Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2011, Az.: 16 Sa 218/10

Wechselschichtzulage; Bereitschaftsdienst

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
08.02.2011
Aktenzeichen
16 Sa 218/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 17611
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2011:0208.16SA218.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lüneburg - 22.01.2010 - AZ: 2 Ca 312/08

Amtlicher Leitsatz

Wird in einem bestimmten Arbeitsbereich für alle Mitarbeiter Bereitschaftsdienst angeordnet, liegt keine Wechselschicht vor, da es dann einen Zeitraum gibt, in dem im Arbeitsbereich überhaupt nicht gearbeitet wird und somit eine Unterbrechung der wechselnden Arbeitsschichten gegeben ist (BAG vom 24. September 2008 - 10 AZR 939/07 - aaO. zu § 15 Abs. 8 Unterabs. 6 BAT und §§ 7, 8 TVöD; vom 05. Februar 1997 - 10 AZR 639/96 -).

1. Der Bereitschaftsdienst liegt auch dann außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit, wenn er zwar innerhalb einer bestimmten Arbeitsschicht abzuleisten ist, aber bei dessen Hinzurechnung die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des § 14 Abs. 1 DRK-AB von 38,5 Stunden in der Woche überschritten wird.

2. Die rechtswidrige Anordnung des Bereitschaftsdienstes führt nicht dazu, den Bereitschaftsdienst wie volle Arbeitsleistung zu behandeln und dem Arbeitnehmer die Wechselschichtzulage zu gewähren. Bereitschaftsdienst, den der Arbeitgeber nicht hätte anordnen dürfen und den der Arbeitnehmer dennoch leistet, bleibt Bereitschaftsdienst und wird nicht etwa von selbst zur vollen Arbeitsleistung mit entsprechendem Vergütungsanspruch. Der Arbeitnehmer kann die Leistung von gesetzwidrigen sowie von vertragswidrigen Bereitschaftsdiensten verweigern und ggf. einen Annahmeverzug des Arbeitgebers herbeiführen.

3. Auch bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats liegt ein Bereitschaftsdienst im Tarifsinne vor und ist vergütungsrechtlich als solcher zu behandeln (vgl.: BAG vom 22. November 2000 - 4 AZR 612/99 - BAGE 96, 284 - 293 = EzA § 4 TVG: Rotes Kreuz Nr. 4 = AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: DRK).

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger,

gegen

Beklagter und Berufungsbeklagter,

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2011 durch

die Richterin am Arbeitsgericht Steinke,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Kuhlmeyer,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Schmidt

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 22. Januar 2010, Az. 2 Ca 312/08, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um eine Wechselschichtzulage für den Zeitraum Januar 2007 bis November 2009.

2

Der Kläger ist als Rettungssanitäter im Rettungsdienst des Beklagten gemäß Arbeitsvertrag vom 06. Oktober 1992, zu dessen Inhalt auf Bl. 166 - 168 d. A. Bezug genommen wird, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die DRK-Arbeitsbedingungen - West (im Folgenden: DRK-AB) Anwendung, die mit dem Tarifvertrag über die Arbeitsbedingungen (im Folgenden: DRK-TV) für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende "DRK-Tarifvertrag" identisch sind. Bei dem Beklagten besteht eine Betriebsvereinbarung für den Rettungsdienst (Bl. 10 - 25 d. A.).

3

Der Beklagte unterhält insgesamt fünf Rettungswachen in C., D., F., E. und A-Stadt. Die Wachen C. und D. gehören zum sog. Südbereich. Der Einsatz auf allen Wachen erfolgt in der Tagschicht von 7:00 Uhr bis 19:00 Uhr und in der Nachtschicht von 19:00 Uhr bis 7:00 Uhr. Daneben besteht eine Normalschicht vom 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr, in der die Mitarbeiter auf Krankentransportwagen (im Folgenden: KTW) eingesetzt werden. Zumindest für die Rettungswachen im Südbereich, insbesondere C. und D., war bis 01. Januar 2010 für alle Arbeitnehmer täglich von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr gemäß Dienstplan Bereitschaftsdienst angeordnet. Während des Bereitschaftsdienstes ist es den Mitarbeitern erlaubt zu schlafen, wovon alle Mitarbeiter einschließlich des Klägers Gebrauch machen. Alle Rettungswachen, auch diejenigen im sog. Nordbereich, verfügen über Schlafräume und Betten. Die Rettungssanitäter werden auf den Wachen telefonisch oder per Funkalarm von der Rettungsstelle des Landkreises C.-A-Stadt alarmiert. Die Telefone stehen neben den Betten, die Funkempfänger sind "am Mann" zu tragen. Bei telefonischer Eingabe des Notrufs wird automatisch die Rettungsleitstelle des Landkreises C.-A-Stadt angewählt. In den letzten drei Jahren begaben sich hilfesuchende Personen zumindest einmal direkt zur Rettungswache in C., klingelten dort und baten um Hilfe.

