Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.02.2011, Az.: 16 Sa 651/10 E
Arbeitsvorgang; Leitungstätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 01.02.2011
- Aktenzeichen
- 16 Sa 651/10 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 17610
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0201.16SA651.10E.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 12.12.2012 - AZ: 4 AZR 199/11
Rechtsgrundlagen
- BAT § 22
- BAT § 27
- BAT Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4
Amtlicher Leitsatz
Das Tatbestandsmerkmal "Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen" ist nicht dahingehend auszulegen, dass bei der übertragenen Leitung mehrerer organisatorisch getrennter Kindertagesstätten nebeneinander sämtliche Betreuungsplätze dieser Einrichtungen zusammenzurechnen sind.
1. Nach dem Sinn und Zweck der Tarifnorm findet eine Zusammenrechnung der durchschnittlich belegbaren, auf mehrere Kindertagesstätten verteilten Plätze dann nicht statt, wenn es sich nicht um eine zusammenhängende organisatorische Einheit handelt.
2. Bei Übertragung einer Leitungstätigkeit dienen alle Einzelaufgaben dieser Leitungstätigkeit - gleich wie diese tariflich zu bewerten sind - einem einheitlichen Arbeitsergebnis. Sie bilden daher einen einzigen großen Arbeitsvorgang (BAG vom 05. April 1995 - 4 AZR 183/94 - ; vom 12. Juni 1996 - 4 AZR 71/95 -).
3. Die Leitung jeder Kindertagesstätte stellt einen eigenen abgrenzbaren Arbeitsvorgang dar. Die Leitungsfunktion für jede einzelne Kindertagesstätte dient einem eigenen abgrenzbaren Arbeitsergebnis, nämlich jeweils bezogen auf die zu diesem Zeitpunkt wahrgenommenen Aufgaben für die jeweilige Kindertagesstätte. Dabei übt die Klägerin nicht gleichzeitig ständig beide Leitungsfunktionen aus und betreut damit nicht gleichzeitig sämtliche durchschnittlich belegbaren Plätze in diesen Kindertagesstätten.
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsbeklagte,
gegen
Beklagte und Berufungsklägerin,
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 2011 durch
die Richterin am Arbeitsgericht Steinke,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Janssen,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Pröttel
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 11. Februar 2010, Az. 1 Ca 411/09 E, abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin ab 01. Januar 2009.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Leiterin von Kindertagesstätten beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung fand der Bundesangestelltentarifvertrag (im Folgenden: BAT) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Ab 01. Oktober 2005 findet nach den Überleitungsbestimmungen des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (im Folgenden: TVöD) Anwendung.
Bis 31. Oktober 2006 leitete die Klägerin die Kindertagesstätte "C." in D. Ab 01. November 2006 übertrug die Beklagte ihr zusätzlich die Funktion der Leiterin der Kindertagesstätte "E." in F. mit 30,03 Stunden in der Woche und die Leitung der Kindertagesstätte "C." mit 8,97 Wochenstunden. In der Kindertagesstätte "E." waren vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 durchschnittlich 90 vergebene, gleichzeitig belegbare Plätze vorhanden, verteilt auf fünf Gruppen. In der Kindertagesstätte "C." wurden vom 01. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 39 Kinder in zwei Gruppen betreut.
Nach den Parametern der Personalbemessung sind wöchentlich für jede Gruppe einer Kindertagesstätte fünf Leitungsstunden, bei größeren Kindertagesstätten mit mindestens fünf Gruppen pauschal zusätzlich zehn weitere Leitungsstunden angesetzt. Die Klägerin erbringt drei Stunden in der Woche für den Arbeitsvorgang "Tagespflege". Die Leitungstätigkeit für beide Kindertagesstätten erfüllt sie mit einem Zeitaufwand von 36 Stunden in der Woche, wobei sie Synergieeffekte nutzt.
Es werden für beide Kindertagesstätten gemeinsame Veranstaltungen und in zeitlichen Abständen gemeinsame Dienstbesprechungen vorgenommen. Die Klägerin gibt für beide Kindertagesstätten die Standards für Teamführung, die Schwerpunktbildung in der pädagogischen Arbeit und die Heranziehung pädagogischer Instrumente einheitlich vor. Für beide Einrichtungen bestehen einheitliche Handlungsleitlinien wie Eingewöhnungsstandards bei der Eingewöhnung der Kinder.
