Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.07.2024, Az.: 4 Sa 536/23

Vergütung eines Arbeitnehmers als freigestelltes Betriebsratsmitglied nach der Entgeltstufe Tarif Plus I

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
29.07.2024
Aktenzeichen
4 Sa 536/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 24062
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0729.4Sa536.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Emden - 05.07.2023 - AZ: 2 Ca 280/22 E

Fundstelle

  • ArbR 2024, 533

Amtlicher Leitsatz

Allein eine nicht in die Tat umgesetzte Zusage/Mitteilung an ein Betriebsratsmitglied, ihn nach einem bei der Arbeitgeberin geltenden "Tarif Plus I" zu vergüten, stellt noch keine Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds nach § 78 Satz 2 BetrVG dar. Jedenfalls dann nicht, wenn die Voraussetzungen für eine Zuordnung zu dem Tarif Plus I nicht vorliegen oder ein etwaig geschlossener Änderungsvertrag auf Vergütung nach dem Tarif Plus I ohnehin nach § 134 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG nichtig ist.

Tenor:

  1. I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 05.07.2023 - 2 Ca 280/22 E - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

    Die Klage und die Widerklage werden abgewiesen.

  2. II.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 31% und die Beklagte zu 69%.

  3. III.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Vergütung des Klägers als freigestelltes Betriebsratsmitglied.

Der Kläger ist seit dem 01.09.1987 bei der Beklagten beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis gelten kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die zwischen der Beklagten und der IG Metall abgeschlossenen Haustarifverträge. Hierzu gehört ua. der Rahmentarifvertrag zur Eingruppierung (RTVE) sowie der Rahmentarifvertrag für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion - Tarif Plus - (im Folgenden Tarif Plus). Nach § 1.2 gilt der Tarif Plus für alle Tarifbeschäftigten der Beklagten, die Mitglied der IG Metall sind und die Tätigkeiten ausüben, die über die in der Entgeltstufe 19 des § 13.2 RTVE in der jeweils geltenden Fassung beschriebenen Anforderungen hinausgehen, mit Ausnahme von Beschäftigten, die mit Sonderverträgen beschäftigt sind, die über den Rahmen des Entgelttarifvertrages für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion - Tarif Plus - sowie dieses Tarifvertrages hinausgehen.

Bei der Beklagten handelt es sich um einen Automobilhersteller mit ca. 120.000 Mitarbeitern an 6 Standorten in Deutschland.

Der Kläger ist seit dem Jahr 2006 Mitglied des bei der Beklagten existenten Betriebsrats und seit dem 28.04.2006 vollständig freigestellt. Zum Zeitpunkt der Amtsübernahme war der Kläger als Elektriker tätig und in die Entgeltstufe 13 RTVE eingruppiert.

Mit Schreiben vom 12.11.2007 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Kommission Betriebsratsvergütung das Arbeitsentgelt entsprechend der mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG angepasst und zum 01.01.2008 nach Entgeltstufe 15 erhöht habe (Anlage K2 zum Schriftsatz des Klägers vom 26.05.2024). Mit gleichgelagertem Schreiben der Beklagten vom 27.11.2009 erfolgte zum 01.01.2010 eine Anpassung nach der Entgeltstufe 16, zum 01.01.2012 nach der Entgeltstufe 17 (Schreiben vom 12.12.2011), zum 01.01.2014 nach der Entgeltstufe 18 (Schreiben vom 13.12.2013), zum 01.06.2015 nach der Entgeltstufe 19 (Schreiben vom 13.05.2015) und zum 01.01.2017 nach der Entgeltstufe 20 (Schreiben vom 13.12.2016).

Der Kläger absolvierte während seiner Betriebsratstätigkeit über 60 Fachseminare, wobei diese nach seinem Vorbringen teilweise auch einen unmittelbaren inhaltlichen Bezug zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit aufwiesen. Er hat auch den bei der Beklagten installierten Ernennungsprozess, der mit dem Erwerb der Führungslizenz abgeschlossen wird, im Jahr 2017 erfolgreich durchlaufen.

Dem Kläger wurde im Jahr 2018 die Stelle des Leiters Personal Service Center (Lackiererei, Sonderfahrzeug) angeboten. Der Kläger war nach Anschauung des Personalleiters des Standorts A-Stadt die Idealbesetzung für diese Position. Der Kläger lehnte dieses Angebot ab, weil er kurz zuvor zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt wurde und im Betriebsrat bleiben wollte. Der Kläger lehnte ebenfalls eine im Jahr 2021 ihm angebotene Position des Unterabteilungsleiters in der Bahnverladung ab sowie die Stelle als Koordinator in der V. Akademie wegen seiner Betriebsratstätigkeit ab.

Am 08.10.2020 veröffentlichte die Beklagte die interne Stellenausschreibung "Pressesprecher Werk A-Stadt Unterabteilungsleiter (kaufm.) - TB 143" (Anlage K1, vorgelegt letztlich mit Schriftsatz vom 29.07.2024).