4

Bei Alarm sind die Rettungswagen möglichst schnell zu besetzten. Die Rettungsmannschaften des Beklagten erreichten in den Jahren 2007 bis 2009 Ausrückzeiten von jeweils unter zwei Minuten.

5

Neben der Durchführung der Einsatzfahrten mit den Rettungsfahrzeugen haben die Rettungsmitarbeiter den Einsatzwagen nach jeder Fahrt wieder einsatzbereit zu machen. Dazu gehört die erforderliche Reinigung und das Auffüllen von Verbandsmaterial, wenn dies notwendig ist. Diese Arbeiten sind auch in der Nachtschicht auszuführen.

6

Zu den Aufgaben der Rettungsdienstmitarbeiter gehört ferner die Grunddesinfizierung der Fahrzeuge mit den dort vorhandenen Geräten und Materialien, das Abarbeiten von Fahrzeugchecklisten, das Auffüllen der Verbrauchsmaterialien sowie die Prüfung der Verfallsdaten der Materialien und Medikamente. Diese Arbeiten werden in der Tagschicht erledigt. Die Mitarbeiter der Rettungswachen haben außerdem die Reinigung der Rettungswache sowie Dienstfahrten zur Besorgung von Transportscheinen durchzuführen.

7

Der Beklagte wies den Bereitschaftsdienst von täglich 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr in den Jahren 2007 bis 2009 in den sog. Abrechnungsdienstplänen nicht gesondert aus, sondern vergütete ihn wie volle Arbeitszeit.

8

Der Kläger ist in den Rettungswachen D. und C. mit einer Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche eingesetzt, die in der Regel in vier 12-Stunden-Schichten abgeleistet wird. Er ist dabei in wechselnden Schichten tätig.

9

Der Kläger hat behauptet, bei Bedarf müsse er an der Wache auch Schnee räumen, Laub harken und Rabatten pflegen. Schlafen sei während des Bereitschaftsdienstes aufgrund der kurzen Ausrückzeiten nicht möglich.

10

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Bereitschaftsdienst unterbreche die Wechselschicht nicht. Ein Bereitschaftsdienst im Sinne des § 14 Abs. 5 der DRK-AB sei nicht gegeben, weil der Bereitschaftsdienst zwischen 2:00 Uhr und 6:00 Uhr täglich innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit, nämlich innerhalb der Nachtschicht, liege. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 DRK-AB lägen nicht vor, da der Kläger aus eigener Initiative während des Bereitschaftsdienstes tätig werde.

11

Er hat beantragt,

12

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.721,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 77,03 € seit dem 01. Februar 2007, 01. März 2007, 01. April 2007, 01. Mai 2007, 01. Juni 2007, 01. Juli 2007, 01. August 2007, 01. September 2007, 01. Oktober 2007, 01. November 2007, 01. Dezember 2007, 01. Januar 2008, 01. Februar 2008, 01. März 2008, 01. April 2008, 01. Mai 2008, 01. Juni 2008, 01. Juli 2008, 01. August 2008, 01. September 2008, 01. Oktober 2008, 01. November 2008, 01. Dezember 2008, 01. Januar 2009, 01. Februar 2009, 01. März 2009, 01. April 2009, 01. Mai 2009, 01. Juni 2009, 01. Juli 2009, 01. August 2009, 01. September 2009, 01. Oktober 2009, 01. November 2009 und auf 102,26 € seit 01. Dezember 2009 zu zahlen.

