Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.02.2024, Az.: 8 Sa 568/23

Feststellung der dem Arbeitnehmer tarifrechtlich zustehenden Urlaubstage; Tarifliche Regelungsmöglichkeit eines über den im BUrlG geregelten Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruch; Übertragung nicht genommenen Urlaubs in das Folgejahr

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
07.02.2024
Aktenzeichen
8 Sa 568/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 16676
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0207.8Sa568.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Wilhelmshaven - 05.07.2023 - AZ: 2 Ca 65/23 Ã

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die den Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Diese Befugnis schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein.

  2. 2.

    Nach § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L ist der Erholungsurlaub bis zum 31. Mai des Folgejahres anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März des Folgejahres angetreten werden konnte. Hierin liegt ein eigenständiges tarifliches Fristenregime, welches auch für den tariflichen Mehrurlaub gilt.

  3. 3.

    Das Land Niedersachsen hat mit Schreiben vom 7.2.2001 die Anwendung der für Beamte geltenden Regelung des § 8 Abs. 1 NEUrlVO in der seinerzeit geltenden Fassung auf Arbeitnehmer für zulässig erklärt. Es hat nicht erklärt, dass die Vorschrift in ihrer jeweiligen Fassung für Arbeitnehmer Geltung beanspruchen könne. Die mit der Fassung vom 19.9.2013, gültig ab dem 1.10.2013, erfolgte Änderung des § 8 Abs. 1 Satz 3 NEUrlVO, wonach Urlaub, der aufgrund einer durch Krankheit bedingten Dienstunfähigkeit nicht rechtzeitig angetreten worden ist, (erst) verfällt, wenn er nicht bis zum Ablauf der ersten drei Monate des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahres angetreten worden ist, findet somit auf Arbeitnehmer des Landes Niedersachsen keine Anwendung.

  4. 4.

    Die Durchführungshinweise der TdL rechtfertigen keine andere Beurteilung. Bei den Durchführungshinweisen der TdL handelt es sich nur um die Wiedergabe der Ansicht einer Tarifvertragspartei im Rahmen praktischer Hinweise. Einseitige Auslegungen einer Tarifvertragspartei wie zB auch Rundschreiben oder von ihr erstellte Merkblätter sind jedoch keine Hilfsmittel der Tarifauslegung, wenn ihr Inhalt in den Tarifnormen keinen Ausdruck findet.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 05.07.2023 - 2 Ca 65/23 Ö - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten auch in der Berufungsinstanz darum, ob dem Kläger zehn tarifliche Urlaubstage aus dem Jahr 2021 zustehen.

Der am 00.00.0000 geborene, als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist bei der Beklagten, einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts im Lande Niedersachsen, als Forstwirt bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 Stunden zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 3.800,00 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommt der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in forstwirtschaftlichen Verwaltungen, Einrichtungen und Betrieben der Länder (TV-L-Forst) zur Anwendung. Dieser ordnet in § 2 die Geltung der §§ 2 bis 38 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) mit bestimmten Maßgaben - d.h., in § 2 TV-L-Forst im Einzelnen aufgeführten Änderungen einzelner Vorschriften des TV-L - an. Die Urlaubsregelungen des TV-L werden vom TV-L-Forst unverändert übernommen.

§ 26 TV-L lautet:

"§ 26

Erholungsurlaub

(1) 1Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). 2Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage. 3Arbeitstage sind alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig oder betriebsüblich zu arbeiten haben oder zu arbeiten hätten, mit Ausnahme der auf Arbeitstage fallenden gesetzlichen Feiertage, für die kein Freizeitausgleich gewährt wird. 4Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. 5Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. 6Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt werden; er kann auch in Teilen genommen werden.

(2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:

a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.

b) Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, steht als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1 zu; § 5 Bundesurlaubsgesetz bleibt unberührt.

c) Ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel.

d) Das Entgelt nach Absatz 1 Satz 1 wird zu dem in § 24 genannten Zeitpunkt gezahlt."