Die hiermit einhergehenden Aufgaben werden dort wie folgt beschrieben:

  • Leiten der Unterabteilungen Kommunikation und Besucherdienst inkl. fachliche/disziplinarische Führung der Mitarbeiter

  • Redaktionelles Erarbeiten von Themen, Nachrichten und Meldungen sowie deren Vorbereitung zur internen und externen Veröffentlichung durch Abstimmen der Inhalte mit den relevanten Stellen

  • Planen, Entwickeln und Betreuen von öffentlichkeitswirksamen Aktionen

  • Konzepte zur Beratung und Betreuung der Fachbereiche einschließlich redaktionelles Erarbeiten von unternehmensrelevanten Meldungen

  • Ansprechpartner für Medienvertreter/Pressesprecher des Werkes A-Stadt

Folgende Qualifikationen und Kompetenzen sollen mitgebracht werden:

  • abgeschlossenes Fach-/Hochschulstudium der Fachrichtung Kommunikationsmanagement, Journalismus/Medienmanagement oder eine vergleichbare Qualifikation

  • Erfahrungen in der Pressearbeit sowie mit dem Erstellen von print- und digitalen Medien

  • Geschick im Umgang mit Presse, Kunden und Kollegen

  • Ausdrucksfähigkeit in Wort und Schrift sollten in besonderer Ausprägung vorhanden sein

  • Führungslizenz der A. AG (die Entwicklung dahin ist möglich)

Unter der Überschrift "Zusatzinformationen" heißt es, dass vorgesehen ist, die Stelle ab Entgeltstufe 17 zu vergüten. Unter der Überschrift "Leistungen" heißt es, dass eine Weiterentwicklung in den Tarif Plus grundsätzlich möglich ist.

Der Kläger, der wie die Stelleninhaberin und deren Vorgänger in dieser Position nicht über das geforderte Fach-/Hochschulstudium verfügt, bewarb sich auf die Position des "Pressesprecher Werk A-Stadt (TB 143)" eigeninitiativ. Er setzte sich im Bewerbungsgespräch, welches mit 9 Kandidaten durchgeführt wurde, als bester Kandidat mit der höchsten Punktzahl durch. Ihm wurde hieraufhin die Stelle am 17.12.2020 zum 01.01.2021 angeboten. Gleichzeitig wurde dem Kläger zugesagt, dass er bei Übernahme der Position zum 01.04.2021 in den Bereich Tarif Plus I eingruppiert werde. Über diesen Umstand informierte die zuständige Personalleiterin R. den für die Festsetzung der Betriebsratsvergütung zuständigen Mitarbeiter der Beklagten O. per E-Mail vom 17.12.2020. Die E-Mail, die als Anlage K5 in der Klageschrift vom 22.08.2022 bezeichnet wurde, legte der Kläger trotz Aufforderung des Arbeitsgerichts vom 25.08.2022 (Blatt 11 der Akte), Aufforderung vom 05.07.2023 (Blatt 194 der Akte) und auch auf weitere Aufforderung im Berufungsverfahren (vgl. Auflagenbeschluss vom 28.05.2024, Blatt 411 der Akte) nicht vor.

Der Kläger lehnte das Stellenangebot ab, da er weiterhin seinem Ehrenamt als Betriebsrat nachgehen wollte.

Entgegen der Ankündigung, den Kläger ab dem 01.04.2021 nach dem Tarif Plus I zu vergüten, vergütete die Beklagte den Kläger weiterhin nach der Entgeltstufe 20 RTVE. Hintergrund hierfür war, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig seit dem Jahr 2017 gegen verschiedene (ehemalige) Mitarbeiter der Beklagten wegen des Verdachts, Betriebsratsmitglieder eine Vergütung zu gewähren, die nicht mehr rechtmäßig im Sinne des BetrVG angesehen werden könne, ermittelte.

Wegen der Entscheidung des Landgerichts Braunschweig vom 28.09.2021 - 16 KLs 406 Js 59398/16 (85/19) - und der anschließenden Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 - 6 StR 133/22 - unterzog die Beklagte Anfang des Jahres 2023 die Vergleichsgruppenbildung im Fall des Klägers einer erneuten Überprüfung. Als Vergleichsmerkmale wurden herangezogen eine im Wesentlichen gleiche Tätigkeit in demselben Betrieb, eine ähnliche Qualifikation (insbesondere schulische und fachliche Ausbildung), Eingruppierung in dieselbe Tarifgruppe und vergleichbares Lebensalter, Einstellungsdatum und Dauer der Betriebszugehörigkeit. Im Falle des Klägers ermittelte die Beklagte 9 potentielle Vergleichspersonen, die zum Zeitpunkt der Amtsübernahme am 28.04.2006 am Standort im Werk A-Stadt nach der Entgeltstufe 13 RTVE als Elektriker vergütet wurden. Der Median dieser so gebildeten Vergleichsgruppe entwickelte sich nach dem Vorbringen der Beklagten in die Entgeltstufe 15 RTVE.

Mit Schreiben vom 30.01.2023 teilte die Beklagte dem Kläger gegenüber mit, dass sie derzeit prüfe, ob und falls ja welche Auswirkungen das Urteil des BGH auf die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern haben könne. Aus diesem Grund erfolge die Auszahlung des Gehalts ab Januar 2023 nur noch unter dem Vorbehalt der rückwirkenden Anpassung auf den Median der Vergleichsgruppe. Wegen des Inhalts des Schreibens im Einzelnen wird auf die Anlage B5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 03.05.2023, Blatt 115 der Akte, Bezug genommen.