13

Der Beklagte beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Er hat die Ansicht vertreten, der Anspruch auf Wechselschichtzulage sei nicht gegeben, da der Bereitschaftsdienst die wechselnden Arbeitsschichten unterbreche. Er hat behauptet, in allen drei Schichten liege eine Arbeitsbereitschaft von mehr als drei Stunden.

16

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 22. Januar 2010 die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst im Sinne von § 38 a Abs. 3 DRK-AB seien gleich zu bewerten. Da der Beklagte für den Zeitraum von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr Bereitschaftsdienst angeordnet habe, dieser vom Kläger auch wahrgenommen werde, sei es Aufgabe des Klägers gewesen, darzulegen und zu beweisen, dass während des Bereitschaftsdienstes überwiegend Arbeit anfalle, was jedoch nicht geschehen sei. Es sei nicht einsichtig, warum ein Ruhen bzw. Schlafen im halb- oder ganz bekleideten Zustand während dieser Zeit nicht möglich sein solle. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass der Kläger bei einem Einsatz während des Bereitschaftsdienstes aus eigener Initiative tätig werden müsse, weil er nur dann tätig werde, wenn ein entsprechender Anruf oder eine Aufforderung erfolge.

17

Gegen das ihm am 26. Januar 2010 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 17. Februar 2010 eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 26. April 2010 auf Antrag des Klägers vom 17. März 2010 am 26. April 2010 begründeten Berufung.

18

Er führt aus, das Arbeitsgericht habe die Darlegungslast gemäß § 38 a Abs. 3 DRK-AB verkannt. Darüber hinaus müsse der Beklagte die Voraussetzungen für die Anordnung des Bereitschaftsdienstes darlegen.

19

Der Kläger bestreitet, dass in der Zeit von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiege und dass der Beklagte bei Anordnung des Bereitschaftsdienstes das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG und gemäß der Betriebsvereinbarung für den Rettungsdienst gewahrt habe.

20

Der Kläger beantragt,

21

das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 22. Januar 2010, Az. 2 Ca 312/08, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.721,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 77,03 € seit dem 01. Februar 2007, 01. März 2007, 01. April 2007, 01. Mai 2007, 01. Juni 2007, 01. Juli 2007, 01. August 2007, 01. September 2007, 01. Oktober 2007, 01. November 2007, 01. Dezember 2007, 01. Januar 2008, 01. Februar 2008, 01. März 2008, 01. April 2008, 01. Mai 2008, 01. Juni 2008, 01. Juli 2008, 01. August 2008, 01. September 2008, 01. Oktober 2008, 01. November 2008, 01. Dezember 2008, 01. Januar 2009, 01. Februar 2009, 01. März 2009, 01. April 2009, 01. Mai 2009, 01. Juni 2009, 01. Juli 2009, 01. August 2009, 01. September 2009, 01. Oktober 2009, 01. November 2009 und auf 102,26 € seit 01. Dezember 2009 zu zahlen.

22

Der Beklagte beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen.

25

Zum weiteren Parteivortrag sowie den Hinweisen des Gericht wird Bezug genommen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht Lüneburg vom 17. Dezember 2009 (Bl. 273 d. A.), vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 08. Februar 2011 (Bl. 433 - 435 d. A.) sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien.

Entscheidungsgründe

26

A. Die Berufung des Klägers bleibt erfolglos.

27

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft, nach § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet und daher insgesamt zulässig.

28

Sie hat allerdings in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.

29

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Wechselschichtzulage nach § 38 a Abs. 1 DRK-AB für den Zeitraum Januar 2007 bis November 2009.

30

§ 38 a DRK-AB und § 38 a DRK-TV lauten:

31

§ 38 a

32

Wechselschicht- und Schichtzulagen

33

(1) Der Mitarbeiter, der ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt ist, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (§17 Abs. 6. Unterabs. 2) vorsieht, und der dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht leistet, erhält eine Wechselschichtzulage von 102,26 € monatlich.

34

...

35

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für

36

a) Pförtner und Wächter,

37

b) Angestellte, in deren regelmäßige Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt.

38

§ 17 DRK-AB und DRK-TV lauten:

39

§ 17

40

Begriffsbestimmung

41

...

