Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.05.2024, Az.: 4 Sa 446/23
Berechtigung des Arbeitgebers zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Mitglieds des Betriebsrats aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist (hier: Konsum von Kokain während der Arbeitszeit)
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 06.05.2024
- Aktenzeichen
- 4 Sa 446/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 16930
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0506.4Sa446.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 22.05.2023 - AZ: 4 Ca 315/22
Rechtsgrundlage
- § 15 Abs. 1 KSchG
Fundstellen
- AA 2024, 162
- ArbR 2024, 446
- AuA 2024, 54
- FA 2024, 234
Amtlicher Leitsatz
Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar, der einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB abgeben kann.
Tenor:
- 1.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.05.2023 - 4 Ca 315/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- 2.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen.
Der am 00.00.1982 geborene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 01.06.2002 bei der Beklagten als Kommissionierer bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Er war seit 2018 freigestelltes Betriebsratsmitglied. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Logistikgesellschaft.
Seit dem 01.02.2015 gilt bei der Beklagten die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Umgang mit Suchtmitteln vom 21.01.2015 (im Folgenden: GBV). Hier heißt es auszugsweise wie folgt:
"§ 3 - Suchtmittelverbot
3.1 Unter dem Begriff "Suchtmittel" sind alle substanzgebundenen Mittel mit einer bewusstseinsverändernden Wirkung zu verstehen, wie z. B. Medikamente, Alkohol, Drogen, Opiate etc."
3.2 Innerhalb der Betriebe und an anderen Dienstorten ist jeglicher Konsum von Suchtmitteln wegen der davon ausgehenden Gefahr für Sicherheit und Gesundheit untersagt. Diese Regelung gilt von Arbeitsbeginn bis Arbeitsende einschließlich der Pausen.
...
§ 4 - Maßnahmen
Alle Maßnahmen in Zusammenhang mit dem Umgang mit Suchtmitteln werden in der Regel analog der nachfolgend beschriebenen Interventionskette durchgeführt (Übersicht siehe Anlage 4). Diese bestehen aus den nachfolgend beschriebenen Stufen. Gleichwohl behält sich der Arbeitgeber das Recht vor, bei Vorliegen von Verstößen gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen/Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen.
4.1 Fürsorgegespräch
Entsteht bei der direkten Führungskraft oder deren Vertretung der Eindruck, dass ein Arbeitnehmer unter Suchtmitteleinfluss steht, führt er mit dem Betroffenen ein Fürsorgegespräch. Die Rechte und Pflichten werden klargestellt und die Führungskraft bzw. deren Vertretung hat den Arbeitnehmer daraufhin analog der Regelungen des § 3 dieser Betriebsvereinbarung vom Arbeitsplatz zu verweisen und das entsprechende Protokoll gemäß Anlage 1 zu erstellen. Für den Folgetag wird ein Termin zwischen Führungskraft bzw. deren Vertretung und dem Arbeitnehmer vereinbart.
4.2 Klärungsgespräch
Das Gespräch wird zwischen der direkten Führungskraft oder deren Vertretung und dem Arbeitnehmer geführt. Es erfolgt eine Konfrontation mit den Auffälligkeiten sowie eine Erläuterung der Interventionskette. Zudem wird zwischen Führungskraft und Arbeitnehmer ein Rückmeldegespräch vereinbart. ...
4.3 Erste Interventionsstufe
Ist der Arbeitnehmer wiederholt unter Suchtmitteleinfluss, wird ein weiteres Gespräch zwischen der direkten Führungskraft oder deren Vertretung, dem Arbeitnehmer, einem Mitglied des Betriebsrats, bei schwerbehinderten Arbeitnehmern einem Mitglied der Schwerbehindertenvertretung sowie einem vor Ort für die Thematik zuständigen und geschulten Ansprechpartner geführt. ...
4.4 Zweite Interventionsstufe
..."
Am 17. August 2022 beobachtete das Betriebsratsmitglied B. durch die Scheiben des Betriebsratsbüros, wie der Kläger an seinem Schreibtisch im Betriebsratsbüro ein weißes Pulver mit einer Karte zu einer Linie formte und sodann mit einem Röhrchen durch die Nase konsumierte. Das Betriebsratsmitglied konfrontierte den Kläger noch am selben Tag mit den Beobachtungen. Der Kläger äußerte gegenüber B. sinngemäß, dass er sich keine Sorgen mache müsse und es sich bei der Substanz nicht um Drogen oä. gehandelt habe.