Ab Februar 2023 kürzte die Beklagte die Vergütung des Klägers um 1.277,00 € brutto. Hierzu führte die Beklagte in einem Schreiben vom 27.02.2023 aus, dass der Median der Vergleichsgruppe derzeit in der Entgeltstufe 15 / 5.477,00 € liege. Die für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 überzahlte Vergütung müsse sie zurückverlangen. Ein in dem Schreiben zudem enthaltenes Angebot auf Abschluss einer Sondervereinbarung nahm der Kläger nicht an.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf eine Eingruppierung in den Tarif Plus I, da er sich hypothetisch zum Pressesprecher im Werk A-Stadt entwickelt hätte. Die Widerklage sei abzuweisen. Er hat die Richtigkeit der von der Beklagten gebildete Vergleichsgruppe und einer damit einhergehende Entwicklung nach der Entgeltstufe 15 RTVE bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger rückwirkend ab dem 1. April 2021 gemäß der Entgeltstufe Tarif Plus I, innerhalb der Bandbreite der Entgeltstufe zu einem Monatsgrundgehalt in Höhe von mindestens 7.847,50 € brutto (Stand 1/2022), unter Berücksichtigung der jeweiligen betriebsüblichen Entgelterhöhungen, inklusive aller statusbezogenen Nebenleistungen, einzugruppieren und zu vergüten.

  2. 2.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2021, (zu zahlen).

  3. 3.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2021, (zu zahlen).

  4. 4.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2021, (zu zahlen).

  5. 5.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2021, (zu zahlen).

  6. 6.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2021, (zu zahlen).

  7. 7.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2021, (zu zahlen).

  8. 8.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2021, (zu zahlen).

  9. 9.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2021, (zu zahlen).

  10. 10.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 737 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2022, (zu zahlen).

  11. 11.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2022, (zu zahlen).

  12. 12.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2022, (zu zahlen).

  13. 13.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2022, (zu zahlen).

  14. 14.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2022, (zu zahlen).

  15. 15.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2022, (zu zahlen).

  16. 16.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2022, (zu zahlen).

  17. 17.

    Die Beklagte ist verpflichtet, (an) den Kläger 754 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2022, (zu zahlen).

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat die Beklagte beantragt,

  1. 1.

    den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte EUR 6.608,06 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils EUR 1.652,02 seit 31.10.2022, 30.11.2022, 31.12.2022 und 31.01.2023 zu zahlen,

  2. 2.

    festzustellen, dass der Kläger zutreffend in Entgeltgruppe 15 eingruppiert und entsprechend dieser Entgeltgruppe, vorbehaltlich einer tariflichen Änderung, mit einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von EUR 5.466,50 zu vergüten ist und

  3. 3.

    festzustellen, dass die von der Beklagten für den Kläger gebildete Vergleichsgruppe zutreffend gebildet und die Entwicklung seiner Vergütung anhand ihres Medians zu bemessen ist.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der vom Kläger begehrten Vergütungsanpassung stehe das Urteil des BGH vom 10.01.2023 - 6 StR 133/22 - entgegen, welches die Umsetzung einer hypothetischen Karriere nach § 78 Satz 2 BetrVG nur dann zulasse, wenn die Mehrheit der Vergleichspersonen ebenfalls eine solche Entwicklung genommen habe.

Zur Widerklage hat die Beklagte die Auffassung vertreten, für die Ermittlung der Höhe des Entgelts, dass während der Freistellung von der beruflichen Tätigkeit an Betriebsratsmitglieder zu zahlen sei, sei gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG die Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung maßgeblich. Die Mehrheit der Vergleichspersonen habe lediglich einen Entgeltsprung in die Entgeltstufe 15 RTVE erreicht. Ihr stehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung zu. In Höhe der geltend gemachten Rückforderung habe der Kläger Entgelt ohne rechtlichen Grund erlangt, darüberhinausgehenden Zahlungen verstießen gegen das Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands, insbesondere des beruflichen Werdegangs des Klägers im Einzelnen, des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich zuletzt gestellten Klageanträge wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Emden vom 05.07.2023 Bezug genommen.

Am 05.07.2023 hat das Arbeitsgericht der Klage im Wege eines Teil-Urteils stattgegeben und zum einen festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger jedenfalls ab dem 01.05.2022 gemäß der Entgeltstufe I Tarif Plus zu vergüten. Zum anderen hat es die Beklagte zur Zahlung von 754,00 € brutto jeweils für die Monate Mai bis Juli 2022 verurteilt. Die Widerklage der Beklagten hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Der Kläger habe gegen die Beklagte gemäß § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltstufe I Tarif Plus. Die Ablehnung der Beklagten, dem Kläger das Entgelt nach der Entgeltstufe Tarif Plus I wegen der Weiterführung seines Betriebsratsamts anzupassen, stelle eine unzulässige Benachteiligung des Klägers nach § 78 Satz 2 BetrVG dar. Dem stehe § 37 Abs. 4 BetrVG nicht entgegen, da dieser nur einen Anspruch auf die Mindestvergütung in Höhe des Arbeitsentgelts (ursprünglich) vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung gewähre. Dass die Vergütung gemäß der Entgeltstufe I Tarif Plus unüblich hoch sei, habe die Beklagte nicht geltend gemacht. Da der Kläger jedenfalls ab Mai 2022 einen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltstufe I Tarif Plus habe, sei die Widerklage im Umkehrschluss unbegründet. Über die Anträge zu 2 - 14 der Klageschrift hat das Arbeitsgericht mangels Vorbringens der Parteien zur Einhaltung der Ausschlussfrist nach § 23 MTV nicht entschieden.