42

(6) Wechselschicht ist die Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei denen der Mitarbeiter durchschnittlich längstens nach Ablauf eines Monats erneut zur Nachschicht (Nachtschichtfolge) herangezogen wird.

43

Wechselschichten sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird.

44

(7) Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht.

45

1. Der Kläger ist nicht nach einem Dienstplan eingesetzt, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschicht i. S. d. § 17 Abs. 6 Unterabs. 2 DRK-AB vorsieht. Bei der Dienstplangestaltung der Rettungswachen, in denen der Kläger eingesetzt ist, sind keine wechselnden Arbeitsschichten gegeben, in denen ununterbrochen nach § 17 Abs. 6 Unterabs. 2 DRK-AB gearbeitet wird. Der gemäß Dienstplan unstreitig für die Rettungswachen D. und C. angeordnete Bereitschaftsdienst in jeder Nacht von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr unterbricht die wechselnden Arbeitsschichten. Das ergibt die Auslegung des § 17 Abs. 6 DRK-AB. Da die DRK-AB mit den Regelungen des DRK-TV identisch sind, folgt deren Auslegung den auf den DRK-TV anzuwendenden Grundsätzen.

46

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 24. September 2009 - 10 AZR 939/07 - AP Nr. 5 zu § 8 TVöD, nicht amtlich veröffentlicht; vom 05. Februar 1997 - 10 AZR 639/96 - AP Nr. 14 zu § 33 a BAT = EzBAT § 33 a BAT Nr. 15).

47

Wechselschichten im Sinne des § 15 Abs. 8 Unterabs. 6 S. 2 BAT liegen dann vor, wenn in dem Arbeitsbereich des Angestellten ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird, die Arbeit also zu keinem Zeitpunkt still steht (BAG vom 05. Februar 1997 - 10 AZR 639/96 - aaO.). Wird in einem bestimmten Arbeitsbereich für alle Mitarbeiter Bereitschaftsdienst angeordnet, liegt keine Wechselschicht vor, da es dann einen Zeitraum gibt, in dem im Arbeitsbereich überhaupt nicht gearbeitet wird und somit eine Unterbrechung der wechselnden Arbeitsschichten gegeben ist (BAG vom 24. September 2008 - 10 AZR 939/07 - aaO. zu § 15 Abs. 8 Unterabs. 6 BAT und §§ 7, 8 TVöD; vom 05. Februar 1997 - 10 AZR 639/96 - aaO.).

48

Diese Erwägungen sind auf die dem § 15 Abs. 8 Unterabs. 6 BAT gleichlautenden Bestimmungen der § 17 Abs. 6 DRK-TV, § 17 Abs. 6 DRK-AB und die dem § 33 a Abs. 1 BAT im Wesentlichen gleichlautenden § 38 a Abs. 1 DRK-TV, § 38 a Abs. 1 DRK-AB zu übertragen.

49

§ 14 Abs. 5 DRK-TV, § 14 Abs. 5 DRK-AB definieren den Bereitschaftsdienst in der Weise, dass sich die Mitarbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten haben, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Wortlaut des § 15 Abs. 6 a BAT ist mit dem des § 14 Abs. 5 DRK-TV/DRK-AB im Wesentlichen identisch. Nach beiden Vorschriften wird der Bereitschaftsdienst zusätzlich zur regulären Vergütung gesondert vergütet. Die Arbeitsbereitschaft verlangt dagegen von dem Arbeitnehmer eine wache Achtsamkeit im Zustand der Entspannung, um im Bedarfsfall von sich aus und ohne Aufforderung durch Dritte die volle vertragliche Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen zu können (BAG vom 24. September 2008 - 10 AZR 939/07 - aaO. zu dem dem § 14 Abs. 2 DRK-TV/DRK-AB gleichlautenden § 15 Abs. 2 BAT). An den Bereitschaftsdienst sind geringere Anforderungen als an die Arbeitsbereitschaft zu stellen. Dieser ist nur eine Aufenthaltsbeschränkung verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden. Eine wache Aufmerksamkeit wird nicht verlangt, der Arbeitnehmer kann ruhen oder sich anderweitig beschäftigen. Er muss nicht von sich aus tätig werden, sondern nur auf Anweisung. Demgegenüber verlangen § 14 Abs. 2 c DRK-TV und § 14 Abs. 2 c DRK-AB, dass der Arbeitnehmer an der Arbeitsstelle anwesend ist, um im Bedarfsfall vorkommende Arbeiten zu verrichten. Darin liegt nicht nur eine stärkere Beschränkung des Aufenthaltsortes, sondern auch mehr Initiative der Arbeitnehmer beim Tätigwerden. Die Arbeitnehmer müssen nicht nur im Bedarfsfall vorkommende Arbeit auf Anforderung des Arbeitgebers "aufnehmen", sondern von sich aus diese Arbeiten "verrichten". Die unterschiedliche Wortwahl in beiden Absätzen derselben Vorschrift deutet auf einen unterschiedlichen Regelungsgehalt hin. Weiter ist zu berücksichtigen, dass während des Bereitschaftsdienstes die Möglichkeit besteht zu schlafen. Unerheblich dabei ist, ob die Aufforderung zum Tätigwerden vom Arbeitgeber selbst oder durch eine zentrale Leitstelle erfolgt. Entscheidend ist allein, dass während des Bereitschaftsdienstes die Initiative zum Tätigwerden nicht vom Arbeitnehmer selbst ausgeht (BAG vom 28. Januar 2004 - 5 AZR 503/02 - AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: DRK = EzA 611 BGB 2002: Arbeitsbereitschaft Nr. 1).