Die Betriebsleitung wurde am 30. August 2022 per E-Mail durch das Betriebsratsmitglied B. über den Vorgang informiert. Wegen des konkreten Inhalts der E-Mail wird auf die Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21.12.2022 Bezug genommen.
Der Kläger befand sich bis zum 04.09.2022 im Urlaub. Am 06.09.2022 wurde er durch den Betriebsleiter S. und einen Personalreferenten M. zu den Beobachtungen am 17.08.2022 angehört. Der Kläger erklärte dabei auf nochmalige konkrete Nachfrage, dass es sich bei der Substanz um Schnupftabak mit Traubenzucker gehandelt habe. Im Nachgang zu dieser Besprechung zeigte der Kläger den beiden Gesprächsteilnehmern eine kleine Flasche mit der Aufschrift Schneeberg, die er zuvor aus seinem Büro geholt hatte. Herr S. roch daran und stellte fest, dass der Inhalt nach Zitrone roch. Von den beiden Gesprächsteilnehmern wurde der Kläger zudem gefragt, ob er bereit sei, einen Drogentest zu machen. Der Kläger äußerte hieraufhin, dass dies eine Möglichkeit sei, über die er selbst schon nachgedacht habe. Er wisse aber nicht, wo er das machen könne, außerdem koste dies sicher ein Vermögen. Auf den Hinweis, dass ein Drogentest beim Hausarzt oder beim Gesundheitsamt durchgeführt werden könne, äußerte der Kläger, er werde darüber nachdenken, ob er bis Freitag zur Betriebsratssitzung einen solchen Test durchführen lasse. Wegen des weiteren Gesprächsinhalts wird auf das als Anlage K2 des mit Schriftsatz des Klägers vom 10.01.2023 überreichten Protokolls vom 06.09.2022 Bezug genommen.
Am 08.09.2022 informierte die Beklagte den Kläger, dass die Kosten für einen Drogentest von ihr übernommen werden. Eine Rückmeldung durch den Kläger erfolgte dann nicht mehr.
Mit Schreiben vom 09.09.2022 wurde der Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlich fristlosen Kündigung ersucht. Die Zustimmung wurde durch den Betriebsrat auf die Sitzung vom 12.09.2022 erteilt. Der Kläger suchte danach gemeinsam mit dem Betriebsratsvorsitzenden L. den Personalreferenten M. auf, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Hierbei übergab der Vorsitzende die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung mit den an den Kläger gerichteten Worten: "Dann haben sie das jetzt auch offiziell...". Der Anhörungsbogen, der am Ende sowohl die "Unterschrift Betriebsrat" vorsieht als auch die Ankreuzmöglichkeiten "stimmt zu" bzw. "gibt folgende Stellungnahme ab", war zu diesem Zeitpunkt vom Betriebsrat nicht ausgefüllt und auch nicht unterzeichnet.
Mit Schreiben vom 12.09.2022, dem Kläger am 13.09.2022 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich.
Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 27.09.2022 beim Arbeitsgericht Oldenburg eingegangenen und der Beklagten am 01.10.2022 zugestellten Klage gewandt. In der Klageschrift ließ der Kläger ausführen, dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung nicht vorliege und auch nicht durch das Arbeitsgericht ersetzt worden sei.
Nachdem der Kläger auf die Aufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2022, ob er an dem Vortrag seines Prozessbevollmächtigten, die Zustimmung des Betriebsrats liege nicht vor, festhalte, bis zum 20.10.2022 nicht reagiert hat, erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber unter dem Datum des 23.11.2022 hilfsweise eine weitere außerordentliche Kündigung, gegen deren Wirksamkeit sich der Kläger mit Klageerweiterung vom 07.12.2022 gewandt hat.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung vom 12.09.2022 sei unwirksam. Er hat in Abrede gestellt, illegale Suchtmittel konsumiert zu haben. Die Beklagte berücksichtige nicht, dass auch Schnupftabak durch Röhrchen konsumiert werden könne. Eine Verpflichtung zu einem Drogentest - konkret einer Haarprobe - habe nicht bestanden und sei auch nicht veranlasst gewesen. Er hat ferner behauptet, an dem fraglichen Tag nicht in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen zu sein, so sei er mit zwei weiteren Betriebsratsmitgliedern noch mit der Ausarbeitung des Entwurfes einer Betriebsvereinbarung zum Thema Zielbonus befasst gewesen. Die außerordentliche Kündigung sei auch unverhältnismäßig. Die Beklagte habe das in der GBV niedergelegte Procedere nicht eingehalten. Zudem rechtfertige auch ein einmaliger Drogenkonsum nur unter besonderen Umständen eine außerordentliche Kündigung. Er übe keine gefährlichen Tätigkeiten aus. Das gelegentliche Betreten des Lagers sei vom Gefährdungspotenzial nicht mit der Tätigkeit eines Berufskraftfahrers zu vergleichen. Da die Anhörung zur ersten Kündigung vom 12.09.2022 nicht vom Betriebsrat unterzeichnet gewesen sei, sei anfänglich von einem Formfehler ausgegangen worden. Es sei geplant gewesen, im Gütetermin vom 24.11.2022 die begehrte Korrektur vorzunehmen.
