Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.02.2024, Az.: 10 Sa 586/23

Anspruch auf Urlaubsabgeltung; Keine arbeitgeberseitige Erklärung der Kürzung des Urlaubsanspruchs für die Dauer der Elternzeit

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
27.02.2024
Aktenzeichen
10 Sa 586/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 16677
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0227.10Sa586.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lüneburg - 18.08.2023 - AZ: 4 Ca 22/23 Ã

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt nicht die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Dem stehen die auch durch Tarifvertrag nicht abdingbaren Regelungen gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG entgegen.

  2. 2.

    Auch soweit der Urlaubsanspruch den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, enthält oder ersetzt § 26 Abs. 2c TVöD nicht die Kürzungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG.

  3. 3.

    Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 18. August 2023 - 4 Ca 22/23 Ö - hinsichtlich eines Teils der Nebenforderung abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin Zinsen für die Zeit vor dem 17. August 2022 geltend macht.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für die Klägerin wird sie nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung von Urlaubsabgeltung. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 18. August 2023 (Bl. 106 bis 110 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin könne Abgeltung von 155 Urlaubstagen aus den Jahren 2003 bis 2007 verlangen. Weil das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der letzten Elternzeit einvernehmlich geruht und danach durch Auflösungsvereinbarung geendet habe, seien die Voraussetzungen für eine Abgeltung gemäß § 17 Abs. 2 BEEG erfüllt. Der Anspruch sei auch nicht durch eine Kürzungserklärung der Beklagten untergegangen, denn eine solche Erklärung habe die Beklagte nur für das Jahr 2002, nicht jedoch für die Folgejahre abgegeben. Dass die Klägerin selbst davon ausgegangen sei, dass ihr in der Elternzeit kein Urlaubsanspruch zustehe, berühre den Anspruch nicht. In dem weiteren Verhalten der Beklagten liege keine konkludente Kürzungserklärung, denn die Klägerin habe den streitigen Anspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht geltend gemacht, so dass die Beklagte ihn auch nicht abgelehnt habe. Die Klägerin habe nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt. Sie sei nicht gehalten gewesen, die Beklagte vor Abschluss der Auflösungsvereinbarung auf das Bestehen des Anspruchs hinzuweisen. Der Anspruch sei nicht verjährt, weil er erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig geworden und die Verjährungsfrist zu jenem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen sei. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei auch nicht gemäß § 26 Abs. 2c TVöD vermindert worden, denn diese Tarifnorm könne die Kürzungserklärung des Arbeitgebers nicht ersetzen. Schließlich sei der Anspruch auch nicht verfallen, denn die Beklagte habe der Klägerin keinen entsprechenden Hinweis erteilt.

Gegen das ihr am 21. August 2023 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 18. September 2023 Berufung eingelegt und sie am 21. Oktober 2023 begründet.

Die Berufung führt aus: Mit der "Bestätigung der Elternzeit" vom 15. Juli 2004 (Bl. 68 d.A.) habe die Beklagte den verbleibenden Urlaubsanspruch mit fünf Tagen angegeben; aus dem Sinnzusammenhang ergebe sich, dass dies eine Kürzungserklärung iSv. § 17 Abs. 2 BEEG darstelle. So hätten es auch beide Parteien verstanden; noch im Jahre 2018 hätten sie nur über die fünf Urlaubstage aus dem Jahre 2002 verhandelt, nicht jedoch über weitere Urlaubsansprüche. Auch in dem Schreiben der Beklagten vom 16. November 2018 (Bl. 74 d.A.), mit dem sie erklärte, dass die fünf Tage Resturlaub aus dem Jahre 2002 verfallen seien, habe die Beklagte die Kürzung des Urlaubs erklärt, und so habe es die Klägerin auch verstanden. Diese handele rechtsmissbräuchlich, denn es sei immer nur über die genannten fünf Urlaubstage korrespondiert worden, nicht jedoch über den nunmehr streitigen Anspruch. Dieser sei jedenfalls seit dem 1. Januar 2012 verjährt. Weil das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Elternzeit durch den unbezahlten Sonderurlaub unterbrochen worden sei, habe keine Möglichkeit bestanden, den Urlaub zu nehmen. Folglich habe die Beklagte der Klägerin auch keinen entsprechenden Hinweis erteilen müssen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Dauererkrankungen oder voller Erwerbsminderung sei auch vorliegend anzuwenden. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Richtlinie der Europäischen Union erst am 2. August 2004 in Kraft getreten sei. Jedenfalls bis dahin habe es eine Hinweisobliegenheit für Arbeitgeber nicht gegeben. Auch seien der gesetzliche Mindesturlaub und der tarifliche Mehrurlaub hinsichtlich der Verfallfristen getrennt zu betrachten. Zinsen schulde die Beklagte erst ab Rechtshängigkeit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, es sei zwischen den Parteien nie über den Urlaub während der Elternzeit gesprochen worden. In den Schreiben der Beklagten liege keine Kürzungserklärung; Schweigen stelle kein konkludentes Handeln dar. Dass die Klägerin den streitigen Anspruch im laufenden Arbeitsverhältnis nicht geltend gemacht habe, könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, denn die Beklagte hätte dann noch die Kürzungserklärung gemäß § 17 Abs. 4 BEEG abgeben können. Weil der Anspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig geworden sei, könne die Klägerin ab dem Folgetage Verzugszinsen verlangen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt hinsichtlich der Hauptforderung und eines Großteils des Zinsanspruchs erfolglos.

