Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.07.2024, Az.: 14 SLa 121/24
Aufrechnung des Arbeitgebers mit Gegenansprüchen gegen Bruttolohnforderungen des Arbeitnehmers
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 19.07.2024
- Aktenzeichen
- 14 SLa 121/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 20282
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0719.14SLa121.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 01.02.2024 - AZ: 10 Ca 192/23
Rechtsgrundlage
- § 611a Abs. 2 BGB
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Gegen Bruttolohnforderungen des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber nicht mit Gegenansprüchen aufrechnen, es sei denn, die Höhe der Abzüge ist bekannt. Aufgerechnet werden kann nur gegen Nettolohnforderungen des Arbeitnehmers.
- 2.
Die Ankündigung des Arbeitgebers, eine bestimmte Lohnerhöhung vorzunehmen, begründet die tatsächliche Voraussetzung für eine stillschweigende Annahme durch den Arbeitnehmer. Behauptet dieser, ein ausdrückliches Ablehnungsschreiben abgesandt zu haben, so ist er beweispflichtig.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 01.02.2024 - 10 Ca 192/23 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
für den Monat Juli 2023 5.738,06 Euro brutto abzüglich 2.986,64 Euro netto
sowie
für den Monat August 2023 2.869,03 Euro brutto abzüglich 1.195,09 Euro netto
zu zahlen.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 1.993,82 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.07.2024 zu zahlen. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 86 % und die Beklagte 14 % zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 37.353,98 Euro festgesetzt
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsdifferenzen und eine von der Beklagten angenommene Überzahlung.
Die zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Klägerin war in der Zeit vom 01.07.2020 bis zum 15.08.2023 als Einrichtungsleiterin im Seniorenpflegeheim der Beklagten beschäftigt. In ihrem Arbeitsvertrag vom 25.05/18.06.2020 vereinbarten die Parteien bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden ein Grundgehalt von 4.053,58 Euro brutto sowie u. a. eine monatliche Rufbereitschaftszulage von 150,00 EUR. Auch erhielt die Klägerin seit März 2021 eine Zulage von 500,- Euro für die Vertretung der Heimleitung eines weiteren Pflegeheims. Mitte 2022 stellte sich heraus, dass die Klägerin die Aufgabe der weiteren Heimleitung wegen des Ausscheidens der Leiterin eigenverantwortlich wahrzunehmen hatte. Wegen der vereinbarten Ausschlussfrist wird auf § 16 des Arbeitsvertrages verwiesen (Anlage K1 zur Klagschrift).
Die Mitarbeiter der Beklagten arbeiten auf Grund einzelvertraglicher Regelungen. Wegen der Verabschiedung des Tariftreuegesetzes musste die Beklagte die Vergütung ihrer in der Pflege und Betreuung beschäftigten Arbeitnehmer ab September 2022 anpassen. Zur Auswahl stand Bezahlung nach TVöD oder eine Zahlung nach Durchschnittsentgelten. Der Geschäftsführer entschied sich für den zweiten Weg. Mit Schreiben vom 27.09.2022 teilte er den Mitarbeitern die neuen Stundensätze für examinierte Fachkräfte, mindestens 1-jährig examinierte Hilfskräfte sowie Pflegehilfskräfte mit. Weiter heißt es dort: "Unsere Anfrage an die Kostenträger, allen nicht in der Pflege arbeitenden Mitarbeiterinnen ebenfalls diesen Tarif zugute kommen zu lassen, wurde wie bei allen anderen Pflegeheimen kategorisch abgelehnt."
Mit Wirkung ab 01.09.2022 erhielten ausschließlich die Klägerin, die Pflegedienstleiterin sowie der Stationsleiter für Rufbereitschaftszeiten eine 12 %ige Zulage. Dem war eine entsprechende Änderung der Stammdaten durch die Klägerin vorausgegangen, die von der Lohnbuchhaltung umgesetzt wurde.
Im Oktober 2022 führten die Klägerin und der Geschäftsführer ein Gespräch, in dem es um eine Lohnerhöhung der Klägerin ging. Nach Angabe der Klägerin habe der Umstand der vollverantwortlichen Übernahme der weiteren Heimleitung dieses Gespräch veranlasst. Die Klägerin argumentierte mit einem Lohnabstand zur Pflegedienstleitung und zum Stationsleiter, dem langjährig beschäftigten Betriebsratsvorsitzenden. Im Anschluss an das Gespräch erklärte der Geschäftsführer gegenüber der Klägerin per E-Mail vom 22.10.2022:
"Nachdem ich die Gehaltsabrechnungen von Ihnen und Frau R. noch einmal geprüft habe, ergeben sich die Zahlen doch anders als von Ihnen vorgetragen.
