Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.11.2011, Az.: 3 Sa 608/11 B
In der Satzung festgelegter Zuständigkeitsbereich gibt Auskunft über die Einordnung einer Ortskrankenkasse als bundesunmittelbare Körperschaft; Versorgungsbezüge eines Dienstordnungsangestellten bei Fusion einer bundesunmittelbaren Körperschaft mit landesrechtlicher Krankenkasse
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 01.11.2011
- Aktenzeichen
- 3 Sa 608/11 B
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29828
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:1101.3SA608.11B.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 21.01.2014 - AZ: 3 AZR 947/11
Rechtsgrundlagen
- Art. 87 Abs. 2 S. 1 GG
- § 143 SGB V
- § 144 Abs. 2 S. 2 SGB V
- § 144 Abs. 4 SGB V
- § 164 Abs. 2 SGB V
- § 171a Abs. 1 S. 3 SGB V
- § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V
- Art. VIII § 1 Abs. 1 Nr. 2 2. BesVNG
- § 256 Abs. 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Für die Frage, ob es sich bei einer Ortskrankenkasse um eine bundesunmittelbare Körperschaft handelt, die verpflichtet ist, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen (hier: für einen ehemaligen Dienstordnungsangestellten) nach Bundesrecht zu gewähren, kommt es auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an.
Bezieht sich dieser auf ein einziges Bundesland, gilt das jeweilige Landesrecht. Das gilt auch nach einer Fusion mit einer früheren Betriebs- und Innungkkasse, die für Regionen in mehreren Bundesländern zuständig war.
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. November 2011 durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Lange,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Benz
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 09.03.2011 - 7 Ca 552/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der an die Klägerin ab Oktober 2010 zu zahlenden Versorgungsbezüge sowie die Frage der Erbringung von Beihilfeleistungen.
Die Klägerin war seit dem 01.08.1977 bei der KRANKENKENKASSE C-Stadt als Dienstordnungsangestellte beschäftigt. Die KRANKENKENKASSE C-Stadt war seit dem 01.01.1987 bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger. Mit Wirkung zum 01.01.2004 fusionierte sie mit der KRANKENKENKASSE Niedersachsen zur "neuen" KRANKENKENKASSE Niedersachsen, ebenfalls einem bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger.
Mit Schreiben vom 05.09.1995 wurde die Klägerin mit Ablauf des 31.12.1995 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Sie erhielt Versorgungsbezüge nach den Vorschriften für Bundesbeamte.
Zum 01.04.2010 fusionierte die KRANKENKENKASSE Niedersachsen mit der ehemaligen C. Niedersachsen zur Beklagten. Die Beklagte ist nunmehr auch zuständig für die ehemaligen Mitglieder der KRANKENKENKASSE Niedersachsen, die sich neben der Region Niedersachsen auf die Regionen Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg, Bremen, Westfalen-Lippe, Bayern und Hessen verteilen. Der Anteil der ehemaligen Mitglieder der KRANKENKENKASSE Niedersachsen an der Gesamtmitgliederzahl der Beklagten beträgt ca. 10 %. Unter dem 11.06.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nunmehr in ihrer Dienstordnung die Anwendung des Landesrechts Niedersachsen geregelt sei. Sie erhalte daher ab April 2010 Bezüge und Beihilfeleistung nach niedersächsischem Landesrecht.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es habe sich bei der KRANKENKENKASSE Niedersachsen um eine bundesweit geöffnete Krankenkasse gehandelt. Die entsprechenden Mitglieder seien nunmehr Mitglieder der Beklagten, deren Zuständigkeitsbereich sich damit über mehr als drei Bundesländer erstrecke, so dass dementsprechend von einer bundesunmittelbaren Körperschaft und damit der Geltung des Bundesrechts auszugehen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 100,08 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen.
2. die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, an die Klägerin weitere 335,16 € netto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen.
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Klägerin Versorgungsleistungen nach Maßgabe der für Bundesbeamte geltenden Vorschriften zu erbringen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, mit der Fusion sei sie in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen eingetreten. Damit seien auch die bisherigen Dienstordnungen beider Träger außer Kraft getreten.
Durch Urteil vom 09.03.2011 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Urteil ist der Klägerin am 29.03.2011 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 29.04.2011 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.06.2011 am 27.06.2011 begründet.
