Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.09.2011, Az.: 16 Sa 212/11
Keinen beleidigenden Charakter innehabende Äußerungen des Arbeitnehmers i.R. einer die Regeln einer sachlichen Auseinandersetzung überschreitenden Unterhaltung rechtfertigen eine fristlose Kündigung nicht ; Unwirksame außerordentliche Kündigung wegen beleidigender Äußerungen bei drastisch formulierter Kritik
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 16.09.2011
- Aktenzeichen
- 16 Sa 212/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29459
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2011:0916.16SA212.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 9 Ca 151/10 Ö - 24.11.2011
Rechtsgrundlagen
- § 626 Abs. 1 BGB
- § 34 TV-L
Amtlicher Leitsatz
Indiskretion und Tonfall unangemessener Äußerungen des Arbeitnehmers, welche die Regeln einer sachlichen Auseinandersetzung überschreiten, aber keinen beleidigenden Charakter haben, rechtfertigen nicht den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungsbeklagter,
gegen
Beklagter und Berufungskläger,
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2011 durch
den Richter am Arbeitsgericht Ermel,
die ehrenamtliche Richterin Frau Mertelsmann,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Pröttel
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24.11.2010 - Az.: 9 Ca 151/10 Ö - wird zurückgewiesen.
Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine Landesbehörde des Landes Niedersachsen.
Der am 00.00.1964 geborene Kläger ist seit dem 16.09.1987 bei der Materialprüfungsanstalt für das Bauwesen A-Stadt als Laborant mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt ca. 2.466,00 EUR beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis ist der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) anwendbar.
Mit Schreiben vom 03.12.2008, in welchem es um verschiedene Arbeitsabläufe ging, wandte sich der Kläger an seinen Dienstvorgesetzten Herrn S.. In dem Schreiben heißt es u.a. "Vor einiger Zeit waren Sie nicht in der Lage, Betonbohrkerne mit einem vernünftigen Zeitaufwand bearbeiten zu lassen." Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Blatt 37 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit einem weiteren Schreiben vom 12.01.2009, in welchem der Dienstvorgesetzte Herr S. persönlich angesprochen wurde, heißt es ferner auszugsweise:
"Ich hatte auch im letzen Jahr Sie mehrmals um die Beantwortung meiner fristgerecht eingereichten Fragen gebeten. Hier nochmals in Kurzform:
Warum sind die unwahren Behauptungen im Zusammenhang mit den vermeintlich falsch abgerechneten Pausen nach 9 Stunden Arbeitszeit noch nicht aus der Personalakte entfernt.
Warum musste sich die MPA asozial verhalten und konnte notwendige Kinderbetreuungsaufwendungen, die aufgrund des schweren Schlaganfalls meiner Freundin und über wenige Wochen nur gelegentlich wenige Minuten der Kernzeit benötigten nicht akzeptieren?
In welcher Weise sind an der MPA besondere Regelungen zum Streikrecht beschlossen worden, die die Vereinbarung der Tarifparteien ignorieren?"
Das Schreiben enthält ferner - auszugsweise - folgende Passagen:
"Ihre seit März 1987 bekannten Kommunikationsdefizite, die in letzter Zeit vermehrt zu Problemen im Arbeitsablauf geführt haben."
Ferner heißt es u.a.:
"Aufgrund Ihrer Weigerung zur Qualifizierung bei Arbeiten an Steinsägen, unnötigerweise, mehrere Tage lang dauernde Schleifarbeiten an Betonbohrkernen und LP-Proben.
Das noch nicht aufgeklärte Mobbing im Zusammenhang mit meiner Gelenkentzündung, und dem später noch diagnostizieren so genannten Tennisarm."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf Blatt 34 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Datum vom 13.01.2009 richtete der Kläger ein weiteres Schreiben an Herrn S. in welchem es u.a. heißt:
"Meine Personalakte soll keine Märchengeschichten und Unwahrheiten enthalten, damit ich endlich mich auf andere Stellen bewerben kann."
Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Blatt 35 der Gerichtsakte verwiesen.