Nr. 26.1.3 der "TdL-Durchführungshinweise mit Ergänzungen Niedersachsens", Stand 22.1.2007, zu den Abschnitten IV bis VI TV-L - Urlaub und Arbeitsbefreiung, Befristung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Übergangs- und Schlussvorschriften - lautet:

"26.1.3 Urlaubsübertragung (§ 26 Absatz 2 Buchstabe a)

Der TV-L enthält keine eigene Regelung, in welchen Fällen eine Urlaubsübertragung auf das nächste Kalenderjahr zulässig ist. Eine Urlaubsübertragung ist deshalb nach § 7 Absatz 3 Satz 2 Bundesurlaubsgesetz nur statthaft, wenn dringende dienstliche oder in der Person der/des Beschäftigten liegende Gründe dies rechtfertigen; als persönliche Gründe reichen grundsätzlich sachliche Gründe - soweit sie dem Erholungszweck nicht entgegenstehen - aus.

Beispiele: Krankheit der/des Beschäftigten, Erkrankung eines in demselben Haushalt lebenden Angehörigen usw.

Der Zeitraum, bis wann ins folgende Kalenderjahr übertragener Erholungsurlaub abzuwickeln ist, wurde im TV-L eigenständig geregelt (§ 26 Absatz 2 Buchstabe a): Danach muss ein übertragener Erholungsurlaub bis zum 31. März angetreten werden. Nur wenn der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden kann, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.

...

Die Mitgliederversammlung der TdL hatte bereits in der 6./72 Sitzung am 4./5. Oktober 1972 keine Bedenken dagegen erhoben, wenn die Länder in der Frage der Übertragung von Erholungsurlaub für ihre Arbeitnehmer die für die Beamten des Landes jeweils geltenden Vorschriften anwenden, sofern diese günstiger sind als die entsprechenden tariflichen Regelungen. Dieser Beschluss ist in der 10./80 Sitzung der Mitgliederversammlung der TdL am 16. Dezember 1980 erneuert worden. Für Niedersachsen wird deshalb darauf hingewiesen, dass die Zustimmung des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 7. Februar 2001 zur übertariflichen Übertragung des Erholungsurlaubs für das Tarifpersonal entsprechend den beamtenrechtlichen Regelungen - zurzeit bis zum 30. September des Folgejahres - weiterhin gilt."

Das Schreiben des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 7. Februar 2001 lautet:

"Erholungsurlaub des Tarifpersonals in der niedersächsischen Landesverwaltung

Ich bin damit einverstanden, wenn bei Angestellten und Arbeiter(n)/innen hinsichtlich der Übertragung von Resturlaub entsprechend § 8 Abs. 1 der Nds. Erholungsurlaubsverordnung für Beamte verfahren wird.

Im Auftrag

..."

Zum Verfall des Erholungsurlaubes für Beamte regelte § 8 der Niedersächsischen Erholungsurlaubsverordnung (NEUrlVO) in der zum Zeitpunkt des vorzitierten Schreibens des Nds. Finanzministeriums gültigen Fassung vom 12. Dezember 1996 (Nds. GVBl. S. 512 - VORIS 20411 01 64 00 000 -), geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 19. Juni 2000 (Nds. GVBl. S. 118):

"§ 8

Urlaubsantritt und Verfall

(1) 1Der Urlaub soll grundsätzlich im Urlaubsjahr abgewickelt werden. 2Resturlaub, der nicht bis zum Ablauf der ersten neun Monate des folgenden Urlaubsjahres angetreten worden ist, verfällt. 3Hat eine Beamtin vor Beginn der Beschäftigungsverbote nach der Mutterschutzverordnung ihren Urlaub nicht oder nicht vollständig erhalten, so kann sie den Resturlaub nach Ablauf der Fristen im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen.

(2) Bei einem Eintritt in den öffentlichen Dienst im Lauf des Urlaubsjahres verfällt der Urlaub, wenn er nicht bis zum Ende des folgenden Urlaubsjahres angetreten ist."

In der NEUrlVO in der Fassung vom 29.04.2011, gültig vom 1.1.2009 bis zum 30.9.2013, wurde in § 8 Abs. 1 folgender neuer Satz 3 eingefügt:

"Hat eine Beamtin oder ein Beamter aufgrund einer durch Krankheit bedingten Dienstunfähigkeit den Resturlaub nicht rechtzeitig angetreten, so kann dieser im Jahr der Wiederaufnahme des Dienstes oder im nächsten Urlaubsjahr abgewickelt werden."