Der Kläger hat beantragt,
- 1.
es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.09.2022 nicht beendet wird.
- 2.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.11.2022 nicht beendet wird.
- 3.
Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Freistellung Betriebsrat weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen einer Tatkündigung wegen des Konsums harter Drogen seien erfüllt, jedenfalls lägen die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung vor. Sie hat behauptet, der Kläger habe am 17.08.2022 Kokain konsumiert. Dies folge schon aus der Art der Einnahme. Der Einwand des Klägers, es habe sich um Schnupftabak gehandelt, sei eine Schutzbehauptung. Der Kläger habe einem Drogentest nicht zugestimmt. Schnupftabak werde zudem üblicherweise zwischen Daumen und Zeigefinger gelegt und sodann durch die Nase eingezogen. Durch den Drogenkonsum im Betrieb gefährde der Kläger die Sicherheit und Gesundheit seiner eigenen Person und die der anderen Mitarbeiter. Er sei auch zuweilen im Lager unterwegs, wo ein reger Betrieb herrsche. Sie hat behauptet, es sei unzutreffend, dass der Kläger nach dem fraglichen Vorfall am 17.08.2022 noch an dem Entwurf einer Betriebsvereinbarung Zielbonus gearbeitet habe. Der Anwendungsbereich der GBV sei nicht eröffnet, da der Kläger selbst nicht vortrage, süchtig zu sein. Auch sei die weitere außerordentliche Kündigung - für den Fall, dass es hierauf noch ankomme - wirksam. Das unwahre Vorbringen des Klägers in seiner Klageschrift erschüttere das Vertrauensverhältnis erneut und stelle eine nicht hinnehmbare Pflichtverletzung dar.
Mit Urteil vom 22.05.2023 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Zwar könne nicht von einer nachgewiesenen Pflichtwidrigkeit des Klägers ausgegangen werden. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.09.2022 sei aber als Verdachtskündigung wirksam. Es lägen dringende Verdachtsmomente dafür vor, dass der Kläger während der Arbeitszeit harte Drogen in Form von Kokain konsumiert habe. Der Konsum von Kokain sei in hohem Maße geeignet, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Der schwerwiegende Verdacht des Konsums harter Drogen werde nicht durch die Behauptung des Klägers, es habe sich um mit Traubenzucker versetzten Schnupftabak gehandelt, in Zweifel gezogen. Der Kläger sei vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß angehört worden. Der Anlass des Personalgesprächs habe von der Beklagten nicht angekündigt werden müssen, die Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten seien auch inhaltlich angemessen und nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei auch nicht aufgrund der GBV am Ausspruch der Kündigung gehindert. Der Kläger selbst trage nicht vor, dass er drogensüchtig sei. Die außerordentliche Kündigung sei auch im Übrigen verhältnismäßig. Die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
Gegen das dem Kläger am 02.06.2023 zugestellte Urteil richtet sich dessen am Montag, den 03.07.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die er am 01.09.2023, innerhalb der bis zum 02.09.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts lägen die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung nicht vor. Das Arbeitsgericht beschreibe schon nicht, welche Pflicht er - der Kläger - konkret verletzt habe. Es werde bestritten, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen sei, seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß zu erbringen. Die von ihm geschuldete Arbeitsleistung sei zu großen Teilen gefahrungeneigt. Dies betreffe nicht nur die Betriebsratstätigkeit, sondern auch seine Tätigkeit als Disponent. Selbst unterstellt, er habe sich eines Verstoßes gegen die GBV schuldig gemacht, seien hier mildere Mittel gegenüber der fristlosen Kündigung vorgesehen. Die in der GBV vorgesehenen Eskalationsstufen seien auch im vorliegenden Fall einzuhalten. Die von der Beklagten vorgenommene Anhörung sei auch wegen Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Vorschriften rechtswidrig. Auch die Kündigung vom 23.11.2022 sei unwirksam. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Anhörungsbogen vom Betriebsrat nicht unterschrieben worden ist, sei sein Klagevorbringen nicht geeignet, einen versuchten Prozessbetrug zu begründen. Jedenfalls habe die Beklagte insoweit die Zweiwochenfrist nicht gewahrt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.05.2023 - 4 Ca 315/22 - abzuändern und
- 1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.09.2022 nicht beendet wird.