Frau R. hat bis August 2022 ein Grundgehalt von 3.460,06 € und damit bei 38 Stunden pro Woche von 21.01€ pro Stunde erhalten.
Sie haben ein Grundgehalt von 4.154,92 € und damit bei 38,5 Stunden pro Woche von 24,90€ pro Stunde.
Die Differenz betrug also 3,89 EUR pro Stunde.
Wenn wir diese Zahl so anwenden, ergibt sich ein neuer Grundlohn von 25 + 3,89 = 28,89 EUR pro Stunde ab 01.09.2022.
Dieses neue Stundengehalt kann ich für Sie vertreten und begründen."
In der Folgezeit erhielt die Klägerin bis Juli 2023 das in dieser E-Mail des Geschäftsführers versprochene Grundgehalt.
Mit E-Mail vom 29.05.2023 schrieb der Geschäftsführer der Beklagten der Mitarbeiterin K., er habe durch Zufall gesehen, dass es anscheinend eine neue Regelung der Vergütung der Bereitschaft für die Leitung gebe und er bat u. a. um Mitteilung, seit wann diese Regelung bestehe und wer sie veranlasst habe. Am 11.06.2023 teilte der Geschäftsführer der Klägerin per Brief mit, sie habe in der Zeit vom 01.09.2022 bis zum 30.06.2023 7.014,24 Euro brutto für Rufbereitschaftsdienste erhalten, während ihr nach der vertraglichen Vereinbarung nur 1.500,- Euro zustünden. Er bot der Klägerin als Entgegenkommen für eine Neuvereinbarung von 6 % eine Absetzung von 2.700,- Euro brutto bei Erledigung aller gegenseitigen Ansprüche für die Vergangenheit an, sollte die Klägerin nicht einverstanden sein, bleibe es bei der alten Regelung. Die Klägerin stimmte diesem Angebot nicht zu.
Für den Monat Juli 2023 rechnete die Beklagte zunächst 5.738,06 Euro brutto ab und nahm in der Abrechnung einen Abzug in Höhe von 2.700,00 Euro brutto vor. Unter Berücksichtigung einer Korrektur aus Juni i.H.v. -47,81 Euro netto zahlte die Beklagte 2.118,16 Euro netto aus. Für die Zeit vom 1.-15. August 2023 berechnete die Beklagte 1.706,67 brutto und zahlte dementsprechend 1.195,06 Euro netto an die Klägerin aus.
Die Klägerin hat behauptet, dass die Parteien im Oktober 2022 Gehaltsverhandlungen geführt hätten und in dessen Verlauf der Klägerin ein Stundenlohn von 31,91 EUR zugesagt worden sei, u.a. vor dem Hintergrund der Übernahme der vollen Verantwortung als Heimleitung Goslar. Der E-Mail des Geschäftsführers vom 22.10.2022 habe sie mit Schreiben vom 25.10.2022 widersprochen. Auf Basis der ihr vom Geschäftsführer vorgelegten Liste K5 seien ab September 2022 die Gehälter für alle Mitarbeiter, auch für die Klägerin selbst, gezahlt worden. Die Rufbereitschaftsstunden der Klägerin seien zutreffend mit 12% des regulären Stundenlohns zu vergüten.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Oktober 2022 ein Bruttoentgelt in Höhe von 6.182,80 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 3.890,86 € zu zahlen.
- 2.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat November 2022 ein Bruttoentgelt in Höhe von 7.181,47 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.037,82 € zu zahlen.
- 3.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Dezember 2022 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.226,55 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.713,27 € zu zahlen.
- 4.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Januar 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.635,01 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.933,04 € zu zahlen.
- 5.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Februar 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 7.516,18 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.337,57 € zu zahlen.
- 6.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat März 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.327,46 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.729,13 € zu zahlen.
- 7.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat April 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 7.999,78 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.624,02 € zu zahlen.
- 8.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Mai 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.088,34 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.648,92 € zu zahlen.
- 9.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Juni 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 6.031,84 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 3.634,69 € zu zahlen.