Gegen das der Beklagten am 13.07.2023 zugestellte Urteil richtet sich deren am 11.08.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie mit einem am 13.10.2023 eingegangen Schriftsatz, innerhalb der bis dahin verlängerten Berufungsbegründungsfrist, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Arbeitsgericht habe ihr eine Verpflichtung auferlegt, deren Erfüllung die Mitglieder ihrer Unternehmensleitung einem Risiko persönlicher Strafverfolgung aussetze. Der Kläger habe lediglich nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG einen Anspruch auf Eingruppierung in die Entgeltstufe 15 RTVE, einer weitergehende Vergütungsentwicklung nach § 78 Satz 2 BetrVG entspreche nicht den Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung. Die mit dem Kläger zum Zeitpunkt der Amtsübernahme vergleichbaren Arbeitnehmer hätten sich im Median von der Entgeltstufe 13 RTVE - Vergütungsgruppe des Klägers als Elektriker zum Zeitpunkt der Amtsübernahme - in die Entgeltstufe 15 RTVE entwickelt. Eine über die Vergleichsgruppenbetrachtung hinausgehende Entgeltentwicklung sei nach der Rechtsprechung des BGH nur gerechtfertigt, wenn feststehe, dass das Betriebsratsmitglied allein wegen seines Amts nicht in eine höherdotierte Position aufgestiegen sei. Zudem gehe der BGH davon aus, dass § 37 Abs. 4 BetrVG es generell ausschließe, die Betriebsratsarbeit als solche oder im Amt erworbene Fähigkeiten und Qualifikationen zu Vergütungszwecken heranzuziehen. Wäre der Kläger nicht in den Betriebsrat gewählt worden, hätte ihm bei Erwerb entsprechender Abschlüsse eine berufliche Entwicklung bspw. als Meister offen gestanden. Pressesprecher bei der Beklagten hätte er hingegen nicht werden können. Das Arbeitsgericht gehe in dem Urteil nicht auf die für sie wichtige Frage ein, wie sie einer durch die Arbeitsgerichtsbarkeit auferlegten Verpflichtung nachkommen solle, deren Erfüllung zugleich von der Strafgerichtsbarkeit für strafbar erklärt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 05.07.2023 - 2 Ca 280/22 E - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  1. 1.

    den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte EUR 6.608,06 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils EUR 1.652,02 seit 31.10.2022, 30.11.2022, 31.12.2022 und 31.01.2023 zu zahlen,

  2. 2.

    festzustellen, dass der Kläger zutreffend in Entgeltgruppe 15 eingruppiert und entsprechend dieser Entgeltgruppe, vorbehaltlich einer tariflichen Änderung, mit einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von EUR 5.466,50 zu vergüten ist und

  3. 3.

    festzustellen, dass die von der Beklagten für den Kläger gebildete Vergleichsgruppe zutreffend gebildet und die Entwicklung seiner Vergütung anhand ihres Medians zu bemessen ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ferner stellt der Kläger die erstinstanzlichen Anträge zu 2 - 14 der Klageschrift vom 22.08.2022.

Die Beklagte beantragt,

die Klage auch insoweit abzuweisen.

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Ausführungen.

Die Berufungskammer hat die Anträge zu 2 - 14, über die erstinstanzlich nicht entschieden worden ist, gemäß Beschluss vom 29.07.2024 an sich gezogen und über diese ebenfalls entschieden.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

Obwohl das Arbeitsgericht über die Anträge zu 2 - 14 noch nicht entschieden hat, konnte die Berufungskammer, nachdem es die Anträge nach Gewährung rechtlichen Gehörs an sich gezogen hatte, auch über diese entscheiden. Das vom Arbeitsgericht erlassene Teil-Urteil war unzulässig, weil es wegen der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen nicht unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden konnte. Neben der Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht besteht alternativ die Möglichkeit, die noch beim Arbeitsgericht anhängigen Klageanträge an sich zu ziehen und hierüber ebenfalls zu entscheiden (vgl. BAG 21.03.2024 - 2 AZR 113/23 - Rn. 25 mwN). Eine weitere Verhandlung über die Anträge zu 2 - 14 der Klageschrift war, nachdem unstreitig ist, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger erklärt hat, sich bezüglich der Stellenbewerbung im Jahr 2020 und einer etwaig daraus resultierenden hypothetischen Karriere nach § 78 Satz 2 BetrVG nicht auf die tariflichen Ausschlussfristen zu berufen, nicht erforderlich.

B.

