Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.10.2011, Az.: 8 Sa 387/11
Gleichsetzung von Betriebsübergang und Angebot einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kann bei einem Weiterbeschäftigungsangebote beinhaltenden Sozialplan im Fall seiner Erweiterung nicht erfolgen; Ausschluss von Sozialplanabfindung bei Widerspruch gegen Betriebsübergang; Auslegung einer erweiternden Protokollnotiz zur Regelung des Betriebsübergangs auf bestimmte Firmen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 17.10.2011
- Aktenzeichen
- 8 Sa 387/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29824
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:1017.8SA387.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hildesheim - 3 Ca 217/10 - 10.02.2011
Rechtsgrundlagen
- § 77 Abs. 2 BetrVG
- § 112 Abs. 1 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
Wird in einer Protokollnotiz, die Bestimmungen eines Sozialplans erweitert, ausdrücklich der Betriebsübergang auf bestimmte Firmen geregelt, kann die Bestimmung des Sozialplans über Weiterbeschäftigungsangebote nicht bereits durch erweiternde Auslegung den Betriebsübergang dem Angebot einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gleichsetzen.
Nennt eine Protokollnotiz zu einem Sozialplan, die die Wirkung einer ergänzenden Betriebsvereinbarung hat, den Widerspruch gegen einen Betriebsübergang als Ausschlusstatbestand für eine Abfindungszahlung unter Nennung bestimmter Firmen, wird nicht jeder Widerspruch gegen einen Betriebsübergang von der Regelung erfasst, sondern nur derjenige, der der Namensnennung zugeordnet wird. Spiegelt die Norm nicht wider, dass die eingesetzten Namen nur als Platzhalter dienen sollen, muss sich der Arbeitgeber daran festhalten lassen.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2011 durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stöcke-Muhlack,
den ehrenamtlichen Richter Leßmann und
den ehrenamtlichen Richter Gaschler,
für Recht erkannt:
Tenor:
1) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 10. Februar 2011 - 3 Ca 217/10 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 50.955,26 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2010 zu zahlen.
2) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Sozialplanabfindung und in diesem Zusammenhang um die Auslegung eines Ausschlusstatbestandes in dem Interessenausgleich und Sozialplan und seiner Protokollnotiz.
Der Kläger war seit dem 13. Juli 1992 bei der Beklagten, die zuvor als A. GmbH firmierte, als Verkaufsberater im Außendienst zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von zuletzt 4.215,00 Euro und einer leistungsabhängigen variablen Vergütung in Höhe von 1.742,78 Euro brutto beschäftigt. Unter dem 21. Oktober 2008 schlossen die Betriebsparteien einen Interessenausgleich und Sozialplan über personelle Anpassungsmaßnahmen, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 7 bis 16 d. A.).
Unter dem Datum des 9. Dezember 2008 unterzeichneten die Beklagte und ihr Betriebsrat eine Protokollnotiz, deren Ziffer 1 Satz 1 wie folgt lautet:
"Die Betriebsparteien stimmen unter Abänderung von § 4 des Interessenausgleichs zur Betriebsspaltung und unter Abänderung von § 2 und § 7 des Interessenausgleichs und Sozialplans über personelle Anpassungsmaßnahmen überein, dass Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die noch zu gründende B. GmbH und C. GmbH gemäß § 613a Absatz 6 BGB widersprechen und deren Arbeitsverhältnis in der Folge von M. aus betrieblichen Gründen beendet werden muss, keinen Anspruch auf die vereinbarte Sozialplanabfindung haben. Der Anspruch auf Zugang zu Transferagentur, Transfergesellschaft oder Qualifizierungsgesellschaft nach Maßgabe der betrieblichen Regelungen bleibt davon unberührt."