In der Fassung vom 19.9.2013, gültig ab dem 1.10.2013, wurde § 8 Abs. 1 Satz 3 NEUrlVO wie folgt geändert:

"Ist der Urlaub aufgrund einer durch Krankheit bedingten Dienstunfähigkeit nicht rechtzeitig angetreten worden, so verfällt er, wenn er nicht bis zum Ablauf der ersten drei Monate des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahres angetreten worden ist."

Mit Verordnung vom 15.7.2020, gültig vom 18.7.2020 bis zum 27.7.2021, wurde in § 8 NEUrlVO ein neuer Absatz 1a eingefügt, der wie folgt lautet:

"(1a) 1Ist die ordnungsgemäße Erledigung von Dienstgeschäften der Beamtin oder des Beamten nicht gewährleistet, wenn Urlaub aus dem Urlaubsjahr 2019 bis zum 30. September 2020 angetreten wird, und liegt die Ursache dafür unmittelbar oder mittelbar in den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, so wird, wenn es mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar ist, auf Antrag der Beamtin oder des Beamten bestimmt, dass der Urlaub erst verfällt, wenn er nicht bis zum 31. März 2021 angetreten wird. 2Der Antrag soll bis zum 31. August 2020 gestellt werden; er muss bis zum 30. September 2020 gestellt werden."

Mit Verordnung vom 20.07.2021, gültig vom 28.07.2021 bis zum 26.9.2022, wurde § 8 NEUrlVO Absatz 1a um einen Satz 3 ergänzt und ein neuer Absatz 3 eingefügt. Diese lauten:

"(1) 3Satz 1 gilt für den nicht bis zum 30. September 2021 angetretenen Urlaub aus dem Urlaubsjahr 2020 entsprechend mit der Maßgabe, dass der Urlaub erst verfällt, wenn er nicht bis zum 31. März 2022 angetreten wird; der Antrag soll bis zum 31. August 2021 und muss bis zum 30. September 2021 gestellt werden."

"(3) 1Urlaub verfällt nur, wenn die Beamtin oder der Beamte auf den Verfall des Urlaubs spätestens einen Monat vor dem Verfall hingewiesen wurde. 2Dies gilt nicht in den Fällen des Absatzes 1 Satz 3, auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2. 3Wurde die Beamtin oder der Beamte nicht oder nicht rechtzeitig auf den Verfall des Urlaubs hingewiesen, so erhöht sich der Urlaubsanspruch für das folgende Urlaubsjahr um den Resturlaub."

Mit Verordnung vom 22.09.2022, gültig seit dem 27.9.2022, wurde § 8 NEUrlVO Absatz 1a um einen Satz 4 ergänzt. Dieser lautet:

"4Satz 1 gilt für den nicht bis zum 30. September 2022 angetretenen Urlaub aus dem Urlaubsjahr 2021 entsprechend mit der Maßgabe, dass der Urlaub erst verfällt, wenn er nicht bis zum 31. März 2023 angetreten wird; der Antrag soll bis zum 31. August 2022 und muss bis zum 30. September 2022 gestellt werden."

Der Kläger hat einen jährlichen Gesamturlaubsanspruch von 35 Tagen, die sich aus 20 Tagen gesetzlichem Urlaub, 10 Tagen tariflichem Mehrurlaub und 5 Tagen Schwerbehindertenzusatzurlaub (§ 208 Abs. 1 SGB IX) zusammensetzen. Anfang des Jahres 2022 befanden sich auf dem Urlaubskonto des Klägers noch die vollen 35 Tage Urlaub aus dem Vorjahr. Hiervon nahm der Kläger im Januar 2022 sechs Urlaubstage, so dass noch 29 Urlaubstage aus dem Jahr 2021 verblieben. Der Kläger beabsichtigte, einen weiteren Teil von 15 Tagen seines Resturlaubs aus 2021 im Mai 2022 anzutreten. Dies hatte er seinem Vorgesetzten mitgeteilt, der mitteilte, dass eine Urlaubnahme zu diesem Zeitpunkt möglich sei. Einen schriftlichen Urlaubsantrag stellte der Kläger jedoch nicht.