Auf das Schreiben des Klägers vom 12.01.2009 reagiert die Beklagte mit Schreiben vom 19.01.2009 und wies die Vorhaltungen als unzutreffend zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Blatt 38 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 19.01.2009 erteilte die Beklagte dem Kläger unter Bezugnahme auf seine Schreiben vom 12.01. und 13.01.2009 eine Abmahnung, in welchem sie die vom Kläger erhobenen Vorwürfe als insgesamt falsch, diskreditierend und beleidigend zurückwies. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Abmahnung wird auf Blatt 32 f. der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Datum vom 20.01.2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass in Zukunft Anfragen und Beschwerden an den Arbeitgeber direkt über seinen direkten Vorgesetzten Herrn H. zu erfolgen hätten. Dieser leite die Anfragen weiter. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 39 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 01.04.2009 wandte sich der Kläger an Herrn H.. In dem Schreiben rügte der Kläger u.a., dass Arbeitsstunden, welche vor sechs Jahren nachzuarbeiten gewesen seien, nicht korrekt abgerechnet worden seien. Ferner heißt es u.a.:
"Wenn in meiner Personalakte die Lügen im Zusammenhang mit Arbeitsunterbrechungen (Warnstreik und die Abrechnung der 2. Pause nach 9 Stunden Arbeitszeit) nicht entfernt werden, so wird es auch in Zukunft notwendig sein, diese Punkte zu hinterfragen, um eine weitere Abmahnung zu vermeiden."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf Blatt 40 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 21.04.2009 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 01.04.2009.
Die Behauptung, die Personalakte enthalte Lügen und die Arbeitszeit sei nicht korrekt berechnet worden, werde als Störung des Betriebsfriedens gewertet und ausdrücklich nicht geduldet. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Abmahnung wird auf Blatt 41 f. der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Datum vom 05.05.2009 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung wegen einer unzutreffenden Arbeitszeiterfassung am 30.04.2009. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 43 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Datum vom 14.05.2010 richtete der Kläger ein weiteres Schreiben an seinen Vorgesetzten Herrn H..
In diesem Schreiben heißt es u.a.:
"Im Zwischenzeugnis ist aber von Vorgesetzten im Plural die Rede. Ich bitte diesen Fehler zu korrigieren. Vielleicht könnten Herrn S.´s Probleme in den Griff bekommen werden.
Es ist kaum zumutbar, dass aufgrund fehlender Kommunikation z.B. Betonbohrkerne unbegreiflich viel Bearbeitungszeit binden. Unqualifiziertes Personal musste damals die Proben sägen. In Zukunft sollte die daraus resultierende Unfähigkeit durch Weitergabe dieser, aber auch anderer Informationen, wie z.B. Fertigstellungstermine, auch durch Herrn S., sichergestellt werden. Er hatte auch einen negativen Einfluss auf die Prüfung von Betonzuschlägen genommen, was damals zu sehr langen Bearbeitungszeiten geführt hatte. Herr S. hatte mir bisher auch nicht mitteilen können, warum Arbeiten, wie z.B. das Fegen vom Hofbereich notwendig sind, wenn diese Arbeiten den Zuständigen, wie z.B. dem Hausmeister, nicht zur Kenntnis gebracht werden (Aschenbecherentleerung, etc.).
Seine letzten verbalen Aussetzer hatte Herr S. am 30.04.2010."
Mit Schreiben vom 17.05.2010 beteiligte die Beklagte den bei ihr bestehenden Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentliche Kündigung des Klägers, u. a. unter Beifügung des Textes des Kündigungsschreibens und des Schreibens des Klägers vom 14.05.2010.
Mit Schreiben vom 26.05.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Kläger habe mit seinem Schreiben vom 14.05.2010 erneut Beleidigungen und Unterstellungen gegen Herrn S. als stellvertretenden Dienststellenleiter vorgebracht, so durch die Wendungen
"S.´s Probleme in den Griff zu bekommen",
"Die daraus resultierenden Unfähigkeit",
"Negativen Einfluss auf die Prüfung von Betonzuschlägen",
"Seinen letzten verbalen Aussetzer."
Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf Blatt 4 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit seiner am 10.06.2010 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die ausgesprochene fristlose Kündigung gewehrt und für den Fall seines Obsiegens seine tatsächliche Weiterbeschäftigung als Baustoffprüfer geltend gemacht.
Sowohl mit den Ausführungen in seinem Schreiben vom 14.05.2010 als auch in den vorhergehenden Schreiben habe der Kläger von seinem Recht Gebrauch gemacht, Kritik zu äußern. Das vom Kläger angesprochene Problem der Kommunikation habe interne Arbeitsabläufe verbessern sollen.
