Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.04.2011, Az.: 13 Sa 1393/10
Mindestarbeitszeit kann konkludent aus einer einvernehmlichen Vertragshandhabung und Vertragspraxis hergeleitet werden; Möglichkeit der Herleitung der konkludenten Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit aus einer einvernehmlichen Vertragshandhabung und Vertragspraxis; Maßgebliche Mindesarbeitszeit bei Vereinbarung nach Arbeitsvertrag ein Abrufarbeitsverhältnis nach TV-Fleischuntersuchung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.04.2011
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1393/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 21955
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0412.13SA1393.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 10.08.2010 - AZ: 1 Ca 54/10
- nachfolgend
- BAG - 26.09.2012 - AZ: 10 AZR 336/11
Rechtsgrundlagen
- § 12 TzBfG
- § 1 TVG
- § 11a TV Ang aöS
- TV-Fleischuntersuchung
- § 6 Abs. 1 TV-Fleischuntersuchung
Amtlicher Leitsatz
Die konkludente Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit kann sich aus einer einvernehmlichen Vertragshandhabung und Vertragspraxis ergeben. Diese Mindestarbeitszeit ist auch dann maßgebend, wenn nach Arbeitsvertrag ein Abrufarbeitsverhältnis nach TV-Fleischuntersuchung vereinbart ist.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 08. März 2011
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter
den ehrenamtlichen Richter Herrn Dr. Schubert
den ehrenamtlichen Richter Herrn Kapels
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 10.08.2010 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit dem Beklagten ab dem 01.01.2010 mit einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 39 Stunden im Jahresdurchschnitt fortbesteht.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 39 Stunden im Jahresdurchschnitt fortbesteht.
Die Kläger sind als Fleischkontrolleure bei dem beklagten Landkreis beschäftigt und eingesetzt in privaten Großbetrieben, die Rinder und Schweine schlachten und verarbeiten. Die Arbeitsverhältnisse bestehen seit 1994 (Kläger zu 1), 2000 (Kläger zu 2), 1994 (Kläger zu 3) und 1997 (Kläger zu 4). Die Entlohnung erfolgte und erfolgt nach Stundenvergütung, nicht nach Stückvergütung. Wegen der durchschnittlich erzielten Bruttomonatsentgelte wird Bezug genommen auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Die Kläger sind nicht tarifgebunden. In den Arbeitsverträgen ist inhaltsgleich vereinbart:
§ 2
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 01.04.1969 und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen.
§ 3
Die Beschäftigung erfolgt nach Bedarf in verschiedenen Schlachtbetrieben im Kreis V-Stadt. Die Arbeitszeit richtet sich nach der Schlachtdauer unter Berücksichtigung des jeweiligen Dienstplanes.
Die Einsatzzeiten der Kläger sind in Arbeitszeitkonten erfasst worden. Die monatliche Entgeltzahlung ist bis zum 31.12.2010 auf der Basis einer 39-Stunden-Woche gleich 169,6 Stunden monatlich berechnet und ausgezahlt worden. Der Beklagte hat erstinstanzlich Aufstellungen vorgelegt, aus der sich die monatliche Vergütung von 169,60 Stunden für 2007 bis 2009 ergeben sowie der Stand der Mehrarbeitsstunden am Jahresende:
2006 | 2007 | 2008 | 2009 | |
---|---|---|---|---|
Kläger zu 1 | + 361,78 Stunden | + 316,08 Stunden | + 247,38 Stunden | + 93,18 Stunden |
Kläger zu 2 | + 475,86 Stunden | + 104,66 Stunden | + 227,46 Stunden | + 98,76 Stunden |
Kläger zu 3 | + 361,58 Stunden | + 253,38 Stunden | + 174,68 Stunden | + 42,98 Stunden |
Kläger zu 4 | + 692,06 Stunden | + 295,36 Stunden | + 325,16 Stunden | + 263,46 Stunden |
Seit dem 01.01.2011 rechnet der Beklagte die tatsächlich abgeleisteten Stunden pro Monat ab.