50

Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt keine Wechselschicht im Sinne des § 17 Abs. 6 Unterabs. 2 i.V.m. § 38 a Abs. 1 DRK-AB im Zeitraum von Januar 2007 bis November 2009 für den Kläger vor. Im Arbeitsbereich, in dem er tätig gewesen ist, ist in diesen Zeiträumen nicht ununterbrochen bei Tag und Nacht gearbeitet worden. Die Schichtfolgen sind durch den in den Rettungswachen D. und C. für alle Mitarbeiter in jeder Nacht von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr nach Dienstplan angeordneten Bereitschaftsdienst unterbrochen worden.

51

2. Dabei handelt es sich tatsächlich um Bereitschaftsdienst gemäß § 14 Abs. 5 DRK-AB. Die Mitarbeiter der Rettungswachen sind verpflichtet, sich auf Anordnung des Beklagten in der Rettungswache aufzuhalten, um im Falle des Alarms, der durch die Rettungsleitstelle des Landkreises C.-A-Stadt telefonisch oder per Funkmelder erfolgt, Arbeit aufzunehmen und mit dem Rettungsfahrzeug auszurücken. Während des Bereitschaftsdienstes sind sie nicht von sich aus tätig geworden. Unschädlich hierbei ist, dass gelegentlich hilfesuchende Personen sich direkt zur Wache begeben und dort um Hilfe gebeten haben. Auch nach dem Vortrag des Klägers bestand und besteht keine Anordnung des Beklagten, darauf zu achten, ob ggf. hilfesuchende Personen sich in der Nähe der Wache aufhalten, um ihnen von sich aus zu helfen. Die unstreitig vorliegende Erlaubnis, während des Bereitschaftsdienstes zu schlafen, und die Zurverfügungstellung von Schlafstellen setzt voraus, dass sich die Arbeitnehmer gerade nicht in einem Zustand wacher Aufmerksamkeit halten müssen, um die Arbeit ggf. von sich aus aufzunehmen. Auch der Umstand, dass die Fahrzeuge bei Alarm schnellstens ausrücken müssen und in der Vergangenheit Ausrückzeiten von unter zwei Minuten erreicht worden sind, spricht nicht gegen die Möglichkeit, während des Bereitschaftsdienstes zu schlafen, zu ruhen oder sich sonst zu beschäftigen, ohne Arbeitsleistung zu erbringen. Sofern die Arbeitnehmer sich nicht zunächst vollständig ankleiden müssen, ist die Einhaltung solcher Ausrückzeiten auch dann möglich, wenn sie während des Bereitschaftsdienstes schlafen. Dass diese Möglichkeit von den Mitarbeitern der Rettungswachen und auch vom Kläger selbst genutzt wird, ist zwischen den Parteien unstreitig.