Die Wendungen in dem Schreiben vom 14.05.2010 mit der Passage: "Die daraus resultierende Unfähigkeit" ziele nicht auf Herrn S. persönlich, sondern auf die Arbeitsorganisation im Allgemeinen. Zu keinen Zeitpunkt habe der Kläger Herrn S. persönlich als unfähig darstellen wollen. Soweit von einem verbalen Aussetzer des Herrn S. die Rede sei, habe der Kläger ebenfalls eine zurückhaltende Formulierung gewählt. Herr S. habe in bedrohlicher Art und Weise gegenüber dem Kläger den Wunsch geäußert, kein weiteres Zwischenzeugnis einzufordern. Darauf hin habe der Kläger auf einen verbalen Aussetzer des Herrn S. hingewiesen. Einen beleidigenden Charakter habe der Kläger dem Schreiben nicht bemessen wollen.
Eine Störung des Betriebsfriedens sei im Übrigen weder durch das Schreiben vom 14.05.2010 noch durch die vorhergehenden Schreiben eingetreten. Aufgrund der erteilten Anweisung vom Januar 2009 habe ein direkter Kontakt zwischen Herrn S. und dem Kläger nicht mehr stattfinden sollen. Dem Kläger sei daher nichts anderen übrig geblieben, als Eingaben dem Fachgruppenleiter vorzutragen und damit den Dienstweg einzuhalten.
Der Kläger hat beantragt,
1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26.05.2010 nicht beendet wird.
2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Baustoffprüfer weiterzubeschäftigen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Äußerungen und Unterstellungen des Klägers im Schreiben vom 14.05.2010 würden vor dem Hintergrund der bereits erteilten Abmahnungen eine Störung des Betriebsfriedens darstellen, welche zu einer endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses geführt habe. Ein derartiges Verhalten des Klägers gegenüber Herrn S. als stellvertretenden Leiter der Materialprüfungsanstalt sei durch das beklagte Land nicht weiter hinnehmbar.
Mit Urteil vom 10.01.2011 hat das Arbeitsgericht Hannover festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist sowie die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites verurteilt. Wegen der Einzelheiten des Urteils des Arbeitsgerichts Hannover wird auf Blatt 75 der Gerichtsakte verwiesen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.01.2011 zugestellte Urteil hat das beklagte Land mit am 11.02.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, soweit es die Verurteilung mit dem Feststellungsantrag betrifft, und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.04.2011 mit am 13.04.2011 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen Schriftsatz begründet.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts handele es sich bei den Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 14.05.2010 um auf eine Herabsetzung des Vorgesetzten Herrn S. bezogene erhebliche Ehrverletzungen. Zumindest die darin liegenden Tatsachenbehauptungen, wie eine "resultierende Unfähigkeit" seien auf Herrn S. gemünzt und würden darauf abzielen, die Position des Vorgesetzten zu untergraben. Vor dem Hintergrund der erteilten Abmahnungen seien die Äußerungen im Schreiben vom 14.05.2010 Ausdruck fortgesetzter Respektlosigkeit gegenüber der Führung durch Vorgesetzte. Eine Wiederherstellung des für ein gedeihliches Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens sei nicht zu erwarten.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover (9 Ca 151/10 Ö) vom 10.01.2011 zu ändern und die Kündigungsschutzklage (Ziff. 1 des Urteilstenors) abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ferner bestreitet der Kläger, dass Herr S. die Funktion des stellvertretenden geschäftsführenden Direktors der Materialprüfungsanstalt A-Stadt innehabe und kündigungsbefugt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 13.04.2011 sowie die weiteren Schriftsätze der Beklagten vom 03.08. und 05.08.2011 sowie die Berufungsbeantwortung vom 31.05.2011 sowie den Schriftsatz des Klägers vom 01.09.2011 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt (§ 66 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist nicht begründet.
Das Arbeitsgericht Hannover hat der Klage zu Recht stattgegeben.
Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.05.2010 nicht aufgelöst worden ist.
1. Der Kläger hat mit seiner am 10.06.2010 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klag die Klagefrist des § 4 KSchG gewahrt.
2. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB i.V.m. § 34 TV-L liegt nicht vor.
Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar erscheint. Danach muss eine Vertragsverletzung vorliegen, durch die das Arbeitsverhältnis so schwer gestört ist, dass dem Kündigenden auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und dessen weitere Fortsetzung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist (BAG 17.05.1984, 2 AZR 3/83, AP-Nr. 14 zu § 626 BGB "Verdacht strafbarer Handlung"; BAG 13.12.1984, 2 AZR 454/83, AP-Nr. 81 zu § 626 BGB; BAG 14.11.1984, 7 AZR 474/83, AP-Nr. 83 zu § 626 BGB). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kündigungsrecht (BAG 30.05.1978, 2 AZR 630/76, AP-Nr. 70 zu § 626 BGB) ist zu berücksichtigen, dass eine Kündigung in Betracht kommt, wenn andere, nach den jeweiligen Umständen mögliche und angemessene mildere Mittel erschöpft bzw. nicht zumutbar sind. Danach ist insbesondere eine außerordentliche Kündigung nur als unausweichlich letzte Maßnahme des Kündigungsberechtigten zulässig. Die Prüfung des Kündigungssachverhaltes ist deshalb dahingehend vorzunehmen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und ob bei der Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (vgl. BAG aaO. sowie auch BAG 02.03.1989, 2 AZR 280/88, AP-Nr. 101 zu § 626 BGB).
Der Arbeitgeber hat im Rahmen der sogenannten abgestuften Darlegungs- und Beweislast nicht nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund zu beweisen, sondern auch alle Tatsachen, die einen vom Kündigenden behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG 12.08.1976, 2 AZR 237/75, AP-Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; BAG 24.11.1983, 2 AZR 327/82, AP-Nr. 76 zu § 626 BGB; BAG 24.08.1993, 2 AZR 154/93, AP-Nr. 112 zu § 626 BGB).
b) Unter Anlegung dieser Voraussetzungen stellen die Erklärungen des Klägers in seinem Schreiben vom 14.05.2010 keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.
aa) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigen Interessen des Arbeitgebers darstellen und eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen. Entsprechendes gilt für bewusst wahrheitswidrig Tatsachenbehauptungen, etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG, 10.12.2009, 2 AZR 534/08, AP Nr. 226 zu § 626 BGB = NZA 2010, S. 698 ff. [BAG 10.12.2009 - 2 AZR 534/08][BAG 10.12.2009 - 2 AZR 534/08]). Auf der anderen Seite ist eine allgemeine Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen dann, auch wenn sie überspitzt und polemisch ausfällt, noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt und kann deshalb nicht die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzen (BAG, 12.01.2006, 2 AZR 21/05, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969, Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2006, S. 917 ff. [BAG 12.01.2006 - 2 AZR 21/05][BAG 12.01.2006 - 2 AZR 21/05]). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt aber weder vor Formalbeleidigungen noch bloßen Schmähungen oder bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen. Dieses Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährt, sondern insbesondere durch das Recht der persönlichen Ehre gem. Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt (BAG, 17.02.2008, 2 AZR 927/98; BAG, 24.11.2005, 2 AZR 584/04, AP Nr. 198 zu § 626 BGB = NZA 2006, S. 650 ff. [BAG 24.11.2005 - 2 AZR 584/04][BAG 24.11.2005 - 2 AZR 584/04]).
bb) Nach diesem Maßstab stellen die Erklärungen und Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 14.05.2010 weder für sich genommen noch in der Gesamtschau und Zielrichtung als gezielte ehrverletzende Äußerungen des Klägers gegenüber seinen Vorgesetzten Herrn S. dar. Die Äußerungen des Klägers sind zwar in Diktion und Tonfall unangemessen und überschreiten die Regeln einer sachlichen inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen Bediensteten und Vorgesetzten. Ein rüder und anmaßender Ton von allein begründet indes noch nicht den beleidigenden Charakter einer gegenüber einen Vorgesetzen abgegebenen Äußerung. Maßstab der gerichtlichen Überprüfung sind neben dem vorgelegten Schreiben des Klägers vom 14.05.2010 diejenigen Passagen, welche die Beklagte ausdrücklich in ihrem Kündigungsschreiben vom 26.05.2010 als beleidigend und unterstellend bewertet hat.
