Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.06.2024, Az.: 8 Sa 687/23
Unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung auf Grundlage von § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB; Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.06.2024
- Aktenzeichen
- 8 Sa 687/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 21506
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0612.8Sa687.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 26.09.2023 - AZ: 2 Ca 112/23
Rechtsgrundlagen
- § 37 Abs. 4 BetrVG
- § 78 Satz 2 BetrVG
- § 611a Abs. 2 BGB
Fundstellen
- ArbR 2024, 489
- NZA-RR 2024, 542-545
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. § 37 Abs. 4 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers.
- 2.
Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen.
- 3.
Ist zwischen den Parteien unstreitig, dass bei der Arbeitgeberin eine bestimmte Stelle in der Vergangenheit zu besetzen war, und dass eine zur damaligen Zeit erfolgte Bewerbung des Betriebsratsmitgliedes auf diese Stelle erfolgreich gewesen wäre, so hat das erkennende Gericht nicht darüber hinaus von Amts wegen zu ermitteln, ob das Betriebsratsmitglied bei objektiver Betrachtung die notwendigen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Bekleidung der Stelle mitbrachte bzw. mitbringt. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die fachliche und persönliche Eignung nicht offensichtlich fehlt.
- 4.
Es ist bei übereinstimmendem Parteivorbringen nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte, von Amts wegen zu ermitteln, ob das Handeln von Betriebsratsmitglied und Arbeitgeberin möglicherweise eine einvernehmliche, sachwidrige und gegen § 78 BetrVG verstoßende Begünstigung des Betriebsratsmitglieds darstellt. Hierzu sind allein die Strafverfolgungsbehörden berufen.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 26.09.2023 - 2 Ca 112/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger als freigestelltes Betriebsratsmitglied verlangt von der Beklagten, die ihn nach einer niedrigen Entgeltgruppe als zuvor vergütet hat, im Wesentlichen, ihm das Differenzentgelt nachzuzahlen.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, seit dem 00.00.0000 tätig und seit dem 00.00.0000 freigestelltes Betriebsratsmitglied des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats im Betrieb in A-Stadt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die zwischen der Beklagten und der ... geschlossenen Tarifverträge Anwendung.
Der Kläger ist gelernter E. und war bis Mai 2000 als Anlagenführer bei der Beklagten tätig; er wurde hierbei vergütet nach der Entgeltstufe (ES) 13. Ab dem Mai 2000 war er in einem Projektteam bei einer Tochtergesellschaft der Beklagten, der A. GmbH, tätig und übernahm in dieser Zeit Tätigkeiten aus den Bereichen Personal, Tarifwesen oder Arbeitsorganisation/Arbeitsplatzgestaltung. In dieser Zeit erfolgte die Vergütung weiterhin nach der Entgeltstufe 13.
Der Kläger absolvierte im Verlaufe seiner Beschäftigung bei der Beklagten mehrere Fortbildungen. So erhielt er 0000 ein MTM Praktiker Diplom, 0000 beendete er ein REFA Sachbearbeiter Arbeitsstudium und war seit 0000 REFA Fachmann. Im Jahr 2013 erwarb er eine Führungslizenz. Bei der Beklagten durchlaufen Mitarbeiter, die erstmalig Führungsaufgaben/Personalverantwortung übernehmen sollen, einen Ernennungsprozess, an dessen Abschluss der Erwerb dieser Lizenz steht. Erforderlich ist die Teilnahme an Lernmodulen zur sogenannten "Führungskräfte-Basis-Qualifizierung" und das Ablegen einer Prüfung zum Erwerb der Lizenz. Der Ernennungsprozess verläuft unabhängig von einer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beschäftigtenkreis.
Nach Erwerb der Führungslizenz schlossen die Parteien mit Wirkung zum 1. Juli 2014 eine Vereinbarung dahingehend, dass sich das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nach den bei der Beklagten anwendbaren Tarifregelungen für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion ("Tarif-Plus") richten sollte. Seit dem 1. Juli 2016 war der Kläger in der Entgeltgruppe II des Tarif-Plus (entspricht ES 24) eingestuft. Zuletzt betrug das monatliche Einkommen des Klägers nach dem Tarif-Plus Entgeltgruppe II 8.142,50 Euro. Zudem erhielt ein Geschäftsfahrzeug, dessen geldwerter Vorteil ausgehend von 1 % des Bruttolistenpreises von 99.400,00 Euro mit 994,00 Euro monatlich zu bemessen ist.