Die Klägerin kann unaufschiebbaren Leitungsaufgaben in jeder Kindertagesstätte auch dann nachkommen, wenn sie sich in der jeweils anderen Kindertagesstätte aufhält. Sie ist telefonisch erreichbar. Ferner besteht die Möglichkeit, kurzfristig aufgrund der bestehenden Entfernung zwischen beiden Einrichtungen zu pendeln. Dies kann der Fall sein, wenn die Klägerin mit Eltern von betreuten Kindern - etwa aufgrund von Beschwerden - telefonische oder persönliche Gespräche zu führen hat. In beiden Kindertagesstätten können Situationen auftreten, in denen ein sofortiges Eingreifen der Klägerin als Leiterin erforderlich ist, etwa wenn Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung bestehen.
Die Beklagte unterhält sieben Kindertagsstätten in eigener Trägerschaft und betreut eine weitere, die als Verein organisiert ist. Für alle acht Einrichtungen gibt es einen einheitlichen Leitfaden zur konzeptionellen und organisatorischen Ausgestaltung. Die Maßnahme zur Entwicklungsdokumentation "Portfolio" wird in sämtlichen Einrichtungen eingesetzt.
Die Kindertagesstätten "E." und "C." sind haushaltsrechtlich, organisatorisch und im Hinblick auf die personelle Ausstattung mit Ausnahme der Position der Leiterin getrennt.
Bereits vor dem 01. Januar 2009 leistete und leistet die Beklagte an die Klägerin eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 Stufe 6 TVöD-VKA.
Die Klägerin hat behauptet, sie nehme die Leitungsentscheidungen für beide Kindertagesstätten "E." und "C." einheitlich vor. Es gäbe zwischen beiden Kindertagesstätten Vernetzungen.
Sie hat die Ansicht vertreten, sie sei ab 01. Januar 2009 in die Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 Vergütungsordnung VKA Teil II zum BAT - TV Sozial- und Erziehungsdienst - (im Folgenden: Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4) einzugruppieren. Die Betreuungsplätze der Kindertagesstätten "E." und "C." seien dabei zusammenzurechnen. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 sowie der hierzu ergangenen Protokollerklärung Nr. 10. Hätten die Tarifvertragsparteien keine Zusammenrechnung bei Übertragung der Leitungstätigkeit für mehrere Kindertagesstätten gewollt, hätte es heißen müssen "Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von je mindestens 100 Plätzen". Andernfalls wäre eine Leitungskraft, die eine Kindertagesstätte mit 100 belegten Plätzen leite, mit der Entgeltgruppe 10 zu vergüten, während eine Leitungskraft, der die Leitung von zwei Kindertagesstätten mit einer Belegung von je 99 Plätzen übertragen sei, nach der Entgeltgruppe 9 vergütet werden müsse.
Für die Zusammenrechnung spreche auch der Sinn und Zweck der Tarifvorschriften, da die Tarifvertragparteien den Grad der Verantwortung nach der Zahl der zu betreuenden Kinder hätten bemessen wollen. Per se stelle die Leitung von zwei Einrichtungen gleichzeitig höhere Anforderungen an die Leitungskraft als die Leitung nur einer Einrichtung. Die Leitungstätigkeit für beide Kindertagesstätten stelle einen einheitlichen Arbeitsvorgang dar. Würde dieser Arbeitsvorgang aufgespalten, führte dies dazu, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht in der ihr zur Verfügung stehenden vertraglichen Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche erfüllen könnte.
Die Klägerin hat beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin ab dem 01. Januar 2009 in der Entgeltgruppe 10 TVöD-VKA eingruppiert ist;
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin mit Wirkung ab dem 01. Januar 2009 die monatlichen Vergütungsdifferenzen zwischen der Entgeltgruppe 9 und der Entgeltgruppe 10 TVöD-VKA nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Fälligkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat eingewandt, es bestehe keine organisatorische und räumliche Einheit beider Kindertagesstätten.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Wortlaut der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 nebst Protokollnotizen spreche dafür, dass die Durchschnittsbelegung für jede Kindertagesstätte gesondert zu erheben sei. Die Leitung jeweils einer Kindertagesstätte im Sinne des o. g. Tarifmerkmals stelle sich als ein eigener Arbeitsvorgang "Leitung einer Kindertagesstätte" dar. Das Arbeitsergebnis der Leitungstätigkeit könne sich jeweils nur auf die einzelne Kindertagesstätte beziehen.