- 10.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat Juli 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 6.091,90 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 2.118,16 € zu zahlen.
- 11.
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin für den Monat August 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 3.120,95 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 1.195,06 € zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat widerklagend beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 2.814,24 € brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, die Anlage K5 datiere vom 05.04.2022 und sei bei der Veröffentlichung der Durchschnittslöhne zum 01.09.2022 bereits nicht mehr aktuell gewesen.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagbegehren und die Verteidigung gegen die Widerklage weiter: Sie habe dem Geschäftsführer im Hinblick auf die ihr übertragenen Mehrarbeiten den Stundenlohn von 31,91 Euro vorgeschlagen bzw. um Anpassung des Arbeitsvertrages auf dieser Basis gebeten. Der Geschäftsführer habe ausdrücklich zugestimmt. Damit sei der Vertrag zustande gekommen. Eindeutiger und klarer könne sie nicht vortragen. Auf die Ausschlussfrist könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Klägerin dem Bruch des Vertrages ausdrücklich widersprochen habe. Die Rufbereitschaftsstundenzulage von 12 % sei begründet, weil der Geschäftsführer der Klägerin die als Anlage K5 vorgelegte Tabelle mit dem Ziel der Umsetzung für alle Mitarbeiter übergeben habe. Exakt die Löhne und exakt die Eckwerte aus der Tabelle seien umgesetzt worden. Arbeitsvertraglich vereinbart worden sei diese Anweisung in Gestalt der Fertigung von Lohnabrechnungen und durch monatelange Zahlung. Die Lohnbuchhaltung sei nicht der Klägerin, sondern dem Geschäftsführer unterstellt. Die laufenden Zahlungen erfolgten allein auf Veranlassung des Geschäftsführers.
Die Klägerin beantragt:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
- 1.1
für den Monat Oktober 2022 ein Bruttoentgelt in Höhe von 6.182,80 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 3.890,86 € zu zahlen,
- 1.2
für den Monat November 2022 ein Bruttoentgelt in Höhe von 7.181,47 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.037,82 € zu zahlen,
- 1.3
für den Monat Dezember 2022 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.226,55 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.713,27 € zu zahlen,
- 1.4.
für den Monat Januar 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.635,01 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.933,04 € zu zahlen,
- 1.5.
für den Monat Februar 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 7.516,18 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.337,57 € zu zahlen,
- 1.6.
für den Monat März 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.327,46 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.729,13 € zu zahlen,
- 1.7.
für den Monat April 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 7.999,78 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.624,02 € zu zahlen,
- 1.8.
für den Monat Mai 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 8.088,34 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 4.648,92 € zu zahlen,
- 1.9.
für den Monat Juni 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 6.031,84 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 3.634,69 € zu zahlen,
- 1.10.
für den Monat Juli 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 6.091,90 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 2.118,16 € zu zahlen,
- 1.11.
für den Monat August 2023 ein Bruttoentgelt in Höhe von 3.120,95 € abzüglich des gezahlten Nettoentgelts von 1.195,06 € zu zahlen.
- 2.
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Beklagte beantragt zuletzt,
- 1.
die Berufung zurückzuweisen und
- 2.
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 1.993,82 Euro netto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil: Sie habe den Stundenlohn von 28,89 Euro brutto nach der Lohnanpassung im streitgegenständlichen Zeitraum gezahlt, ohne dass die Klägerin hiergegen Einwendungen erhoben hätte. Hinsichtlich der Rufbereitschaftszulage sei hervorzuheben, dass die Tariftreueregelung nur für Pflege- und Betreuungskräfte und nicht für die Klägerin als Einrichtungsleitung gelte. Deren Arbeitsvertrag enthalte die Zulage von 150,- Euro. Auffällig sei auch, dass sich die Klägerin ab dem 01.09.2022 eine Rufbereitschaftszulage installiert habe, jedoch erst mit E-Mail vom 18.11.2022 den Prozessbevollmächtigten um Prüfung der Arbeitsverträge gebeten habe, ohne eine vermeintliche Rufbereitschaftszulage von 12 % zu erwähnen. Daher ergebe sich eine Überzahlung von 4.216,56 Euro netto. Hiervon seien vom neuberechneten Juligehalt 2.222,74 Euro netto abzuziehen, der Restbetrag sei die neue Widerklageforderung.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist zum Teil begründet.