Die Berufung der Beklagten ist zum Teil, hinsichtlich des mit der Berufung angegriffenen Feststellungsantrags zu 1, den Kläger rückwirkend ab dem 01.04.2021 nach der Entgeltstufe Tarif Plus I zu vergüten, begründet, ebenso im Hinblick auf die vom Kläger begehrten Differenzvergütungsansprüche für den Zeitraum von April 2021 bis Juli 2022 (Anträge zu 2 - 17). Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Widerklage wendet.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach dem Tarif Plus I. Der hierauf gerichtete Feststellungsantrag ist schon teilweise unzulässig. Soweit zulässig, ist er unbegründet, ebenso wie die Zahlungsansprüche zu 2 - 17.

1.

Der Feststellungsantrag ist nur zum Teil zulässig.

a)

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Klägers auf Verpflichtung der Beklagten, den Kläger rückwirkend ab dem 01.04.2021 nach der Entgeltstufe Tarif Plus I "einzugruppieren und zu vergüten" zutreffend (stillschweigend) ausgelegt. Für eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger rückwirkend "einzugruppieren", besteht kein Raum, da die Eingruppierung keine vom Arbeitgeber vorzunehmende Handlung ist (vgl. BAG 31. Januar 2018 - 4 AZR 104/17 - Rn. 10).

b)

Der Feststellungsantrag ist, soweit er sich auch auf den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 31.07.2022 bezieht, unzulässig. Es fehlt an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse, da dieser Zeitraum schon durch Zahlungsanträge abgedeckt ist und ein darüberhinausgehendes Interesse an der Feststellung weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist (vgl. BAG 31. Januar 2018 - 4 AZR 104/17 - Rn. 11).

2.

Der Feststellungsantrag ist im Übrigen unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach dem Tarif Plus I.

a)

Der Anspruch auf Vergütung nach dem Tarif Plus I ergibt sich unstreitig nicht aus § 37 Abs. 4 BetrVG. § 37 Abs. 4 BetrVG sichert im Verhältnis zu § 78 S. 2 BetrVG nur einen Anspruch auf die Mindestvergütung in Höhe des Arbeitsentgelts vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung (vgl. Fitting, 32. Aufl. 2024, § 37 BetrVG Rn. 114). Unstreitig liegt das Vergleichsentgelt mit dem Kläger vergleichbarer Arbeitnehmer weit unterhalb einer Vergütung nach dem Tarif Plus I.

b)

Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus einem entsprechenden Angebot der Beklagten auf Umstufung in den Tarif Plus I vom 17.12.2020, welches der Kläger stillschweigend (§ 151 BGB) angenommen hat.

Zwar trägt der Kläger unwidersprochen vor, dass ihm neben dem Angebot, die Position des Pressesprechers zum 01.01.2021 zu übernehmen, gleichzeitig eine Umstufung in den Tarif Plus I zum 01.04.2021 angeboten wurde. Da die Parteien etwaige schriftliche Unterlagen zu dieser Zusage/Mitteilung nicht vorgelegt haben, könnte hieraus der Schluss gezogen werden, dass die Parteien losgelöst von der bei der Beklagten geltenden Eingruppierungsregelungen und einer Zuordnung der Tätigkeit eines Pressesprechers in das Entgeltschema der Beklagten einen Änderungsvertrag mit dem Inhalt geschlossen haben, dass der Kläger ab dem 01.04.2021 nach dem Tarif Plus I vergütet wird. Unterstellt, die Beklagte habe dem Kläger ungeachtet einer Prüfung der tarifvertraglichen Voraussetzungen ein Angebot auf eine Vergütung nach Tarif Plus I gemacht, welches der Kläger angenommen hat, könnte der Vertragsschluss an sich schon eine unzulässige Begünstigung des Klägers mit der Folge der Unwirksamkeit nach § 134 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG darstellen, denn die Beklagte hat ihre Arbeitnehmer - auch ihre Betriebsratsmitglieder - den bei ihr geltenden Entgeltsschema zuzuordnen. Ob die Parteien schon einen nach § 134 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG unwirksamen Änderungsvertrag geschlossen haben, kann dahingestellt bleiben. Denn auch wenn die Beklagte dem Kläger gegenüber lediglich mitgeteilt haben sollte, dass er zum 01.04.2021 nach dem Tarif Plus I zu vergüten ist, liegen hierfür die Voraussetzungen nicht vor.

c)

Unterstellt, die Beklagte habe mit der Zusage/Mitteilung vom 17.12.2020 an den Kläger, ihn ab dem 01.04.2021 nach dem Tarif Plus I zu vergüten, nur ihrer Verpflichtung nachkommen wollen, dem Kläger das ihn weder begünstigende noch benachteiligende Arbeitsentgelt entsprechend seines beruflichen Aufstiegs zu zahlen, ergibt sich ein Anspruch auch nicht aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2, Abs. 4, § 78 Satz 2 BetrVG.

aa)

Die Darlegungs- und Beweislast für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamts trägt grundsätzlich das Betriebsratsmitglied. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Will der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderung einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten. Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist. Hat sich ein freigestellter Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (BAG 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 24 mwN).

bb)