- 2.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.11.2022 nicht beendet wird.
- 3.
Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Freistellung Betriebsrat weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt im Wesentlichen das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe der Berufungserwiderung. Dabei vertritt sie weiterhin die Auffassung, dass schon die Voraussetzungen einer Tatkündigung vorlägen. Der Kläger habe die Beweisführung letztlich unmöglich gemacht. Aufgrund des Zeitablaufs sei zwischenzeitlich auch eine Haarprobe nicht mehr geeignet, den damaligen Drogenkonsum des Klägers zu beweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich des Sitzungsprotokolls abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.
B.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 12.09.2022 für wirksam befunden.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Nach § 15 Abs. 1 KSchG ist ua. die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.
1.
Im vorliegenden Fall liegen Tatsachen vor, die die Beklagte zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen.
a)
Die Kammer stimmt dem Arbeitsgericht zu, dass kein erwiesener wichtiger Grund im Sinne einer Tatkündigung vorliegt. Der Konsum von Kokain am 17.08.2022 ist zwischen den Parteien streitig. Ob aufgrund des Umstands, dass sich der Kläger einem Drogentest nicht unterzogen hat, von einer Beweisvereitelung durch den Kläger ausgegangen werden kann mit der Folge, dass zugunsten der Beklagten Beweiserleichterungen greifen, kann dahingestellt bleiben.
b)
Zutreffend ist das Arbeitsgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung ausgegangen.
aa)
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., vgl. ua. BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 -, Rn. 16 mwN).
Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17 mwN).
Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch. Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18).
bb)
In Anwendung dieser Grundsätze liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB "an sich" vor.
(1)
Der Konsum von Kokain während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar, der einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB abgeben kann.
Es besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen oder bei Erbringung seiner Arbeitsleistung sich oder andere gefährden kann (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 18). Dabei kann selbst eine außerhalb der Arbeitszeit herbeigeführte Einschränkung der Fähigkeit zur sicheren Erbringung der Arbeitsleistung einen wichtigen Grund "an sich" iSv. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts macht es keinen Unterschied, ob die Fähigkeit zur (sicheren) Erbringung der Arbeitsleistung durch ein Verhalten während oder außerhalb der Arbeitszeit eingeschränkt wurde (BAG 20. Oktober 2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 18). Erst recht gilt dies für einen illegalen Drogenkonsum während der Arbeitszeit und in den Betriebsräumlichkeiten des Arbeitgebers. Der Besitz von Kokain - welcher mit dem Konsum von Kokain zwingend einhergeht - ist nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG unter Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren gestellt. In den Betriebsräumlichkeiten zur Arbeitszeit begangene Straftaten stellen einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses "an sich" dar. Im Betrieb der Beklagten ist der Konsum von Suchtmitteln zudem explizit nach § 3 3.2 der GBV wegen der davon ausgehenden Gefahren für Sicherheit und Gesundheit untersagt.
(2)
Der Kläger ist dringend des Konsums von Kokain am 17.08.2022 während der Arbeitszeit und in den Räumlichkeiten der Beklagten verdächtig.
Unstreitig wurde der Kläger am 17.08.2022 dabei beobachtet, wie er an seinem Schreibtisch im Betriebsratsbüro ein weißes Pulver mit einer Karte zu einer Linie formte und sodann mit einem Röhrchen durch die Nase konsumierte. Dafür, dass es sich bei der Substanz, welche der Kläger am 17.08.2022 an seinem Schreibtisch im Betriebsratsbüro mit einem Röhrchen durch die Nase konsumiert hat, um Kokain handelte, spricht zum einen die Methode der Einnahme. Kokain wird meistens durch die Nase aufgenommen (Schnupfen; im Szenejargon "eine Line ziehen"), vgl. Wikipedia, Stand zuletzt 07.05.2024 unter dem Stichwort "Kokainismus".
