Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.05.2011, Az.: 3 Sa 1432/10
Die Überlassung von Arbeitnehmern durch eine konzerninterne Personaldienstleistungsgesellschaft stellt keinen Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) dar; Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eienr konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung durch eine Personaldienstleistungsgesellschaft
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 03.05.2011
- Aktenzeichen
- 3 Sa 1432/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 39976
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0503.3SA1432.10.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 15.05.2013 - AZ: 7 AZR 494/11
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 611 Abs. 1 BGB
- § 1 Abs. 2 AÜG
- § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG
Fundstellen
- ArbRB 2011, 233
- EzA-SD 19/2011, 11
Amtlicher Leitsatz
Die Arbeitnehmerüberlassung durch eine konzerninterne Personaldienstleistungsgesellschaft verstößt nicht gegen das AÜG.
In dem Rechtsstreit
1.
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16.
17.
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagter und Berufungsbeklagter,
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2011 durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Hoheisel,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Arends
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Kläger zu 1) - 3) und 5) - 16) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 05.08.2010 - 1 Ca 811/09 - wird zurückgewiesen.
Die erstinstanzlichen Kosten tragen die Kläger zu je 1/17. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger 1) - 3) und 5) - 16) je zu 1/16 und die Kläger zu 4) - 17) je zu 1/32.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im vorliegenden Verfahren begehren die Klägerinnen und Kläger Feststellung, dass sie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten stehen.
Die Kläger/innen sind seit mehr als einem Jahr bei der am 01.02.2005 gegründeten Firma C. Dienstleistungs GmbH (im Folgenden: C.) beschäftigt. Der wesentliche Teil der Geschäftstätigkeit macht dabei die Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte aus. Daneben ist die C. an zwei Standorten in N. und M. tätig. Dort verfolgt sie mit einigen Mitarbeitern andere arbeitstechnische Zwecke. Bei der C. gelten die Tarifverträge BZA. Die Kläger/innen sind in Einrichtungen des Beklagten tätig.
Die Kläger/innen haben die Ansicht vertreten, die zwischen dem Beklagten und der C. getroffenen vertraglichen und unternehmensrechtlichen Vereinbarungen seien rechtsmissbräuchlich und verstießen gegen das sich aus § 242 BGB ergebende Umgehungsverbot. Sie seien nämlich darauf gerichtet, mittels Einschaltung der C. das Vergütungsniveau bei dem Beklagten zu unterschreiten. Eine wirkliche Arbeitnehmerüberlassung liege nur dann vor, wenn die C. als "Verleiher" auch das typische Arbeitgeberrisiko trüge, wenn also am Ende der Überlassung an den Beklagten ein anderer Einsatz bei einem anderen Entleiher möglich sei. Hier sei aber von Anfang an beabsichtigt gewesen, den Kläger/innen bei dem Beklagten einzusetzen. Mangels einer entsprechenden Marktaktivität bestehe auch von vornherein keine andere Einsatzmöglichkeit als bei dem Beklagten. Es finde daher § 10 AÜG analoge Anwendung.
Die Kläger/innen haben beantragt,
festzustellen, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, mit den sogenannten "Strohmanngestaltungen" im Hinblick auf die Regelungen des AÜG hätten sich sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in mehreren neueren Entscheidungen auseinandergesetzt und einen Rechtsmissbrauch verneint.
Die Kläger/innen haben die zunächst auch gegen die C. gerichtete Klage sowie einen auf Entfristung gerichteten Antrag zwischenzeitlich zurückgenommen. Das Arbeitsgericht hat die von den Kläger/innen einzeln erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Verfahrens 1 Ca 811/09 verbunden.
Durch Urteil vom 05.08.2010 hat das Arbeitsgericht die Klagen abgewiesen und den Klägern/innen die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 49 Rs. bis 51 d. A.) verwiesen. Das Urteil ist den Klägern/innen am 20.08.2010 zugestellt worden. Sie haben hiergegen am 16.09.2010 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.11.2010 am 19.11.2010 begründet.
Die Kläger/innen sind der Ansicht, bei der in der Literatur teilweise vertretenen "Strohmannkonstruktion" werde gerade nicht auf die Fiktionswirkung nach § 1 Abs. 2 und § 13 AÜG abgestellt. Vielmehr werde der Durchgriff auf den Entleiher mit einem Rechtsmissbrauch begründet. Eine solche Konstruktion diene immer dazu, eine bestehende Beziehung zu verdecken. Dabei schalte der Arbeitgeber einen Dritten ein, der das Personal akquiriere. Dieser Dritte trete nach außen zwar als Arbeitgeber auf, sei aber letztlich nur Zahlstelle der Arbeitsvergütung. Eine solche Strohmannkonstruktion sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Verleiher die Arbeitnehmer nur für ein anderes Unternehmen im Konzern einstelle, aber selbst nicht am Markt tätig sei. Darüber hinaus verstoße die vorliegend gewählte Vertragskonstruktion auch gegen die tarifpolitischen Leitlinien des deutschen C..