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger, der sich auf die Stelle des Pressesprechers im Werk A-Stadt beworben hat, der am besten geeignete Kandidat war und ihm folgerichtig die Stelle am 17.12.2020 angeboten wurde. Die Beklagte hat ihre Mitteilung vom 17.12.2020, den Kläger ab dem 01.04.2021 Vergütung nach dem Tarif Plus I zu zahlen, wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht in die Tat umgesetzt. Der Kläger erhielt weiterhin Vergütung nach der Entgeltstufe 20 RTVE. Allein die Weigerung der Beklagten, den Kläger entgegen ihrer Zusage/Mitteilung vom 17.12.2020 nach dem Tarif Plus I zu vergüten, stellt keine Benachteiligung des Klägers als Betriebsratsmitglied iSd. § 78 Satz 2 BetrVG dar, jedenfalls dann nicht, wenn die (fiktive) Übernahme der Tätigkeit eines Pressesprechers tatsächlich keine Zuordnung zu dem Tarif Plus I rechtfertigt oder wenn ein etwaig geschlossener (Änderungs)Vertrag zwischen den Parteien mit dem Inhalt, dem Kläger eine Vergütung nach dem Tarif Plus I zu zahlen, nach § 134 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG ohnehin nichtig ist.

(1)

Ungeachtet der vorstehend ausgeführten Darlegungs- und Beweisgrundsätze ist unter Zugrundelegung beiderseitigen Parteivorbringens nicht ersichtlich, dass die Übernahme der Stelle durch den Kläger unter Heranziehung der einschlägigen tariflichen Regelungen eine Eingruppierung in den Tarif Plus I ab dem 01.04.2021 nach sich gezogen hätte, insbesondere auch dann, wenn der Kläger - zu seinen Gunsten unterstellt, die Vergütung nach der Entgeltstufe 20 RTVE sei zutreffend - kein Betriebsratsmitglied wäre.

(a)

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien sah die Stellenbeschreibung vom 08.10.2020 eine Vergütung "ab der Entgeltstufe 17" vor. Der Kläger wurde zu diesem Zeitpunkt in die Entgeltstufe 20 RTVE vergütet.

(b)

Nach § 1.2 Tarif Plus findet dieser Anwendung für alle Tarifbeschäftigten der Beklagten, die Mitglied der IG Metall sind und die Tätigkeiten ausüben, die über die in der Entgeltstufe 19 des § 13.2 RTVE in der jeweils geltenden Fassung beschriebenen Anforderungen hinausgehen, mit Ausnahme von Beschäftigten, die mit Sonderverträgen beschäftigt sind, die über den Rahmen des Entgelttarifvertrages für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion - Tarif Plus - sowie dieses Tarifvertrages hinausgehen.

In die Entgeltstufe 19 sind nach § 13.2 RTVE Beschäftigte eingruppiert, die besondere Aufgaben erledigen, für die durch ihre langjährige Berufserfahrung erworbene Spezialkenntnisse Voraussetzung sind (z.B. ein schwieriges Aufgabengebiet). Bei der ebenfalls noch im RTVE vorgesehenen Entgeltstufe 20 handelt es sich um die Erfahrungsstufe, in welche Beschäftigte spätestens nach 2jähriger Erfahrungszeit in der ungeraden Entgeltstufe eingestuft werden (§ 12.2 RTVE). In die Entgeltstufe 17 RTVE gehören Beschäftigte, die Aufgaben erledigen, für die neben mehrjähriger Berufserfahrung besondere Fachkenntnisse Voraussetzung sind (z.B. ein Aufgabengebiet).

(c)

Unter Zugrundelegung der tarifvertraglichen Regelung ist nicht ersichtlich, welche (fiktiven) Tätigkeiten des Klägers als Pressesprecher eine Zuordnung zu dem Taif Plus I rechtfertigen.

Nach der Stellenausschreibung vom 08.10.2020 handelt es sich bei den hier genannten Aufgaben um solche, die grundsätzlich nach der Entgeltstufe 17 RTVE zu vergüten sind, mithin um Aufgaben, für die neben mehrjähriger Berufserfahrung besondere Fachkenntnisse Voraussetzung sind (Voraussetzung der Entgeltstufe 17 RTVE). Ein anderes Verständnis kann der Stellenbeschreibung nicht entnommen werden, als dass die Beklagte hier eine Verknüpfung der dort beschriebenen Aufgaben mit der Entgeltstufe 17 RTVE herstellt. Aus dem Zusatz, dass eine Vergütung "ab der Entgeltstufe 17" vorgesehen ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass damit jegliche darüberhinausgehende Entgeltstufe auch außerhalb des RTVE einschlägig sein kann. Insbesondere rechtfertigt nach der Stellenausschreibung eine bereits vorhandene Führungslizenz nicht grundsätzlich eine Vergütung nach dem Taif Plus I. Diese wird nach dem Anforderungsprofil der Stellenausschreibung dem Grunde nach ebenfalls vorausgesetzt, ohne dass im Falle des Vorliegens eine andere Entgeltstufe folgt.

Bei den in der Stellenbeschreibung genannten Tätigkeiten handelt es sich damit schon nicht um besondere Aufgaben, für die durch langjährige Berufserfahrung erworbene Spezialkenntnisse Voraussetzung sind (Voraussetzung der Entgeltstufe 19 RTVE). Erst recht handelt es sich bei den in der Stellenbeschreibung genannten Tätigkeiten nicht um solche, die über die Entgeltstufe 19 des § 13.2 RTVE hinausgehen (Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Tarif Plus). Warum allein die Qualifikationen des Klägers, insbesondere die erworbene Führungslizenz und die vielen Weiterbildungen des Klägers eine Eingruppierung in den Tarif Plus I rechtfertigen, erschließt sich unter Zugrundelegung der tariflichen Regelungen nicht.

