Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.03.2011, Az.: 7 Sa 1370/10

Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bei einem Schulbegleiter ist das Vorhandensein eines umfassenden Weisungsrechts gegenüber dem Schulbegleiter entscheidend; Abgrenzung zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem freien Mitarbeiterverhältnis bei einem Schulbegleiter; Vorliegen eines Weisungsrechts bzgl. Zuweisung einem Schulbegleiter auch einen anderen Schüler

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.03.2011
Aktenzeichen
7 Sa 1370/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 21950
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2011:0303.7SA1370.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Nienburg - 22.07.2010 - AZ: 2 Ca 105/10

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Soziale Arbeit kann sowohl im Rahmen von Arbeitsverhältnissen als auch in anderen Rechtsverhältnissen erbracht werden. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt.

  2. 2.

    Muss der Schulbegleiter bei seiner Tätigkeit kein von dem Beklagten vorgegebenes Konzept umsetzen, spricht maßgeblich gegen das Vorliegen eines Weisungsrechts, dass der Beklagte nicht berechtigt war, dem Kläger einseitig eine andere Tätigkeit, insbesondere die Schulbegleitung eines anderen Schülers, zuweisen konnte.

  3. 3.

    Für eine Abgrenzung zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem freien Mitarbeiterverhältnis ist unerheblich, dass Ort und Zeit der Schulbegleitung vorgegeben waren. Dies ergibt sich sich vielmehr aus dem Inhalt der dem Kläger übertragenen Aufgabe.

In dem Rechtsstreit
...
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 3. März 2011
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leibold,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Breustedt,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Nobel
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 22.07.2010, 2 Ca 105/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger eine Tätigkeit als Schulbegleiter im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder als selbstständige Honorarkraft für den Beklagten ausgeübt hat.

2

Der am 00.00.1963 geborene Kläger ist Kunsttherapeut und Kunstpädagoge und hat am 26.01.2006 die 1. Staatsprüfung für das Lehramt Sonderpädagogik an öffentlichen Schulen abgelegt.

3

Der Beklagte setzte in der Vergangenheit für die Durchführung von Schulbegleitungen Honorarkräfte ein. Es bestand ein Pool freiberuflicher Mitarbeiter, in dem verschiedene Berufsgruppen wie Erzieher, Psychotherapeuten, Hebammen, Krankenschwestern oder Hausfrauen vertreten waren. Der Einsatz erfolgte nach Bedarf in Abhängigkeit auftretender Jugendhilfefälle.

4

Mit Schreiben vom 04.06.2009 (Bl. 6 d.A.) beauftragte der Beklagte den Kläger mit der Schulbegleitung des an ADHS leidenden Schülers H. an der Grund- und Hauptschule Landesbergen und führte unter anderem aus:

Die Einsatzzeit zur Schulbegleitung wird durch meinen Allgemeinen Sozialen Dienst - Herrn E. - festgelegt. Der Stundensatz wird mit 24,00 EUR vergütet.

Ich bitte, eine Rechnung über die von ihnen geleisteten Stunden monatlich nachträglich zu übersenden.

Ich weise darauf hin, dass es sich bei der Schulbegleitung um eine selbständige Tätigkeit im Sinne des Einkommensteuerrechts handelt. Die Entschädigung wird daher unversteuert an Sie ausgezahlt. Für die Versteuerung der Ihnen gezahlten Beträge haben Sie durch entsprechende Angaben in Ihrer Steuererklärung in eigener Verantwortung zu sorgen.

5

Mit Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 7 d.A.) sandte der Beklagte einen entsprechenden Bescheid über die Gewährung einer Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII an die Eltern des Schülers.