Die Kläger/innen beantragen,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg abzuändern und festzustellen, dass zwischen den Klägerinnen und Klägern einerseits und dem Beklagten andererseits ein Arbeitsverhältnis besteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat die Ansicht vertreten, auch wenn die C. die Mitarbeiter zu einem ganz wesentlichen Teil an ihn (den Beklagten) verleihe, verfüge diese Firma noch über eine betriebliche Organisation, einen Betriebsrat und sei damit "greifbar" und zuverlässig. Sie stehe auch zu ihren Verpflichtungen aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und sei nicht lediglich "Zahlstelle". Im Übrigen sei es Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte, etwaige Lücken im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung zu schließen.
Der Beklagte behauptet, der Kläger zu 7) sei inzwischen zum 31.12.2010 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden.
Die Kläger zu 4) und 17) haben die Berufung zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Kläger/innen ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbG, 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat. Ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits besteht nicht.
Arbeitsvertragliche Vereinbarungen wurden ausschließlich zwischen dem Kläger/innen und der Firma C. getroffen, nicht aber im Verhältnis zum Beklagten. Die Kläger/innen können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie seien rechtlich als Arbeitnehmer des Beklagten anzusehen, weil es sich bei der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern um ein Scheingeschäft, eine Umgehung oder eine Strohmannkonstruktion handele, die rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig sei.
Teilweise wird allerdings in der Literatur die Ansicht vertreten, bei einer konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung trete der Verleiher nur als Strohmann bzw. Scheinverleiher auf. Weil er nicht am Markt tätig sei und nicht auf dem allgemeinen Leiharbeitsmarkt Aufträge akquiriere, trage er nicht das typische Arbeitgeberrisiko eines Verleihers im Sinne von § 1 Abs. 2 AÜG. Typisch sei in diesen Fällen auch eine Synchronisation der Überlassung mit der Dauer der Beschäftigung des Leiharbeitnehmers (Brors/Schüren DB 2004, 2745; Däubler, AiB 2008, 524; so auch LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18.06.2008 - 3 TaBV 12/08 - DB 2008, 2428; sowie 3 TaBV 8/08 - LAGE § 99 BetrVG 2001 Nr. 7). Demgegenüber ist das Bundesarbeitsgericht in zwei Entscheidungen bei einer vergleichbaren Fallgestaltung von einer wirksamen Arbeitnehmerüberlassung ausgegangen (vgl. Beschluss vom 25.01.2005 - 1 ABR 61/03 - AP 48 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung = NZA 2005, 1199 [BAG 25.01.2005 - 1 ABR 61/03]; Beschluss vom 20.04.2005 - 7 ABR 20/04 - NZA 2005, 1006).
Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Entscheidung der 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 28.02.2006 (13 TaBV 56/05 - BB 2007, 2352 (LS)) sowie den Entscheidungen der 9. und der 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen an (Beschluss vom 20.02.2007 - 9 TaBV 107/05 -; Beschluss vom 18.02.2008 - 12 TaBV 142/07 - bestätigt durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21.07.2009 - 1 ABR 35/08 - AP 4 zu § 3 AÜG = DB NZA 2009, 1156 [BAG 21.07.2009 - 1 ABR 35/08]). Die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts hat in ihrer Entscheidung vom 28.02.2006 insoweit folgendes ausgeführt:
"Auch die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung ist eine wirksame Form der Arbeitnehmerüberlassung. Der konzernintern tätige Verleiher trägt ein Arbeitgeberrisiko, das in vielen Fällen vergleichbar ist mit dem Risiko, dass ein Drittverleiher trägt. Auch der Konzernverleiher muss bei Beendigung der Überlassung für Anschlussbeschäftigung im Konzern sorgen bzw. kündigen. Er ist nach Ablauf der Überlassung in derselben Situation wie ein marktaktiver Verleiher. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der konzernintern tätige Verleiher einen begrenzten Kundenkreis im Konzern hat, während der marktaktive Verleiher unter Umständen auf einen breiteren Kundenkreis zurückgreifen kann. Ein solcher Unterschied muss aber nicht zwangsläufig gegeben sein. Auch der Drittverleiher kann im Schwerpunkt an einen oder wenige Großkunden gebunden sein mit der Folge, dass er bei Auftragsverlust nicht für Anschlussbeschäftigung sorgen kann. Auch hier kann es zu einer Synchronisation von Überlassung und Beschäftigung kommen.