(1) Das Schreiben des Klägers vom 14.05.2010 enthält nach Überzeugung der Kammer - ebenso wie die vergangenen Schreiben, die bereits Gegenstand der Abmahnung der Beklagten vom 19.01.2009 waren - drastisch formulierte Kritik an der Kommunikationsfähigkeit als auch der Fähigkeit des Herrn S., Arbeitsabläufe zu organisieren. Dies ergibt sich daraus, dass ersichtlich im Schreiben vom 14.05.2010 eine "fehlende Kommunikationsneigung" des Herrn S. beanstandet wird verbunden mit der Kritik an der Bearbeitungszeit von Betonbohrkernen. Diese Kritik war bereits Gegenstand der Schreiben des Klägers vom 03.12.2008 und 12.01.2009. Der Kläger wiederholt mithin die bereits im früheren Schreiben geäußerte Kritik an persönlichen Führungseigenschaften des Herrn S.. Zwar hat die Beklagte die entsprechenden Vorhaltungen des Klägers in seinen Schreiben vom 03.12.2008 sowie 13.01.2009 abgemahnt und als unzutreffend zurückgewiesen. Eine sachliche Kritik kann dem Arbeitnehmer indes nicht durch eine Abmahnung verboten werden, sondern ist durch das Recht zur freien Meinungsäußerung geschützt. Eine Vertragsverletzung liegt dann vor, wenn im Rahmen der Kritik unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder Schmähungen ausgesprochen werden. Die wiederholte Kundgabe der Meinung des Klägers zur Kommunikationsfähigkeit von Herrn S. als auch der Organisation der Bearbeitung von Betonbohrkernen beinhaltet indes im Wesentlichen bloße Meinungsäußerungen und keine Tatsachenbehauptungen.
Diese Meinungsäußerung gibt der Kläger zwar in drastischer Wortwahl wieder, die geeignet ist, Anstoß zu erregen. Das Absprechen von Führungsqualitäten mag vom Erklärungsempfänger als beleidigend empfunden werden; in harter Form geäußerte Sachkritik führt aber ihrer Natur nach regelmäßig zu einer wertenden Herabsetzung persönlicher Leistungen des Erklärungsempfängers. Eine Schmähung liegt indes erst vor, wenn der Kritik kein Tatsachenkern zugrunde liegt oder der Erklärende bewusst falsche Tatsachen streut. Hierfür fehlen aber im konkreten Fall greifbare Anhaltspunkte.
(2) Ein grob beleidigender Charakter, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen würde, folgt auch nicht aus der Verwendung der Worte "die daraus resultierende Unfähigkeit" im Schreiben vom 14.05.2010.
Grammatikalisch stehen die einzelnen Satzteile beziehungslos nebeneinander. Wortwörtlich wäre der Satz so zu lesen, dass "In Zukunft die daraus resultierende Unfähigkeit (...) sichergestellt werden (soll).". Künftig eine Unfähigkeit sicherzustellen, ist ersichtlich nicht Ziel der Aussage des Klägers. Dem beklagten Land ist zuzugeben, dass der Gesamtkontext des Schreibens, insbesondere im Zusammenhang mit den vorhergehenden und nachfolgenden Sätzen den Schluss zulassen könnte, der Kläger bezichtige Herrn S. der "Unfähigkeit". Die im Prozess geäußerte Deutung des Klägers, die Verwendung des Begriffes "Unfähigkeit" beziehe sich auf den vorhergehenden Satz, nämlich, "das unqualifizierte Personal", ist aufgrund der grammatikalischen Unvollständigkeit des Satzes aber ebenso möglich. Der Name des Herrn S. wird zwar im Zusammenhang mit der Weitergabe von Informationen genannt. Der Satz könnte in Bezug auf Herrn S. aber ebenso die bloße Aufforderung enthalten, Herr S. solle in Zukunft die Weitergabe von Informationen wie Fertigstellungsterminen sicherstellen.
Insgesamt ist der von der Beklagten beanstandete Satz aber im Bedeutungsgehalt so unklar, dass zumindest nicht eindeutig zuzuordnen ist, ob sich die beanstandete Unfähigkeit auf die Organisation, das unqualifizierte Personal beim Sägen der Proben oder auf die Person des Herrn S. beziehen soll. Der Vorwurf einer bewussten Beleidigung oder Herabsetzung der Person des Herrn S. kann der Formulierung daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden.
(3) Weitere Kritik an Herrn S. äußert der Kläger dadurch, dass er rügt, dieser habe negativen Einfluss auf die Prüfung von Betonzuschlägen genommen, was zu sehr langen Bearbeitungszeiten geführt habe.