Im Jahre 2008 hatte sich die Beklagte dazu entschieden, Betriebsteile abzuspalten. Ein Betriebsteil, dem der Kläger nicht zugeordnet war, wurde von der D. GmbH fortgeführt. Der weitere Betriebsteil, der insbesondere das Handels- und Zubehörgeschäft umfasste und dem der Kläger angehörte, wurde an die E. AG veräußert. Mit Schreiben vom 16. Februar 2009, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 17 bis 25 d. A.), wurde der Kläger über den Betriebsübergang auf die E. AG zum 2. März 2009 unterrichtet. Dort wird u. a. ausgeführt:
"Die Funktionen Planung, Beschaffung, Vertrieb und Vertriebsunterstützung des Handelsgeschäfts sollen auf die Blaupunkt Retail GmbH übertragen werden. Die Gesellschaft ist zurzeit in Gründung und wird ihren Sitz in G-Stadt haben.
Der Vertrieb des Handelsgeschäfts soll nach dem Erwerb durch neue Strukturen ersetzt werden. Falls sich keine deutliche Chance zur Verbesserung der Ertragslage erkennen lässt, will die E. AG das Handelsgeschäft einstellen. Dies würde insbesondere die Geschäftsfelder Car Radio, Navigation und Audio Components Handel sowie die zugehörigen Querschnittsfunktionen betreffen."
Ferner teilte die Beklagte mit, dass im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang die betriebsbedingte Kündigung erfolgen müsse und ein Abfindungsanspruch nicht bestehe. Mit weiterem Schreiben vom 17. Februar 2009 unterrichtete die E. AG den Kläger über den zwölf Stunden später stattfindenden Betriebsübergang auf die F. GmbH. Der Kläger widersprach dem Betriebsübergang fristgerecht. Durch Abschluss eines dreiseitigen Vertrages beendete der Kläger das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 30. Juni 2009 und schloss ein Beschäftigungsverhältnis mit der H. GmbH für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 30. Juni 2010.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die Zahlung einer Sozialplanabfindung auf der Grundlage des Interessenausgleichs und Sozialplans über personelle Anpassungsmaßnahmen vom 20. Oktober 2008 (im Folgenden: Sozialplan) zu. Der Widerspruch gegen den Betriebsübergang stelle keinen Ausnahmefall nach § 7 Ziffer 2 Satz 2 des Sozialplans dar. Diese Norm komme nicht zur Anwendung, weil der Anwendungsbereich des Sozialplans nicht die vorliegende zum Betriebsübergang führende Veräußerung umfasse. Die Regelung stelle bereits vom Wortlaut nicht auf einen Widerspruch bei Betriebsübergang ab. § 7 Ziffer 2 Satz 2 setze ein Angebot voraus, der Übergang des Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs sei eine gesetzliche Folge. Darüber hinaus folge aus Ziffer 2, dass lediglich Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei I. oder in einem Unternehmen der J.-Gruppe erfasst seien. Die Protokollnotiz sei dem Kläger nicht bekannt. Er bestreite, dass sie formwirksam zustande gekommen sei. Jedenfalls bestätige sie seine Auffassung, die Regelung im Sozialplan sehe für diesen konkreten Fall keine Ausnahme von dem Abfindungsanspruch vor, da es sonst der Regelung in der Protokollnotiz nicht bedurft hätte. Zuletzt sei zu beachten, dass der Kläger keinem Betriebsübergang auf ein Unternehmen B. GmbH oder C. GmbH widersprochen habe, wie es in der Protokollnotiz festgehalten sei. Außerdem sei es ihm nicht zumutbar gewesen, durch Nichtausübung des Widerspruchsrechts die Folge des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf die F. GmbH hinzunehmen. Bereits zum damaligen Zeitpunkt habe die Absicht bestanden, den Bereich, in welchem der Kläger tätig gewesen sei, einzustellen. Dies folge daraus, dass auch unmittelbar nach Erwerb das Handelsgeschäft eingestellt worden und die Vertriebskollegen des Klägers, die dem Betriebsübergang nicht widersprochen haben, im September 2009 in die Transfergesellschaft gewechselt hätten. Der Inhalt des Überleitungsschreibens, nur im Fall einer deutlichen Chance einer Verbesserung werde das Handelsgesellschaft aufrecht erhalten, zeige, dass die Beklagte und auch die Betriebsübernehmer nicht ernsthaft von einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Falle einer Fortführung des Handelsgeschäfts ausgegangen seien.