(2)

Welche Maßstäbe konkret die Beklagte bei der Beurteilung, dem Kläger stehe ab dem 01.04.2021 eine Vergütung nach Tarif Plus I zu, angelegt hat, lässt sich auch dem Vorbringen der Parteien nicht entnehmen.

Die Beklagte lässt hierzu nebulös und ohne Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Regelungen ausführen, dass wo genau ein Bewerber innerhalb der Bandbreite von der Entgeltstufe 17 bis Tarif Plus eingruppiert werde, sich anhand unterschiedlicher Faktoren bestimme. Hierzu zählten insbesondere die Wertigkeit der Tätigkeiten, die auf der Position zu erbringen sei, die Qualifikation des Stelleninhabers sowie seine Vergütung, die er vor Übernahme der Position bereits erreicht habe.

Die Wertigkeit der Tätigkeit entspricht - wie oben ausgeführt - unter Zugrundelegung der Stellenausschreibung und der hier genannten Entgeltstufe grundsätzlich der Entgeltstufe 17 RTVE. Dass und welche darüberhinausgehenden Tätigkeiten die Stelleninhaberin bzw. Vorgänger auf der Stelle, die nach dem Vorbringen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 29.07.2024 ebenfalls nach Tarif Plus I vergütet werden bzw. wurden, obliegen bzw. oblagen, die eine Eingruppierung in Tarif Plus I rechtfertigen, ist nicht vorgetragen. Allein das formale Kriterium der Führungslizenz rechtfertigt nach den tarifvertraglichen Voraussetzungen - soweit ersichtlich - auch keine Zuordnung zum Tarif Plus I. Der Kläger erhielt zum Zeitpunkt des Stellenangebots Vergütung nach der Entgeltstufe 20 RTVE. Mag vor diesem Hintergrund eine Rückstufung in die Entgeltgruppe 17 bis Entgeltgruppen 19 RTVE ausgeschlossen gewesen sein, rechtfertigt dies noch keine Vergütung nach dem Tarif Plus I.

d)

Der Feststellungsantrag war abzuweisen, ebenso wie die mit den Klageanträgen zu 2 - 17 geltend gemachten Differenzvergütung zwischen der Entgeltstufe 20 und dem Tarif Plus I. Die Berufung der Beklagten ist insoweit erfolgreich.

II.

Die Widerklage der Beklagten ist hinsichtlich des Antrags zu 3 unzulässig. Im Übrigen ist sie zulässig, aber unbegründet.

1.

Die Widerklageanträge zu 1 und 2 sind zulässig. Der Widerklageantrag zu 3 ist unzulässig.

a)

Der Feststellungsantrag zu 2 ist nach gebotener Auslegung zulässig. Die Beklagte begehrt der Sache nach die Feststellung ihrer Verpflichtung, den Kläger nach der Entgeltstufe 15 RTVE zu vergüten. Bei dem Zusatz, dass der Kläger zutreffend in die Entgeltgruppe 15 "eingruppiert" ist, handelte es sich nicht um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, da die Eingruppierung keine vom Arbeitgeber vorzunehmende Handlung ist (vgl. BAG 31. Januar 2018 - 4 AZR 104/17 - Rn. 10). Der Zusatz "vorbehaltlich einer tariflichen Änderung" entspricht nicht dem Bestimmtheitserfordernis nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dieser Zusatz ebenso wie der Passus "eingruppiert ist", kann ohne inhaltliche Änderung des Antragsbegehrens, gestrichen werden.

b)

Der Antrag zu 3, mit welchem die Beklagte die Feststellung begehrt, dass die von ihr für den Kläger gebildete Vergleichsgruppe zutreffend gebildet und die Entwicklung seine Vergütung anhand ihres Median zu bemessen sei, ist bereits unzulässig.

Es muss nicht weiter vertieft werden, ob der Antrag schon wegen der hier enthaltenen Begrifflichkeiten, "die von der Beklagten gebildete Vergleichsgruppe", "zutreffend", die sich allenfalls in Zusammenschau mit der Klagebegründung erschließen, hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist. Dem Antrag fehlt jedenfalls das erforderliche Feststellungsinteresse.

aa)

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die Klagepartei ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken - sog. Elementenfeststellungsklage - (BAG 28. Mai 2014 - 5 AZR 794/12 - Rn. 18; 25. März 2015 - 5 AZR 874/12 - Rn. 13 f.). Ein Feststellungsinteresse ist in diesem Fall jedoch nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann. Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen (BAG 25. März 2015 - 5 AZR 874/12 - Rn. 15). Es fehlt, wenn durch die Entscheidung kein Rechtsfrieden geschaffen wird, weil nur einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden (BAG 23. März 2016 - 5 AZR 758/13 - Rn. 16).

bb)

Die von der Beklagten begehrte Feststellung über die zutreffende Vergleichsgruppe wäre für sich genommen nicht geeignet, weitere gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Parteien über die zutreffende Vergütung des Klägers als Betriebsratsmitglied auszuschließen. Die Vergleichsgruppe zur Bestimmung der Vergütung nach § 37 Abs. 4 BetrVG ist nur ein Baustein zur Bestimmung des Arbeitsentgelts von Mitgliedern des Betriebsrats. Zum einen folgt aus der Bildung des Vergleichsgruppe erst das Vergleichsentgelt, zum anderen kann ein Anspruch auf eine der Höhe nach andere Vergütung nach einer anderen Entgeltstufe aus § 611 a Abs. 2 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG bestehen.