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 5.738,06 Euro brutto abzüglich 2.986,64 Euro netto als Arbeitsentgelt für den Monat Juli 2023 aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag der Parteien.
Der sich aus der Juliabrechnung 2023 (Anlage K8) ergebende Bruttobetrag von 5.738,06 Euro ist jedenfalls auf der Grundlage eines Stundenlohnes von 28,89 Euro sowie der arbeitsvertraglichen Bereitschaftspauschale von 150,- Euro und der weiteren Zuschläge und Zulagen insoweit rechnerisch unstreitig.
Die Beklagte war nicht berechtigt, der Klägerin wegen überzahlter Bereitschaftsvergütung gemäß Schreiben vom 11.06.2023 in der Abrechnung 2.700,- Euro brutto abzuziehen, diese Aufrechnung war unzulässig. Gegen Bruttolohnforderungen des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber nicht mit Gegenansprüchen aufrechnen, es sei denn, die Höhe der Abzüge ist bekannt. Aufgerechnet werden kann nur gegen Nettolohnforderungen des Arbeitnehmers (BAG 16.03.1994 - 5 AZR 411/92 - Rn.43). Die Beklagte nahm den Hinweis des Gerichts zum Anlass ihrer Änderung der Widerklage und berechnete mit Schriftsatz vom 17.07.2024 rechnerisch unstreitig für die Zeit von September 2022 bis Mai 2023 unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglich zu leistenden Rufbereitschaftspauschale von 150,- Euro wegen der gezahlten 12 %igen Rufbereitschaftszulage eine Überzahlung von insgesamt 4.216,56 Euro netto. Bei einem unter Berücksichtigung der zu Unrecht abgezogenen 2.700,- Euro brutto zu zahlenden Netto von 4.340,91 erklärte die Beklagte die Aufrechnung mit ihrer Gegenforderung unter Berücksichtigung der gezahlten 2.118,16 Euro netto in Höhe von 2.222,74 Euro netto.
Diese Aufrechnung ist zwar wegen der abschließenden Gesamtforderung für einen bestimmten Zeitraum grundsätzlich auch in Höhe eines Teilbetrages hinreichend bestimmt und damit zulässig, wegen der gemäß § 394 BGB iVm § 850c ZPO einzuhaltenden Pfändungsfreigrenzen bei 2 Unterhaltspflichten nur in Höhe des 3.472,43 Euro übersteigenden Betrages zulässig. Pfändbar sind somit lediglich 868,48 Euro netto. Unter Berücksichtigung des bereits als "Korrektur aus Juni" abgezogenen Betrages von 47,81 Euro netto kann die Beklagte also zulässigerweise mit einer Gegenforderung in Höhe von 826,38 Euro netto aufrechnen.
Die Aufrechnung ist in dieser Höhe auch begründet. Die Klägerin war nicht berechtigt, die ihr Arbeitsverhältnis betreffenden Stammdaten zu ändern mit der Folge, dass die Lohnbuchhaltung der Beklagten ihr ab September 2022 statt der Rufbereitschaftspauschale von 150,- Euro eine 12 %ige Zulage abrechnet und auszahlt. Das Gericht möchte an dieser Stelle klarstellen, dass es insbesondere nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung keinesfalls, wie von der Klägerin befürchtet, den Eindruck hat, sie habe sich vorsätzlich wider besseres Wissen einer "Selbstbedienung" schuldig gemacht. Die Klägerin hat jedoch nicht in einer für eine Verurteilung der Beklagten ausreichenden Weise dargelegt, dass die Parteien ihren Arbeitsvertrag im Hinblick auf die Rufbereitschaftszulage einvernehmlich geändert haben.
