Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.06.2024, Az.: 15 Sa 635/23
Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf eine höhere Vergütung; Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 10.06.2024
- Aktenzeichen
- 15 Sa 635/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 22057
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0610.15Sa635.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 22.09.2023 - AZ: 4 Ca 225/23
Rechtsgrundlage
- § 78 S. 2 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Entscheidung des BGH vom 10.1.2023, 6 StR 133/22 steht der Annahme eines Anspruchs eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf eine höhere Vergütung wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG inhaltlich nicht entgegen.
- 2.
Eine Auslegungsdivergenz zwischen den Gerichtsbarkeiten führt zu einer der Rechtssicherheit durchaus abträglichen Konstellation. Ein subjektiv-rechtlich geschütztes Vertrauen auf Auslegungsübereinstimmung über einen Gerichtszweig hinweg kann Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aber nicht entnommen werden.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 22.09.2023 - 4 Ca 225/23 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung von Vergütung.
Der Kläger ist seit dem 00.00.0000. bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 00.00.0000 ist er Mitglied des Betriebsrats im Betrieb S. und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme war er als Anlagenbediener im Bereich Montage tätig und in die Entgeltstufe 9 eingruppiert.
Bei der Beklagten besteht eine Gesamtbetriebsvereinbarung 08/20 zur Bestimmung der Entgeltentwicklung von Betriebsratsmitgliedern vom 10.12.2020, die auszugsweise lautet:
"6 Schlichtungsstelle
6.1 Mitglieder der Schlichtungsstelle sind zwei Vertreter der V., zwei vom Gesamtbetriebsrat zu entsendende Vertreter sowie ein neutraler Sachverständiger. Der neutrale Sachverständige übernimmt den Vorsitz der Schlichtungsstelle. Er kann ein Richter oder ehemaliger Richter eines deutschen Arbeitsgerichts oder ein Professor der Rechtswissenschaften an einer deutschen Hochschule sein. Der neutrale Sachverständige wird durch das Unternehmen in Abstimmung mit dem Gesamtbetriebsrat bestimmt.
6.2 Die Schlichtungsstelle entscheidet insbesondere über Streitigkeiten nach Ziffer 3. 3 und Ziffer 5.4.
6.3 Für das Verfahren der Beschlussfassung der Schlichtungsstelle gilt § 76 Abs. 5 BetrVG analog."
Wegen des weiteren Wortlauts der Gesamtbetriebsvereinbarung wird auf Bl. 25-29 der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen. Zu der Gesamtbetriebsvereinbarung besteht eine Durchführungsanweisung, wegen deren Wortlaut auf Bl. 151-170 der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen wird.
Mit interner Stellenausschreibung vom 27.11.2020 (Bl. 14 der erstinstanzlichen Akte) schrieb die Beklagte eine Stelle als Güteprüfer Zellentwicklungslabore-Transformation aus. Auf die Bewerbung des Klägers teilte die Beklagte dem Kläger nach Durchführung des Auswahlverfahrens mit E-Mail vom 26.03.2021 (Bl. 12 der erstinstanzlichen Akte) mit, sie habe sich für ihn entschieden und bot ihm die Stelle an. Mit E-Mail vom 29.03.2021 (Bl. 13 der erstinstanzlichen Akte) lehnte der Kläger das Jobangebot mit der Begründung, er habe sich entschieden weiterhin Betriebsrat zu bleiben, ab.
Die Stelle des Güteprüfers im Labor (Spezialist II) war nach der Entgeltstufe (ES) 14 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. und der I. Bezirksleitung N. und S. vom 5. März 2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 zu vergüten. Die für die Ausübung der Stelle erforderlichen Qualifikationen erwarb der Kläger vor der Beschäftigung bei der Beklagten im Rahmen seiner Tätigkeit im Labor der physikalisch technischen Bundesanstalt. Der Kläger ist ausgebildeter Elektroniker für Geräte und Systeme. Er hat die Fachhochschulreife und am 14.02.2014 die Ausbildereignungsprüfung bestanden.