Der Kläger ist einer von drei Mitarbeitern im Betrieb der Beklagten, die mit der Betreuung der Auszubildenden befasst sind. Der u.a. zuständige Mitarbeiter ... wurde kurzfristig vor dem geplanten Urlaub des Klägers aus betrieblichen Gründen in das Forstamt ... abgeordnet. In der 18. Kalenderwoche erhielt der Kläger eine Anfrage des zweiten für die Betreuung der Auszubildenden zuständigen Kollegen ..., der mitteilte, im Mai Urlaub geplant und beantragt zu haben. Da Herr ... abgeordnet worden sei, werde jemand für die Betreuung der Auszubildenden benötigt. Der Kläger trat daraufhin seinen Urlaub nicht wie geplant an, sondern betreute die Auszubildenden. Er beabsichtigte, seinen Urlaub anzutreten, wenn der Kollege ... wieder aus dem Urlaub zurückgekehrt sei.

Am 11.5.2022 erlitt der Kläger einen schweren Arbeitsunfall, aufgrund dessen er bis zum 30.11.2022 arbeitsunfähig erkrankt war.

Mit einer E-Mail vom 17. Oktober 2022 wies die Beklagte den Kläger hinsichtlich der Urlaubsansprüche darauf hin, dass der gesetzliche Urlaub im Falle der Arbeitsunfähigkeit noch bestehe, indes der tarifliche Urlaub aus dem Jahr 2021 zum 30.09.2022 verfallen sei.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht seine Auffassung dargelegt, dass nach den Durchführungshinweisen der TdL die beamtenrechtlichen Regelungen auf den Urlaubsanspruch Anwendung fänden, mithin auch § 8 Abs. 1 Satz 3 der NEUrlVO. Sei der Urlaub aufgrund einer durch Krankheit bedingten Dienstunfähigkeit nicht rechtzeitig angetreten worden, so verfalle er, wenn er nicht bis zum Ablauf der ersten drei Monate des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahres angetreten worden sei. Mithin verfalle der tarifliche Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2021 frühestens am 31.3.2023. Diese beamtenrechtliche Regelung sei günstiger als die Regelung des § 26 TV-L für die Tarifbeschäftigten und daher entsprechend anzuwenden. Andernfalls würden unverschuldet erkrankte Mitarbeiter unzulässig gegenüber Beamten benachteiligt.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers 10 tarifliche Urlaubstage aus dem Urlaubsjahr 2021 gutzuschreiben,

    hilfsweise

  2. 2.

    festzustellen, dass dem Kläger ein Urlaubsanspruch in der Höhe von 10 tariflichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2021 zusteht.

Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich ihre Ansicht vorgetragen, die beamtenrechtliche Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 3 NEUrlVO in der ab dem 1.10.2013 geltenden Fassung sei auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar. Sie habe in ihrem Schreiben vom 7.2.2001 nur der Anwendung des § 8 Abs. 1 NEUrlVO in der damals gültigen Fassung auf Arbeitnehmer zugestimmt. Der tarifliche Mehrurlaub eines Arbeitnehmers erlösche folglich, wenn dieser - etwa wegen Arbeitsunfähigkeit - nicht bis zum 30. September des Folgejahres angetreten worden sei. Die Tarifvertragsparteien könnten Urlaubsansprüche, die über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgingen, frei regeln. Dies schließe auch die befristete Übertragung des tariflichen Mehrurlaubs ein.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien vor dem Arbeitsgericht wird auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit Urteil vom 5.7.2023, dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten zugestellt am 1.8.2023, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf 10 tarifliche Urlaubstage für das Jahr 2021 sei mit Ablauf des 30.9.2022 verfallen. Zum Zeitpunkt der Zustimmung des Niedersächsischen Finanzministeriums im Jahr 2001 habe die 2013 eingetretene Änderung der NEUrlVO noch nicht gegolten. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die im Streit stehende beamtenrechtliche Regelung bereits im Jahr 2001 in den Willen der TdL aufgenommen worden sei mit der Folge, dass der tarifliche Urlaub der Tarifbeschäftigten erst zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres verfalle. Hierzu habe es vielmehr einer erneuten Entscheidung der TdL bzw. des Niedersächsischen Finanzministeriums bedurft. Da der Kläger nicht gerügt habe, von der Beklagten rechtzeitig in den Jahren 2021 und 2022 auf den Verfall seiner tariflichen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2021 hingewiesen worden zu sein, habe die Beklagte hierzu nicht weiter vortragen müssen.

