Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.09.2024, Az.: 14 Sa 348/23

Vergütungspflicht der Arbeitgeberin für angeblich von einer Mitarbeiterin in der ambulanten Pflege aufgewendete Zeiten zur häuslichen Durchführung von Corona-Tests

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
06.09.2024
Aktenzeichen
14 Sa 348/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 22389
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0906.14Sa348.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Stade - 13.04.2023 - AZ: 1 Ca 193/22

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 13.04.2023 - 1 Ca 193/22 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 810,35 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Vergütungspflicht der Beklagten für angeblich von der Klägerin aufgewendete Zeiten zur häuslichen Durchführung von Corona-Tests.

Die Klägerin war bei der Beklagten, die eine ambulante Kinderkrankenpflege betreibt, in der Zeit vom 01.11.2020 bis zum 31.03.2022 als examinierte Gesundheits- und Kranken-/Kinderpflegerin zur Betreuung eines körperlich und geistig eingeschränkten und immungeschwächten Kindes beschäftigt. Dieses Kind betreute die Klägerin zu Hause und in der Schule. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug bei 2 Diensten insgesamt 12 Stunden, der Bruttostundenlohn zunächst 15,- Euro und ab Juli 2021 17,06 Euro.

Im Zeitraum von Januar bis Juni 2021 führte die Klägerin auf Weisung der Beklagten insgesamt 38 Corona-Selbsttests durch und in der Zeit von Juli 2021 bis März 2022 insgesamt 57 Tests. Hierzu erhielt sie von der Beklagten Testmaterial und war gehalten, den Test auf Formularen der Beklagten zu dokumentieren (Beispiel Anlage K4), nach Angaben der Klägerin vor dem eigentlichen Test, das Formular jeweils abzufotografieren und zunächst per E-Mail und anschließend das Original per Post an die Beklagte zu senden. Die Klägerin desinfizierte sich vor Durchführung der Tests die Hände, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob die Beklagte dies anordnete.

Die Klägerin hat, soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung, die Vergütung für die insgesamt 95 durchgeführten Selbsttests geltend gemacht und hierzu behauptet: Sie habe für jeden Test eine halbe Stunde aufgewendet. 3 Minuten habe die Vorbereitung incl. Dokumentation gedauert, weitere 20 Minuten die Durchführung und Wartezeit und weitere 7 Minuten die Nachbereitung einschließlich Dokumentation und Versendung. Sie hat die Auffassung vertreten, die Testzeit sei vergütungspflichtig, weil sie wie im Fall unabdinglicher Schutzkleidung gar nicht hätte eingesetzt werden können. § 28b IfSG sei eine arbeitsschutzrechtliche Norm.

Sie hat zuletzt, soweit es den Streitgegenstand der Berufung betrifft, beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 810,35 Euro brutto nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.12.2022 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die für die Selbsttests aufzuwendende Zeit stünde nicht lediglich im Interesse des Arbeitgebers und sei daher nicht vergütungspflichtig. Zudem sei sie verpflichtet gewesen, ihren Beschäftigten zweimal wöchentlich einen Selbsttest anzubieten, ab November 2021 habe sodann die 3G-Pflicht am Arbeitsplatz bestanden. Jedenfalls wären pro Test maximal 10 Minuten anzusetzen.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Vergütung von Zeiten der Selbsttestung abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagbegehren weiter: Die Durchführung der Tests sei nur aus beruflichen Gründen erforderlich gewesen, sie hätte gar nicht eingesetzt werden dürfen. Aus der Verpflichtung zum Gesundheitsschutz nach § 618 Abs. 1 BGB ergebe sich die Kostentragungspflicht. Die Durchführung der Tests habe in erster Linie dem Schutz des betreuten Kindes und gedient und stehe daher in unmittelbarem Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit. Für die Frage der Vergütungspflicht sei es irrelevant, ob die Anordnung zur Testung auf gesetzlichen Vorgaben beruhte.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 13.04.2023, Az. 1 Ca 193/22, teilweise abzuändern und entsprechend dem erstinstanzlichen Schlussantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil: Die Klägerin sei nicht ausschließlich aufgrund der Anordnung der Beklagten, sondern auch aufgrund der vom Land Niedersachsen erlassenen Rechtsvorschriften zu den Tests verpflichtet gewesen. Im Übrigen sei der Test auch für die Klägerin nützlich gewesen, um Veranstaltungen o. ä. zu besuchen. Ohne vorherige Durchführung eines Selbsttests wäre es der Klägerin verboten und somit unmöglich gewesen, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Zu keiner Zeit sei die Beklagte mit ihrer Anordnung über die Vorgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers hinausgegangen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das Gericht konnte die Entscheidung mit Zustimmung der Parteien nach § 128a Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung treffen. Einer Fristsetzung zur Einreichung weiterer Schriftsätze bedurfte es nicht, weil die Parteien nach bereits vorangegangener mündlicher Verhandlung und anschließendem Sachvortrag gegenüber dem Gericht auf die Einreichung weiterer Schriftsätze verzichtet hatten.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Betrag von 810,35 Euro brutto für angeblich aufgewendete Testzeiten. Erstinstanzlich hat die Klägerin diesen Betrag ausdrücklich im Schriftsatz vom 02.12.2022 errechnet und daneben weiteres Arbeitsentgelt in Höhe von 397,50 Euro geltend gemacht abzüglich erhaltener 120,- Euro (= 277,50 Euro), somit zuletzt insgesamt 1087,85 Euro. Soweit das Arbeitsgericht versehentlich 0,49 Euro mehr als insgesamt beantragt zugesprochen hat, betraf dies ausdrücklich den Lohnzahlungsanspruch außerhalb der Tests.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei den angeblich für die Selbsttests aufgewendeten Zeiten nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeiten i. S. d. § 611a Abs. 2 BGB handelt.