Die Klägerin behauptet hierzu, dass der Geschäftsführer der Beklagten ihr die Tabelle gemäß Anlage K7 zur Umsetzung übergeben habe, auch wenn sie einräumt, dass es im Laufe der Zeit unterschiedliche Versionen gegeben hat, die aber nach ihrem Vortrag nicht mit den Zahlen in den Arbeitsverträgen übereinstimmten. Grundlage der Anpassung war jedoch das nur für Pflege- und Betreuungskräfte geltende Tariftreuegesetz, und auch die Anlage K5 erwähnt keinesfalls Einrichtungsleiterinnen wie die Klägerin, sondern nur jene Beschäftigten mit einem Durchschnittslohn von 19,36 Euro und einem maximalen Lohn von 22,21 Euro. Die Klägerin mag sich nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung gedacht haben, dass jedenfalls die 12%-Regelung für sie deshalb gelte, weil sie tatsächlich in der Rufbereitschaft in die Situation kommen konnte, pflegerisch tätig zu werden, was auch tatsächlich geschah. Bei verständiger Würdigung einer zu unterstellenden Anweisung des Geschäftsführers zur Umsetzung der Tabelle K5 hätte der Klägerin mit ihrem weit überdurchschnittlichen Gehalt jedoch klar sein müssen, dass sie nicht mit dieser Anweisung gemeint war, weil sie nicht zum geschützten Personenkreis gehörte und ihr Gehalt weit über dem Durchschnittslohn lag. Der Durchschnittslohn und gerade nicht die Tarifbindung war Inhalt der Entscheidung des Geschäftsführers zum Tariftreuegesetz. Diese Differenzierung wird noch einmal deutlich aus dem von ihr selbst vorgelegten Schreiben des Geschäftsführers vom 27.09.2022, der ausführte, dass die Kostenträger eine Begünstigung aller nicht in der Pflege tätigen Mitarbeitern kategorisch abgelehnt hätten.
Die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist ist mit der Geltendmachung im Schreiben vom 11.06.2023 gewahrt. Die Beklagte hat in diesem Schreiben den Überzahlungsbetrag genannt und nur für den Fall einer gütlichen Einigung eine ermäßigte Rückforderung erhoben. Mit der Ankündigung, im Fall der fehlenden Zustimmung der Klägerin bleibe es bei der bisherigen Regelung (einer nur vereinbarten Pauschale von 150,- Euro), hat die Beklagte gegenüber der Klägerin unmissverständlich klargestellt, dass sie dann den Gesamtbetrag geltend macht.
Die Beklagte hat den Anspruch auch rechtzeitig geltend gemacht. Gemäß § 16 des Arbeitsvertrages verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten in Textform geltend gemacht werden. Die Frist beginnt, wenn der Anspruch entstanden und fällig ist und der Anspruchssteller von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder grob fahrlässig keine Kenntnis erlangt hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des BAG, nach der es dem Gläubiger tatsächlich möglich sein muss, seinen Anspruch geltend zu machen. Liegen die rechtsbegründenden Tatsachen für einen Zahlungsanspruch in der Sphäre des Schuldners, ist zu prüfen, ob der Gläubiger es durch schuldhaftes Zögern versäumt hat, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen (BAG 31.03.2021 - 5 AZR 197/20 - Rn. 20).
Im vorliegenden Fall war es die Klägerin, die die Änderung ihrer Bereitschaftszulage gegenüber der Lohnbuchhaltung durch Änderung ihrer Stammdaten veranlasste. Der Geschäftsführer hatte diese Angelegenheit aus der Hand gegeben. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie zunächst keine Kenntnis von einer derartigen Erhöhung hatte. Zum einen war in der Korrespondenz zwischen der Klägerin und dem auch für die Beratung in Arbeitsvertragsangelegenheiten zuständigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten von zahlreichen Zulagen bzw. Zuschlägen die Rede, aber gerade nicht von einer 12 %igen Rufbereitschaftszulage. Zum anderen hat die Beklagte ihre E-Mail vom 29.05.2023 vorgelegt, in der der Geschäftsführer der Mitarbeiterin K. schrieb, er habe durch Zufall gesehen, dass es anscheinend eine neue Regelung der Vergütung der Bereitschaft für die Leitung gebe und er um Mitteilung bat, seit wann diese Regelung bestehe und wer sie veranlasst habe. Es ist für das Gericht nicht feststellbar, dass der Geschäftsführer dieses Schreiben in Täuschungsabsicht zur Vorbereitung des für ihn überhaupt nicht absehbaren späteren Prozesses mit der Klägerin gefertigt haben sollte, um die Wahrung der Ausschlussfrist zu belegen. Derartiges wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Soweit sie allerdings, von der Beklagten bestritten, ausgeführt hat, der Geschäftsführer habe als Einziger Bankvollmacht und hätte somit Kenntnis haben müssen, überzeugt dies nicht. Es ist nicht feststellbar, dass der Geschäftsführer die Lohnabrechnungen der Klägerin vor Mai 2023 überprüft und Kenntnis von der Änderung genommen hätte. Der Sachvortrag der Parteien belegt, dass er die Klägerin als Einrichtungsleiterin mit derartigen Lohnangelegenheiten, ggf. in Zusammenarbeit mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten, beauftragt hatte. Es ist nicht als Verstoß gegen das zu erwartende Eigenverhalten eines Geschäftsführers zu werten, wenn derartige Aufgaben an eine hochbezahlte Einrichtungsleiterin delegiert werden, ohne die Durchführung gerade in deren eigenen Angelegenheiten in engen Zeitabständen kleinteilig zu kontrollieren, zumal er nach dem oben Gesagten überhaupt keinen Anlass hatte, von einer Änderung der Vereinbarung der Rufbereitschaftszulage mit der Klägerin auszugehen. Eine Gehaltserhöhung an sich musste ihm angesichts der mit E-Mail vom 22.10.2022 rückwirkend auf den September 2022 erteilten Zusage nicht auffallen.