Die Einlassungen des Klägers, welche Substanz er sich am 17.08.2022 in die Nase gezogen habe, sind widersprüchlich. Gegenüber dem Betriebsratsmitglied B. am 17.08.2022 hat er keine konkreten Aussagen dazu getroffen, welche Substanz er zu sich genommen haben mag. Er äußerte lediglich pauschal, dass es nichts illegales und keine Drogen gewesen seien. Sollte es sich bei der am 17.08.2022 konsumierten Substanz tatsächlich nicht um Kokain gehandelt haben, hätte es nahegelegen, schon dem Betriebsratsmitglied B. am 17.08.2022 gegenüber konkretere Angaben zu machen, um jeglichen Verdacht der Einnahme von harten Drogen im Keim zu ersticken. Dies ist nicht geschehen. In der Anhörung am 06.09.2022 hat der Kläger auf konkrete Nachfrage geäußert, es habe sich um Schnupftabak mit Traubenzucker gehandelt. Im Kammertermin am 06.05.2024 äußerte der Kläger zunächst, es habe sich um Traubenzuckerpulver gehandelt. An späterer Stelle und auf nochmalige Nachfrage erklärte der Kläger, der "Hauptbestandteil", den er am 17.08.2022 konsumiert habe, sei Traubenzucker gewesen. Es sei aber kein Tabak darin gewesen. Schon die unterschiedlichen Einlassungen des Klägers sprechen für einen dringenden Verdacht, dass es sich bei der am 17.08.2022 konsumierten Substanz um eine harte Droge in Form von Kokain gehandelt hat. Dafür, dass der Kläger am 17.08.2022 Traubenzuckerpulver durch die Nase eingenommen haben sollte, gibt es keine sinnvolle Erklärung. Auch der Kläger hat nicht weiter erläutert, welchen Effekt die Einnahme von Traubenzucker, nach letzter Einlassung des Klägers ohne Tabak, auf die vom ihm praktizierte Art und Weise haben sollte. Allein die bloßen und teils auch widersprüchlichen Behauptungen des Klägers zu der am 17.08.2022 eingenommenen Substanz konnte die Überzeugung der Kammer davon, dass der Kläger mit sehr großer Wahrscheinlichkeit am 17.08.2022 Kokain konsumiert hat, nicht erschüttern.
Wesentlich für die Annahme, dass es sich bei der am 17.08.2022 subsumierten Substanz um Kokain gehandelt hat, spricht zudem der Umstand, dass sich der Kläger eines Drogentests in Form einer Haarprobe verweigert hat, jedenfalls einem solchen Test trotz zugesagter Kostenübernahme der Beklagten ausgewichen ist. Hätte sich der Kläger einem Drogentest unterzogen, wäre es für den Kläger ohne einen intensiven Eingriff seine körperliche Unversehrtheit möglich gewesen, sich zu entlasten und den Verdacht des Kokainkonsums während der Arbeitszeit vollständig und ohne weiteres auszuräumen. Die Einlassung des Klägers, für ihn sei die Sache spätestens mit der Einleitung des Zustimmungsverfahrens beim Betriebsrat abgehackt gewesen, überzeugt nicht. Auch zu diesem Zeitpunkt hätte unstreitig noch der Nachweis erbracht werden können, dass der Kläger - wie er vorträgt - am 17.08.2022 kein Kokain konsumiert hat oder ob Gegenteiliges der Fall war.
Dem Umstand, dass der Kläger am 17.08.2022 keine Ausfallerscheinungen gezeigt hat, die Beklagte jedenfalls hierzu nicht weiter vorträgt, vermochte den dringenden Verdacht des Konsums von Kokain ebenfalls nicht wesentlich erschüttern. Mag der Kläger am 17.08.2022 auch noch mit der Ausarbeitung des Entwurfs einer Betriebsvereinbarung befasst gewesen sein, können aus diesem Umstand allein zum einen keine Rückschlüsse auf das Arbeitsergebnis gezogen werden. Zum anderen kann durchaus davon ausgegangen werden, dass der Kläger nach der Einnahme unter Umständen äußerlich motiviert seiner Betriebsratstätigkeit nachgegangen ist, so löst Kokainkonsum überwiegend ein Gefühl der Euphorie, Selbstüberschätzung und der Geschwindigkeit aus (so die Recherchen unter wikiHow.com "Erkennen ob jemand Kokain nimmt", Teil 2 "Verhaltensweisen erkennen").