Der Einsatz von Leiharbeitnehmern wird von Unternehmen nicht nur genutzt, um Arbeitsspitzen oder Vertretungsfälle abzufangen. Zunehmend verbreitet ist auch der Ersatz der Stammbelegschaft jedenfalls zum Teil durch billigere Leiharbeitnehmer zum Zwecke der Personalkostensenkung. Durch Wegfall der Beschränkung der Überlassungsdauer auf längstens 24 Monate gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a.F. zum 01.01.2004 ist diese Form des Personalaustausches erheblich erleichtert worden und attraktiv geworden. Der marktaktive Verleiher, der Leiharbeitnehmer kurzfristig an eine Vielzahl von Kunden überlässt, kann zwar für die Vergangenheit als typischer Verleiharbeitgeber nach dem AÜG angesehen werden. Nach Ausweitung der Überlassungsdauer von ursprünglich 3 Monaten bis zuletzt auf 24 Monate im Jahre 2003, schließlich nach Streichung der Beschränkung der Überlassungsdauer insgesamt sind langfristige Überlassungen einschließlich Austausch von Stammbelegschaft durch Dauerleiharbeitnehmer rechtmäßig und nicht als Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu werten. Ob bei Dauerüberlassung an wenige Kunden der Verleiher ein Drittunternehmen ist oder konzernangehörig ist, kann dann aber für die Rechtmäßigkeit keinen Unterschied machen.
Die "Strohmannkonstruktion" basiert im Schwerpunkt auf § 1 Abs. 2 AÜG, wonach Arbeitsvermittlung vermutet wird, wenn der Verleiher nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko übernimmt. Ein etwaiger Verstoß gegen diese Vorschrift führt aber nicht dazu, dass im Verhältnis Entleiher zu Leiharbeitnehmer ein Vertragsverhältnis besteht und von einer rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung auszugehen ist. Bei § 1 Abs. 2 AÜG handelt es sich um eine gewerberechtliche Vorschrift, die, solange die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besteht, auf die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Beteiligten keine Auswirkungen hat.
Das BAG hat ursprünglich bei Überschreitung der zulässigen Überlassungsdauer nach § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a.F. aus § 1 Abs. 2 AÜG i.V.m. § 13 AÜG in der bis zum 31. März 1997 geltenden Fassung die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher angenommen. Nach Streichung des § 13 AÜG a.F. kann dagegen aus § 1 Abs. 2 AÜG weder allein noch durch ergänzende analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG eine vertragliche Beziehung zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer begründet werden (BAG vom 19.03.2003, 7 AZR 267/02, EzA § 1 AÜG Nr. 12; BAG vom 28.06.2000, 7 AZR 100/99, EzA § 1 AÜG Nr. 10).
§ 1 Abs. 2 AÜG ist ausschließlich als gewerberechtliche Vorschrift zu bewerten. Greift die Vermutung der Arbeitsvermittlung und liegt damit keine Arbeitnehmerüberlassung vor, kann die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung möglicherweise versagt bzw. entzogen werden. Solange eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besteht, handelt es sich auch bei konzerninterner Überlassung um eine rechtmäßige Form der Leiharbeit.
Mit konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung wird bei Bestehen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis eine rechtlich zulässige Form der Leiharbeit betrieben. Hier mag ein rechtlicher Gestaltungsspielraum genutzt werden, der nicht dem eigentlichen Gesetzeszweck entspricht, der aber - und das ist wesentlich - durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht untersagt ist. Ein Zustimmungsverweigerungsgrund, rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung, liegt damit nicht vor."
Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an und macht sie sich ausdrücklich zu eigen.
Darüber hinaus könnte eine rechtsmissbräuchliche Ausgestaltung allenfalls dann vorliegen, wenn ein Umgehungstatbestand bejaht werden kann. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass der Konzernentleiher alle typischen Arbeitgeberfunktionen wie z.B. Urlaubsplanung und gar Abmahnungen übernimmt, der Verleiher am Markt nicht werbend tätig ist, der Verleiher freiwillig die Arbeitsbedingungen des Konzernentleihers anpasst oder der Verleiher auf Betriebsstrukturen und Betriebsmittel eines Konzernentleihers angewiesen ist (vgl. Düwell/Dahl DB 2009, 1070). Diese Voraussetzungen lassen sich im vorliegenden Fall jedoch nicht feststellen. Unstreitig verfügt die Firma C. über eine eigene Organisation und einen eigenen Mitarbeiterstamm und trifft selbst arbeitsrechtlich relevante Entscheidungen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Hoheisel
Arends