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2b ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 2 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist bis auf einen Teil der Zinsforderung unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Urlaubsabgeltung für die Zeit vom 1. Januar 2003 bis zum 15. Mai 2008 in der geltend gemachten, rechnerisch nicht streitigen Höhe. Die Beklagte hat den Urlaubsanspruch der Klägerin nicht durch eine Erklärung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für die Dauer der Elternzeit gekürzt. Die arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt eine solche Erklärung nicht. Der Anspruch ist weder verjährt noch verfallen und auch nicht dem durchgreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs ausgesetzt. Zinsen können allerdings erst ab dem Tage nach Zugang der Mahnung und nicht bereits seit dem Ende des Arbeitsverhältnisses verlangt werden.

1.

Aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme (§ 2 des Arbeitsvertrages vom 15. Juni 1993 - Bl. 8 d.A.) finden auf das Arbeitsverhältnis die Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Damit ist bezogen auf den Streitzeitraum der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden; dies ist zwischen ihnen außer Streit.

2.

Zwar vermindert sich gemäß § 26 Abs. 2c TVöD die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel, während das Arbeitsverhältnis ruht. Diese Tarifnorm bewirkt jedoch nicht, dass die Beklagte für die Dauer der Elternzeit keinen tariflichen oder gesetzlichen Urlaub schuldet, ohne im bestehenden Arbeitsverhältnis und in Kenntnis des Beginns der Elternzeit ihr Recht, den Urlaubsanspruch zu kürzen, durch empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt zu haben.

a)

Gemäß § 13 BUrlG kann unter anderem von §§ 1 und 3 Abs. 1 BUrlG auch durch Tarifvertrag nicht zu Lasten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Dies wäre jedoch der Fall, legte man § 26 Abs. 2c TVöD in dem Sinne aus, dass die Norm auch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit erfasste.

aa)

Aus § 17 Abs. 1 BEEG folgt, dass grundsätzlich auch während der Elternzeit Urlaubsansprüche entstehen. Zwar sind während dieser Zeit die beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert (BAG 23. Januar 2018 - 9 AZR 200/17 - Rn. 17 mwN; 26. September 2017 - 1 AZR 717/15 - Rn. 54; ErfK/Gallner 24. Aufl. 2024 § 15 BEEG Rn. 25). Im Unterschied zu anderen Ruhenstatbeständen, die von vornherein zur Folge haben, dass Urlaubsansprüche nicht entstehen (vgl. zum unbezahlten Sonderurlaub nach § 28 TV-LBAG 21. Mai 2019 - 9 AZR 259/18 - Rn. 11 bis 15; 19. März 2019 - 9 AZR 406/17 - Rn. 40, BAGE 166, 176), behält der Arbeitnehmer diesen Anspruch für die Elternzeit bis zu einer wirksamen Kürzungserklärung des Arbeitgebers. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, denn entstünde für die Elternzeit nicht zunächst ein Urlaubsanspruch, so bedürfte es der dort geregelten Kürzungserklärung des Arbeitgebers nicht, um diesen Anspruch zum Erlöschen zu bringen (Kammer 17. Mai 2022 - 10 Sa 954/21 - Rn. 17, LAGE § 17 BEEG Nr. 6).

bb)

