen Entgeltbetrages klären lassen will, bereits nicht verpflichtet, den Antrag in einen Leistungsantrag für die Vergangenheit und ein Feststellungsantrag für die Zukunft aufzuspalten (BAG, Urteil vom 29.07.2003 - 3 AZR 630/02, AP Nr. 45 zu § 1 BetrAVG Altersversorgung. Erst Recht ist sie nicht gehalten, nach Zeitablauf von einem Feststellungsantrag auf einen Zahlungsantrag umzustellen. Es entspricht der Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs, dass der Vorrang der Leistungsklage nicht gilt, soweit erst im Laufe des Rechtsstreits die Erhebung einer bezifferten Zahlungsklage möglich wird (vgl. BAG Urteil vom 18.03.1997 - 9 AZR 84/96 - AP 8 zu § 17 BErzGG = NZA 97, 1168).

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2. Die Klage ist jedoch sowohl im Hinblick auf das Zahlungsbegehren als auch im Hinblick auf das Feststellungsbegehren unbegründet. Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Versorgungsbezügen und Gewährung sonstiger Leistungen nach den für Bundesbeamten geltenden Bestimmungen besteht nicht.

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Die Beklagte ist nicht gemäß Artikel VIII § 1 Abs. 1 Nr. 2 des 2. BesVNG verpflichtet, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen nach den Grundsätzen der für die Bundesbeamten geltenden Bestimmungen zu regeln. Bei der Beklagten handelt es sich nämlich nicht um eine bundesunmittelbare Körperschaft.

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Nach Artikel 87 Abs. 2 Satz 1 gelten als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Das trifft auf die Beklagte nach der Fusion mit der IKK nicht zu. Der Zuständigkeitsbereich der Beklagten ergibt sich vielmehr aus ihrer Satzung. Dort heißt es in § 1 Abs. 2:

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"Die AOK umfasst die Region des Landes Niedersachsen; sie hat ihren Sitz in B-Stadt (Direktion). Die AOK unterhält AOK-Regionen und Service-Zentren."

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Damit ist der Zuständigkeitsbereich definiert, und zwar das Gebiet des Landes Niedersachsen. Diese Regelung korrespondiert mit § 143 SGB V, wonach Ortskrankenkassen für abgegrenzte Regionen bestehen. Einer solchen Festlegung steht es auch nicht entgegen, wenn einzelne Mitglieder der Krankenkasse ihren Wohnsitz nicht in Niedersachsen haben. Mit der Festlegung des Zuständigkeitsbereichs einer Krankenkasse wird der Kreis derjenigen Personen festgelegt, der zukünftig Zugang zu der jeweiligen Kasse hat. Unerheblich ist es, wenn beispielsweise einzelne Versicherte ihren Wohnsitz verlegen. Damit endet die Zuständigkeit der AOK nicht. Gleichzeitig führt dies aber auch nicht dazu, dass sich der Zuständigkeitsbereich nunmehr auf mehr als ein Bundesland erstreckt. Bei Gebietskrankenkassen kommt es insoweit ausschließlich auf die satzungsmäßige Festlegung des örtlichen Zuständigkeitsbereichs an (vgl. schon BSG, Urteil vom 16.12.1965 - 3 RK 33/62 - BSGE 24,171 [BSG 16.12.1965 - 3 RK 33/62]). Daher ist es entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich, dass die Beklagte im Rahmen Fusion Zuständigkeitsbereiche der ehemalige IKK Niedersachsen übernommen hat. Damit wird sie zwar für ehemalige Versicherte der IKK zuständig. Für die Begründung neuer sozialversicherungsrechtlicher Rechtsbeziehungen kommt es aber allein auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an. Demgemäß ist für den Kläger gemäß Artikel VIII § 2 des 2. BesVNG das für Landesbeamte geltende Recht maßgeblich.

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In diesem Zusammenhang ist der satzungsmäßige Zuständigkeitsbereich der früheren IKK, der sich auch auf andere Bundesländer erstreckt hat, unmaßgeblich. Denn aufgrund der Regelung in § 171 a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 144 Abs. 4 SGB V sind die bisherigen Krankenkassen mit dem Wirksamwerden der Vereinigung geschlossen. Die IKK Niedersachsen hat ihre Rechtsfähigkeit verloren. An die Stelle der beiden früheren Rechtsträger ist die jetzige Beklagte getreten.

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Der Kläger kann sich ferner nicht mit Erfolg auf die Regelung § 164 Abs. 2 SGB V berufen. Diese Bestimmung regelt nämlich nur den Fall einer Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse. Die speziellere Norm für den hier vorliegenden Fall einer Vereinigung ist dagegen die Regelung des § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V.

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Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Hierbei handelt es sich um eine Öffnungsklausel für Betriebs- und Innungskassen. Diese können durch die Möglichkeit der Eröffnung für betriebs- bzw. innungsfreie Versicherte selbst über ihren organisationsrechtlichen Zuschnitt entscheiden. Demgegenüber ist eine Ortskrankenkasse auf einen bestimmten räumlichen Geltungsbereich beschränkt.

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Damit ist nach der Fusion der Kassen für den Kläger allein die neue Dienstordnung der Beklagten maßgeblich, die die Rechtsbeziehungen sowohl der aktiven Dienstordnungsgestellten als auch der Versorgungsempfänger regelt.

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Eine abweichende Regelung wäre im Übrigen auch unzulässig. Denn eine landesunmittelbare Körperschaft des Öffentlichen Rechts kann keine Dienstordnung aufstellen, die Leistungen vorsieht, die über die für Landesbeamte hinausgehen. Eine solche Regelung widerspräche vielmehr Artikel VIII § 2 des 2. BesNVG (BAG, Urteil vom 01.08.2007 -10 AZR 493/06 - NZA-RR 2008, 105; vgl. auch BAG, Urteil vom 20.02.2008 - 10 AZR 440/07 - ZTR 2008, 323).

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Vogelsang
Bost
Senger