Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.11.2011, Az.: 15 Ta 423/11
Bei Insolvenz kann der Rechtsanwalt Schadensersatz gegenüber dem Geschäftsführer der Anwaltssozietät wegen Nichtabführung seines Beitrags zur Rechtsanwaltsversorgung geltend machen; Nichtabführung von Pflichtbeiträgen zur Rechtsanwaltsversorgung; Schadensersatzklage des angestellten Rechtsanwalts gegen geschäftsführenden Gesellschafter der insolventen Anwaltssozietät bei unterlassener Beitragszahlung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 07.11.2011
- Aktenzeichen
- 15 Ta 423/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 29462
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:1107.15TA423.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 19.09.2011 - AZ: 13 Ca 118/11
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 2 BGB
- § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB
- § 266a Abs. 3 StGB
- § 93 InsO
- § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI
Amtlicher Leitsatz
§ 93 InsO hindert den angestellten Rechtsanwalt nicht, Schadensersatz gegenüber dem geschäftsführenden Gesellschafter der Anwaltssozietät wegen der vereinbarungswidrigen Nichtabführung des Pflichtbeitrags zur Rechtsanwaltsversorgung geltend zu machen.
Tenor:
Unter Zurückweisung im Übrigen wird auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2) der Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 19.09.2011 - 13 Ca 118/11 - teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst:
Der Rechtsstreit ist im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) lediglich hinsichtlich des Klageantrags zu 3) unterbrochen.
Hinsichtlich der Klageanträge zu 1) und zu 2) ist der Rechtsstreit im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) nicht unterbrochen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger war vom 16.11.2000 bis zum 31.03.2011 als Rechtsanwalt bei der Beklagten zu 1) beschäftigt, deren geschäftsführender Gesellschafter der Beklagte zu 2) war undüber deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 25.08.2011 - 902 IN 208/11 -0- das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Der Kläger war gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI wegen seiner Mitgliedschaft im Niedersächsischen Rechtsanwaltsversorgungswerk (RVN) von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit. Die Beklagte zu 1) führte absprachegemäß die Pflichtbeiträge des Klägers nach§ 24 Nr. 3 RVN-Satzung (Bl. 91 ff., 96 d.A.) an das RVN ab, spätestens seit 2009 aber unregelmäßig und nicht mehr in voller Höhe, so dass das RVN den Kläger mit ihrem letzten Leistungsbescheid vom 21.03.2011 (Bl. 21 d.A.) für die Zeit bis zum 31.12.2010 auf 4.656,23 € und mit ihrer Zahlungsaufforderung vom 07.04.2011 (Bl. 23 d.A.) wegen der Beiträge für Januar bis März 2011 in Höhe von 1.970,00 € in Anspruch nimmt.
Darüber hinaus zahlte die Beklagte zu 1) dem Kläger bis auf 675,00 € netto kein Gehalt für die Monate Februar und März 2011 (2 x 3.300,00 € brutto = 6.600,00 € brutto).
Mit seiner Klage vom 22.03.2011 und seiner Klageerweiterung vom 13.04.2011 nimmt der Kläger beide Beklagte wegen der Nichtabführung der Pflichtbeiträge zum RVN und der offenen Gehaltsansprüche für Februar und März 2011 in Anspruch. Er behauptet, dass der Beklagte zu 2) ihn in Unkenntnis über die Nichtabführung der Pflichtbeiträge gelassen habe, so dass dieser sich gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB persönlich schadensersatzpflichtig gemacht habe und beantragt:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.626,33 € zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Klageforderung zu 1) aus unerlaubter Handlung resultiert.
3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.600,00 € brutto abzüglich gezahlter 675,00 € netto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB auf 3.300,00 € seit dem 01.03.2011 sowie auf 3.300,00 € seit dem 01.04.2011 zu zahlen.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zu 1) hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 30.08.2011 festgestellt, dass der Rechtsstreit im Prozessrechtsverhältnis des Klägers zur Beklagten zu 1) gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist. Dem Antrag des Beklagten zu 2), die Unterbrechung des Rechtsstreits auch in seinem Prozessrechtsverhältnis zum Kläger festzustellen, hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 19.09.2011 nicht entsprochen. Gegen den ihm am 20.09.2011 zugestellten Beschluss hat der Beklagte zu 2) am 04.10.2011 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.
II. Die gemäß § 78 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht (§ 569 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ZPO) eingelegt worden.