Entfiele der Anspruch auf Erholungsurlaub für die Elternzeit schon kraft der Tarifnorm, so wäre dies für den Arbeitnehmer ungünstiger als die gesetzliche Regelung, weil der Mindesturlaub nach § 3 Abs. 1 BUrlG unterschritten würde. Vorliegend könnte die Klägerin für die Zeit von 2003 bis zum 15. Mai 2008 auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG keinen Urlaub beanspruchen. Dieses Ergebnis wiche zu ihren Lasten von § 3 Abs. 1 BUrlG iVm. § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG ab, wonach für die Elternzeit in Ermangelung einer Kürzungserklärung Anspruch auf den Mindesturlaub besteht (vgl. Kammer 17. Mai 2022 - 10 Sa 954/21 - Rn. 18, LAGE § 17 BEEG Nr. 6).

b)

Auch soweit der Urlaubsanspruch der Klägerin den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf § 26 Abs. 2c TVöD berufen. Das Gesetz unterscheidet in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem diesen übersteigenden Anspruch, sondern spricht einheitlich von "Erholungsurlaub". Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen gegen eine Differenzierung. Die gesetzliche Kürzungsbefugnis vermeidet ein Ansammeln von Urlaub gegen den Willen des Arbeitgebers für Zeiten, in denen die Arbeitspflicht elternzeitbedingt ruht (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 17, BAGE 166, 189). Ein Arbeitgeber hat es für alle Bestandteile des Erholungsurlaubs gleichermaßen in der Hand, eine wirksame Kürzungserklärung abzugeben, sofern und soweit er Urlaub für die Elternzeit nicht gewähren möchte. Für eine Aufspaltung des Anspruchs in Mindest- und sonstigen Erholungsurlaub besteht daher keine Notwendigkeit (Kammer 17. Mai 2022 - 10 Sa 954/21 - Rn. 19, LAGE § 17 BEEG Nr. 6).

c)

Die Norm des § 26 Abs. 2c TVöD lässt sich auch nicht als schon bei Begründung des Arbeitsverhältnisses bzw. bei ihrem Inkrafttreten gleichsam auf Vorrat ausgesprochene Kürzungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG auslegen.

aa)

Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 35 mwN; ErfK/Gallner 24. Aufl. 2024 § 17 BEEG Rn. 4). Dies ist Ausfluss der dem Arbeitgeber eingeräumten Dispositionsbefugnis, von dem Kürzungsrecht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG Gebrauch zu machen oder hiervon abzusehen. Der Arbeitgeber kann sein Wahlrecht erst dann sinnvoll ausüben, wenn er weiß, dass und für welchen Zeitraum Elternzeit in Anspruch genommen werden soll. Die Kürzungsbefugnis setzt somit ein Elternzeitverlangen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG voraus, durch das der Umfang und die zeitliche Lage der Elternzeit festgelegt werden. Dieses Verständnis ist im Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG angelegt, der auf jeden vollen Kalendermonat "der" Elternzeit abstellt. Die Verwendung des bestimmten Artikels legt nahe, dass der Arbeitgeber den Urlaub nicht für eine sich noch nicht abzeichnende, sondern nur für eine konkret in Rede stehende Elternzeit kürzen kann (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 35).

bb)

Da bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Jahre 1993 unter Inbezugnahme des Bundes-Angestelltentarifvertrages und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen nicht bekannt war, dass die Klägerin ab dem Jahr 2003 Elternzeit beanspruchen würde, konnte die Beklagte das ihr gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG zustehende Wahlrecht, ob und in welchem Umfang sie den Urlaubsanspruch kürzt, seinerzeit nicht wirksam ausüben. Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit erst zu Beginn des Jahres 2007 und der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Jahre 2005 in Kraft getreten sind, also weit nach Abschluss des Arbeitsvertrages.

3.

Die Beklagte gab während des bestehenden Arbeitsverhältnisses keine Erklärungen ab, die als Kürzung des Erholungsurlaubs in der Elternzeit zu verstehen wären.

a)

Möchte der Arbeitgeber den Anspruch auf Erholungsurlaub kürzen, muss er sein Kürzungsrecht ausüben. Dazu ist eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich, die dem Arbeitnehmer zugehen muss (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 31; 19. Mai 2015 - 9 AZR 725/13 - Rn. 12, BAGE 151, 360). Die Kürzungserklärung kann ausdrücklich oder stillschweigend abgegeben werden. Dazu ist es ausreichend, dass dem Arbeitnehmer - abweichend von seinem Urlaubsverlangen - nur der gekürzte Urlaub gewährt wird oder für ihn aufgrund sonstiger Umstände erkennbar ist, dass der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht ausüben will (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 31 mwN).