Die Klägerin ist der Ansicht, durch die Fusion mit der KRANKENKENKASSE lebe und arbeite ein Teil der ehemaligen Mitglieder der KRANKENKENKASSE Niedersachsen im gesamten Bundesgebiet, so dass sich hieraus auch der Zuständigkeitsbereich der Beklagten ergebe. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass lediglich einzelne Mitglieder der Krankenkasse ihren Wohnsitz möglicherweise nicht in Niedersachsen hätten und nicht jede geringfügige Überschreitung von Ländergrenzen zur Annahme einer bundesunmittelbaren Körperschaft führen müsse. Dabei verkenne das Gericht, dass hier zwei unterschiedlich strukturierte Kassenarten zusammen geführt worden seien und bei solchen Veränderungen die Frage, wie viel Kassenmitglieder ihren Wohnsitz außerhalb Niedersachsens hätten, nicht von Bedeutung sei. Ein Anspruch auf Auszahlung der Versorgung nach Maßgabe der Vorschriften für Bundesbeamte ergebe sich zudem aus § 164 Abs. 2 SGB V.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 100,08 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen
2. die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, an die Klägerin weitere 335,16 € netto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagzustellung zu zahlen
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Klägerin Versorgungsleistungen nach Maßgabe der für Bundesbeamte geltenden Vorschriften zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, sie sei eine landesunmittelbare Körperschaft. Die Region, für die sie bestehe, sei in § 1 Abs. 2 der Satzung festgelegt. Die Zuständigkeit erstrecke sich damit nur auf das Gebiet eines Bundeslandes. Die KRANKENKENKASSE Niedersachsen habe mit Wirksamwerden der Fusion ihre Existenz ebenso verloren wie die frühere C. Niedersachsen. An die Stelle der Verschmelzungsmitglieder sei sie (die Beklagte) getreten. Ihre Kassenartzugehörigkeit im Rahmen der Fusion sei festgelegt: Sie sei eine allgemeine Ortskrankenkasse. Damit seien die Bestimmungen der §§ 90, 90 a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV anwendbar. Die vom Kläger genannte Bestimmung des § 164 Abs. 2 SGB V sei nicht einschlägig. Sie werde vielmehr durch die Sonderregelung für Vereinigungen in § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V verdrängt.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§ 66, 64 ArbGG, § 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat.
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Antrag zu 3. gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind im Bereich des öffentlichen Dienstes grundsätzlich Feststellungsklagen zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wieder hergestellt wird (BAG, Urteil vom 05.11.2003 - 4 AZR 632/02, AP-Nr. 38 zu § 256 ZPO 1977 = NZA-RR 2004, 442 [BAG 05.11.2003 - 4 AZR 632/02]). Im Übrigen würde das Feststellungsinteresse nicht deshalb entfallen, weil sich das Begehren jetzt auch auf vergangene Zeiträume bezieht. Eine Partei ist, wenn sie für die Vergangenheit und Zukunft die Höhe eines zu zahlenden monatlichen Entgeltbetrages klären lassen will, bereits nicht verpflichtet, den Antrag in einen Leistungsantrag für die Vergangenheit und ein Feststellungsantrag für die Zukunft aufzuspalten (BAG, Urteil vom 29.07.2003 - 3 AZR 630/02, AP Nr. 45 zu § 1 BetrAVG Altersversorgung. Erst Recht ist sie nicht gehalten, nach Zeitablauf von einem Feststellungsantrag auf einen Zahlungsantrag umzustellen. Es entspricht der Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs, dass der Vorrang der Leistungsklage nicht gilt, soweit erst im Laufe des Rechtsstreits die Erhebung einer bezifferten Zahlungsklage möglich wird (vgl. BAG Urteil vom 18.03.1997 - 9 AZR 84/96 - AP 8 zu § 17 BErzGG = NZA 97, 1168).
2. Die Klage ist jedoch sowohl im Hinblick auf das Zahlungsbegehren als auch im Hinblick auf das Feststellungsbegehren unbegründet. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Versorgungsbezügen und Gewährung sonstiger Leistungen nach den für Bundesbeamten geltenden Bestimmungen besteht nicht.
Die Beklagte ist nicht gemäß Artikel VIII § 1 Abs. 1 Nr. 2 des 2. BesVNG verpflichtet, alle Versorgungs- und sonstigen Leistungen nach den Grundsätzen der für die Bundesbeamten geltenden Bestimmungen zu regeln. Bei der Beklagten handelt es sich nämlich nicht um eine bundesunmittelbare Körperschaft.