Die Kläger haben vorgetragen, nach tatsächlicher Vertragsdurchführung, nämlich Bezahlung als Vollzeitarbeitsverhältnis und Stundeneinsatz mindestens entsprechend einer Vollbeschäftigung, sei ein Anspruch entstanden auf zukünftigen entsprechenden Einsatz. Dass über die Wochenarbeitszeit von 39 Stunden hinaus Mehrarbeitsstunden anfielen und diese Mehrarbeitsstunden über ein Arbeitszeitkonto erfasst und abgewickelt würden, werde nicht beanstandet und geschehe im Einverständnis mit den Klägern. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen für Fleischkontrolleure stehe dem Anspruch nicht entgegen, die tariflichen Regelungen entsprächen nicht den Anforderungen nach § 12 TzBfG.
Die Kläger haben beantragt,
festzustellen, dass die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit dem Beklagten ab dem 01.01.2010 mit einer Mindestarbeitszeit von 169 Stunden pro Monat fortbestehen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, mit arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Regelungen für Fleischkontrolleure sei ein wirksames Abrufarbeitsverhältnis vereinbart worden, das auch eine Verringerung der Einsatzzeiten unterhalb der Grenze der Vollbeschäftigung ermögliche. Die tariflichen Regelungen entsprächen den Anforderungen des § 12 Abs. 3 TzBfG.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung machen die Kläger geltend, dass die in Bezug genommenen tariflichen Regelungen für Fleischkontrolleure nach Geltungsbereich nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmer erfassten. Sie seien aber seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten mit mehr als der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt worden und entsprechend Vollbeschäftigung entlohnt worden. Aufgrund der jahre- bzw. jahrzehntelangen Vertragsdurchführung bestehe ein Anspruch auf Zuweisung und Abrechnung einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.
Die Kläger beantragen,
die Entscheidung des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 10.08.2010, AZ: 1 Ca 54/10, abzuändern und festzustellen, dass die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit dem Beklagten ab dem 01.01.2010 mit der wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 39 Stunden im Jahresdurchschnitt fortbestehen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, vorliegend bestehe für den gestellten Antrag kein Feststellungsinteresse, vorrangig sei der Kläger auf eine Leistungsklage zu verweisen. Weil der Kläger die Anwendbarkeit des in Bezug genommenen Tarifvertrages bestreite, bestehe nicht nur Streit über den Umfang der vereinbarten und zu vergütenden Arbeitszeit, sondern auch über die Berechnung der Vergütung. Durch Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen für Fleischkontrolleure sei eine rechtswirksame Vereinbarung eines Abrufarbeitsverhältnisses erfolgt, das auch den Anforderungen des § 12 TzBfG entspreche. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung.
Entscheidungsgründe
1.
Die Berufung der Kläger ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Die Berufung ist begründet. Aufgrund der tatsächlichen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ist konkludent eine Vereinbarung über eine Mindestarbeitszeit entsprechend der Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers zustande gekommen. Die Kläger haben Anspruch auf Einsatz und Vergütung nach 39 Wochenstunden.
2.
Für den gestellten Feststellungsantrag ist ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO zu bejahen. Streitgegenstand des Feststellungsantrags ist die Frage, ob der Kläger in dem vereinbarten Abrufarbeitsverhältnis einen Anspruch auf Einhaltung einer Mindestarbeitszeit hat. Die übrigen Bedingungen des Arbeitsvertrages, die sich z.B. aus der vertraglichen Bezugnahme auf tarifliche Regelungen ergeben sowie aus der praktischen Vertragsdurchführung mit Führung eines Arbeitszeitkontos, werden vom Kläger nicht in Frage gestellt. Der Feststellungsantrag bewirkt damit eine abschließende streitentscheidende Regelung und ist als zulässig zu bewerten. Die Frage, ob die gewünschte Mindestarbeitszeit mit den in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelungen vereinbar ist, ist allenfalls im Rahmen der Begründetheit der Klage von Bedeutung, kann aber nicht die Unzulässigkeit des Antrags zur Folge haben.
3.