6

Der Kläger führte die Schulbegleitung durch und rechnete die geleisteten Stunden mit Schreiben vom 20.06.2009, 28.06.2009 und 31.08.2009 (Bl. 10-13 d.A.) ab. Seine Tätigkeit bestand in der Unterstützung und Anleitung des Schülers, damit dieser selbständig, aktiv und konstruktiv am Unterricht teilnehmen kann, und umfasste dabei folgende Aufgaben:

7

- Begleitung am Unterricht und gegebenenfalls bei Ausflügen

8

- Unterstützung und Ermutigung beim Unterricht

9

- Unterstützung bei den Aufgaben im Unterricht

10

- Nebengespräche mit Mitschülern unterbinden

11

- den Schüler bei Auseinandersetzungen mit Lehrern und Schülern beistehen und konstruktive Lösungen finden

12

- maximal 1/2 Stunde pro Woche Elterngespräch.

13

Der Kläger musste an den monatlichen Teambesprechungen teilnehmen, die von dem Beklagten moderiert wurden und an denen im Übrigen ausschließlich Honorarkräfte teilnahmen. Ferner sollte alle 2 Monate eine Supervision stattfinden. Im Falle einer Erkrankung musste sich der Kläger vor Unterrichtsbeginn bei dem Beklagten, der Schule und den Eltern des Schülers melden.

14

Mit Schreiben vom 08.10.2009 (Bl. 13 d.A.) teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Schulbegleitung für H. zum 02.10.2009 endet und forderte ihn auf, die Rechnung für September und Oktober einzureichen. Der Kläger stellte für diesen Zeitraum unter dem Datum des 02.10.2009 (Bl. 14, 15 d.A.) insgesamt 2.585,00 EUR in Rechnung.

15

Mit Schreiben vom 08.12.2009 (Bl. 16, 17 d.A.) machte der Kläger gegenüber dem Beklagten geltend, dass er sich seit dem 29.05.2009 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Der Beklagte lehnte dieses Ansinnen mit Schreiben vom 22.12.2009 (Bl. 18, 19 d.A.) ab. Mit seiner Klage vom 26.02.2010 verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

16

Das Arbeitsgericht hat durch ein dem Kläger am 04.08.2010 zugestelltes Urteil vom 22.07.2010, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 42 - 45 d.A.), die Klage abgewiesen.

17

Hiergegen richtet sich die am 02.09.2010 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.11.2010 am 04.11.2010 begründete Berufung des Klägers.

18

Der Kläger ist der Auffassung, zwischen den Parteien sei ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu Stande gekommen. Zwar habe er tatsächlich kein von dem beklagten Landkreis vorgegebenes Konzept umsetzen müssen. Der Beklagte sei als Vertragspartner des Klägers jedoch dazu befugt gewesen, ihm konkrete Weisungen zum Inhalt und zur Durchführung der Schulbegleitung zu erteilen. Der Kläger sei auch nicht frei gewesen, den Ort und die Zeit der Tätigkeit frei zu bestimmen. Der Beklagte habe diesbezüglich sein Weisungsrecht durch die Auswahl des konkreten Schülers ausgeübt. Die Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation des Beklagten ergebe sich aus der Verpflichtung, an den monatlichen Teambesprechungen und den Supervisionen teilzunehmen.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.11.2010 und 17.02.2011.

20

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 22.07.2010 abzuändern und festzustellen, dass zwischen den Parteien spätestens seit dem 29.05.2009 ein Arbeitsverhältnis besteht, sowie

  2. 2.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die sich aus dem Bescheid des Beklagten vom 04.06.2009 ergebenden Befristung nicht mit Ablauf des 31.07.2010 beendet hat.

21

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

22

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes seiner Prozessbevollmächtigten vom 06.12.2010.

Entscheidungsgründe

23

I.

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.

24

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

25

Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit weitgehend zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das Landesarbeitsgericht macht sich die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

26

Ergänzend und zusammenfassend ist im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren Folgendes auszuführen:

27

Das Arbeitsgericht hat die von dem Bundesarbeitsgericht aufgestellten Voraussetzungen zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von einem freien Mitarbeiterverhältnis zutreffend angewandt. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Dabei ist die vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht seines Vertragspartners unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Selbstständig ist dagegen, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann, § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB. Es sind alle Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen und in ihrer Gesamtheit zu würdigen (BAG vom 25.05.2005, 5 AZR 347/04, AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit).