Die mithin zulässige Beschwerde ist hinsichtlich des Klageantrags zu 3) begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Für die mit dem Klageantrag zu 3) geltend gemachten Gehaltsansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1) haftet der Beklagte zu 2) entsprechend § 128 BGB akzessorisch. Das hat zur Folge, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zu 1) gemäß § 93 InsO nur der Insolvenzverwalter die persönliche Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft geltend machen kann. Insoweit ist deshalb der Rechtsstreit des Klägers gegen den Beklagten zu 2) entsprechend § 17 Abs. 1 Nr. 1 AnfG unterbrochen.
2. Das gilt jedoch nicht im Prozessrechtsverhältnis des Klägers zum Beklagten zu 2) für die Klageanträge zu 1) und zu 2).
Mit ihnen berühmt sich der Kläger gegenüber dem Beklagten zu 2) eines Schadensersatzanspruches nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 266 a Abs. 3 StGB.
Der gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreite Kläger war gemäß § 24 Nr. 3 RVN-Satzung verpflichtet, die monatlichen Pflichtbeiträge an das RVN abzuführen, wobei er gemäß § 172 Abs. 2 SGB VI gegenüber der Beklagten zu 1) Anspruch auf Auszahlung eines Zuschusses in Höhe des fiktiven Arbeitgeberbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung hatte. Vereinbarungsgemäß zog die Beklagte zu 1) den Pflichtbeitrag vom Gehalt des Klägers ab und führte ihn unmittelbar an das RVN ab. Nach der Behauptung des Klägers kam die Beklagte zu 1) zumindest seit dem Jahre 2009 dieser Verpflichtung nicht mehr im vollem Umfange nach, worüber sie ihn nicht oder nur verspätet in Kenntnis setzte. Der Kläger macht folglich mit den Klageanträgen zu 1) und zu 2) gegenüber dem Beklagten zu 2) als dem geschäftsführenden Gesellschafter einen eigenständigen Schadensersatzanspruch wegen dessen persönlicher unerlaubten Handlung geltend. Es handelt sich folglich insoweit nicht um die Geltendmachung einer lediglich akzessorischen Haftung des Beklagten zu 2) für die Schuld der Beklagten zu 1), sondern um die Geltendmachung einer eigenständigen, nicht akzessorischen Verpflichtung des Beklagten zu 2), deren Einziehung nicht gemäß § 93 InsO ausschließlich dem Insolvenzverwalter vorbehalten ist, wie das Arbeitsgericht zutreffend unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.07.2002 (IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245 ff.) ausgeführt hat.
Gemäß § 93 InsO steht die Einziehungsbefugnis der persönlichen Verpflichtung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten allein dem Insolvenzverwalter zu, damit die persönliche Haftung der Gesellschafter der Gesamtheit der Gläubiger zu Gute kommt. Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger schließt§ 93 InsO aus, dass sich einzelne Gesellschaftsgläubiger durch schnelleren Zugriff auf das Gesellschaftervermögen Sondervorteile verschaffen. Das gilt jedoch nur für den Bereich der akzessorischen Gesellschafterhaftung, nicht jedoch für die eigenständige Haftung der Gesellschafter aus Rechtsgeschäft, Gesetz oder unerlaubter Handlung.
Wie der Bundesgerichtshof (aaO.) zu Recht ausführt, ist die Beschränkung des § 93 InsO auf die akzessorische Haftung systemgerecht. Die Einbeziehung von Haftungsansprüchen außerhalb der§§ 128, 161 ff. HGB hätte zur Folge, dass zum Beispiel Bürgschaften oder vergleichbare Verpflichtungen ihren Wert verlören, obwohl sie gerade für die Insolvenz des Hauptschuldners geschaffen worden sind. Ebenso wie die rechtsgeschäftliche Haftung des geschäftsführenden Gesellschafters aus einer Bürgschaft (§ 765 Abs. 1 BGB) und seine gesetzliche Einstandspflicht für die Steuerschuld der Gesellschaft gemäß den§§ 34, 69 AO begründet der Schadensersatzanspruch nach§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 14 Abs. 1 Nr. 2, 266 a Abs. 3 StGB eine vergleichbare selbstständige Haftung des geschäftsführenden Gesellschafters, der dem Gläubiger über die akzessorische Haftung entsprechend§ 128 HGB hinaus einen erweiternden Schutz bietet, der durch die Einbeziehung in § 93 InsO entwertet würde.
3. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bedarf es nicht, weil es sich um Kosten der Hauptsache handelt (vgl. zum Beispiel Thomas-Putzo/Hüßtege, ZPO, 30. Auflage,§ 252, Rdnr. 7).
4. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 78 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.