Eine planwidrige Regelungslücke sei im Tarifvertrag nicht enthalten.
Mit Urteil vom 11. Februar 2010, zu dessen Inhalt auf Bl. 59 - 64 d. A. Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage insgesamt stattgegeben und hierzu ausgeführt, die Klage sei in vollem Umfang zulässig. Sie sei darüber hinaus auch begründet, für die Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 sei es nicht erforderlich, dass mindestens eine der zu leitenden Kindertagesstätten eine Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen haben müsse. Dem stehe der Wortlaut der tariflichen Regelung entgegen, da er andernfalls lauten müsse "Leiter einer Kindertagesstätte". Bei der Beschränkung der Durchschnittsbelegung auf eine Kindertagesstätte hätten die Tarifvertragsparteien dies mit der Formulierung "Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von je mindestens 100 Plätzen" zum Ausdruck gebracht.
Gegen das ihr am 30. März 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. April 2010 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 30. Juni 2010 auf ihren Antrag vom 26. Mai 2010 am 30. Juni 2010 begründet.
Sie wendet ein, das Arbeitsgericht habe zum Rechtsbegriff des Arbeitsvorgangs trotz entsprechenden Tatsachenvortrags der Beklagten keine Feststellungen getroffen. Aus diesen Tatsachen ergebe sich, dass von zwei selbständig bewertbaren Arbeitsvorgängen auszugehen sei. Für die Bildung des jeweiligen Arbeitsvorgangs "Leitung" bezogen auf die Einrichtung Kindertagesstätte sei von der abgrenzbaren Organisationseinheit auszugehen. Eines anderen Wortlauts - wie etwa "Leiter einer Kindertagesstätte" - bedürfe es nicht. Das Arbeitsgericht übersehe, dass es nicht auf "zu leitende Kindertagesstättenplätze", sondern auf die Leitung der Einrichtung "Kindertagesstätte" ankomme, deren Größe durch die Ermittlung der Durchschnittsbelegung vom 01. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres maßgebend für eine abgestufe Eingruppierung sei.
Es könne unterstellt werden, dass die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der Eingruppierungsgrundsätze des § 22 BAT bewusst eine Zusammenrechnung von "vergebenen Plätzen" bei Leitung von mehr als einer Kindertagesstätte nicht hätten vereinbaren wollen. Wenn eine Tariflücke vorliege, dann handele es sich um eine bewusste Tariflücke, die nicht im Wege der Auslegung geschlossen werden dürfe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 11. Februar 2010 - 1 Ca 411/09 E - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat in der Kammerverhandlung vom 01. Februar 2011 den Klageantrag zu 1 zurückgenommen. Die Beklagte hat dem zugestimmt.
Im Übrigen beantragt die Klägerin,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt aus, die Aufteilung der Leitungsaufgaben beider Kindertagesstätten in gesonderte Arbeitsvorgänge sei lebensfremd. Das Maß der Verantwortung werde nicht dadurch geringer, dass die zu betreuenden Plätze auf mehrere Einrichtungen verteilt seien.
Sie behauptet, sie übe die Leitungsfunktion für beide Einrichtungen permanent aus, egal wo sie sich gerade befinde. Während ihrer Arbeitszeit stehe sie in beiden Kindertagesstätten für nicht aufschiebbare Leitungstätigkeiten aufgrund telefonischer Erreichbarkeit und der Möglichkeit zu pendeln permanent zur Verfügung.
Zum weiteren Parteivortrag wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01. Februar 2011 und die gewechselten Schriftsätze der Parteien.
Entscheidungsgründe
A. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft, gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet und daher insgesamt zulässig.
Sie hat auch in der Sache Erfolg.