Bei der Beklagten finden eine Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 08/20 ("GBV-Vergütung") und eine dazugehörige interne Durchführungsanweisung ("DA-Vergütung") zur Bemessung von Betriebsratsvergütungen Anwendung.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2023 teilte die Beklagte nach Durchführung von Überprüfungen dem Kläger mit, er sei lediglich in die Entgeltstufe 13 einzustufen und erhalte ab Februar 2023 ein entsprechend gekürztes Gehalt. Zudem entfalle seine Berechtigung zur Nutzung des ihm zugeordneten Geschäftsfahrzeuges, er könne allerdings von einem Leasingangebot Gebrauch machen. Für den Fall, dass von diesem Leasingangebot kein Gebrauch gemacht werden sollte, forderte die Beklagte den Kläger zur Rückgabe des von ihm genutzten Geschäftsfahrzeuges bis zum 28. Februar 2023 auf. Für den Februar 2023 zahlte die Beklagte dem Kläger ein entsprechend gekürztes Gehalt in Höhe von 4.853,94 Euro, eine tarifliche Zulage in Höhe von 153,50 Euro und eine hypothetische Mehrarbeitspauschale in Höhe von 27,65 Euro. Das Geschäftsfahrzeug gab der Kläger der Beklagten am 27. Februar 2023 heraus.
Mit Schreiben vom 29. März 2023 (Anlage K7, Bl. 35 f. d. A.) machte die Beklagte gegenüber dem Kläger eine Forderung über überzahlte Vergütung in Höhe von 13.052,00 Euro sowie eine Kostenbeteiligung für die Nutzung des Geschäftsfahrzeuges i.H.v. 2.485,00 Euro geltend. Die Abrechnung der Folgemonate erfolgte ebenfalls auf Grundlage der Entgeltstufe 13.
Der Kläger begehrt eine Vergütung nach Tarif-Plus Entgeltgruppe II und stellt auf dieser Grundlage Zahlungsansprüche für die Monate Februar bis August 2023; weiter fordert er einen Bonus iHv. 34.200,00 Euro brutto. Er begehrt weiter die Rückzahlung eines Nettobetrages von 9.206,32 Euro, die er am 21. April 2023 an die Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt der Rückforderung überwiesen hatte. Hinsichtlich der sich ergebenden Differenzen wird auf die erstinstanzliche Berechnung des Klägers Bezug genommen, Bl. 12, 205 f., 276 f. der Akte erster Instanz.
Im Zuge des gerichtlichen Verfahrens bewarb sich der Kläger erfolgreich auf die frei werdende Stelle eines Vergütungsexperten bei der Beklagten, deren gegenwärtiger Inhaber in den Tarif-Plus EG III eingruppiert ist. Der Kläger sollte als Fachreferent Tarif-Plus zum 1. September 2023 eingesetzt werden, bei Eingruppierung in Tarif-Plus EG II. Dies lehnte der Kläger schließlich mit E-Mail vom 7. Juni 2023 zugunsten seiner Amtstätigkeit ab.
Der Kläger hat erstinstanzlich seine Auffassung vorgetragen, ihm stehe auch weiterhin eine Vergütung nach Tarif-Plus Entgeltgruppe II zu, die Kürzung sei unrechtmäßig erfolgt. Er sei qualifiziert für Stellen als Industrial Engineer, die regelmäßig bei der Beklagten ausgeschrieben würden, wobei der Kläger aufgrund Erfahrung und Qualifikation in den Tarif-Plus-Bereich eingestuft worden sein dürfte, wäre es zu einer Besetzung gekommen. Der Kläger habe sich auf eine solche Stelle nicht beworben, da er eine Fortsetzung seiner Tätigkeit als Betriebsrat vorgezogen habe. Schließlich zeige auch seine erfolgreiche Bewerbung auf die Stelle eines Vergütungsexperten eine entsprechende hypothetische Entwicklung. Gegenteiliges habe die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trage, nicht dargetan. Ein Rückforderungsanspruch sei vorliegend zudem nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, jedenfalls habe die Beklagte die tarifvertragliche Ausschlussfrist nicht gewahrt.