Bei dieser Äußerung handele es sich um Sachkritik. Der Kläger erläutert zwar nicht, worin sich der aus seiner Sicht negative Einfluss des Herrn S. manifestiert haben soll. Die Beklagte hat den Kläger allerdings weder aufgefordert, seine Kritik zu konkretisieren noch hat die Beklagte den tatsächlichen Hintergrund dieses Vorwurfs im Prozess konkret aufgegriffen. Als Sachkritik unterliegt die Äußerung des Klägers mithin dem Recht zur Meinungsäußerung, solange sie nicht auf bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen basiert. Hierfür liegen nach dem Sachvortrag keine konkreten Anhaltspunkte vor.
(4) Eine grobe Beleidigung stellt auch nicht die Äußerung dar, Herr S. habe am 30.04.2010 einen "verbalen Aussetzer" gehabt. Auch diese Erklärung enthält zunächst einmal eine sachliche Kritik, ohne diese näher zu konkretisieren. Unter einem verbalen Aussetzer kann gemeinhin eine unangemessene Bemerkung oder Äußerung verstanden werden. Mit einem "Aussetzer" wird zugleich gekennzeichnet, dass sich der Erklärende im Rahmen der beanstandeten Äußerung nicht unter Kontrolle gehabt habe.
Das Gesamtbild dieser Äußerung des Klägers stellt sich daher als negative Bewertung der benannten Person dar. Schwerpunkt ist auch hier allerdings das wertende Element der Kritik, die deshalb nicht ohne weiteres als herabwürdigend oder beleidigend einzuordnen ist.
(5) Auch in der Gesamtschau der von der Beklagten als herabsetzend oder beleidigend angesehen Äußerungen in Bezug auf die Person des Herrn S. sind die Erklärungen im Schreiben vom 14.05.2010 zwar als massive Kritik an den Führungseigenschaften des Vorgesetzen Herrn S. zu verstehen, ohne allerdings den Charakter einer groben Beleidigung oder schmähenden Herabsetzung anzunehmen.
Die weitere im Schreiben vom 14.05.2010 enthaltene Behauptung "Vor einigen Wochen wurden mir auch Schläge angedroht (eine reinhauen)" hat die Beklagte nicht als eine auf Herrn S. bezogene Äußerung verstanden und im Übrigen, weder im Kündigungsschreiben noch im Prozess, auch nicht als herabsetzende Äußerung beanstandet. Insoweit bedarf es daher keine weiteren Erwägungen, wie diese Äußerung im Gesamtzusammenhang zu bewerten ist.
(6) Da im Rahmen einer zu treffenden Gesamtwürdigung der Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 14.05.2010 keine Erklärung vorliegt, die in der Gesamtschau als grobe Beleidigung oder Schmähung anzusehen ist, liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nicht vor.
cc) Soweit die Beklagte darüber hinaus geltend macht, dass fortgesetzte Gesamtverhalten des Klägers störe den Betriebsfrieden und aus diesem Grund sei eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar, folgt dies aus dem vorgetragenen Sachverhalt nicht.
Zum einen reicht eine alleinige Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ohne konkrete Feststellung einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung nicht zur Annahme einer fristlosen Kündigung aus (BAG, 24.06.2004, 2 AZR 63/03, AP Nr. 49 zu § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2005, S. 158 ff. [BAG 24.06.2004 - 2 AZR 63/03][BAG 24.06.2004 - 2 AZR 63/03]). Darüber hinaus hat die Beklagte keine konkreten nachhaltigen Beeinträchtigungen des allgemeinen Betriebsfriedens dargelegt. Eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens kann die Beklagte nicht daraus herleiten, dass der Kläger seine Kritik enthaltenden Schreiben auf dem Dienstweg übermittelt hat. Insoweit ist dem Kläger nicht vorzuwerfen, dass über die angesprochene Person hinaus weitere Personen Kenntnis des Inhaltes seiner Schreiben erlangten. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass über den unmittelbaren mit den Schreiben befassten Personenkreis hinaus die Erklärungen des Klägers betriebsweit bekannt geworden wären oder in anderer Weise Unruhe gestiftet hätten. Dies gilt insbesondere für das den Kündigungsanlass dienende Schreiben vom 14.05.2010.
III. Als unterlegene Partei hat das beklagte Land gem. § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 72 ArbGG).
Mertelsmann
Pröttel