In § 3 der Arbeitsverträge ist ein Bedarfsarbeitsverhältnis zum Einsatz als Fleischkontrolleur in Schlachtbetrieben vereinbart. Nach dieser Vertragsvorschrift richten sich die Arbeitszeiten nach Schlachtdauer und Dienstplan. Zu den weiteren Arbeitsbedingungen verweist § 2 auf den Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 01.04.1969 (TV Ang aöS) und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen. Der TV Ang aöS ist am 01.09.2008 außer Kraft getreten und ersetzt worden durch den Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beschäftigten in der Fleischuntersuchung (TV-Fleischuntersuchung) vom 15.09.2008. Dieser Tarifvertrag TV-Fleischuntersuchung ist seit 01.09.2008 Gegenstand der Arbeitsverträge der Parteien geworden. Zwar enthält § 2 des Arbeitsvertrages keine Klausel zur Tarifsukzession. Mit der Bezugnahme auf ergänzende und ändernde Tarifverträge wird eine Ablösung des TV Ang aöS durch einen neuen Tarifvertrag nicht erfasst. Von den Parteien gewollt ist aber eine Unterstellung des Arbeitsverhältnisses unter die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes für die Fleischuntersuchung. Die durch Fehlen einer Tarifsukzessionsklausel entstandene Vertragslücke ist deshalb damit zu schließen, dass seit dem 01.09.2008 der TV-Fleischuntersuchung Vertragsgegenstand ist. Verwiesen wird auf die Rechtsprechung des BAG zur Ablösung des BAT durch TVöD bzw. TV-L und die Auslegung kleiner dynamischer Verweisungsklauseln (z.B. BAG vom 16.12.2009, 5 AZR 888/08, AP Nr. 73 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
Nach § 1 Abs. 1 gilt der TV-Fleischuntersuchung für nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zu Arbeitszeit ist bestimmt:
§ 5 Arbeitszeit
1Die Arbeitszeit der/des Beschäftigten richtet sich nach dem Arbeitsanfall und wird vom Arbeitgeber geregelt.2Ist die/der Beschäftigte verhindert, ihre/seine Arbeit aufzunehmen, hat sie/er dies dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen.
§ 6 Besondere Regelungen zur Arbeitszeit in Großbetrieben
(1) 1In Großbetrieben werden die Beschäftigten durchschnittlich wöchentlich zehn Stunden zur Arbeit herangezogen, soweit im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist. 2Die/Der Beschäftigte ist in diesem Umfang zur Arbeitsaufnahme verpflichtet, wenn der Arbeitgeber dies dem Beschäftigten mindestens zwei Tage vorher und die Uhrzeit der Arbeitsaufnahme am Vortag spätestens bis 15:00 Uhr mitgeteilt hat. 3Die tägliche Arbeitszeit hat an solchen Einsatztagen mindestens zwei Stunden zu betragen.4Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen. 5Der Arbeitgeber ist ferner berechtigt, bis zu 25 v. H. der Arbeitszeit nach Satz 1 zusätzlich abzurufen. 6Darüber hinaus ist eine weitere Heranziehung im Einvernehmen mit der/dem Beschäftigten nach § 5 jederzeit möglich. 7Die möglichst gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung wird vom Arbeitgeber geregelt. 8§ 5 Satz 2 findet Anwendung.
4.
Die Arbeitszeitregelung des Vorgängertarifvertrages, § 11 a TV Ang aöS sah lediglich eine Arbeitszeit nach Arbeitsanfall vor und beinhaltete nicht die Regelung einer Ersatzarbeitszeit von 10 Stunden wöchentlich, wenn eine anderweitige Vereinbarung nicht getroffen ist. Zu dieser abgelösten tariflichen Regelung hat das BAG mit Urteil vom 16.11.2000, 6 AZR 353/99 (auch: Urteil vom 12.03.1992, 6 AZR 311/90, AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985), entschieden, dass die Arbeitszeitregelung allein nach Bedarf zulässig ist und ohne einzelvertragliche Vereinbarung kein Anspruch auf Mindestbeschäftigung besteht. Zu betonen ist hier, dass in beiden Fällen eine Teilzeitbeschäftigung vorlag. Nach den Urteilen des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19.11.1998, 10 Sa 1116/98, ZTR 1999, 73; vom 23.05.2008, 12 Sa 203/08, besteht bei vertraglicher Vereinbarung des TV Ang iöS kein Anspruch auf Festlegung einer Mindestarbeitszeit von 38,5 Stunden. Dies soll auch dann gelten, wenn der Angestellte über Jahre hinweg mit der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten und mehr eingesetzt worden ist. Mit Urteil vom 07.12.2005, 5 AZR 535/04, AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG, hat das BAG zur Inhaltskontrolle nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen für eine vertragliche Vereinbarung von Abrufarbeit entschieden, dass die einseitig vom Arbeitgeber abrufbare Arbeit des Arbeitnehmers nicht mehr als 25% der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit betragen darf.