Der Kläger hat, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, vor dem Arbeitsgericht beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 59.284,53 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2023 auf 3.107,41 €, auf weitere 4.104,77 € seit dem 01.04.2023, auf weitere 4.101,41 € seit dem 02.05.2023, auf weitere 35.444,77 € seit dem 01.06.2023, auf weitere 4.234,66 € seit dem 01.07.2023, auf weitere 3.395,75 € seit dem 01.08.2023 und auf weitere 4.895,76 € seit dem 01.09.2023 zu zahlen,
- 2.
festzustellen, dass die Beklagte ab dem 01.07.2014 verpflichtet ist, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger entsprechend der jeweils geltenden tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion - Tarif-Plus -, Entgeltgruppe I, ab dem 01.07.2016 in der Entgeltgruppe II, durchzuführen,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.206,32 € netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vor dem Arbeitsgericht ihre Auffassung vorgetragen, sie habe die Vergütung des Klägers herabsetzen müssen - dies vor dem Hintergrund von Unklarheiten, welche Umstände im Rahmen der Ermittlung der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder einbezogen werden dürfen - um Strafbarkeitsrisiken der Personalverantwortlichen bei der Beklagten zu vermeiden. Dem Kläger stehe weder nach dem Lohnausfallprinzip nach § 37 Abs. 2 BetrVG noch nach einer hypothetischen Karriereentwicklung nach § 78 Satz 2 BetrVG eine Vergütung jenseits der ES 13 zu. Zwar halte man eine Entwicklung des Klägers für realistisch, auch im Bereich Industrial Engineering wegen einer starken Befassung des Klägers mit den Themen REFA und MTM. Eine Bewerbung des Klägers oder ein Stellenangebot habe es für Positionen in diesem oder dem Personalbereich habe es aber nicht gegeben. Die Beklagte habe zwar diverse Stellen im Bereich Tarifwesen ausgeschrieben, im Bereich Industrial Engineering würden Stellen indes durch interne Entwicklungen oder konkrete Ansprachen vergeben, nicht aber per interner Stellenausschreibung. § 817 Satz 2 BGB stehe einem Rückforderungsanspruch vor dem Hintergrund des Zwecks der Nichtigkeitsnorm vorliegend ferner gerade nicht entgegen, auch die tarifliche Ausschlussfrist nach § 23 MTV sei gewahrt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die zwischen den Parteien dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die dortige Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Mit Urteil vom 26.9.2023, der Beklagten zugestellt am 16.10.2023, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger besitze gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch über insgesamt 59.284,53 EUR brutto aus § 611a BGB, § 37 Abs. 4, § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. der vertraglichen Vereinbarung vom 27. Mai 2014 bzw. - hinsichtlich der Unmöglichkeit der Nutzung des dem Kläger zustehenden Geschäftsfahrzeuges - als Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG. Die Beklagte habe nicht erfolgreich dargelegt, dass die auf vertraglicher Grundlage beruhende Vergütung des Klägers wegen eines Verstoßes gegen das Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG nichtig nach § 134 BGB sei. Aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich schon keine ordnungsgemäß zusammengesetzte Vergleichsgruppe, um eine Betrachtung der Vergütungsentwicklung innerhalb dieser Gruppe vornehmen zu können.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am 25.10.2023 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Fristverlängerung auf den 18.1.2024 (Bl. 132 d.A.) mit einem am 18.1.2024 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Beklagte macht mit ihrer Berufung im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht habe fehlerhaft angenommen, dass die Beklagte die volle Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG trage. Die seitens der Beklagten vorgenommene Vergleichsgruppenbildung sei zutreffend erfolgt. Für eine hypothetische Entwicklung des Klägers in den TarifPlus Entgeltgruppe II gebe es keine ausreichenden Umstände; insbesondere habe der Kläger nicht hinreichend zum Vorhandensein konkreter freier Stellen vorgetragen. Das Arbeitsgericht habe dem Kläger darüber hinaus fehlerhaft Vertrauensschutz gewährt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 26. September 2023, Az. 2 Ca 112/23 wird abgeändert und die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und verweist insbesondere auf das erstinstanzliche Vorbringen der Parteien zur Qualifikation des Klägers sowohl für Stellen eines "Industrial Engineer" als auch eines Vergütungsexperten. Er trägt vor, bei der Beklagten hätten jederzeit, so insbesondere auch im Jahr 2014, diesbezügliche offene Stellen bestanden, auf die er sich habe bewerben können; er habe dies jedoch mit Blick auf seine Betriebsratstätigkeit unterlassen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 12.6.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
I.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Unter Zugrundelegung des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beibringungsgrundsatzes ist für die Zwecke der Entscheidung der vorliegenden Rechtsstreitigkeit davon auszugehen, dass dem Kläger Ansprüche auf die begehrten Zahlungen und Feststellungen zustehen. Seine Ansprüche ergeben sich unmittelbar aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB. Auf die Frage, ob der Kläger seine Ansprüche daneben auch auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG stützen kann, kommt es nicht an.