52

Nicht ersichtlich ist, dass neben den einsatzbezogenen Tätigkeiten während des Bereitschaftsdienstes noch weitere Arbeiten auszuführen sind. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass die notwendigen Tätigkeiten zu erbringen sind, um die Rettungsfahrzeuge für den nächsten Einsatz bereit zu machen, wozu auch ggf. die erforderliche Säuberung nach einem Einsatz und das Auffüllen von Materialien, soweit notwendig, gehört. Die weiteren Aufgaben, die auf der Rettungswache anfallen, wie Grunddesinfektion der Fahrzeuge, der darin vorhandenen Gegenstände und Materialien nebst deren Auffüllen, die Kontrolle ihrer Verfallsdaten und Fahrzeugchecklisten werden ebenfalls unstreitig grundsätzlich im Tagdienst verrichtet. Zumindest besteht auch nach dem Vortrag des Klägers keine Anordnung, sich während des Bereitschaftsdienstes Aufgaben zu suchen, die auch im Tagdienst erledigt werden könnten.

53

Der Umstand, dass der Bereitschaftsdienst von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr innerhalb der Nachtschicht liegt, hindert nicht seine Einstufung als Bereitschaftsdienst im Sinne des § 14 Abs. 5 DRK-AB. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt er außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne dieser Bestimmung. Was unter regelmäßiger Arbeitszeit i.S.d. DRK-AB zu verstehen ist, ist in § 14 Abs. 1 DRK-AB festgelegt. Danach beträgt die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich. Damit liegt der Bereitschaftsdienst auch dann außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit, wenn er zwar innerhalb einer bestimmten Arbeitsschicht abzuleisten ist, aber bei dessen Hinzurechnung die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des § 14 Abs. 1 DRK-AB von 38,5 Stunden in der Woche überschritten wird. So ist es hier. Mit dem regelmäßigen Einsatz des Klägers von 48 Stunden in der Woche ist die regelmäßige Arbeitszeit überschritten.

54

3. Ein Anspruch auf Wechselschichtzulage nach § 38 a Abs. 1 DRK-AB besteht auch dann nicht, wenn der Beklagte den Bereitschaftsdienst von 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr in jeder Nacht angeordnet hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5 Satz 2 DRK-AB gegeben waren. Hat der Beklagte Bereitschaftsdienst angeordnet, ohne dass zu erwarten war, dass erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt, bestand für den Kläger keine Verpflichtung, der Anordnung nachzukommen. Die rechtswidrige Anordnung des Bereitschaftsdienstes führt jedoch nicht dazu, den Bereitschaftsdienst wie volle Arbeitsleistung zu behandeln und dem Kläger die Wechselschichtzulage zu gewähren.

55

Der Bereitschaftsdienst ist keine volle Arbeitsleistung, sondern eine Aufenthaltsbeschränkung, die mit der Verpflichtung verbunden ist, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden. Damit unterscheidet sich dieser Dienst seinem Wesen nach von der vollen Arbeitstätigkeit, die vom Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung verlangt. Dieser qualitative Unterschied rechtfertigt es, für den Bereitschaftsdienst eine andere Vergütung vorzusehen als für die Vollarbeit. Die Tarifvertragsparteien dürfen deshalb Bereitschaftsdienst und Vollarbeit unterschiedlichen Vergütungsordnungen unterwerfen. Der DRK-TV ebenso wie die DRK-AB unterscheiden vergütungsrechtlich zwischen der Vergütung von Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst. In § 14 Abs. 5 Unterabs. 2 DRK-TV bzw. DRK-AB ist die Vergütung von Bereitschaftsdienst geregelt. Die rechtswidrige Anordnung von Bereitschaftsdienst hat nicht zur Folge, dass die Zeit des Bereitschaftsdienstes vergütungsrechtlich wie reguläre Arbeitszeit zu behandeln ist. Bereitschaftsdienst, den der Arbeitgeber nicht hätte anordnen dürfen und den der Arbeitnehmer dennoch leistet, bleibt Bereitschaftsdienst und wird nicht etwa von selbst zur vollen Arbeitsleistung mit entsprechendem Vergütungsanspruch. Der Arbeitnehmer kann die Leistung von gesetzwidrigen sowie von vertragswidrigen Bereitschaftsdiensten verweigern und ggf. einen Annahmeverzug des Arbeitgebers herbeiführen. Als Sanktionen kommen die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 22 ff. ArbZG in Betracht (BAG vom 28. Januar 2004 - 5 AZR 503/02 - aaO.). Der zu erwartende Arbeitsleistungsanteil betrifft nicht die Frage, ob Bereitschaftsdienst vorliegt, sondern ob er angeordnet werden darf (BAG vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - AP Nr. 12 zu § 17 BAT).

