Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.04.2024, Az.: 14 Sa 736/23

Auskunftsanspruch i.R.d. Ermittlung der gesetzeskonformen Vergütung eines langjährig freigestellten Betriebsratsmitglieds

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
26.04.2024
Aktenzeichen
14 Sa 736/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 16186
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0426.14Sa736.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 21.09.2023 - AZ: 7 Ca 116/23

Fundstellen

  • ArbR 2024, 343
  • ArbRB 2024, 236-237
  • GWR 2024, 375
  • RdW 2024, 781-782

Redaktioneller Leitsatz

§ 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII bezeichnet Berufskrankheiten als Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung in Form der Berufskrankheiten-Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Einwirkungen sowie zwischen diesen und der Erkrankung hat sich nach dem Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu beurteilen.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das "Teil-Anerkenntnis-Urteil und Schluss-Urteil" des Arbeitsgerichts Hannover vom 21.09.2023 - 7 Ca 116/23 - teilweise abgeändert und im Tenor zu 3. nach dem letzten Wort wie folgt ergänzt: "und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen."

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den erstinstanzlichen Kosten haben die Klägerin 96,4 % zu tragen und der Beklagte 3,6 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Beklagte 16 % und die Klägerin 84 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.930,96 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über einen Auskunftsanspruch im Rahmen der Ermittlung der gesetzeskonformen Vergütung eines langjährig freigestellten Betriebsratsmitglieds; weiterer Gegenstand der Berufung ist ein unstreitiger Zinsanspruch.

Der Beklagte ist bei der Klägerin seit September 1991 beschäftigt. Er absolvierte bei ihr zunächst eine Berufsausbildung zum Konstruktionsmechaniker Feinblechteile und war zuletzt als Werkzeugmacher eingesetzt und in die Entgeltstufe (ES) 13 des Haustarifvertrages eingruppiert. Seit dem 25.09.2013 ist er durchgehend Mitglied des Betriebsrates und von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Im Verlaufe seiner Amtszeit wurde er in die ES 14 höhergruppiert. Weiterhin erhält er eine Pauschale für entgangene Zuschläge, Mehrarbeitsvergütungen und Boni.

Nach Bekanntwerden des Urteils des BGH vom 10.01.2023 - 6 StR 133/22 - unterzog die Klägerin die Vergütung der Betriebsratsmitglieder einer Überprüfung und hat anschließend vorliegend Klage erhoben auf Rückzahlung von Entgelt sowie Feststellung der zutreffenden Eingruppierung (anfangs ES 13, zuletzt ES 14) und Vergleichsgruppe. Widerklagend hat der Beklagte seinerseits eine Lohnforderung, Feststellung der Eingruppierung in die ES 15 und einen Auskunftsanspruch geltend gemacht.

Soweit es für die allein vom Beklagten eingelegte Berufung von Bedeutung ist, hat er die Auffassung vertreten, es sei nicht richtig, die dem Beklagten zu zahlende fiktive Mehrarbeitsvergütung, die Schichtzulagen etc. solchermaßen pauschaliert zu berechnen, wie die Klägerin dies seit Jahren tue. Auch insoweit sei auf die sehr viel kleinere Gruppe der für den Beklagten zutreffenden Referenzpersonen, nämlich der damaligen Kollegen aus derselben Organisationseinheit und mit derselben Entgeltgruppe abzustellen. Damit der Beklagte die Berechnung der Klägerin nachprüfen könne, müsse ihm die Klägerin Auskunft erteilen über die Vergütung und deren Zusammensetzung, die sie denjenigen Arbeitnehmern zahle, welche Referenzpersonen für die Nachzeichnung seiner beruflichen Entwicklung seien.

Der Beklagte hat, soweit für die Berufung von Bedeutung, widerklagend beantragt,

  1. 1.