b)

Die Beklagte gab weder ausdrücklich noch konkludent eine solche Kürzungserklärung ab. Wie sie selbst vorträgt, verlangte die Klägerin während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu keinem Zeitpunkt den nunmehr abzugeltenden Urlaub; dementsprechend verhielt sich die über Urlaubsansprüche geführte Korrespondenz ausschließlich zu den nicht streitgegenständlichen fünf Urlaubstagen aus dem Jahre 2002. Dem Schweigen der Beklagten zu Ansprüchen, welche die Klägerin bis dahin nicht geltend gemacht oder auch nur erwähnt hatte, lässt sich nicht der Erklärungsgehalt beilegen, dass für die Elternzeit Urlaub nicht gewährt werden solle.

Der "Bestätigung der Elternzeit" vom 15. Juli 2004 lässt sich ebenfalls kein Hinweis auf den Willen der Beklagten entnehmen, der Klägerin keinen oder nur einen gekürzten Urlaubsanspruch zu gewähren. Das Schreiben verhält sich nur zu einem außerhalb der Elternzeit im Jahre 2002 entstandenen Urlaubsanspruch und zu einem Arbeitszeitkonto, trifft aber keine Aussage zu Urlaubsansprüchen für den Streitzeitraum.

4.

Die Urlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2003 bis 2007 sind nicht verfallen. Das Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG findet während der Elternzeit keine Anwendung. Die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BEEG gehen § 7 Abs. 3 BUrlG vor (BAG 19. März 2019 - 9 AZR 362/18 - Rn. 17; 19. März 2019 - 9 AZR 495/17 - Rn. 12 ff., BAGE 166, 189). Nach dem Ende der Elternzeit setzten die Parteien das Arbeitsverhältnis nicht erneut in Vollzug, sondern vereinbarten sein Ruhen, bis es im unmittelbaren Anschluss daran einvernehmlich beendet wurde. Die in § 17 Abs. 3 BEEG normierten Abgeltungsvoraussetzungen sind somit erfüllt. Auf die Ausführungen der Beklagten zur Hinweisobliegenheit des Arbeitgebers kommt es nicht an, denn diese spielt nur im Rahmen der Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes eine Rolle, nicht aber für den hier interessierenden Erholungsurlaub während der Elternzeit.

5.

Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist nicht verjährt. Gemäß § 17 Abs. 3 BEEG entstand er erst, nachdem das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Elternzeit nicht fortgesetzt wurde, mithin im Jahre 2022. Mit ihrer im Jahre 2023 erhobenen Klage hat die Klägerin die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) gewahrt.

6.

Die von der Beklagten erhobene Einwendung des Rechtsmissbrauchs greift nicht durch. Die Klägerin war nicht gehalten, im laufenden Arbeitsverhältnis auf das Bestehen von Ansprüchen hinzuweisen, um der Beklagten die Gelegenheit zu geben, sie durch eine Kürzungserklärung abzuwenden. Dies gilt unabhängig davon, ob der Klägerin das Bestehen dieser Ansprüche während des bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits bekannt war. Sie war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, ihre Arbeitgeberin, eine Gebietskörperschaft, unter Hintanstellung eigener Interessen vor der Inanspruchnahme zu schützen. Daher verhielt sie sich auch nicht widersprüchlich, indem sie mit der Geltendmachung bis nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuwartete.

7.

Anders als die Klägerin meint, besteht der Zinsanspruch nicht bereits ab dem Tage, der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgte. Zwar wurde der Anspruch an jenem Tage fällig, doch ist keiner der Tatbestände gegeben, die gemäß § 286 Abs. 2 BGB die Mahnung entbehrlich machen. Insbesondere besteht keine Kalenderfälligkeit im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zinsen schuldet die Beklagte daher erst ab dem Tage, der auf den Zugang der Mahnung vom 16. August 2022 (Bl. 14 bis 16 d.A.) folgte, also seit dem 17. August 2022.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV.

Die Zulassung der Revision für die Beklagte folgt aus der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Soweit ersichtlich, war das Verhältnis von § 17 Abs. 1 BEEG zu der Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD bisher nicht Gegenstand der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Dagegen bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision für die Klägerin zuzulassen. Sie wird auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72b ArbGG) hingewiesen.