2.

Die Widerklage ist, soweit zulässig, unbegründet.

a)

Ob der Kläger nach der Entgeltstufe 15 RTVE zu vergüten ist, kann unter Zugrundelegung des gesamten Vorbringens der hierfür darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten und auch unter Zugrundelegung des gesamten Vorbringens der Parteien nicht festgestellt werden. Der Widerklageantrag zu 2 war abzuweisen.

aa)

Die Darlegungs- und Beweislast für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamts trägt grundsätzlich das Betriebsratsmitglied. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (BAG 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 24 mwN). Spiegelbildlich wechselt die Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitgeber, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend macht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung verstoße gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf eine unzulässige Begünstigung ermöglicht (BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 44; BGH 13. Januar 1983 - III ZR 88/81 - Rn. 23); auch dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der sich auf einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz beruft, diesen beweisen muss (LAG Niederachsen 1. Juli 2024 - 1 Sa 636/23 - zu I. 2. b der Gründe).

bb)

Für die Kammer ist es - wie nunmehr auch für die Beklagte selbst (vgl. Schriftsatz vom 24.06.2024, Seite 2 bis 3) - nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Umstände konkret der Kläger als freigestelltes Betriebsratsmitglied von 2006 bis 2017 eine Entwicklung von der Entgeltstufe 13 hin zur Entgeltstufe 20 RTVE genommen hat. Die Beklagte trägt hierzu vor, dass sich bis zur Umstufung in die Entgeltstufe 16 RTVE im Jahr 2010 keine Vergleichspersonen in der Akte befänden. Das Vorbringen der Beklagten zur Umgruppierung in die Entgeltstufe 16 RTVE ist schon deshalb unschlüssig, weil es sich hierbei um die Erfahrungsstufe von Entgeltstufe 15 RTVE handelt. Die Umstufung des Klägers in die Entgeltstufe 17 RTVE und 19 RTVE begründet die Beklagte mit einer erhöhten Qualifikation des Klägers, ohne vorzutragen, warum allein die vom Kläger erworbenen Qualifikationen unter Zugrundelegung der tarifvertraglichen Eingruppierungsvoraussetzungen eine Umstufung rechtfertigt.

Ungeachtet dessen berücksichtigt die zuletzt vorgenommene Überprüfung der Vergütung durch die Beklagte und der in diesem Zusammenhang gebildeten Vergleichsgruppe mit dem Ergebnis, dass der Kläger nunmehr der Entgeltstufe 15 RTVE zuzuordnen sei, nicht, dass der Kläger nicht nur einen Anspruch auf Erhöhung seines Entgelts in dem Umfang haben kann, in dem das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblichen berufliche Entwicklung gestiegen ist (§ 37 Abs. 4 BetrVG), sondern ein Anspruch auf eine höhere Vergütung auch dann besteht, wenn das Betriebsratsmitglied ohne die Amtstätigkeit in eine Position mit einer höheren Vergütung aufgestiegen wäre (§ 611a Abs. 2 BGB iVm. § 78 Satz 2 BetrVG). Ob der Kläger vor diesem Hintergrund zutreffend nach der Entgeltstufe 15 RTVE vergütet wird, kann unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Beklagten nicht festgestellt werden. Dafür, dass sich der Kläger möglicherweise in eine Position mit einer höheren Vergütung entwickelt hätte, spricht, dass ihm in der Vergangenheit diverse Stellen angeboten wurden, wie im Jahr 2018 die Stelle des Leiters Personal Service Center (Lackiererei, Sonderfahrzeug), im Jahr 2021 die Position des Unterabteilungsleiters in der Bahnverladung sowie die Stelle als Koordinator in der V. Akademie.

Ohne Relevanz ist für die vorliegende Entscheidung, ob nach Auffassung des BGH (Urteil vom 6. Januar 2023 - 6 StR 133/22 -) nach wie vor eine hypothetische berufliche Entwicklung zur Grundlage der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds gemacht werden kann. Maßgeblich für die arbeitsrechtliche Beurteilung dieser Frage ist die Rechtsprechung des BAG zur Reichweite eines Anspruches aus §§ 611a Abs. 2 BGB, 78 S. 2 BetrVG. Sollte es unterschiedliche Auffassungen zu dieser Rechtsfrage geben, wäre die Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe wieder herzustellen (LAG Niedersachsen 1. Juli 2024 - 1 Sa 636/23 - zu I. 3. c cc der Gründe).

b)

Entsprechend den obigen Ausführungen besteht auch kein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung zu viel gezahlter Vergütung für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 (Widerklageantrag zu 1). Auch der Widerklageantrag zu 1 war abzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs.1, § 92 ZPO. Die Kammer hat den entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung beigemessen, weshalb für beide Parteien gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen war.