    ...,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach Entgeltstufe (ES) 15 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der IG Metall vom 05. März 2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis), zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG (Anlage B 2) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

  3. 3.

    die Klägerin zu verpflichten, dem Beklagten unter Vorlage von Abrechnungen oder vergleichbarer Nachweise, aus welchen die Klarnamen erkennbar sind, Auskunft zu erteilen über die Vergütung, die an

    ...

    seit dem 25.09.2013 gezahlt wurde, unter Aufschlüsselung der Vergütungsbestandteile nach Grundvergütung, Schichtvergütung, Mehrarbeitsvergütung sowie Boni und Sonderzahlungen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag aus der Widerklage ohne die Nebenforderung entsprochen und den Auskunftsantrag abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte seine erstinstanzlichen Ansprüche im Umfang der Abweisung weiter: Die Ablehnung des Zinsanspruches habe das Arbeitsgericht nicht begründet. Ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Vergleichspersonen an der Vertraulichkeit ihrer Einkommensverhältnisse sei nicht gegeben. Andernfalls würde dies dazu führen, dass einem freigestellten Betriebsratsmitglied keine Möglichkeit eröffnet wäre, Vergütungsentwicklungen geltend zu machen. Fehler und Benachteiligungen könnten nicht aufgedeckt werden. Der Beklagte benötige die beantragten Daten, um zu ermitteln, welche Schichtvergütung und Mehrarbeitsvergütung tatsächlich an seine Vergleichspersonen gezahlt werde.

Der Beklagte beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach Entgeltstufe (ES) 15 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der IG Metall vom 05. März 2018 in der Fassung vom 01.06.2023 zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG (Anlage B 2) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

  2. 2.

    die Klägerin zu verpflichten, dem Beklagten unter Vorlage von Abrechnungen oder vergleichbarer Nachweise, aus welchen die Klarnamen erkennbar sind, Auskunft zu erteilen über die Vergütung, die an

    ...

    seit dem 25.09.2013 gezahlt wurde, unter Aufschlüsselung der Vergütungsbestandteile nach Grundvergütung, Schichtvergütung, Mehrarbeitsvergütung sowie Boni und Sonderzahlungen.

Die Klägerin stellt den Zinsantrag unstreitig und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil hinsichtlich des Auskunftsanspruches: Im Rahmen des Lohnausfallprinzips sei auch eine hypothetische Betrachtung anzustellen, in welcher Höhe das Betriebsratsmitglied entsprechende Mehrarbeits- und Schichtvergütung erhalten hätte. Auf die Zahlungen an die vergleichbaren Arbeitnehmer nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG komme es hingegen nicht an. Im Ergebnis seien die Zahlungen an die genannten Mitarbeiter für einen Anspruch des Beklagten nach § 37 Abs. 2 BetrVG also irrelevant. Ferner stünden dem Anspruch auf Offenlegung der gesamten Gehaltsabrechnungen seit September 2013 der Grundsatz der Datenminimierung aus Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO und die Persönlichkeitsrechte der genannten Personen entgegen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

I. Soweit der Beklagte in seiner Berufungsschrift zunächst den erstinstanzlich vollständig zu seinen Gunsten ausgeurteilten Widerklageantrag zu 1. wiederholt hatte, handelt es sich offenbar um ein unerhebliches Schreibversehen, das für die Berufung ohne Bedeutung blieb.

II. 1. Hinsichtlich des Zinsantrages im Antrag zu 1. ist die Berufung begründet. Das Rechtsschutzbegehren des Beklagten zielt nach der Berufungsbegründung allein auf die erstinstanzlich abgewiesene Nebenforderung, die zugesprochene Hauptforderung wurde nur zu Klarstellungszwecken wiederholt. Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass die Differenzbeträge gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 BGB iVm. § 22.2 Abs. 2 MTV entsprechend zu verzinsen sind (vgl. BAG 26.04.2023 - 4 AZR 275/20 - Rn. 48).

2. Hinsichtlich des Auskunftsanspruches zu 2. ist die Berufung unbegründet.

a) Soweit der Beklagte "Abrechnungen oder vergleichbare Nachweise" begehrt ist die Widerklage teilweise unzulässig. Unter Abrechnungen verstehen die Parteien nach dem insoweit unwidersprochenen Sachvortrag der Klägerin die üblichen dem Arbeitnehmer erteilten Lohnabrechnungen und insoweit ist der Antrag hinreichend bestimmt. "Vergleichbare Nachweise" dagegen sind einer Zwangsvollstreckung nicht zugänglich. Es bleibt auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gegebenen Hinweis völlig unklar, was hiermit gemeint sein könnte.

b) Der Antrag ist im Übrigen ersichtlich unbegründet. Der Beklagte hat keinen Anspruch darauf, noch dazu gegen den erklärten Willen seiner Kollegen, deren Lohnabrechnungen seit 2013 vorgelegt zu bekommen.