I. Der noch aufrecht erhaltene Klageantrag zu 2 ist zulässig. Es handelt sich dabei um eine im öffentlichen Dienst allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, für die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO besteht (vgl.: BAG vom 12. Juni 1996 - 4 AZR 71/95 - AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge Arbeiterwohlfahrt = EzBAT §§ 22, 23 BAT F 2 VergGr IV b Nr. 10; vom 13. Dezember 1995 - 4 AZR 738/94 - AP Nr. 1 zu §§ 22, 23 BAT-O = EzBAT §§ 22, 23 BAT F2 VerGr. IV a Nr. 4; vom 12. März 2008 - 4 AZR 67/07 - ZTR 2008, 604 - 606, nicht amtlich veröffentlicht; vom 06. Juni 2007 - 4 AZR 505/06 - AP Nr. 308 zu §§ 22, 23 BAT 1975 = EzTöD 400 Eingruppierung BAG Allg Verwaltungsdienst VergGr VI b Nr. 1 = ZTR 2008, 156 - 160).
II. Allerdings ist die Klage unbegründet.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Differenzvergütung zwischen den Entgeltgruppen 9 und 10 TVöD-VKA i.V.m. §§ 22, 27 Abs. 2 BAT i.V.m. § 17 Abs. 1 TVÜ-VKA i.V.m. § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. Sie ist zutreffend in die Entgeltgruppe 9 Anlage 3 TVÜ-VKA i.V.m. Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 eingruppiert.
a) Der BAT sowie der ihn ersetzende TVöD-VKA finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung.
b) Die Klägerin erbringt nicht mindestens mit der Hälfte ihrer Arbeitszeit Arbeitsvorgänge nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4. Ihre Tätigkeit entspricht damit nicht der Entgeltgruppe 10 der Anlage 3 zum TVÜ-VKA.
aa) Unter einem Arbeitsvorgang ist eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsausübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (ständige Rechtsprechung: BAG vom 25. November 1981 - 4 AZR 305/79 - EzA §§ 22 - 23 BAT VergGr VI b Nr. 5 = AP Nr. 51 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 05. April 1995 - 4 AZR 183/94 - AP Nr. 197 zu §§ 22, 23 BAT 1975 = EzBAT §§ 22, 23 BAT F 2 VergGr IV b Nr. 8).
Bei Übertragung einer Leitungstätigkeit dienen alle Einzelaufgaben dieser Leitungstätigkeit - gleich wie diese tariflich zu bewerten sind - einem einheitlichen Arbeitsergebnis. Sie bilden daher einen einzigen großen Arbeitsvorgang (BAG vom 05. April 1995 - 4 AZR 183/94 - aaO.; vom 12. Juni 1996 - 4 AZR 71/95 - aaO.). Die Leitungsaufgabe wird ununterbrochen während der gesamten Arbeitszeit des Angestellten ausgeübt, selbst dann, wenn dieser mit anderen Aufgaben als mit Leitungsaufgaben beschäftigt ist. Denn auch dann muss er jederzeit und sofort in der Lage sein, aktiv durch Erteilung der erforderlichen Anordnungen und fachlichen Weisungen Leitungsaufgaben wahrzunehmen (BAG vom 12. Juni 1996 - 4 AZR 71/05 - aaO.).