Mit Schriftsatz vom 16.1.2023 (Bl. 22 bis 24 der erstinstanzlichen Akte) beantragte der Kläger die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens zur Angleichung des Entgelts nach der GBV Nr. 08/20. Eine Entscheidung der Schlichtungsstelle über den Antrag erfolgte nicht.
Mit Schriftsatz vom 08.05.2023 hat der Kläger die vorliegende Klage zunächst als Antrag im Beschlussverfahren erhoben. Mit Beschluss vom 07.06.2023 hat das Arbeitsgericht Braunschweig die gewählte Verfahrensart für unzulässig erklärt und das Verfahren in das Urteilsverfahren verwiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger keine sofortige Beschwerde eingelegt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm ab dem 01.04.2021 Vergütung nach der ES 14 zu zahlen, da ihm zu diesem Zeitpunkt die Tätigkeit des Güteprüfers im Labor (Spezialist II) übertragen worden wäre, wenn er nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen wäre.
Nachdem der Kläger zunächst auch angekündigt hatte, als Anträge zu 2. und 3. zu beantragen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die wegen Betriebsratstätigkeit entfallene Schichtvergütung und Vergütung für hypothetische Mehrarbeit anhand der für den Kläger gebildeten Ver- gleichsgruppe zu ermitteln,
und
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, bei der Ermittlung der hypothetischen Mehrarbeit des Klä- gers nur die realen Abwesenheitszeiten (Urlaub und Krankheit) des Klägers und nicht die Abwesenheitszeiten anderer Personen kumulativ zu Grunde zu legen;
hat er die Klage insoweit im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 22.9.2023 zurückgenommen.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem 01.04.2021 nach Entgeltstufe (ES) 14 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. und der I. Bezirksleitung N. und S. vom 05.03.2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis) zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, es sei unsicher, ob nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) die Höherstufung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds im Rahmen einer hypothetischen Karriere noch zulässig sei. Wegen der damit verbundenen strafbewehrten Risiken sei sie an der Umsetzung der hypothetischen Karriere im Fall des Klägers gehindert.
Mit Urteil vom 22.09.2023 hat das Arbeitsgericht Braunschweig der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach der Entgeltstufe 14 folge aus § 78 Abs. 2 BetrVG. Dem Kläger sei die Stelle eines Güteprüfers im Labor (Spezialist II) nur deshalb nicht übertragen worden, weil er erklärt habe, weiter seine Betriebsratstätigkeit nachgehen zu wollen. Ob der Bundesgerichtshof in seiner genannten Entscheidung eine vom Bundesarbeitsgericht abweichende Rechtsprechung vertrete, könne offenbleiben, da das Arbeitsgericht jedenfalls nicht an eine abweichende Auffassung des BGH gebunden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 364-366 der erstinstanzlichen Akte), wegen der rechtlichen Würdigung durch das Arbeitsgericht auf die Entscheidungsgründe (Bl. 366-369 der erstinstanzlichen Akte) Bezug genommen.
Gegen das ihr am 29.09.2023 zugestellte Urteil vom 22.09.2023 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2023, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 6. Oktober 2023 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 28.11.2023, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 28.11.2023 begründet.
Die Beklagte ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es sich nicht mit der grundsätzlichen Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Vergütungsbemessung auf Basis einer hypothetischen Karriere freigestellter Betriebsratsmitglieder befasst habe. Sie befinde sich in einer rechtlichen Konfliktsituation, da sie befürchten müsse, bei Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts strafrechtlich verfolgt zu werden. Dies habe das Arbeitsgericht nicht allein mit dem Hinweis, es sei nicht an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gebunden übergehen dürfen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 22.09.2023, Az.: 4 Ca 225/23, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als richtig und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 28.11.2023, 14.02.2024, 31.05.2024 und 03.06.2024 sowie die Sitzungsniederschrift vom 10.06.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 ZPO.
1.
Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungskläger die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen; vgl. BAG, 10.12.2019, 3 AZR 122/18, Juris Rn. 27, m. w. N..
2.
Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung.
Allerdings wendet die Beklagte gegen die tragende Begründung des Arbeitsgerichts, der Anspruch des Klägers auf Vergütung nach Entgeltstufe (ES) 14 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. und der I. Bezirksleitung N. und S. vom 5. März 2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis) folge nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m § 78 Satz 2 BetrVG nichts ein. Die Beklagte wendet sich weder gegen die tatsächlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts zu den Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs noch gegen die Wertung, diese entsprächen den Grundsätzen der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Die Beklagte wendet sich aber unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs und eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip gegen die Ansicht des Arbeitsgerichts, für die Entscheidung des Rechtsstreits komme es auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.1.2023, 6 StR 133/22, nicht an, da das Gericht an die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht gebunden sei. Auch wenn die Auseinandersetzung der Beklagten mit dem tragenden Argument des Arbeitsgerichts, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfalte für den vorliegenden Rechtsstreit keine Bindungswirkung nur oberflächlich ist, ist in ihr noch ein zulässiger Berufungsangriff zu sehen.
II.
Die Berufung ist aber insgesamt unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Die Klage ist zulässig und begründet.
1.
Gegen die Zulässigkeit der Klage als übliche Eingruppierungsfeststellungsklage bestehen, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Bedenken.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass das vom Kläger beantragte Schlichtungsverfahren nach Ziff. 6 der GBV 08/20 nicht durchgeführt worden ist. Das Schlichtungsverfahren nach der GBV 08/20 ist nicht zulässigerweise als Prozessvoraussetzung ausgestaltet und im Übrigen hat die Beklagte eine entsprechende Rüge nicht erhoben (vgl. insoweit BAG, 8.9.2021, 10 AZR 322/19, Juris Rn. 16). Die Beklagte hat vielmehr vorgetragen, mit der Erhebung der Klage sei das Schlichtungsverfahren obsolet.
2.
Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger kann die begehrte Feststellung verlangen, da die Beklagte seit dem 1.4.2021 verpflichtet ist, ihm Vergütung nach der ES 14 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der I. Bezirksleitung N. und S. vom 5. März 2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis) zu zahlen und die Zahlungen ab den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten zu verzinsen. Der Anspruch folgt unter Berücksichtigung der Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. § 78 S. 2 BetrVG.
a.
Insoweit folgt die Berufungskammer der Begründung des Arbeitsgerichts, macht sich diese zu eigen, verweist auf diese und stellt dies fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Von der Verweisung umfasst sind insbesondere die Ausführungen unter II. 1. bis 4. der Entscheidungsgründe, dort Seiten 4 bis 6 (Bl. 366 bis 368 der erstinstanzlichen Akte).
b.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sieht sich lediglich zu folgenden Ausführungen veranlasst.
(1)
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.1.2023, 6 StR 133/22 steht der vorliegenden Entscheidung unabhängig von der Frage, ob die Gerichte für Arbeitssachen an sie gebunden sein können bereits inhaltlich nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof geht in dieser Entscheidung lediglich davon aus, da die Betriebsratstätigkeit unentgeltlich auszuüben sei, sie im Interesse der Unabhängigkeit ein strenger Maßstab anzulegen. Dieser verbiete es, bei der Frage der Vergleichbarkeit auf eine hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrates abzustellen; vgl. BGH, 10.1.2023, 6 StR 133/22 Juris Rn. 22. Hierin ist keine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu erkennen. Die Rechtsauffassung spielt auch für den vorliegenden Fall keine Rolle, denn der Anspruch des Klägers wird nicht auf die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG, sondern auf das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG gestützt. Diesen Anspruch schließt der Bundesgerichtshof nicht grundsätzlich aus. In der genannten Entscheidung (a.a.O. Rn.22) führt er vielmehr unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.1.2020, 7 AZR 222/19, Rn. 30 aus, die Zahlung einer höheren Vergütung setze voraus, dass der Betriebsrat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen ist und darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstießen gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG; vgl. insoweit auch LAG Niedersachsen, 8.2.2024, 6 Sa 559/23, Juris Rn. 49.