2. Die Klägerin hat weiterhin einen Anspruch auf Zahlung von 2.869,03 Euro brutto abzüglich erhaltener 1.195,09 Euro netto als Arbeitsentgelt für den Monat August 2023 aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag der Parteien.
Die Beklagte hat ohne weitere Erläuterung für den Zeitraum vom 1.-15. August 2023 lediglich 1.706,67 brutto abgerechnet und an die Klägerin 1.195,09 Euro netto ausbezahlt. Dieser Bruttobetrag ist mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Entgeltregelung nicht zu vereinbaren. In dem Vortrag der Klägerin, ihr sei zumindest ein Gehalt in Höhe des halben Juligehaltes zu zahlen gewesen ist jedenfalls die konkludente Behauptung enthalten, dass sie ihre Arbeitsleistung wie im Vormonat bis zu ihrem Ausscheiden erbracht habe. Die Beklagte hat hierauf nicht erwidert, sodass das Gericht den Anspruch jedenfalls unter Berücksichtigung des oben erläuterten Stundenlohnes und der Rufbereitschaftspauschale in Höhe des hälftigen Betrages von 5.738,06 Euro brutto als rechnerisch unstreitig ansieht. Die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist ist jedenfalls mit der am 23.11.2023 zugestellten Klagänderung vom 22.11.2023 gewahrt.
3. Soweit die Klägerin darüber hinaus eine Entgeltzahlung auf der Grundlage eines Stundenlohnes von 31,91 Euro brutto begehrt, ist die Klage unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob der Geschäftsführer der Beklagten im Gespräch der Parteien von Oktober 2022 einer solch erheblichen Stundenlohnerhöhung von über 28 % tatsächlich vorbehaltlos zustimmte, zumal er noch im Vormonat mit dem von der Klägerin selbst vorgelegten Schreiben vom 27.09.2022 auf die Probleme einer Vergütungserhöhung für die nicht in der Pflege Beschäftigten hingewiesen hatte. Jedenfalls begründete er mit der E-Mail vom 22.10.2022, warum er ein neues Stundengehalt von lediglich 28,89 Euro vertreten und begründen könne. Dieser neue erhöhte Betrag und nicht die von der Klägerin genannten 31,91 Euro wurde dann auch rückwirkend ab September 2022 bis Juli 2023, also 11 Monate lang so abgerechnet und ausbezahlt.
Die Klägerin hätte dieses Änderungsangebot durch widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit stillschweigend angenommen, § 151 BGB, weil es sich unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkte (vgl. BAG 13.07.2022 - 5 AZR 412/21 - Rn. 17; BAG 01.08.2001 - 4 AZR 129/00 - Rn. 45).
Ein Widerspruch der Klägerin ist nicht feststellbar. Zwar hat sie mit Schriftsatz vom 22.11.2023 zunächst behauptet, sie habe als Antwort auf diese E-Mail dem Geschäftsführer per E-Mail erklärt, dass sie sich mit der Nichtumsetzung des Vereinbarten einverstanden erkläre. Mit Schriftsatz vom 31.01.2024 hat sie dann ihren Sachvortrag umgestellt und ohne weitere Erläuterung nunmehr behauptet, umgehend mit Schreiben vom 25.10.2022 widersprochen zu haben. Auf die Nachfrage des Gerichts erklärte sie in der mündlichen Verhandlung, in solchen Sachen gehe sie auf Nummer sicher, sie habe das Schreiben bei dem Geschäftsführer in den Posteingang gelegt, eine blaue Box, die bei ihr im Büro gewesen sei.