Gemessen an diesen Grundsätzen stellt die Leitung jeder Kindertagesstätte einen eigenen abgrenzbaren Arbeitsvorgang dar. Der Klägerin sind zwei Leitungsfunktionen jeweils getrennt für jede Kindertagesstätte mit einem bestimmten zeitlichen Anteil ihrer Wochenarbeitszeit, nämlich für die Kindertagesstätte "C." mit 8,97 Stunden in der Woche und für die Kindertagesstätte "E." mit 30,03 Stunden in der Woche, übertragen. Die Leitungsfunktion für jede einzelne Kindertagesstätte dient einem eigenen abgrenzbaren Arbeitsergebnis, nämlich jeweils bezogen auf die zu diesem Zeitpunkt wahrgenommenen Aufgaben für die jeweilige Kindertagesstätte. Dabei übt die Klägerin nicht gleichzeitig ständig beide Leitungsfunktionen aus und betreut damit nicht gleichzeitig sämtliche durchschnittlich belegbaren Plätze in diesen Kindertagesstätten. Die Leitungstätigkeit für die jeweilige Kindertagesstätte muss sie nach eigenem Vortrag nacheinander und gesondert ausüben. Wenn ein Eilfall in der jeweils anderen Einrichtung gegeben ist, muss die Klägerin sich ggf. dorthin begeben bzw. telefonisch die Angelegenheit der anderen Einrichtung klären. Für die Dauer dieser Aufgabenwahrnehmung erfüllt sie die Funktion der Leiterin der jeweils anderen Einrichtung. Die Leitungsfunktion der Einrichtung, in der sie sich in dem Zeitpunkt örtlich befindet, ruht für diesen Zeitraum. Die Arbeitsvorgänge der Leitung sind nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbar. Die Kindertagesstätten hängen nicht organisatorisch nach der Planung der Kinderbetreuung und dem Personaleinsatz der dort beschäftigen Arbeitnehmer zusammen. Gelegentliche gemeinsame Veranstaltungen und Dienstbesprechungen führen nicht zu einer organisatorischen Vernetzung beider Einrichtungen in der Weise, dass der Personaleinsatz und die zu betreuenden Kinder untereinander koordiniert und abgestimmt werden müssen. Das behauptet auch die Klägerin nicht. Soweit sie Vernetzungen beider Kindertagesstätten angeführt hat, hat sie in der Kammerverhandlung vom 01. Februar 2011 klargestellt, dass es sich hierbei um die Anwendung pädagogischer Konzepte handelt, nicht jedoch um die Planung des Personaleinsatzes.
Der Arbeitsvorgang Leitung der Kindertagesstätte "E." dient dem abgrenzbaren Ergebnis des Einsatzes von Personal und Haushaltsmitteln, ihrer Beschaffung und Verwendung, deren Verteilung auf die dort zu betreuenden Kinder sowie der Koordination der zu betreuenden Kinder innerhalb der bestehenden Gruppen. Dasselbe gilt für den Arbeitsvorgang Leitung der Kindertagesstätte "C.". Auch hier organisiert und verteilt die Klägerin das Personal sowie die Ressourcen nach Beschaffung, Einsatz und Verwendung sowie deren Verteilung auf die in dieser Kindertagesstätte zu betreuenden Kinder.
Die Verwendung einheitlicher pädagogischer Konzepte und Leitlinien in beiden Kindertagesstätten steht dem nicht entgegen. Die Leitlinien, die im Übrigen für sämtliche acht in der Betreuung der Beklagten stehenden Kindertagesstätten gelten, nebst den von der Klägerin selbst erarbeiteten Standards für Teamführung und pädagogische Arbeit werden jeweils getrennt für jede Kindertagesstätte angewandt.
Auch die zeitlichen Parameter der Personalbemessung stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Unstreitig ist die Klägerin in der Lage, die Leitungsaufgaben für beide Einrichtungen in einer Arbeitszeit von 36 Stunden pro Woche zu erfüllen, weil sie Synergieeffekte nutzt. Die Bündelung von Tätigkeiten und Nutzung von Synergieeffekten führt jedoch nicht zu der Annahme eines einzigen einheitlichen Arbeitsvorgangs. Die Synergieeffekte entstehen daraus, dass die Klägerin die erarbeiteten pädagogischen Konzepte in beiden Kindertagesstätten anwenden kann, ohne sie jeweils neu erarbeiten zu müssen. Das gilt auch für die von ihr entwickelten Standards der Teamführung. Die Anwendung dieser einmal erarbeiteten Methoden erfolgt jedoch wiederum gesondert für jede Kindertagesstätte.
bb) Die von der Klägerin erbrachten Arbeitsvorgänge Leitung der Kindertagesstätte "E." und Leitung der Kindertagesstätte "C." erfüllen nicht die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4.
Die Vergütungsgruppen, deren Anwendung zwischen den Parteien streitig, ist lauten:
Vergütungsgruppe IV b
...
3. Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 70 Plätzen.
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 9 und 10)
4. Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen.
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 9 und 10)
...
Vergütungsgruppe IV a
...
4. Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen
nach vierjähriger Bewährung in der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4
(Hierzu Protokollerklärungen Nrn. 9 und 10)
...
Protokollerklärungen
...
9. Kindertagesstätten im Sinne dieses Tätigkeitsmerkmals sind Krippen, Kindergärten, Horte, Kinderbetreuungsstuben, Kinderhäuser und Tageseinrichtungen der örtlichen Kindererholungsfürsorge.