1.
a.
Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen die Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Amtstätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. § 37 Abs. 4 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Die Vorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG enthält ein an den Arbeitgeber gerichtetes allgemeines Verbot, ein Betriebsratsmitglied wegen der Amtstätigkeit in seiner beruflichen Entwicklung zu benachteiligen. Der Arbeitgeber muss den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Von dem Benachteiligungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen (st. Rspr., vgl. BAG 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19 - Rn. 29 mwN).
b.
Die Darlegungs- und Beweislast für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamts trägt grundsätzlich das Betriebsratsmitglied. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (vgl. etwa BAG 25. Juni 2014 - 7 AZR 847/12 - Rn. 36 mwN, BAGE 148, 299). Will der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderung einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten (vgl. BAG 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19 - Rn. 31 mwN). Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist (BAG 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 31; 27. Juni 2001 - 7 AZR 496/99 - zu B II 1 b aa der Gründe mwN, BAGE 98, 164). Hat sich ein freigestellter Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (vgl. BAG 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 31; 14. Juli 2010 - 7 AZR 359/09 - Rn. 20 mwN; zu allem Vorstehenden BAG, Urteil vom 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 -, Rn. 24, juris).
2.
Vorliegend steht auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens für das erkennende Gericht fest, dass der Kläger aufgrund seiner Fortbildungen, insbesondere aufgrund des Erwerbs der sog. Führungslizenz, über derartige Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen verfügte, dass er bei einer Bewerbung auf die bei der Beklagten vorhandenen und auch in ausreichender Zahl freien Stellen eines "Industrial Engineer" als auch - alternativ - eines sog. Vergütungsexperten erfolgreich gewesen wäre, und dass der Kläger des Weiteren Bewerbungen hierauf nur aufgrund seines Betriebsratsamtes unterließ, so dass jedenfalls ab dem 01.07.2014 eine Eingruppierung und Vergütung des Klägers nach dem bei der Beklagten geltenden TarifPlus Entgeltgruppe I und ab dem 01.07.2016 eine Eingruppierung und Vergütung nach dem TarifPlus Entgeltgruppe II zu erfolgen hatte. Da sich das Gericht eine klare Überzeugung bilden konnte, kommt es vorliegend auf Fragen der Darlegungs- und Beweislast nicht an.
a.
Zur Überzeugung des Gerichts ergibt sich aus dem Prozessstoff, dass bei der Beklagten laufend, insbesondere in der Zeit ab dem 01.07.2014, Stellen eines "Industrial Engineer" zu besetzen waren, als deren Inhaber man auch in den TarifPlus-Bereich eingruppiert sein kann. Dies ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Vortrag des Klägers auf Seite 8 seines Schriftsatzes vom 21.7.2023, der beklagtenseitig nicht substantiiert bestritten worden ist. Danach waren bei der Beklagten praktisch jedes Jahr aufgrund der natürlichen Personalfluktuation Stellen von Industrial Engineers neu zu besetzen, in der entsprechenden Abteilung waren für die ... AG - Marke PKW und Konzern Hunderte von Mitarbeitern beschäftigt. Das Tätigkeitsbeispiel für diese Stelle ist nach dem unwidersprochen gebliebenen Klägervortrag das TB 709, das eine Entwicklung von der ES 11 bis in den Tarif-Plus Bereich (TB 709F) vorsieht. Beispielhaft für die betriebsübliche Eingruppierung eines Industrial Engineers hat der Kläger auf den von ihm als Anlage K16 beigefügten anonymisierten Auszug aus dem SAP--System der Beklagten verwiesen, der zeige, dass der betreffende Beschäftigte bei der Übertragung der Aufgabe im Jahr 2012 als Industrial Engineer in den Tarif-Plus E 23 eingruppiert worden sei. Die Beklagte konnte sich vor dem Hintergrund des substantiierten klägerischen Vortrages nicht darauf beschränken, seine Behauptungen zu bestreiten und ihn zur Nennung konkreter freier Stellen aufzufordern. Dies gilt unabhängig davon, dass es sich vorliegend insofern um eine besondere Fallkonstellation handelt, als die Beklagte den Kläger jahrelang nach TarifPlus Entgeltgruppe I bzw. sodann II vergütet hat und sich hieran nunmehr nicht mehr gebunden wissen will. Allein bereits aufgrund des Umstandes, dass die Beklagte eine größere Sachnähe zu den von ihr selbst vorgenommenen Stellenvergaben und -ausschreibungen besitzt, hat die Beklagte sich näher als geschehen mit der klägerischen Behauptung auseinanderzusetzen, derartige Stellen seien so zahlreich, dass stets welche ausgeschrieben gewesen wären, insbesondere im Jahr 2014.