Die Klägerin wäre für einen Widerspruch beweisfällig geblieben. Die Ankündigung der Beklagten, eine Lohnerhöhung auf 28,89 Euro pro Stunde vorzunehmen und deren langfristige tatsächliche Umsetzung, die sich für die Klägerin sofort feststellbar in ihrem Arbeitsverhältnis auswirkte, begründet die tatsächliche Voraussetzung für eine stillschweigende Annahme. Behauptet in derartigen Fällen der Gegner, ein ausdrückliches Ablehnungsschreiben abgesandt zu haben, so ist er beweispflichtig (MüKo-BGB/Busche, 9. Aufl., § 151 Rn. 12; vgl. a. BGH 18.12.1985 - VIII ZR 297/84 - II. 2. bb)).
Selbst wenn man die Beklagte in der Pflicht sähe, die negative Tatsache des fehlenden Zugangs des angeblichen Schreibens vom 25.10.2022 zu beweisen, wäre das Ergebnis dasselbe. Die Klägerin hätte in diesem Fall angesichts der Beweisnot der Beklagten für die aus dem Kenntnisbereich der Klägerin stammenden Tatsachen eine erheblich gesteigerte Darlegungslast, der sie im vorliegenden Fall nicht gerecht geworden wäre. Ihre Behauptung, "in solchen Sachen" auf Nummer sicher zu gehen, weshalb sie nicht per E-Mail geantwortet habe, ist zum einen mit ihrem spontanen Erstvortrag völlig unvereinbar, wonach sie per E-Mail und nicht per Hauspost geantwortet haben will. Zum anderen wäre sie gerade mit einer Antwort per E-Mail auf "Nummer sicher" gegangen und nicht bei einem ohne Zeugenbeteiligung oder Empfangsbekenntnis in eine Postbox eingelegten Schreiben.
Davon unabhängig würde die Rechtsprechung des BAG zur konkludenten Annahme eines Änderungsangebots im vorliegenden Fall auch bei einem Zugang des angeblichen Schreibens vom 25.10.2022 greifen. Die Beklagte hat nach diesem Zeitpunkt in Erfüllung des Versprechens aus ihrer E-Mail vom 22.10.2022 rückwirkend ab September 2022 eine Lohnerhöhung auf 28,89 Euro vorgenommen, ohne dass die in gehobener Position stehende und vom Gericht als durchaus selbstbewusst wahrgenommene Klägerin in den folgenden Monaten bis zur Klagerhebung im September 2023 in irgendeiner Weise bei der Beklagten dagegen remonstriert hätte. Dies musste bei der Beklagten den Eindruck erwecken, dass die Klägerin nunmehr mit der moderaten Erhöhung einverstanden ist.
Hinsichtlich der ebenfalls in den Klaganträgen enthaltenen 12 %igen Rufbereitschaftszulage gilt das oben zu 1. Gesagte.
4. Die Widerklage ist in der letzten Fassung zulässig und begründet.
Die Beklagte änderte auf den Hinweis des Gerichts, nach dem bei einer Rückzahlungsforderung des Arbeitgebers § 26 SGB IV zu beachten ist (BAG 21.01.2015 - 10 AZR 84/14 - Rn. 15) ihre bislang auf den gesamten Bruttobetrag gerichtete unzulässige Widerklage und beschränkte sie auf den in der ursprünglichen Forderung enthaltenen Nettobetrag. Nach dem unter 1. Gesagten stand der Klägerin keine Rufbereitschaftszulage von 12 % zu, sondern nur der arbeitsvertragliche Anspruch auf die Pauschale von 150,- Euro. Das Vergleichsangebot der Beklagten mit Schreiben vom 11.06.2023 hatte die Klägerin nicht angenommen. Die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist ist gewahrt, s. o. unter 1. Die Abweisung im Übrigen erfolgte lediglich zur Klarstellung angesichts der zuvor beantragten und erstinstanzlich tenorierten Zuvielforderung.
Auch eine Würdigung des weiteren Sachvortrags der Parteien, von deren Darstellung im Einzelnen Abstand genommen wird, führt zu keinem abweichenden Ergebnis.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 92 ZPO und folgt dem wechselseitigen Obsiegen und Unterliegen der Parteien.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Gegen diese Entscheidung ist daher kein Rechtsmittel gegeben.