Nach Artikel 87 Abs. 2 Satz 1 gelten als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes diejenigen sozialen Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Das trifft auf die Beklagte nach der Fusion mit der KRANKENKENKASSE nicht zu. Der Zuständigkeitsbereich der Beklagten ergibt sich vielmehr aus ihrer Satzung. Dort heißt es in § 1 Abs. 2:
"Die C. umfasst die Region des Landes Niedersachsen; sie hat ihren Sitz in C-Stadt (Direktion). Die C. unterhält C.-Regionen und Service-Zentren."
Damit ist der Zuständigkeitsbereich definiert, und zwar das Gebiet des Landes Niedersachsen. Diese Regelung korrespondiert mit § 143 SGB V, wonach Ortskrankenkassen für abgegrenzte Regionen bestehen. Einer solchen Festlegung steht es auch nicht entgegen, wenn einzelne Mitglieder der Krankenkasse ihren Wohnsitz nicht in Niedersachsen haben. Mit der Festlegung des Zuständigkeitsbereichs einer Krankenkasse wird der Kreis derjenigen Personen festgelegt, der zukünftig Zugang zu der jeweiligen Kasse hat. Unerheblich ist es, wenn beispielsweise einzelne Versicherte ihren Wohnsitz verlegen. Damit endet die Zuständigkeit der C. nicht. Gleichzeitig führt dies aber auch nicht dazu, dass sich der Zuständigkeitsbereich nunmehr auf mehr als ein Bundesland erstreckt. Bei Gebietskrankenkassen kommt es insoweit ausschließlich auf die satzungsmäßige Festlegung des örtlichen Zuständigkeitsbereichs an (vgl. schon BSG, Urteil vom 16.12.1965 - 3 RK 33/62 - BSGE 24,171 [BSG 16.12.1965 - 3 RK 33/62]). Daher ist es entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich, dass die Beklagte im Rahmen Fusion Zuständigkeitsbereiche der ehemalige KRANKENKENKASSE Niedersachsen übernommen hat. Damit wird sie zwar für ehemalige Versicherte der KRANKENKENKASSE zuständig. Für die Begründung neuer sozialversicherungsrechtlicher Rechtsbeziehungen kommt es aber allein auf den in der Satzung festgelegten Zuständigkeitsbereich an. Demgemäß ist für den Kläger gemäß Artikel VIII § 2 des 2. BesVNG das für Landesbeamte geltende Recht maßgeblich.
In diesem Zusammenhang ist der satzungsmäßige Zuständigkeitsbereich der früheren KRANKENKENKASSE, der sich auch auf andere Bundesländer erstreckt hat, unmaßgeblich. Denn aufgrund der Regelung in § 171 a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 144 Abs. 4 SGB V sind die bisherigen Krankenkassen mit dem Wirksamwerden der Vereinigung geschlossen. Die KRANKENKENKASSE Niedersachsen hat ihre Rechtsfähigkeit verloren. An die Stelle der beiden früheren Rechtsträger ist die jetzige Beklagte getreten.
Der Kläger kann sich ferner nicht mit Erfolg auf die Regelung § 164 Abs. 2 SGB V berufen. Diese Bestimmung regelt nämlich nur den Fall einer Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse. Die speziellere Norm für den hier vorliegenden Fall einer Vereinigung ist dagegen die Regelung des § 144 Abs. 2 Satz 2 SGB V.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch § 173 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Hierbei handelt es sich um eine Öffnungsklausel für Betriebs- und Innungskassen. Diese können durch die Möglichkeit der Eröffnung für betriebs- bzw. innungsfreie Versicherte selbst über ihren organisationsrechtlichen Zuschnitt entscheiden. Demgegenüber ist eine Ortskrankenkasse auf einen bestimmten räumlichen Geltungsbereich beschränkt.
Damit ist nach der Fusion der Kassen für den Kläger allein die neue Dienstordnung der Beklagten maßgeblich, die die Rechtsbeziehungen sowohl der aktiven Dienstordnungsgestellten als auch der Versorgungsempfänger regelt.
Eine abweichende Regelung wäre im Übrigen auch unzulässig. Denn eine landesunmittelbare Körperschaft des Öffentlichen Rechts kann keine Dienstordnung aufstellen, die Leistungen vorsieht, die über die für Landesbeamte hinausgehen. Eine solche Regelung widerspräche vielmehr Artikel VIII § 2 des 2. BesNVG (BAG, Urteil vom 01.08.2007 -10 AZR 493/06 - NZA-RR 2008, 105; vgl. auch BAG, Urteil vom 20.02.2008 - 10 AZR 440/07 - ZTR 2008, 323).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Lange
Benz