Der Antrag ist so zu verstehen, dass der Beklagte neben der Auskunft über die im Einzelnen aufgeschlüsselte Vergütung seiner Kollegen auch die Vorlage der Abrechnungen als Nachweis verlangt. Die Klägerin beruft sich, wie auch schon erstinstanzlich, auf entgegenstehende gesetzliche Vorschriften unter besonderer Betonung der Datensparsamkeit und der zu berücksichtigenden Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeiter. Der Beklagte setzt diesem Einwand entgegen, dass er die beantragten Daten benötige. Daher kann der Antrag nicht so zu verstehen sein, dass der Beklagte jedenfalls auch eine schlichte Auskunft über aufgeschlüsselte, ggf. durchschnittliche, Vergütungsbestandteile fordert, er begehrt die Auskunft einschließlich der Nachweise so wie beantragt.

Die Herausgabe der Abrechnungen wäre nicht rechtmäßig und kann somit von der Klägerin nicht verlangt werden. Gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1 f) DSGVO ist die Verarbeitung von Daten nur rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte oder Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Die Weitergabe der Lohnabrechnungen wäre als Offenlegung durch Übermittlung von auf eine natürliche Person bezogenen Informationen gemäß Art. 4 Nr. 1. und 2. DSGVO eine Verarbeitung personenbezogener Daten. Betroffen wäre hier das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der genannten Kollegen. Die Lohnabrechnungen der Klägerin enthalten, wie aus der Anlage K2 ersichtlich zusammengefasst zahlreiche sehr persönliche und höchst geheimhaltungsbedürftige Daten. Genannt werden etwa neben dem Einkommen die private Wohnanschrift, die Personalnummer, das Geburtsdatum, das Eintrittsdatum, die Steueridentifikationsnummer, die Sozialversicherungsnummer, die gewählte Krankenkasse, die Religionszugehörigkeit, die Kinderfreibeträge, die Steuerklasse und Gewerkschaftsbeiträge. Berechtigte Interessen des Beklagten, diese sensiblen Daten in Erfahrung zu bringen, sind nicht erkennbar. Er erklärt auch keinen Zusammenhang zu seinem dahinterstehenden Anliegen. Soweit er mit seinem Antrag zum Ausdruck bringt, dass die Klägerin ihm unter Zurückstellung der Grundfreiheiten seiner Kollegen diese Daten in ihrer Gesamtheit zur Verfügung stellen müsste, um einen vermeintlichen Anspruch auf Erstellung eines "Nachweises" zu erfüllen, ist eine Anspruchsgrundlage nicht erkennbar. Es ist keinesfalls so, dass dem Beklagten, wie er ausführt, keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht, Vergütungsentwicklungen geltend zu machen. Dem Beklagten müsste eigentlich auch ohne das vorliegende Urteil klar sein, dass ihn diese Informationen überhaupt nichts angehen. Das vom Beklagten zitierte Urteil des LAG München (22.12.2005 - 4 Sa 736/05 -) enthielt im Übrigen einen weitaus weniger in die Persönlichkeitsrechte des Kollegen eingreifenden Klagantrag und ist insoweit schon mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

Daher kann es dahinstehen, ob der Beklagte einen Anspruch gegen die Klägerin auf ggf. anonymisierte Auskunft über die an die genannten Kollegen gezahlten aufgeschlüsselten Vergütungen hat, noch dazu seit 2013, woran nicht unerhebliche Zweifel bestehen. Die dem Beklagten nach dem Lohnausfallprinzip zu zahlenden Vergütungsbestandteile dürften jedenfalls zum nicht unerheblichen Teil aus mitbestimmten Informationsquellen ermittelbar sein, ohne in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Kollegen eingreifen zu müssen.

Auch eine Würdigung des weiteren Sachvortrags der Parteien, von deren Darstellung im Einzelnen Abstand genommen wird, führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 92 ZPO nach dem wechselseitigen Obsiegen und Unterliegen der Parteien in beiden Instanzen. Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Berufungsverfahren hat das Gericht für den zum Hauptantrag gewordenen Zinsantrag einen Wert in Höhe des 36fachen Betrages des monatlichen Zinsbetrages auf 300,- Euro, somit 930,96 Euro, und für den Auskunftsantrag einen Wert von 5.000,- Euro als angemessen erachtet.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Gegen diese Entscheidung ist daher kein Rechtsmittel gegeben.