5.
In den abgeschlossenen Arbeitsverträgen ist lediglich Bezug genommen worden auf die tariflichen Regelungen zur Fleischkontrolle, eine Vereinbarung über eine Mindestarbeitszeit haben die Parteien nicht getroffen. Es ist aber anerkannt, dass arbeitsvertragliche Regelungen nicht nur mündlich oder schriftlich getroffen werden können, sondern dass aus einer einvernehmlichen Vertragshandhabung und Vertragspraxis konkludente Einigungen zu Vertragsinhalten oder Vertragsänderungen abgeleitet werden können. Konkludente Vereinbarungen zur Arbeitszeitverlängerung oder - wie hier relevant - zur Vereinbarung von Mindestarbeitszeiten setzen voraus, dass sich ausreichende Anhaltspunkte für eine dauerhafte Vertragsänderung bzw. Vertragsergänzung ergeben. Verwiesen wird auf BAG vom 25.04.2007, 5 AZR 504/06, AP Nr. 121 zu § 615 BGB.
Die Parteien haben danach konkludent ein Abrufarbeitsverhältnis mit einer Mindestarbeitszeit entsprechend der Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers vereinbart. Die vertragliche Bezugnahme auf den TV-Fleischuntersuchung steht dem nicht entgegen.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG muss die Vereinbarung eines Abrufarbeitsverhältnisses eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen, fehlt eine solche Regelung, gelten 10 Wochenstunden als vereinbart. Auch tarifliche Regelungen, die nach § 12 Abs. 3 TzBfG zu Ungunsten des Arbeitnehmers vom Gesetz abweichen dürfen, müssen als Mindeststandard eine wöchentliche Arbeitszeit vorsehen. § 6 Abs. 1 TV-Fleischuntersuchung bestimmt eine 10-stündige wöchentliche Arbeitszeit als Ersatzarbeitszeit, soweit im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist. Nach Gesetz und nach Tarifvertrag ist die Arbeitszeit im Bedarfsarbeitsverhältnis vorrangig im Arbeitsvertrag zu regeln. Nur soweit eine vertragliche Regelung nicht vorliegt, gelten quasi als Auffangtatbestand Ersatzarbeitszeiten.
Die Kläger haben unwidersprochen vorgetragen, dass sie seit Beginn ihrer jeweiligen Arbeitsverhältnisse mindestens im Umfang einer Vollbeschäftigung eingesetzt worden sind und ein verstetigtes Entgelt erhalten haben, berechnet auf der Basis der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten. Die Jahressalden der Arbeitszeitkonten weisen Mehrarbeitsstunden in den Größenordnungen von 300 bis 100 Stunden aus. Hier wird deutlich, dass die Kläger nicht nur vollbeschäftigt eingesetzt worden sind, sondern noch erheblich darüber hinaus. Durch Entgeltabrechnung und Zahlung eines verstetigten Monatsentgelts auf der Basis einer Vollbeschäftigung hat die Beklagte zudem bei den Klägern das schutzwürdige Vertrauen erweckt, dass ein Anspruch auf Vollbeschäftigung und entsprechende Bezahlung entstanden ist. Konkludent zustande gekommen zwischen den Parteien ist eine Vereinbarung zu einer Mindestarbeitszeit von 39 Stunden wöchentlich im Jahresdurchschnitt.