Schließlich habe der Kläger einen Anspruch, weil sowohl der seinerzeitige Betriebsratsvorsitzende K. als auch der erste Bevollmächtigte der IG Metall L. mitgeteilt hätten, dass die Sozialplanabfindung erhalten bleibe, wenn man nicht im Unternehmen der J.-Gruppe vermittelt würde.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 50.955,26 Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2010 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, in der Protokollnotiz, die innerbetrieblich und im Intranet bekannt gemacht worden sei, seien die Begriffe B. GmbH und C. GmbH synonym verwandt worden, weil noch nicht bekannt gewesen sei, wer Erwerber dieser Sparte sein werde. Darüber hinaus seien nicht alle 300 auf die E. AG übergegangenen Arbeitsverhältnisse beendet worden. Schließlich sei in dem Überleitungsschreiben auch nicht mitgeteilt worden, dass 100 v.H. der Arbeitsverhältnisse gefährdet seien, sondern lediglich 40 v.H. Soweit es das Schreiben der Transfergesellschaft aus September 2008 betreffe, habe die Beklagte im Vorfeld ein Angebot über die Kosten für die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen für ca. 720 Mitarbeiter eingeholt, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar gewesen sei, ob sich ein Erwerber finde.
Durch Urteil vom 10. Februar 2011 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nicht zu, weil er durch Widerspruch gegenüber dem Betriebsübergang auf die E. AG einen zumutbaren anderen Arbeitsplatz i. S. v. § 7 Ziffer 2 Satz 2 des Sozialplans abgelehnt habe und deshalb aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Die Regelung sei nicht nur auf das Angebot einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei der Beklagten in Form einer Versetzung oder in den Konzern ausgerichtet, sondern umfasse auch einen Widerspruch gegen den Betriebsübergang. Eines Rückgriffs auf die Protokollnotiz vom 9. Dezember 2008 bedürfe es nicht. Zwar werde in dieser aufgeführt, dass § 7 Ziffer 2 des Sozialplans auch dann greifen solle, wenn dem Betriebsübergang widersprochen werde. Die Protokollnotiz habe lediglich der Klarstellung gedient. Originär ergebe sich der Ausschluss bereits aus § 7 Ziffer 2 Satz 2 des Sozialplans. Zu Gunsten der Beklagten könne angenommen werden, dass die C. GmbH bzw. B. GmbH als Synonym für die damals noch nicht bekannte E. AG fungiere. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die F. GmbH sei für den Kläger nicht unzumutbar gewesen.
Gegen dieses ihm am 2. März 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 22. März 2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 24. Mai 2011 innerhalb der verlängerten Frist beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
Der Kläger verbleibt bei seiner bereits in erster Instanz vertretenen Auffassung nach Maßgabe seiner Berufungsbegründung vom 24. Mai 2011, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (Bl. 139 bis 147 d. A.), und wendet sich insbesondere gegen die Wertung des Arbeitsgerichts zur Auslegung des Sozialplans. Bedenken an der inhaltlichen Wirksamkeit der Protokollnotiz ergäben sich insbesondere vor dem Hintergrund grundrechtlich gewährleisteter Berufsfreiheit. Die in der Protokollnotiz angeführte C. GmbH bzw. B. GmbH fungiere nicht lediglich als Synonym für die damals noch nicht bekannte E. AG. Es handele sich hierbei um reine Phantasienamen, die im Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung für ein womöglich in den Betrieb einsteigendes, aber noch zu findendes Unternehmen eingesetzt worden seien. Daher sei es wesentlich, ob die Betriebsvereinbarung, welche den Sozialplan hinsichtlich der §§ 4 und 7 zu modifizieren bzw. einzuschränken