Zu der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung iSv. § 611a Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. "Arbeit" im Sinne dieser Bestimmungen ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG 23.04.2024 - 5 AZR 212/23 - Rn. 19).

Die Beklagte hat der Klägerin in diesem Sinne nicht aufgrund ihres arbeitsvertraglichen Weisungsrechts Tätigkeiten abverlangt, die als "Arbeit" anzusehen sind, sondern sie ist staatlichen Vorgaben gefolgt, die sowohl von ihr als Arbeitgeberin auch von der Klägerin als Arbeitnehmerin im streitgegenständlichen Zeitraum einzuhalten waren. Der Klägerin war es im streitgegenständlichen Zeitraum untersagt, ihre Arbeit überhaupt anzutreten, bevor sie nicht einen negativen Coronatest nachweisen konnte. Damit diente die Durchführung der Tests nicht ausschließlich einem fremden Bedürfnis.

Wie die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 09.01.2024 und den eingereichten umfangreichen Anlagen in den vier Anlagebänden ausgeführt hat, galten für Beschäftigte ambulanter Pflegedienste im Sinne des § 71 SGB XI, die Leistungen nach § 37 SGB V erbringen, wie sie die Beklagte betreibt, im streitgegenständlichen Zeitraum in den unterschiedlichen Fassungen der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus für die Klägerin Testpflichten. Verstöße gegen diese Pflichten stellten Ordnungswidrigkeiten dar. Davon unabhängig waren zeitweise Testungen auch vor dem Besuch der Schule angeordnet und für die Klägerin nach den Regeln des § 28b Abs. 1 IfSG in den jeweiligen Fassungen. Damit hat die Beklagte ihre Anordnung zur Testung aufgrund geltender Vorschriften und nicht zur Befriedigung eines eigenen ausschließlich arbeitgeberseitigen Bedürfnisses erlassen. Die Klägerin hat selbst ausgeführt, dass sie ohne Testung gar nicht hätte eingesetzt werden dürfen, mangels Einsatzes wäre die Beklagte anschließend nicht lohnzahlungspflichtig gewesen. Soweit sie später meint, eine heimähnliche Einrichtung gemäß § 14 der nds. Coronaverordnung habe sie nicht betreten müssen, war dies in den Vorschriften nicht vorausgesetzt. Der Vergleich mit einer während der Arbeitszeit vom Betriebsarzt durchgeführten einmaligen Masernschutzimpfung, die die Beklagte bezahlt haben solle, während diese anführt, es sei nur eine nach § 3 Abs. 3 ArbMedVV zu vergütende Titerbestimmung durchgeführt worden, führt ebenfalls nicht zu einer Begründung ihres Anspruchs für die Vergütung von 95 zu Hause durchgeführter Corona-Selbsttests, ebenso wenig wie eine vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zu § 28b IfSG geäußerte Rechtsansicht oder ein Hinweis auf Umkleidezeiten.

Soweit die Beklagte der Klägerin auferlegte, die Testung nicht lediglich durchzuführen, sondern zu dokumentieren, entsprach dies ebenfalls den Vorgaben in der Verordnung, wonach das Testergebnis der Leitung vorzulegen war. Eine derartige Dokumentation wäre auch vorgenommen worden, wenn die Klägerin sich zu einem Testzentrum begeben hätte. Stattdessen konnte die Klägerin die Testpflicht zeit- und kostensparend bequem von zu Hause aus erfüllen, was bei weitem nicht allen Beschäftigten ermöglicht wurde. Das übersichtliche und sehr schnell auszufüllende Formular der Beklagten enthielt auch keine Weiterungen, die als ausschließlich fremdnützig anzusehen gewesen wären. Eine vergütungspflichtige "Arbeit" stellte es auch nicht dar, dass die Klägerin das Testergebnis nicht nur per E-Mail, sondern auch per Post zu übersenden hatte. Soweit die Beklagte hier eine digitale und analoge Nachweismöglichkeit bei evtl. Kontrollen erhielt, ohne dass derartiges verpflichtend gewesen wäre, wurde die Möglichkeit der Klägerin, ihre Freizeit eigenständig zu gestalten, hierdurch nur in einem völlig unerheblichen Maße beeinträchtigt, sodass unter Berücksichtigung von § 241 Abs. 2 BGB nach dem Rechtsgrundsatz minima non curat praetor nicht von einer vergütungspflichtigen Arbeit auszugehen ist (vgl. zur Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne BAG 23.08.2023 - 5 AZR 349/22 -).

Davon unabhängig wäre die Klage bereits deshalb ganz überwiegend unbegründet, weil die von der Klägerin angeführten Zeiten als vollkommen überzogen angesehen werden. Insbesondere war sie nicht in einer 20 Minuten langen Wartezeit gehindert, ihre Freizeit zu gestalten, ganz abgesehen davon, dass sie den Stundenlohn von 17,06 Euro zu einem nicht unerheblichen Teil auch für Zeiten geltend macht, in denen ihr lediglich 15,- Euro zustanden.

Auch eine weitere Würdigung des Sachvortrags der Parteien, von deren Darstellung im Einzelnen Abstand genommen wird, führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Gegen diese Entscheidung ist daher kein Rechtsmittel gegeben.