56

Diese Grundsätze sind auf den Anspruch auf Wechselschichtzulage nach § 38 a Abs. 1 DRK-AB zu übertragen. Auch im Hinblick auf die Wechselschichtzulage ist ein rechtswidrig angeordneter Bereitschaftsdienst nicht als Vollarbeitszeit zu bewerten. Ein anderer Wille der Tarifvertragsparteien bezogen auf den Zulagenanspruch ist ebenso wenig wie für die regelmäßige Vergütung zu erkennen. § 14 Abs. 5 Satz 2 DRK-AB dient wie § 14 Abs. 5 Satz 2 DRK-TV dem Arbeitnehmerschutz bei der Verlängerung von Arbeitszeiten. Würden rechtswidrig angeordnete Bereitschaftsdienste wie Vollarbeitszeit nebst entsprechenden Zulagen vergütet werden, würde dies für viele Arbeitnehmer einen Anreiz zur Leistung unzulässiger Bereitschaftsdienste schaffen. Dies widerspricht dem mit § 14 Abs. 5 Satz 2 DRK-TV und § 14 Abs. 5 Satz 2 DRK-AB verfolgten Ziel (vgl.: BAG vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - aaO.).

57

Etwa anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass der Beklagte den Bereitschaftsdienst nach den Abrechnungsdienstplänen wie volle Arbeitszeit behandelt und vergütet hat. Damit ist er über seine tarifvertragliche Verpflichtung nach § 14 Abs. 5 Unterabs. 2 DRK-AB sogar hinausgegangen. Danach wird zum Zwecke der Vergütungsabrechnung die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit entsprechend dem Anteil der erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Zeit der Arbeitsleistung als Arbeitszeit gewertet und mit der Überstundenvergütung vergütet. Die Bewertung darf 15 v. H., vom achten Bereitschaftsdienst im Kalendermonat an 25 v. H. nicht unterschreiten. Diese Verpflichtung hat der Beklagte in jedem Falle erfüllt. Daraus folgt jedoch nicht, dass er zusätzlich zur Leistung der Wechselschichtzulage nach § 38 a Abs. 1 DRK-AB verpflichtet ist, ohne dass deren tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen.

58

4. Ob das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG bzw. nach der Betriebsvereinbarung für den Rettungsdienst bei der Aufstellung der Dienstpläne und der Anordnung des Bereitschaftsdienstes gewahrt worden ist, kann dahinstehen. Auch bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats liegt ein Bereitschaftsdienst im Tarifsinne vor und ist vergütungsrechtlich als solcher zu behandeln (vgl.: BAG vom 22. November 2000 - 4 AZR 612/99 - BAGE 96, 284 - 293 = EzA § 4 TVG: Rotes Kreuz Nr. 4 = AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: DRK).

59

5. Nachdem der Kläger durchschnittlich mit 48 Stunden in der Woche eingesetzt wird, sind die Vorgaben der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 Art. 6 und der Richtlinie 2003/88 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. November 2003 Art. 6 b) sowie § 3 Satz 1 ArbZG gewahrt, so dass der Anspruch auf Wechselschichtzulage auch nicht in Form eines Entschädigungsanspruch (vgl.: EuGH vom 25. November 2010 - C 429/09 - NZA 2011, 53 - 60 [EuGH 25.11.2010 - Rs. C-429/09]) gegeben ist unabhängig von der Frage, ob der Arbeitszeitrichtlinie unmittelbare Wirkung zwischen Privaten zukommt.

60

II. Da bereits der Hauptanspruch nicht gegeben ist, hat der Kläger keinen Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.

61

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

62

C. Die Revision ist nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage, ob ein Anspruch auf Wechselschichtzulage bei rechtswidriger Anordnung des Bereitschaftsdienstes besteht, grundsätzliche Bedeutung hat.

Steinke
Kuhlmeyer
Schmidt