versuche, den eigentlichen Erwerber auch benennen könne oder nicht. Denn Voraussetzung für den Abschluss einer derartigen Betriebsvereinbarung sollte sein, dass die Vertragsparteien - und insbesondere der die Arbeitnehmerschaft vertretende Betriebsrat - über den konkreten Erwerber unterrichtet seien und dies in einem Umfang gerade auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Potenz des Erwerbers, wie sich letztlich § 613a Abs. 5 BGB entnehmen lasse. Nur so könne eine annähernde Prognose getroffen werden, ob der Widerspruch eines Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang seines Arbeitsverhältnisses konkret an das benannte Unternehmen gerade nicht aus triftigem Grund oder gar rechtsmissbräuchlich erfolge. Andernfalls liefe eine derartige Vereinbarung dem Schutzzweck der Vorschrift des § 613a BGB zuwider. Zuletzt sei es dem Kläger nicht zumutbar gewesen, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses erst an die E. AG und sodann an die F. GmbH Folge zu leisten. Dem Widerspruch des Klägers habe die berechtigte Befürchtung eines baldigen Arbeitsplatzverlustes oder einer baldigen wesentlichen Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen zu Grunde gelegen. Auf die weiteren Ausführungen hierzu im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 24. Mai 2011 wird Bezug genommen (Bl. 146 d. A.).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 10. Februar 2011 - 3 Ca 217/10 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 50.955,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 14. Juni 2011, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 149 bis 154 d. A.).
Zu den Ausführungen der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist statthaft; sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO i.V.m § 66 Abs. 1 und 2 ArbGG).
II. Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach § 7 Ziffer 1 des Sozialplans in nicht streitiger Höhe von 50.955,26 Euro. Die Zahlung der Abfindung ist weder durch den Ausschlusstatbestand in § 7 Ziffer 1 Satz 2 des Sozialplans noch durch die Protokollnotiz vom 9. Dezember 2008 ausgeschlossen worden. Beide Regelungen umfassen nicht den Widerspruch des Klägers gegen den Betriebsübergang auf die Firma E. AG und sodann auf die F. GmbH. Zu Gunsten der Beklagten kann nicht angenommen werden, dass die C. GmbH bzw. B. GmbH als Synonym für die damals noch nicht bekannte E. AG fungiert. Das findet im Sozialplan und der Protokollnotiz keinen Niederschlag.
1. Der Sozialplan findet unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, so dass der Anwendungsbereich für das vorliegende Arbeitsverhältnis und den geltend gemachten Abfindungsanspruch eröffnet und die Regelung des § 7 Ziffer 1 des Sozialplans einschlägig ist. Auch die Höhe der Abfindung ist zwischen den Parteien nicht streitig.
2. Der Anspruch auf Zahlung der Abfindung ist nicht durch den Widerspruch des Klägers gegen den Betriebsübergang auf die E. AG durch § 7 Ziffer 2 Satz 2 des Sozialplans ausgeschlossen worden. Das ergibt die Auslegung der Norm.
§ 7 des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 21. Oktober 2008 lautet:
"Voraussetzungen für die Zahlungen einer Abfindung
1. Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen aus Veranlassung von M. gemäß § 6 endet oder die in die Transfer- oder Qualifizierungsgesellschaft wechseln, erhalten eine Abfindung.
2. Mitarbeiter, die bei M. oder in einem anderen Betrieb der J.-Gruppe weiterbeschäftigt werden, erhalten keine Abfindung. Entsprechendes gilt für Mitarbeiter, denen ein nach ihrer bisherigen Tätigkeit zumutbarer anderer Arbeitsplatz angeboten wird, die diesen jedoch ablehnen und deshalb ausscheiden.