Mit seiner am 1.9.2023 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen und am 28.09.2023 (Eingang bei Gericht) begründeten Berufung macht der Kläger eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch die Vorinstanz geltend. Er meint, aus den Durchführungshinweisen ergebe sich, dass die Beklagte im Hinblick auf den Verfall des tariflichen Urlaubs von Arbeitnehmern einer Geltung der niedersächsischen beamtenrechtlichen Regelungen, insbesondere des § 8 Abs. 1 Satz 3 NEUrlVO in der ab dem 1.10.2013 geltenden Fassung, zugestimmt habe. Dementsprechend sei sein tariflicher Urlaubsanspruch in Höhe von 10 Tagen aus dem Jahr 2021 nicht zum 30.9.2022 verfallen. Er habe seine Urlaubsansprüche nach seiner Genesung rechtzeitig vor dem 31.3.2023 geltend gemacht, die Beklagte habe das Bestehen seiner Ansprüche jedoch in Abrede gestellt. Das erstinstanzliche Urteil sei auch insoweit unzutreffend, als das Arbeitsgericht angenommen habe, im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Hinweispflichten bzgl. der Urlaubnahme durch den Kläger und den ansonsten drohenden Verfall seiner tariflichen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2021 habe der Beklagten nicht die Darlegungslast oblegen. Schließlich rechtfertige jedenfalls der Umstand, dass der Kläger seinen Urlaub eigentlich im Mai 2022 habe antreten wollen, hiervon jedoch aufgrund betrieblicher, allein in der Sphäre der Beklagten liegender, Umstände Abstand genommen habe, es vorliegend, keinen Verfall seiner Urlaubsansprüche anzunehmen.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven wird die Beklagte verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers zehn tarifliche Urlaubstage aus dem Urlaubsjahr 2021 gutzuschreiben,

    hilfsweise,

  2. 2.

    festzustellen, dass dem Kläger ein Urlaubsanspruch in Höhe von zehn tariflichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2021 zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und macht weiterhin geltend, die ab dem 1.10.2013 geltende Fassung der NEUrlVO finde auf Arbeitnehmer keine Anwendung. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom 7.2.2001 hinsichtlich des Verfalls von Urlaubsansprüchen lediglich die seinerzeit geltenden beamtenrechtlichen Regelungen auf Arbeitnehmer für anwendbar erklärt, nicht aber Arbeitnehmer diesbezüglich auch für die Zukunft uneingeschränkt mit Beamten gleichgestellt. Ihren Hinweispflichten bezüglich der notwendigen Beantragung von Urlaub durch den Kläger und den ansonsten drohenden Verfall seiner Urlaubsansprüche - ausdrücklich auch des tariflichen Urlaubs aus dem Jahr 2021 - habe sie durch monatlich an den Kläger übersandte Schreiben genüge getan. Der Umstand, dass der Kläger ursprünglich im Mai 2022 habe Urlaub antreten wollen, hiervon jedoch Abstand genommen habe, rechtfertige keine Durchbrechung der klaren tariflichen Verfallsregeln. Der Urlaubsanspruch des Klägers in Höhe von 10 tariflichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2021 sei daher zum 30.9.2022 verfallen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien vor dem Landesarbeitsgericht wird auf die hier zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 7.2.2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit ganz überwiegend zutreffender Begründung abgewiesen.

I.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingereicht und begründet worden.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Die 10 tariflichen Urlaubstage des Klägers aus dem Jahr 2021 sind gem. §§ 2 TV-L-Forst, 26 Abs. 2a TV-L i.V.m. dem Schreiben des Niedersächsischen Ministeriums der Finanzen vom 7.2.2001 zum 30.9.2022 verfallen. Haupt- und Hilfsantrag des Klägers, die sich mit unterschiedlicher Formulierung im Ergebnis beide darauf richten, festzustellen, dass der Resturlaub aus 2021 in Höhe von 10 tariflichen Urlaubstagen weiterhin bestehe, hat das Arbeitsgericht daher zu Recht abgewiesen.

1.

a)

Die tarifliche Regelung sieht grundsätzlich einen Verfall von übergesetzlichem Urlaub zum 31.5. des Folgejahres vor.

Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] aaO mwN; BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 21, EzA BUrlG § 7 Nr. 123; 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 23 mwN, BAGE 134, 196; 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19, 26 ff., BAGE 134, 1). Diese Befugnis schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein. Einem von Tarifvertragsparteien angeordneten Verfall tariflichen Mehrurlaubs steht Unionsrecht damit nicht entgegen. Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 Abs. 2 TV-L hinsichtlich der Befristung und Übertragung und damit mittelbar auch zugleich bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende, eigenständige Regelungen getroffen. § 26 TV-L differenziert hinsichtlich der Befristung und der Übertragung des Urlaubs zwar nicht ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindest- und tariflichem Mehrurlaub. Die Tarifvertragsparteien des TV-L haben sich jedoch vom gesetzlichen Fristenregime gelöst, indem sie die Befristung und Übertragung und damit auch den Verfall des Urlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz eigenständig geregelt haben. Während nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG der Urlaub im Fall der Übertragung in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden muss (vgl. BAG 7. Dezember 1993 - 9 AZR 683/92 - zu I 3 der Gründe, BAGE 75, 171), reicht es gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 TV-L aus, dass der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten wird. Die tarifliche Regelung, nach der der bloße Urlaubsantritt genügt, weicht damit erheblich von der gesetzlichen Regelung ab. Eine weitere wesentliche Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime beinhaltet § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 TV-L. Nach dieser Vorschrift ist der Erholungsurlaub bis zum 31. Mai anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres angetreten werden kann. Die Tarifvertragsparteien haben damit anders als der Gesetzgeber im Bundesurlaubsgesetz einen zweiten Übertragungszeitraum festgelegt und auf diese Weise ein eigenständiges, vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes Fristenregime geschaffen. Zwar sieht § 26 TV-L - anders als § 47 Abs. 7 BAT - bei Fristablauf nicht ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs vor. Auch das Bundesurlaubsgesetz ordnet die Rechtsfolge des Verfalls nicht ausdrücklich an (vgl. BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 62, BAGE 130, 119). Einer solchen ausdrücklichen Anordnung des Untergangs des Anspruchs bedarf es nicht. Mit Fristende entfällt die Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs (vgl. BAG 28. November 1990 - 8 AZR 570/89 - zu II 2 der Gründe mwN, BAGE 66, 288). Dies gilt auch für den tariflichen Mehrurlaub. Vgl. zu allem Vorstehenden BAG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 9 AZR 618/10 -, BAGE 141, 374-381, juris Rn. 11 - 18.

b)

Für das Land Niedersachsen gilt zu Gunsten der Arbeitnehmer, dass der Urlaub lediglich grundsätzlich im Urlaubsjahr abgewickelt werden soll. Er wird mithin auch ohne das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit und ohne das Vorliegen betrieblicher bzw. dienstlicher Gründe in das Folgejahr übertragen. Der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub verfällt sodann, wenn dieser bis dahin nicht genommen wird, zum 30.9. des Folgejahres.

aa)

Die Mitgliederversammlung der TdL hatte bereits in der 6./72 Sitzung am 4./5. Oktober 1972 keine Bedenken dagegen erhoben, wenn die Länder in der Frage der Übertragung von Erholungsurlaub für ihre Arbeitnehmer die für die Beamten des Landes jeweils geltenden Vorschriften anwenden, sofern diese günstiger sind als die entsprechenden tariflichen Regelungen. Dieser Beschluss ist in der 10./80 Sitzung der Mitgliederversammlung der TdL am 16. Dezember 1980 erneuert worden (vgl. TdL-Durchführungshinweise mit Ergänzungen Niedersachsens Stand 22.1.2007, 26.1.3 Urlaubsübertragung, letzter Absatz).

bb)

Das Land Niedersachsen, vertreten durch das Nds. Finanzministerium, hat mit Schreiben vom 7.2.2001 unter dem Betreff "Erholungsurlaub des Tarifpersonals in der niedersächsischen Landesverwaltung" erklärt, damit einverstanden zu sein, "wenn bei Angestellten und Arbeiter(n)/innen hinsichtlich der Übertragung von Resturlaub entsprechend § 8 Abs. 1 der Nds. Erholungsurlaubsverordnung für Beamte verfahren wird." Wie aus dem Schreiben klar erkennbar wird, ist damit ausschließlich ein konkreter Absatz einer bestimmten Norm der für Beamte geltenden Urlaubsregelungen in Bezug genommen. Es ist außerdem in keiner Weise davon die Rede, dass die Vorschrift "in ihrer jeweiligen Fassung" für Arbeitnehmer Geltung beanspruchen könne. Das Schreiben kann daher nur dergestalt ausgelegt werden, dass auf § 8 Abs. 1 NEUrlVO in der damals geltenden Fassung Bezug genommen wird.