Gleiches gilt zur Überzeugung des Gerichts auch für die Stelle eines Vergütungsexperten, der ebenfalls in den TarifPlus eingruppiert ist bzw. eingruppiert sein kann. Der Umstand, dass die Beklagte in Deutschland nahezu 300.000 Mitarbeiter beschäftigt, spricht hinreichend dafür, dass sich darunter auch eine erhebliche Zahl von Vergütungsexperten befindet, und dass nicht nur - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - zum 1.9.2023 eine solche Stelle vakant war, sondern aufgrund von Personalfluktuation jedes Jahr mindestens ein solcher Arbeitsplatz neu zu besetzen ist. Vor diesem Hintergrund hätte es der Beklagten oblegen, substantiiert vorzutragen und unter Beweis zu stellen, dass bei ihr im Jahr 2014 und auch in der näheren Folgezeit keine Stelle eines Vergütungsexperten zu besetzen war.
b.
Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts steht weiter fest, dass eine im Jahre 2014 erfolgte Bewerbung des Klägers auf eine Stelle als "Industrial Engineer" erfolgreich gewesen wäre. Auf Seite 6 ihres erstinstanzlichen Schriftsatzes vom 23.06.2023 räumt die Beklagte selbst ein, dass für den Kläger wegen der starken Befassung mit den Themen REFA und MTM eine Entwicklung in den Bereich Industrial Engineering als möglich erschienen sei. So vermittelten die vom Kläger vor Amtsübernahme abgelegten REFA- und MTM-Schulungen Fertigkeiten für die Gestaltung und Optimierung von Produktionsprozessen. Dementsprechend sei eine Entwicklung des Klägers in die Position des Industrial Engineers, auf der genau diese Tätigkeiten abgerufen würden, im Bereich des Möglichen gewesen.
Weiter steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass auch eine im Jahre 2014 erfolgte Bewerbung des Klägers auf die Stelle eines Vergütungsexperten Erfolg gehabt hätte. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Möglichkeit seiner hypothetischen Karriere durch seine im Jahr 2023 geschehene erfolgreiche Bewerbung auf die wieder zu besetzende Stelle eines Vergütungsexperten im TB 144 belegt werde. Der bisherige Stelleinhaber, der zum 01.12.0000 in Altersrente gegangen sei, sei - so der Kläger in seinem unwidersprochenen Vortrag - in den Tarif-Plus Entgeltgruppe III (E 25) eingruppiert gewesen. Dem Kläger sei nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens (mit fünf Bewerbungsgesprächen mit der Fachbereichsleitung, dem Personalwesen und den Beschäftigten des Fachbereichs) am 05.06.2023 mitgeteilt worden, dass sein Eintritt als Fachreferent Tarif-Plus zum 01.09.2023 erfolgen solle. Dem Kläger sei außerdem mündlich bestätigt worden, dass er in die Entgeltgruppe II (E 24) eingruppiert würde. Der Kläger habe die Übernahme auch dieser Stelle nach längeren Überlegungen abgelehnt, da er nicht innerhalb der Wahlperiode sein Betriebsratsamt habe aufgeben wollen.