Die arbeitsvertragliche Vereinbarung des TV-Fleischuntersuchung steht dieser Auslegung nicht entgegen. § 6 Abs. 1 TV-Fleischuntersuchung geht ohne arbeitsvertragliche Regelung von einer Ersatzarbeitszeit von 10 Stunden pro Woche aus und bestimmt weiterhin, dass ein zusätzlicher Abruf in Höhe von 25% der Arbeitszeit erfolgen kann. Darüber hinausgehender Einsatz bedarf des Einvernehmens der Parteien. Diese tarifliche Regelung mit einer Pflichtstundenzahl von 10 Stunden, einer möglichen Ausweitung der Pflichtstunden auf 12,5 und darüber hinausgehender freiwilliger Arbeitsleistung erfasst auch nicht annähernd die Wirklichkeit der hier über Jahre abgewickelten Arbeitsverträge. Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit ist weit von der tariflichen Ersatzarbeitszeit entfernt. Die tatsächliche Vertragshandhabung muss deshalb als konkludente Mindestarbeitszeitvereinbarung gewertet werden. Für diese Auslegung war auch entscheidend, dass in § 6 Abs. 1 Satz 1 TV-Fleischuntersuchung der Vorrang der arbeitsvertraglichen Arbeitszeitregelung enthalten ist.
6.
Hilfsweise ist anzumerken, dass die Arbeitszeitregelungen des TV-Fleischuntersuchung vorliegend als arbeitsvertragliche allgemeine Geschäftsbedingungen zu behandeln sind, die nicht der Kontrolle nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB entzogen sind und die nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sind.
Nach § 1 Abs. 1 TV-Fleischuntersuchung gilt der Tarifvertrag für nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Seinem Geltungsbereich nach erfasst er keine Arbeitsverhältnisse, in denen Fleischkontrolleure in Vollzeit und mehr ständig beschäftigt sind. Ein seinem Geltungsbereich nach nicht anwendbarer Tarifvertrag ist aber bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme nicht nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB der Kontrolle entzogen. Der fachlich nicht einschlägige Tarifvertrag wird über die vertragliche Bezugnahme zum reinen Vertragsinhalt, seine Regelungen sind im Einzelnen der AGB-Kontrolle zu unterziehen. Dabei ist gemäߧ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB festzustellen, dass die Arbeitnehmer durch die Arbeitszeitregelung nach TV-Fleischuntersuchung unangemessen benachteiligt werden. Die Ausgestaltung eines Abrufarbeitsverhältnisses, das über Jahre in der Größenordnung von 40 Wochenstunden und mehr abgewickelt worden ist, mit einer garantierten Mindestarbeitszeit von 10 Wochenstunden ist nicht interessengerecht und belastet einseitig den Arbeitnehmer. Die getroffene Arbeitszeitregelung ist als unwirksam zu behandeln und zu ersetzen durch die aufgrund der Vertragspraxis konkludent vereinbarte Vollbeschäftigung. Auch unter Berücksichtigung der AGB-Kontrolle ist damit der Klageanspruch begründet.
7.
Im Rahmen der Zulässigkeitserwägungen verweist der Beklagte auf die Problematik des bei Annahme einer Vollbeschäftigung anwendbaren Tarifvertrages. Zwar wendet der Beklagte auf vollzeitbeschäftigte Fleischkontrolleure nicht den TV-Fleischuntersuchung an, sondern den TVöD. Darauf kommt es hier aber nicht an. Die Kläger sind nicht tarifgebunden, eine normative Tarifanwendung nach§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG liegt nicht vor. Gegen eine im Rahmen der Vertragsfreiheit getroffene Vereinbarung, Abrufarbeitsverhältnis nach den Bedingungen des TV-Fleischuntersuchung mit einer Mindestarbeitszeit von 39 Wochenstunden im Jahresdurchschnitt, sind rechtliche Bedenken nicht ersichtlich.
8.
Weil auf Berufung der Klage stattzugeben war, trägt der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits, § 91 ZPO. Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.
...
Dr. Schubert
Kapels