Der dringende Tatverdacht wird auch nicht dadurch entkräftet, dass der Kläger im unmittelbaren Anschluss an die Anhörung am 06.09.2022 den Gesprächsteilnehmern ein Fläschchen präsentierte, welches mit weißem Pulver gefüllt war und nach Zitrone roch. Auch wenn dem Kläger der Grund der Anhörung vor dem Gespräch am 06.09.2022 nicht bekannt gegeben worden ist, lag zwischen dem Vorfall am 17.08.2022 und der Anhörung am 06.09.2022 ein Zeitraum, in welchem es dem Kläger ohne weiteres möglich war, sich eine Geschichte mit entsprechenden Belegen - in Form des am 06.09.2022 gezeigten Fläschchens mit weißem Pulver mit der Aufschrift "Schneeberg" - zurecht zu legen. Dass der Kläger die am 06.09.2022 vorgeführte Substanz am 17.08.2022 konsumiert haben will, hat der Kläger weder gegenüber dem Betriebsleiter und dem Personalreferenten noch im Verfahren behauptet.
Das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen ist zerstört.
(3)
Die Beklagte hat auch ihre Verpflichtung nicht verletzt, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere hat sie den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört.
(a)
Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen. Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden. Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 33 mwN).
(b)
Diesen Anforderungen wird die Anhörung des Klägers gerecht. Die Beklagte hat ihm die konkreten Vorwürfe bekannt gemacht. Dies folgt schon aus der Einlassung des Klägers im Gespräch am 17.08.2022. Da es dem Kläger nicht gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe gegen ihn auszuräumen, wurde die Bereitschaft des Klägers abgefragt, ob er sich einem Drogentest unterziehen würde. Hierauf reagierte der Kläger ausweichend, dass er bis Freitag (09.09.2022) darüber nachdenken werde. Einem Drogentest hat sich der Kläger nicht unterzogen, sodass der dringende Verdacht des Kokainkonsums letztlich bestehen blieb. Die Beklagte hat versucht, jegliche Erkenntnismöglichkeiten zu nutzen, um dem Verdacht weiter nachzugehen. Weitere Aufklärungsbemühungen waren nicht erforderlich, insbesondere konnte sie erwarten, dass der Kläger selbstständig bis Freitag, den 09.09.2022 mit der Bereitschaft auf sie zukommt, sich einem Drogentest zu unterziehen. Einer nochmaligen Aufforderung bedurfte es nicht.
cc)
Die außerordentliche Kündigung ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil die Beklagte anstelle der außerordentlichen Kündigung mildere Mittel, die in § 4 der GBV vorgesehenen Maßnahmen, hätte ergreifen müssen. Die Beklagte war nicht darauf beschränkt, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit dem Kläger ein Fürsorge- bzw. Klärungsgespräch entsprechend § 4 4.1 und 4.2. GBV zu führen.
Entgegen der Auffassung des Klägers verpflichtet die GBV die Beklagte nicht, im Fall eines Verstoßes gegen § 3 3.2 GBV den Maßnahmenkatalog nach § 4 GBV anzuwenden. Hiernach ist ein Fürsorge-/Klärungsgespräch dann zu führen, wenn bei der direkten Führungskraft oder deren Vertretung der Eindruck entsteht, dass ein Arbeitnehmer unter Suchtmitteleinfluss steht. Schon dem Wortlaut nach greifen die Maßnahmen nicht in dem Fall des nach § 3 3.2 GBV für Drogen ausnahmslos untersagten Konsums während der gesamten Arbeitszeit und innerhalb des Betriebs. Der für das Eingreifen des Maßnahmenkatalogs erforderliche Eindruck, ein Arbeitnehmer stehe unter Suchtmitteleinfluss, bedeutet nicht zugleich, dass ein Konsum von Suchtmitteln innerhalb der Betriebe und während der Arbeitszeit stattgefunden hat. Der Maßnahmenkatalog nach § 4 GBV soll nach Sinn und Zweck eingreifen, wenn der Suchtmitteleinfluss / die Suchtmitteleinnahme die Arbeitsleistung beeinträchtigt, ohne dass es zwingend zu einer (nachweisbaren) arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung in Form des Drogenkonsums während der Arbeitszeit und innerhalb des Betriebs gekommen sein muss. Bei Vorliegen von Verstößen gegen arbeitsrechtliche Verpflichtungen / Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis behält sich der Arbeitgeber vielmehr ausdrücklich das Recht vor, arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 GBV).
dd)
Die Verfehlung, deren sich der Kläger dringend verdächtig gemacht hat, ist auch so schwerwiegend, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist (hier 7 Monate) nicht zugemutet werden kann.