10. Der Ermittlung der Durchschnittbelegung ist für das jeweilige Kalenderjahr grundsätzlich die Zahl der vom 01. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres vergebenen, je Tag gleichzeitig belegbaren Plätzen zugrunde zu legen.
...
Nach der Anlage 3 zum TVÜ-VKA ist die Vergütungsgruppe IV b ohne Aufstieg nach IV a der Entgeltgruppe 9, die Vergütungsgruppe IV b mit Aufstieg nach IV a der Entgeltgruppe 10 zugeordnet.
Weder mit dem Arbeitsvorgang Leitung der Kindertagesstätte "E." noch mit dem Arbeitsvorgang Leitung der Kindertagesstätte "C." erfüllt die Klägerin das Tatbestandsmerkmal "Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen" nach der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4, da in keiner dieser Einrichtungen vom 1. Oktober 2008 bis 31. Dezember 2008 mindestens 100 vergebene, je Tag gleichzeitig belegbare Plätze vorhanden waren.
Das Tatbestandsmerkmal "Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen" ist nicht dahingehend auszulegen, dass bei der übertragenen Leitung mehrerer organisatorisch getrennter Kindertagesstätten nebeneinander sämtliche Betreuungsplätze dieser Einrichtungen zusammenzurechnen sind.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Wenn der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 12. Juni 1996 - 4 AZR 71/95 - AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge Arbeiterwohlfahrt = EzBAT §§ 22, 23 BAT F 2 VergGr IV b Nr. 10; vom 26. Januar 2005 - 4 AZR 6/04 - AP Nr. 302 zu §§ 22, 23 BAT 1975 = EzBAT §§ 22, 23 BAT B 1 VergGr I b Nr. 3).
(1) Der Wortlaut der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 gibt keinen Hinweis darauf, dass die durchschnittlich belegbaren Plätze bei der Leitung mehrerer nicht zusammengelegter Kindertagesstätten zusammenzurechnen sind. Allein die Formulierung "Kindertagesstätten" im Plural trägt dieses Ergebnis nicht. Diese Fassung ist dem Umstand geschuldet, dass der Tarifvertrag auch von "Angestellten" im Plural spricht. Dieser Plural setzt sich bei der Angabe der Einrichtungen fort. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Protokollnotizen Nr. 9 und 10. Zutreffend ist allerdings, dass der Wortlaut selbst eine Zusammenrechnung der insgesamt vorhandenen Plätze mehrerer Kindertagesstätten nicht ausschließt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich das nicht aus der Berechnungsformel der Protokollnotiz Nr. 10. Diese lässt sich auch auf mehrere Kindertagesstätten gleichzeitig mit der Addition der so ermittelten Plätze anwenden.
(2) Da der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu ermitteln. Nach dem Sinn und Zweck der Tarifnorm findet eine Zusammenrechnung der durchschnittlich belegbaren, auf mehrere Kindertagesstätten verteilten Plätze dann nicht statt, wenn es sich nicht um eine zusammenhängende organisatorische Einheit handelt.
Die Vergütung der Kindertagesstättenleiter ist nach der Durchschnittsbelegung von einer Mindestzahl von Plätzen abhängig. Die Tarifvertragsparteien sind in einer pauschalierten Betrachtungsweise davon ausgegangen, dass die Anforderungen an die Leiterin/den Leiter einer Kindertagesstätte steigen, je mehr Plätze vergeben sind, also je mehr Kinder die Einrichtung gleichzeitig betreut (BAG vom 04. April 2001 - 4 AZR 232/00 - BAGE 97, 251 - 262 = AP Nr. 2 zu § 12 DienstVO ev. Kirche = EzBAT §§ 22, 23 BAT F 1 VergGr IV b Nr. 12). Der Schwierigkeitsgrad der Leitungstätigkeit steigt mit der Größe der jeweils verwalteten Organisationseinheit, festgestellt anhand der belegbaren Plätze. Die Koordination der dort beschäftigten Arbeitnehmer und der dort betreuten Kinder untereinander bildet die besondere Schwierigkeit des Arbeitsvorgangs Leitungsfunktion. Mit der steigenden Anzahl der beschäftigten Erzieher beim Einsatz in den jeweiligen Gruppen, bei der Urlaubsplanung sowie Krankheitsvertretung steigt der zu erbringende Leitungsaufwand. Gleiches gilt für die Betreuung der Kinder bei deren Verteilung auf die ebenfalls steigende Anzahl der bestehenden Gruppen.