28

Soziale Arbeit kann sowohl im Rahmen von Arbeitsverhältnissen als auch in anderen Rechtsverhältnissen erbracht werden. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung, so ist Letztere maßgebend (BAG vom 06.05.1998, 5 AZR 347/97, AP Nr. 94 zu § 611 BGB Abhängigkeit Rn. 51, 53).

29

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich in einem Arbeitsverhältnis zu dem Beklagten befunden hat. Denn er unterlag weder einem umfassenden Weisungsrecht im Hinblick auf Art und Weise der Ausführung seiner Tätigkeit noch war er in die Arbeitsorganisation des Beklagten eingegliedert.

30

Der Kläger geht selbst davon aus, dass er bei seiner Tätigkeit kein von dem Beklagten vorgegebenes Konzept umsetzen musste. Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beklagte befugt war, ihm konkrete Weisungen zum Inhalt und zur Durchführung der Schulbegleitung zu erteilen. Ein derartiges Weisungsrecht kann weder der von den Parteien geschlossenen Vereinbarung noch der tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit des Klägers entnommen werden.

31

Gegen das Vorliegen eines Weisungsrechts spricht zudem maßgeblich, dass der Beklagte nicht berechtigt war, dem Kläger einseitig eine andere Tätigkeit, insbesondere die Schulbegleitung eines anderen Schülers, zuzuweisen. Vielmehr erstreckte sich die dem Kläger übertragene Aufgabe ausschließlich auf die Betreuung des Schülers H.. Zur Betreuung eines anderen Jugendlichen war der Kläger nach den getroffenen Vereinbarungen nicht verpflichtet, ein entsprechendes Angebot des Beklagten hätte er jederzeit ablehnen können, ohne vertragsbrüchig zu werden.

32

Entgegen der von dem Kläger vertretenen Auffassung ergibt sich auch aus § 79 Abs. 1 SGB VIII kein Weisungsrecht des Beklagten gegenüber dem Kläger. Vielmehr trifft die Pflicht, öffentlich-rechtlichen Anordnungen der Aufsichtsbehörde im Jugendhilferecht nachzukommen, jedermann und ist deshalb kein Merkmal arbeitsvertraglicher Weisungsgebundenheit. Die von dem Bundesarbeitsgericht in dem Urteil vom 06.05.1998 (5 AZR 347/97, a.a.O.) vertretene gegenteilige Auffassung ist durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2005 (5 AZR 347/04, a.a.O., Rn. 19) ausdrücklich nicht aufrechterhalten worden.

33

Unerheblich ist, dass Ort und Zeit der Schulbegleitung vorgegeben waren. Dies ergibt sich vielmehr aus dem Inhalt der dem Kläger übertragenen Aufgabe. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Schulbegleitung in der Schule des betreuten Schülers und während der Dauer des Unterrichts erfolgen muss. Für eine Abgrenzung zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem freien Mitarbeiterverhältnis sind diese Kriterien deshalb nicht geeignet.

34

Der zeitliche Umfang der Verpflichtung des Klägers lässt ebenfalls nicht den Schluss auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu. Der Kläger musste den Schüler in regulären Schulwochen insgesamt 23,75 Stunden begleiten, so dass außerhalb dieser Zeiten noch hinreichend Zeit und Gelegenheit bestand, seine Arbeitskraft anderweitig anzubieten und einzusetzen.

35

Arbeitnehmer und Selbstständige unterscheiden sich nach dem Grad der persönlichen Abhängigkeit. Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger derart persönlich abhängig von dem Beklagten war, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist.

36

III.

Die Berufung des Klägers war mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

37

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen dieses Urteil ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.

38

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Leibold
Breustedt
Nobel