(1)
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 42).
Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43 mwN).
Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1, Abs. 2 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Weiterbeschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 44).
(2)
Zugunsten des Klägers spricht seine lange Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren und die Unterhaltsverpflichtung für ein Kind. Zu seinen Lasten zu berücksichtigen ist aber die Schwere der Pflichtverletzung, deren der Kläger dringend verdächtig ist und das damit unwiederbringlich zerstörte Vertrauen. Die Beklagte muss den Kokainkonsum durch Arbeitnehmer in ihren Betriebsräumlichkeiten - schon der Besitz von Kokain ist unter Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren gestellt (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) - nicht hinnehmen. Das Verbot des Konsums von Suchtmitteln gilt für alle Arbeitnehmer gleichermaßen, auch für den Kläger als Betriebsratsmitglied. Der Kläger, welcher als gewähltes Betriebsratsmitglied Vertrauen in der Belegschaft genießt, kommt in diesem Zusammenhang sogar eine besondere Vorbildfunktion zu. Er musste erkennen, dass schon sein objektives Verhalten Irritationen sowohl bei der Beklagten als auch bei der übrigen Belegschaft auslöst. Der dringende Verdacht, dass der Kläger nicht nur dem äußeren Anschein nach, sondern auch tatsächlich harte Drogen während der Arbeitszeit konsumiert hat, hat das Vertrauensverhältnis für eine weitere Zusammenarbeit unwiederbringlich zerstört. Der Kläger musste damit rechnen, dass für die Beklagte schon ein einmaliger Verstoß nicht hinnehmbar ist und sie mit dem Mittel eine außerordentliche Kündigung reagiert. Eine Weiterbeschäftigung ist der Beklagten auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar.
Auch die umfassende Abwägung aller von dem Kläger weiter vorgetragener Argumente, auch soweit auf sie im Urteil nicht mehr besonders eingegangen wurde, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führten nicht zu einem abweichenden Ergebnis.
ee)
Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Satz 2 mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.
(1)
Der Kündigungsberechtigte, der gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und dazu auch den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen und mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 25. April 2018 - 2 AZR 611/17 - Rn. 51).
(2)
Die Kündigungserklärungsfrist ist hier eingehalten. Unstreitig haben die kündigungsberechtigten Personen der Beklagten erst am 30.08.2022 durch die Schilderungen des Betriebsratsmitglieds B. per E-Mail Kenntnis erlangt. Die Beklagte hatte den Kläger hieraufhin im unmittelbaren Anschluss an seinen Urlaub und noch innerhalb der Wochenfrist am 06.09.2022 ordnungsgemäß angehört. Innerhalb der am 06.09.2022 beginnenden Zweiwochenfrist ist die außerordentliche Kündigung vom 12.09.2022 am 13.09.2022 dem Kläger zugegangen.
2.
Die nach § 15 Abs. 1 KSchG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats vor Erklärung der Kündigung nach § 103 BetrVG liegt vor. Ausweislich des Anhörungsschreibens erfolgte die Anhörung hilfsweise auch zur außerordentlichen Verdachtskündigung. Nunmehr unstreitig hat der Betriebsrat am 09.09.2022 den Beschluss gefasst, der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zuzustimmen. Anhaltspunkte dafür, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß oder unvollständig angehört worden ist, liegen nicht vor und zeigt der Kläger auch nicht auf. Für die Zustimmung besteht kein Schriftformzwang (ErfK/Kiel, 24. Aufl. 2024, KSchG § 15 Rn. 27).
II.
Da das Arbeitsverhältnis bereits durch die Kündigung vom 12.09.2022 beendet worden ist, bestand zum Zeitpunkt des Zugangs der weiteren außerordentlichen Kündigung vom 23.11.2022 kein Arbeitsverhältnis mehr. Schon aus diesem Grund unterliegt der nicht in ein Hilfsverhältnis gestellte Kündigungsschutzantrag vom 07.12.2022 der Abweisung.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs.1 ZPO.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.