Der Kläger hat seine Fortbildungen sämtlich vor dem Jahre 2014 durchlaufen. 0000 erhielt er ein MTM-Praktiker-Diplom, 0000 beendete er ein REFA-Sachbearbeiter-Arbeitsstudium und war seit 0000 REFA-Fachmann. Im Jahr 2013 erwarb er eine Führungslizenz. Auch verfügte der Kläger bereits vor dem Jahr 2014 über praktische Erfahrungen, die ihn für die Stelle eines Vergütungsexperten qualifizierten. So war er ab Mai 2000 bei der A. GmbH tätig und übernahm dort Tätigkeiten aus den Bereichen Personal, Tarifwesen und Arbeitsorganisation/Arbeitsplatzgestaltung. Dass der Kläger erst nach dem Jahre 2014 Wissen und praktische Erfahrung erworben hätte, welche erst den entscheidenden Ausschlag für die Beklagte gegeben hätten, seiner im Jahr 2023 erfolgten Bewerbung den Zuschlag zu erteilen, ist nicht zu sehen und wird seitens der Beklagten auch nicht behauptet.
c.
Dieser zwischen den Parteien in weiten Teilen unstreitige, im Übrigen von der Beklagten nicht bestrittene Sachverhalt ist für die Bildung einer richterlichen Überzeugung vorliegend ausreichend. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren gilt wie in jedem zivilprozessualen Rechtsstreit der Beibringungsgrundsatz. Das erkennende Gericht hat nicht darüber hinaus von Amts wegen zu ermitteln, ob der Kläger bei objektiver Betrachtung - über die seitens der Beklagten erhobenen Einwendungen hinaus - die notwendigen fachlichen, persönlichen und gesundheitlichen Voraussetzungen mitbrachte bzw. mitbringt, um bei der Beklagten im Jahr 2014 und den Folgejahren die Stelle eines Industrial Engineer oder eines Vergütungsexperten zu bekleiden. Die von den Strafverfolgungsbehörden möglicherweise auch im vorliegenden Fall gestellte Frage, ob das Vorgehen der Parteien eine einvernehmliche, bis heute andauernde sachwidrige und gegen § 78 BetrVG verstoßende Begünstigung des Klägers darstellt, erfordert jedoch zur Beantwortung eine Betrachtung aller - und nicht nur der von den Parteien in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführten - rechtlichen Umstände, die zu einer sachwidrigen Begünstigung führen können. Folglich kann das erkennende Gericht hierauf, wie die Beklagte beharrlich verkennt, keine Antwort geben und keine, auch keine inzidente, strafrechtliche Bewertung des Sachverhaltes vornehmen.
3.
Die zu Ziffer 1.) des arbeitsgerichtlichen Urteils ausgeurteilte Zahlungsforderung nebst Zinsen ist der Höhe nach zwischen den Parteien nicht streitig. Gleiches gilt für den mit Ziffer 3.) des arbeitsgerichtlichen Urteils zugesprochenen Betrag. Da der Kläger sich dessen Rückforderung bei Zahlung vorbehalten hat, steht die Vorschrift des § 814 BGB seinem Anspruch nicht entgegen.
Im Hinblick auf den Feststellungsantrag zu 2.) sind die arbeitsgerichtlichen Ausführungen lediglich insoweit zu ergänzen, als dieses es unterlassen hat, dessen Zulässigkeit in den Entscheidungsgründen zu erörtern. Er ist allerdings zulässig; der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, da die Höhe seiner betrieblichen Altersversorgung davon abhängt, ab welchem Zeitpunkt die Beklagte verpflichtet war, das Arbeitsverhältnis in vollem Umfang unter Zugrundelegung einer Eingruppierung des Klägers in den TarifPlus - Entgeltgruppe I bzw. Entgeltgruppe II durchzuführen. Der Antrag zu 2.) ist, wie sich aus dem oben Ausgeführten bereits ergibt, auch begründet.
III.
Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 ZPO.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher, klärungsfähiger und -bedürftiger Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 78 BetrVG zuzulassen, insbesondere der Frage nach der Verteilung bzw. Abstufung der Darlegungslasten bezüglich konkreter freier Stellen, auf die sich das Betriebsratsmitglied hätte bewerben können.