§ 8 Abs. 1 Satz 1 NEUrlVO in der am 7.2.2001 gültigen Fassung ordnete an, dass der Urlaub "grundsätzlich" im Urlaubsjahr abgewickelt werden "soll[e]". Es bedarf also nicht des Vorliegens von Gründen, damit Urlaub in das Folgejahr übertragen werden kann. Satz 2 der seinerzeit gültigen Fassung legte den Übertragungszeitraum des Folgejahres auf die Zeit vom 1.1. bis zum 30.9. fest und ordnete für den Fall des Nichtantritts von Urlaub in diesem Zeitkorridor ausdrücklich die Verfallsfolge an.

Die mit der Fassung vom 19.9.2013, gültig ab dem 1.10.2013, erfolgte Änderung des § 8 Abs. 1 Satz 3 NEUrlVO, wonach Urlaub, der aufgrund einer durch Krankheit bedingten Dienstunfähigkeit nicht rechtzeitig angetreten worden ist, (erst) verfällt, wenn er nicht bis zum Ablauf der ersten drei Monate des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahres angetreten worden ist, hat das Land Niedersachsen nicht als auf Arbeitnehmer anwendbar erklärt. Weder ist dies in dem vorzitierten Schreiben vom 7.2.2001 erfolgt, noch ist von den Parteien vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt geschehen wäre. Das Land Niedersachsen ist auch aus keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt verpflichtet, die für Beamte geltenden Regelungen zur Urlaubnahme stets in vollem Umfange auch seinen Arbeitnehmern zu Gute kommen zu lassen. Insbesondere gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen diesen beiden Arten von Landesbediensteten nicht. Es handelt sich vielmehr um eine im Ermessen des Landes liegende Gestaltungsfrage.

c)

Die Durchführungshinweise der TdL rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Bei den Durchführungshinweisen der TdL handelt es sich nur um die Wiedergabe der Ansicht einer Tarifvertragspartei im Rahmen praktischer Hinweise. Einseitige Auslegungen einer Tarifvertragspartei wie zB auch Rundschreiben oder von ihr erstellte Merkblätter sind jedoch keine Hilfsmittel der Tarifauslegung, wenn ihr Inhalt in den Tarifnormen keinen Ausdruck findet (BAG 5. September 2019 - 6 AZR 455/18 - Rn. 26).

Zwar weist die TdL unter 26.1.3. ihrer Durchführungshinweise Stand 22.1.2007 im letzten Satz für Niedersachsen darauf hin, dass die Zustimmung des Nds. Finanzministeriums vom 7. Februar 2001 zur übertariflichen Übertragung des Erholungsurlaubs für das Tarifpersonal "entsprechend den beamtenrechtlichen Regelungen - zurzeit bis zum 30. September des Folgejahres - weiterhin gilt". Die TdL meint also offenbar, das Land habe dynamisch auf die jeweils geltenden beamtenrechtlichen Regelungen Bezug genommen. Wie oben im Einzelnen ausgeführt wurde, ist das aber nicht der Fall. Weder in den Tarifnormen noch in dem in Bezug genommenen Schreiben vom 7.2.2001 findet diese einseitige Auslegung der TdL in irgend gearteter Weise Ausdruck.

2.

Die Beklagte hat vorliegend den ihr in Bezug auf die Urlaubnahme des Klägers obliegenden Mitwirkungspflichten vollständig genügt.