Bei kleineren Organisationseinheiten sind die Schwierigkeiten dieser Abstimmung geringer. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die einzelnen kleineren Einheiten Teil einer größeren Organisationseinheit sind und ebenfalls miteinander koordiniert werden müssen. Dann besteht eine einheitliche Leitung für zwei Einrichtungen, die als einheitlicher Arbeitsvorgang betrachtet werden muss. Das ist allenfalls dann anzunehmen, wenn mehrere Einrichtungen zusammengelegt werden (so bei Zusammenlegung unterschiedlicher Einrichtungen: Hoffmann, Das Tarifrecht im öffentlichen Dienst, Eingruppierung von A - Z, L 760; a. A: Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau, Eingruppierungen und Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, Anlage 1 a zum BAT (B/L) Teil II G Sozial- u. Erziehungsdienst Rn. 3 a). Das ist hier nicht der Fall. Beide Kindertagesstätten sind organisatorisch, haushaltsrechtlich und bezüglich der personellen Ausstattung getrennt.
(3) Entgegen der Ansicht der Klägerin führt diese Auslegung nicht zu unhaltbaren Ergebnissen. Das Beispiel der Leitung von zwei oder mehr Kindertagesstätten von jeweils bis zu 99 Plätzen durch eine Person mit der Eingruppierung in der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 widerlegt das vorliegende Ergebnis nicht. Eine solche Übertragung mehrerer Leitungsfunktionen für zwei oder mehr Kindertagesstätten mit 99 belegbaren Plätzen muss angesichts der zeitlichen Personalparameter auch bei Nutzung sämtlicher Synergieeffekten zu erheblicher Mehrarbeit führen. Der erhöhte zeitliche Aufwand bedeutet eine quantitative, jedoch keine qualitative Steigerung der Anforderungen an die Tätigkeit, wie dies nach der Konzeption der Vergütungsgruppen IV b und IV a BAT vorgesehen ist. Handelt es sich bei der Leitungstätigkeit für die jeweilige Einrichtung um einen eigenständigen Arbeitsvorgang, ist die Tätigkeit entsprechend zu bewerten, auch wenn sie dann mit erheblicher Mehrarbeit verbunden ist.
(4) Nach dem oben dargestellten Sinn und Zweck des Tarifvertrages liegt eine planwidrige Regelungslücke bei Übertragung mehrerer Leitungsfunktionen für organisatorisch getrennte Einrichtungen nicht vor.
Selbst bei Annahme einer unbewussten Tariflücke ist eine Schließung im Sinne der Klägerin nicht möglich. Eine unbewusste tarifliche Regelungslücke ist von den Gerichten durch eine ergänzende Auslegung nur dann zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben. Fehlt es hieran, kommt eine Lückenschließung nur dann in Betracht, wenn eine bestimmte Regelung nach objektiver Betrachtung zwingend geboten ist. Gibt es bei tatsächlicher und rechtlicher Betrachtung mehrere Möglichkeiten, eine festgestellte Tariflücke zu schließen, bedarf es einer Entscheidung der Tarifvertragsparteien (BAG vom 04. April 2001 - 4 AZR 232/00 - aaO.).
Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien, alle Belegungsplätze der zu leitenden Einrichtungen bei Übertragung mehrerer voneinander abgrenzbarer Leitungsfunktionen, insbesondere bei Übertragung der jeweiligen Funktion nur mit einem Bruchteil der wöchentlichen Arbeitszeit, zusammenzurechnen, bestehen nicht.
c) Nachdem die Beklagte an die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum ab 01. Januar 2009 eine Vergütung gemäß Entgeltgruppe 9 Stufe 6 TVöD-VKA leistet, sind die Vergütungsansprüche der Klägerin in vollem Umfang erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB.
2. Mangels Hauptanspruchs besteht kein Anspruch auf Zinsen.
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 269 Abs. 3 ZPO.
C. Die Revision ist aufgrund grundsätzlicher Bedeutung der zwischen den Parteien streitigen Tarifauslegung nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Janssen
Pröttel