Ein Arbeitsplatz gilt als zumutbar, wenn er in seinen Anforderungen der beruflichen Qualifikation und den Fähigkeiten des Mitarbeiters weitgehend entspricht und die Eingruppierung höchstens eine Entgeltgruppe, bei Mitarbeitern der Entgeltgruppe 2 bis 10 höchstens eine Entgeltgruppe und bei Mitarbeitern der Entgeltgruppe 11 bis 13 höchstens zwei Entgeltgruppen unter der bisherigen Entgeltgruppe liegt."
a. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen eigener Art wie Tarifverträge auszulegen. Abzustellen ist deshalb zunächst auf den Wortlaut der Bestimmung. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Ferner sind der Gesamtzusammenhang und der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten (BAG vom 5. Februar 1997 - 10 AZR 553/96 - AP Nr. 112 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 92; vom 7. November 2000 - 1 ABR 17/00 - EzA BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 2; vom 25. März 2003 - 1 AZR 335/02 - EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 5 = NZA 2004, 64). Verbleiben Zweifel bei der Auslegung, können weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte der Regelung ergänzend herangezogen werden. Zudem ist die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen. Daher ist im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. etwa BAG 7. November 2000 - 1 ABR 17/00 - aaO.). Subjektive Vorstellungen der Betriebsparteien, die im Sozialplan keinen Niederschlag gefunden haben, sind schon deshalb für die Auslegung unbeachtlich, weil es den Normunterworfenen möglich sein muss, zu erkennen, welchen Regelungsinhalt die Normen haben (vgl. für Tarifverträge BAG vom 23. Februar 1994 - 4 AZR 224/93 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Kirchen Nr. 2).
b. Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die Norm i. S. d. Klägers zu verstehen ist. Auch § 7 Ziffer 1 Satz 2 des Sozialplans stellt auf ein Weiterbeschäftigungsangebot bei I. (M.) oder in einem anderen Betrieb der J.-Gruppe ab. Der Norm kann aufgrund der erweiternden Regelung in Form einer Protokollnotiz zudem nicht entnommen werden, dass ein Betriebsübergang auf die Firma E. AG und sodann auf die F. GmbH dem Angebot einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gleichgesetzt werden soll.
aa. Der Wortlaut von § 7 Ziffer 2 Satz 2 des Sozialplans ist nicht eindeutig. Jedoch lässt sein Gesamtzusammenhang darauf schließen, ein Anspruch auf Sozialplanabfindung sei nur dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer bei der I. oder in einem anderen Betrieb der J.-Gruppe weiterbeschäftigt werde oder aber das Angebot eines anderen zumutbaren Arbeitsplatzes bei M. oder in einem anderen Betrieb der J.-Gruppe ablehne. Der Verweis durch das Wort "entsprechendes", der den Satz 2 der Ziffer 2 von § 7 einleitet, legt diese Annahme nahe. Liest man den Satz 2 der Ziffer 2 von § 7 in Fortführung von Satz 1, so drängt sich auf, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der J.-Gruppe gemeint ist. Auch die Satzstellung, die die Form der Ausnahme von einer Ausnahme hat, verstärkt diesen Eindruck. Dieser wird durch den folgenden, die Zumutbarkeit definierenden Absatz untermauert, denn die Betriebsparteien beziehen sich auf die intern angewendeten Entgeltgruppen und das eigene Vergütungssystem. Es ist nicht erkennbar, wie die Anwendung einer anderen Vergütungsordnung einen Vergleich der bisherigen Entgeltgruppe zu einer "höchstens zwei Entgeltgruppen unter der bisherigen Entgeltgruppe" liegenden Vergütung ermöglicht.
bb. Das Ergebnis wird unterstützt durch ähnliche Formulierungen in anderen Regelungen des Sozialplans. So sieht § 4 Abs. 1 nur Versetzungen "auf einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen" vor. Ziffer 1.1 spricht von Angeboten "gleichwertiger Arbeitsplätze im bisherigen Unternehmen". Ohne zu wiederholen, dass es sich um Arbeitsplätze "im bisherigen Unternehmen" handelt, definieren sodann die folgenden Absätze, was unter einem "gleichwertigen Arbeitsplatz" zu verstehen ist. Der Sozialplan setzt voraus, dass der Leser den Zusatz des "Arbeitsplatzes im Unternehmen" selbständig hinzudenkt. Ziffer 1.3 spricht dann wieder von "niederwertigerem Arbeitsplatz im bisherigen Betrieb oder einem anderen M.-Betrieb". Insgesamt lässt sich an keiner Stelle des Sozialplans der Hinweis finden, es könnten auch Arbeitsplätze außerhalb der Firmengruppe angeboten werden. Daraus folgt, dass dem § 7 Ziffer 2 Satz 2 nur ein Verständnis beigemessen werden kann, es seien Arbeitsplätze bei M. oder in einem anderen Betrieb der J.-Gruppe gemeint.