(2)
Die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs stünde der Entscheidung im vorliegenden Verfahren aber auch dann nicht entgegen, wenn in ihr eine Abweichung von den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu sehen sein sollte, denn die Berufungskammer ist ebenso wenig wie das Arbeitsgerichts an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gebunden. Eine Bindung folgt weder aus dem Rechtsstaatsprinzip noch aus dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung.
Die Gewährleistung von Rechtsprechungseinheit ist zunächst Sache des Gesetzgebers: Bei allzu stark divergierender Rechtspraxis müssen präzisere normative Vorgaben Rechtsklarheit und damit Rechtseinheit sicherstellen. Anders als in der Verwaltung, wo Verwaltungsvorschriften für eine gleichmäßige Rechtsanwendung sorgen können, kann dieses Instrument für die Rechtsprechung wegen der Unabhängigkeit der Richter weder unmittelbar genutzt werden, noch überzeugt es in der mittelbaren Form einer Bindung an Präjudizien. Eine einfachgesetzliche Begründung einer Bindung auch nur an höchstrichterliche Rechtsprechung wäre mit Art. 97 GG nicht zu vereinbaren. Das Gebot der Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit gilt auch im Bereich der Judikative. Zulässig ist die Bindung an die Entscheidung eines anderen Gerichtes allein iRd Behandlung eines konkreten Falles, also bei einer Zurückverweisung oder nach einer Vorlage. Der gerichtliche Instanzenzug sichert die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, indem für die Fälle der Divergenz bzw. grundsätzlicher Bedeutung ein Rechtsmittel oder eine Vorlage an ein Obergericht (mit Bindungswirkung der Entscheidung für das Ausgangsgericht) vorgesehen wird. Im Verhältnis der obersten Bundesgerichte zueinander hat der gemeinsame Senat der Obersten Bundesgerichte (Art. 95 Abs. 3) die entsprechende Funktion, wenn auch mit Beschränkung auf das Bundesrecht; vgl. Huber/Voßkuhle/Classen, 8. Aufl. 2024, GG Art. 97 Rn. 20-24; vgl. auch zu der Frage einer rechtswegübergreifenden Bindung an Entscheidungen BVerfG, 1.7.2020, 1 BvR 2838/19.
Eine etwaige Bindung an die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs scheidet nach allem bereits deswegen aus, weil der Bundesgerichtshof über die hier vorliegende Konstellation nicht entschieden hat. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, sie sehe sich bei Befolgung der Entscheidung dem Risiko ausgesetzt, strafrechtlich verfolgt zu werden, teilt zunächst die Kammer die Einschätzung des Risikos nicht. Es ist aber auch von der Beklagten hinzunehmen. Zwar führt eine Auslegungsdivergenz zwischen den Gerichtsbarkeiten zu einer der Rechtssicherheit durchaus abträglichen Konstellation. Ein subjektiv-rechtlich geschütztes Vertrauen auf Auslegungsübereinstimmung über einen Gerichtszweig hinweg, der im Falle des Staatshaftungsrechts zu einer ständigen Korrespondenz der Gerichte auf der Primär- und Sekundärebene des Rechtsschutzes führt, kann Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aber nicht entnommen werden. Das folgt nicht zuletzt aus Art. 95 III 1 GG, der einen Gemeinsamen Senat eigens zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nur zwischen den obersten Gerichtshöfen vorsieht; vgl. BVerfG, 1.7.2020, 1 BvR 2838/19, Juris Rn. 20.
III.
Auch das weitere Vorbringen der Parteien, auf das in diesem Urteilt nicht mehr besonders eingegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gem. § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Im Hinblick auf eine Vielzahl von Verfahren, in denen die Frage des Verhältnisses der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zur Festlegung der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder entscheidungserheblich ist, ist von einer grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage auszugehen.