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus § 1 BUrlG und § 3 Abs. 1 BUrlG erlischt bei einer mit Art. 7 EG-Richtlinie 88/2003 konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3 und S. 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das Bundesurlaubsgesetz lässt eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 BUrlG zu. Danach trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG. Grundsätzlich führt erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, zur Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den durch die Richtlinie gewährleisteten und von § 1 BUrlG und § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, zwar frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung des § 1 BUrlG und § 7 BUrlG beschränkt. Jedoch müssen für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, dem zufolge der tarifliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres respektive am Ende des Übertragungszeitraums unabhängig von einem entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers verfällt, deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem diesbezüglichen Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. In § 26 TVöD - und damit auch in dem insoweit inhaltsgleichen § 26 TV-L - hat ein vom Gesetzesrecht abweichender Regelungswille der Tarifvertragsparteien keinen Niederschlag gefunden. Abweichungen ergeben sich hinsichtlich des Fristenregimes, nicht jedoch hinsichtlich der Obliegenheit des Arbeitgebers, dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, den tariflichen Mehrurlaub zu nehmen. Somit muss der Arbeitgeber auch in Bezug auf den tariflichen Mehrurlaub konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss ihn - erforderlichenfalls förmlich - dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 541/15 -, juris).

Diesen Obliegenheiten hat die Beklagte vorliegend genügt. Sie hat, wie im Laufe des Verfahrens unstreitig geworden ist, während des gesamten Jahres 2022 den Kläger monatlich zusammen mit der Übermittlung der Lohnabrechnung in einem gesonderten Schreiben darauf hingewiesen, dass und in welcher genauen Höhe er einen Resturlaubsanspruch aus dem Vorjahr (hier: 2021) besitzt, und in welcher Höhe dieser zu verfallen droht, wenn er nicht bis spätestens zum 30.9. angetreten wird (vgl. Anlage 1, Bl. 195 d.A.).

Da die Beklagte ihren Mitwirkungspflichten genügt hat, steht ihrer Berufung auf den Verfall des streitgegenständlichen tariflichen Mehrurlaubsanspruchs nichts entgegen.

3.

Der Beklagten ist es auch nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den tariflich angeordneten Verfall des Urlaubsanspruchs zu berufen.

Die Berufung auf eine Ausschlussfrist stellt dann eine gegen Treu und Glauben verstoßende und damit gemäß §§ 242, 134 BGB unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit des Arbeitnehmers durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlasst worden ist. Der Arbeitgeber muss also den Arbeitnehmer an der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist gehindert haben. Das wird angenommen, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung der Ausschlussfrist erfüllt werde (BAG, Urteil vom 5. August 1999 - 6 AZR 752/97 -, juris).

Zwar beabsichtigte der Kläger zunächst, seinen Urlaub noch im Mai 2022 anzutreten. Auch hatte die Beklagte, vertreten durch den Vorgesetzten des Klägers, diesem auch grundsätzlich zugesagt, dass einer Urlaubnahme in dieser Zeit nichts entgegenstehe. Auch hat der Kläger sodann, weil betriebliche Umstände dies erforderten, von seinem zunächst geäußerten Urlaubswunsch Abstand genommen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Kläger, wie die Beklagte es ihm mit ihren monatlichen Hinweisschreiben auch ausdrücklich zugestand, seinen Resturlaub aus dem Jahre 2021 noch bis zum 30.9.2022 hätte antreten können. Weder der Kläger noch die Beklagte konnten bzw. mussten Anfang Mai 2022 ernsthaft damit rechnen, dass der Kläger in den vier folgenden Monaten nicht in der Lage sein würde, seinen Resturlaub zu nehmen. Die Beklagte hat - aus damaliger Sicht, als der Arbeitsunfall des Klägers und die darauffolgende langandauernde Arbeitsunfähigkeit naturgemäß nicht zu erahnen waren - dem Kläger weder die Geltendmachung seines Anspruchs erschwert oder unmöglich gemacht, noch den Eindruck erweckt, der Kläger könne darauf vertrauen, seinen Resturlaub auch über den 30.9. hinaus nehmen zu können.

III.

Der Kläger hat die Kosten des von ihm erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision war zuzulassen, da die entscheidungserhebliche, klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfrage, ob die für Beamten geltende Urlaubsregelung, wonach auch tariflicher Mehrurlaub bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit erst zum 31.3. des übernächsten Jahres verfällt, auch für Arbeitnehmer Wirksamkeit beanspruchen kann, mehrere tausend Arbeitnehmer des Landes Niedersachsen betreffen kann und somit grundsätzliche Bedeutung besitzt.