cc. Da dem Kläger eine Weiterbeschäftigung weder bei der Beklagten noch in einem anderen Betrieb der J.-Gruppe angeboten worden ist, liegt ein Ausschluss des Abfindungsanspruchs nach § 7 Ziffer 2 Satz 2 nicht vor.
3. Ein solcher lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Kläger dem Betriebsübergang auf die Firma E. AG widersprochen hat. Für den Ausschluss der Abfindungszahlung aufgrund eines Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang haben die Betriebsparteien mit der Protokollnotiz vom 9. Dezember 2008 eine eigenständige Regelung getroffen.
a. Auch Protokollnotizen können verschiedene Wirkungen zukommen. Sie können selbst eine Regelung enthalten und sind dann als ergänzende Betriebsvereinbarungen anzusehen, wenn sie die formellen Voraussetzungen erfüllen. Ihnen kann aber auch die Wirkung einer authentischen Interpretation der Betriebsvereinbarung oder eines bloßen Hinweises auf den Willen der Betriebsparteien zukommen, der dann bei der Auslegung zu beachten ist (BAG vom 18. Januar 1994 - 1 ABR 44/93 - n.v.; GK-Kreutz, BetrVG 4. Aufl, § 77 Rn. 55; zu Protokollnotiz bei Tarifverträgen Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG 2. Aufl.,
§ 1 Rn. 234).
b. Die Protokollnotiz enthält eine Regelung, die als ergänzende Betriebsvereinbarung anzusehen ist. Sie erfüllt die formellen Voraussetzungen, da sie vom Arbeitgeber und vom Betriebsrat unterzeichnet ist und keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Unterschrift erhoben worden sind. Die Unterschriften stammen von den Personen, die auch die Betriebsvereinbarung selbst unterzeichnet haben. Die Protokollnotiz ist ausdrücklich als solche zur Betriebsvereinbarung bezeichnet worden. Sie ist darüber hinaus mit den Worten "unter Abänderung von § 4 des Interessenausgleichs zur Betriebsspaltung und unter Abänderung von § 2 und § 7 des Interessenausgleichs und Sozialplans über personelle Anpassungsmaßnahmen" eingeleitet worden. Das ist nicht nur ein Auslegungshinweis, sondern hat den Charakter einer verbindlichen Anweisung, also einer Regelung. Für diese Auslegung spricht auch § 1 Ziffer 3 des Sozialplans, der ausführt, es handele sich bei den nachfolgenden Bestimmungen (nur) um Rahmenbedingungen, und weiter erklärt, dass erforderlichenfalls ergänzende Bestimmungen von den Betriebsparteien im Rahmen einer Protokollnotiz zu regeln seien. An der Eigenständigkeit als Betriebsvereinbarung bestehen somit keine Zweifel.
4. Die Zahlung der Abfindung ist nicht auf Grund der Protokollnotiz der Parteien vom 9. Dezember 2008 ausgeschlossen. Der Widerspruch gegen den Betriebsübergang auf die E. AG fällt nicht unter den vereinbarten Ausschlusstatbestand.
a. Zwar haben die Betriebsparteien einen Ausschlusstatbestand im Falle des Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang geregelt. Sie haben sich dahin verständigt, dass Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen und deren Arbeitsverhältnis in der Folge von der Beklagten aus betrieblichen Gründen beendet werden muss, keinen Anspruch auf die vereinbarte Sozialplanabfindung haben. Sie haben dies jedoch nur auf den Übergang des Arbeitsverhältnisses zu einer "noch zu gründenden B. GmbH oder C. GmbH" beschränkt.
b. Die Regelung umfasst damit nach ihrem Inhalt den Betriebsübergang auf die E. AG nicht. Dass es sich bei den Firmen B. GmbH oder C. GmbH auch um die E. AG handeln könnte, findet in der Norm keinen Niederschlag. Das ergibt sich bereits aus der unterschiedlichen Rechtsform der in Aussicht genommenen Firmen. Ein Hinweis darauf, dass es sich hierbei um Phantasienamen handelt, die lediglich als Platzhalter dienen sollen, bis ein Betriebsübernehmer gefunden ist, ist der Regelung nicht zu entnehmen. Es wäre ein Leichtes gewesen, dies durch einen kurzen Zusatz deutlich zu machen.
c. Unerheblich ist, ob die Betriebsparteien bei Abschluss der Protokollnotiz hiervon ausgingen. Subjektive Vorstellungen der Betriebsparteien, die im Sozialplan keinen Niederschlag gefunden haben, sind schon deshalb für die Auslegung unbeachtlich, weil es den Normunterworfenen möglich sein muss, zu erkennen, welchen Regelungsinhalt die Normen haben. Der Widerspruch des Klägers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses über die E. AG auf die F. GmbH ist daher nicht als anspruchsausschließend anzusehen.
d. Die vorgenommene Auslegung des Interessenausgleichs und Sozialplans entspricht auch dessen Sinn und Zweck. Ein Sozialplan soll die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen oder abmildern, welche die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer erleiden. Die Sozialplanleistung soll für die von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer eine Überbrückungsfunktion bis zum möglichen Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses haben (BAG vom 30. Oktober 2001 - 1 AZR 65/01 - BAGE 99, 266, 272). Kennen die Betriebspartner den Betriebsübernehmenden nicht, weil ein solcher noch nicht gefunden ist, können sie auch nicht beurteilen, ob und wie wirtschaftliche Nachteile auszugleichen sind, insbesondere die Zahlung einer Abfindung durch einen Widerspruch gegen den Betriebsübernehmenden vollständig ausgeschlossen werden soll.
5. Ein Ausschlusstatbestand ist daher insgesamt nicht gegeben. Dem Kläger steht die Sozialplanabfindung in voller Höhe zu.
6. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12. Januar 2011 - 2 Sa 741/10 steht dem nicht entgegen. Sie beruht auf der Annahme, die Betriebsparteien hätten für die Umstrukturierung der Betriebsteile N. und B. einen weiteren Interessenausgleich vereinbart, der die geplante Abspaltung des Betriebsteils N. und den Betriebsübergang des Betriebsteils B. auf die noch zu gründende D. GmbH unter Hinweis auf den Interessenausgleich und Sozialplan vom 21. Oktober 2008 regele. Der vorliegende Sachverhalt weicht hiervon ab. Die Beklagte hat auf Nachfrage des Gerichts keinen weiteren Interessenausgleich vorgelegt, aus dem sich ableiten ließe, die Namen B. GmbH oder C. GmbH dienten lediglich als Platzhalter. Sie hat erklärt, es gebe zwar einen weiteren Interessenausgleich. Dieser sei für den vorliegenden Rechtsstreit jedoch nicht von Interesse.
7. Da der Abfindungsanspruch nicht ausgeschlossen ist, kann die Entscheidung der Frage, ob der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die F. GmbH für den Kläger zumutbar war, dahinstehen. Ebenso kann unentschieden bleiben, ob Bedenken an der inhaltlichen Wirksamkeit der Protokollnotiz vor dem Hintergrund grundrechtlich gewährter Berufsfreiheit bestehen oder ob sich der Anspruch auf Zahlung der Abfindung aus Erklärungen des Betriebsratsvorsitzenden und des Bevollmächtigten der IG Metall herleiten ließe.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
IV. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Landesarbeitsgericht die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).
Leßmann
Gaschler