Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.03.2024, Az.: 2 TaBV 44/23
Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung und der stellvertretenden Mitglieder
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 27.03.2024
- Aktenzeichen
- 2 TaBV 44/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 17770
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 19.04.2023 - AZ: 8 BV 13/22
Rechtsgrundlage
- § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Durch das Gebot der Öffentlichkeit nach § 12 Abs. 1 SchwbVWO sollen interessierte Personen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlmanipulationen "hinter verschlossenen Türen" nicht aufkommen kann. Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit ist es erforderlich, dass Ort und Zeit sämtlicher öffentlicher Kontrolle unterliegender Vorgänge im Wahlverfahren rechtzeitig vorher bekannt gegeben werden. Fehlt es daran, stellt dies einen Verstoß gegen eine wesentliche Wahlvorschrift dar.
- 2.
Insbesondere, wenn der Wahlvorstand nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die generelle schriftliche Stimmabgabe beschlossen hatte, muss er rechtzeitig bekannt machen, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden wird.
Tenor:
Die Beschwerde der Beteiligten zu 5) - 20) und 22) - 23) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes Hannover vom 19. April 2023 - 8 BV 13/22 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder.
Die Antragsteller zu 1) bis 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer im Betrieb der Beteiligten zu 23) (im Folgenden: Arbeitgeberin). Die Arbeitgeberin befasst sich mit der Herstellung von Fahrzeugen und betreibt u. a. ein Werk in H..
Am 14. Oktober 2022 fand dort die Wahl der Schwerbehindertenvertretung sowie die Wahl der stellvertretenden Mitglieder statt. Der Beteiligte zu 5) wurde zur Vertrauensperson gewählt, die Beteiligten zu 6) bis 22) zu stellvertretenden Mitgliedern.
Ausweislich der Gesprächsnotiz vom 12. Juli 2022 (Bl. 50 d. A.) einigten sich die Mitglieder des Wahlvorstandes auf der Grundlage einer Erörterung mit dem Betriebsratsvorsitzenden des im Betrieb der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrates sowie der Personalleiterin der Arbeitgeberin und einem weiteren Fachreferenten Personalwesen darauf, eine Empfehlung auszusprechen, 17 stellvertretende Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung zu wählen.
In der Sitzung des Wahlvorstandes am 25. August 2022 wurde u. a. hierüber ein entsprechender Beschluss gefasst (Bl. 48 d. A.). Mit Wahlausschreiben vom 25. August 2022 leitete der Wahlvorstand das Verfahren zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder ein. Darin heißt es u. a. (Bl. 49 d. A.):
"...
11. Die Stimmabgabe zählt nur, wenn die Wahlunterlagen spätestens bis zum 14. Oktober 2022, 9.00 Uhr vormittags, beim Wahlvorstand eingegangen sind.
12. Der Wahlvorstand hat gemäß § 11 Abs. 2 SchwbVWO die schriftliche Stimmabgabe (im Folgenden: Briefwahl) beschlossen.
Allen Wahlberechtigten werden - ohne Aufforderung - die Wahlunterlagen für die Briefwahl durch den Wahlvorstand zugesandt.
13. Die gemäß § 177 SGB IX anstehende Wahl der Schwerbehindertenvertretung für den Standort H. endet mit der öffentlichen Stimmauszählung.
Am Freitag, 14. Oktober 2022 ab 9.00 Uhr vormittags,
im O.-B.-S. (Grün), Sektor ..., Hallengeschoss
in der das Wahlergebnis abschließend festgestellt wird.
..."
Die Öffnung der Freiumschläge, die Prüfung der Wahlunterlagen und das Vermerken der Stimmabgabe erfolgte am 14. Oktober 2022 im hinteren Bereich des im Wahlausschreibens bekannt gegebenen Ortes der Stimmauszählung (vgl. Bl. 46 ff. d. A.).
Am Ende der Stimmauszählung wurde die Anzahl der auf die jeweiligen Bewerber entfallenen Stimmen mündlich bekannt gegeben. Am 21. Oktober 2022 machte der Wahlvorstand das Wahlergebnis durch Aushang bekannt (Bl. 9 d. A.).
Mit ihrer am 4. November 2022 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Antragsschrift fechten die Beteiligten zu 1) bis 4) die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder an. Sie haben u. a. die Auffassung vertreten, es sei gegen die Öffentlichkeit der Wahl verstoßen worden. Es sei nicht erkennbar gewesen, ob die Stimmabgaben ordnungsgemäß erfasst worden seien. Die Zweifel würden bereits aus dem Umstand resultieren, dass der Beteiligte zu 2) im Vorfeld der Wahl 100 Stützunterschriften erhalten habe, bei der Wahl jedoch lediglich 43 Stimmen auf ihn entfallen seien.
Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) bis 4) haben beantragt,
die Wahl der Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen sowie die Wahl der stellvertretenden Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb der Arbeitgeberin am 14. Oktober 2022 für unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) bis 23) haben beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie haben die Ansicht vertreten, zwischen der Öffnung der Freiumschläge "in öffentlicher Sitzung" und der "öffentlichen Auszählung" der Stimmen müsse unterschieden werden. Bei Öffnung der Freiumschläge und dem Erfassen der ordnungsgemäß abgegebenen Stimmen durch Stimmabgabenvermerke müsse ein Abstand gewählt werden, der sicherstelle, dass das Wahlgeheimnis gewahrt werde. Zum Schutz des Wahlgeheimnisses habe der Wahlvorstand daher die Freiumschläge unter Wahrung der generellen Kontrollmöglichkeiten im hinteren Teil des Raumes geöffnet.
Mit Beschluss vom 19. April 2023 hat das Arbeitsgericht Hannover dem Antrag stattgegeben. Der zulässige Antrag sei begründet. Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb der Arbeitgeberin sei nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX, § 19 Abs. 1 BetrVG, § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO unwirksam. Der Wahlvorstand habe gegen eine wesentliche Wahlvorschrift verstoßen, indem er die Freiumschläge nicht, wie nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO geboten, in öffentlicher Sitzung eröffnet habe. Nachdem der Wahlvorstand nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die generelle schriftliche Stimmabgabe beschlossen habe, hätte er rechtzeitig bekannt machen müssen, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden werde. Dies habe er nicht getan. Der Umstand, dass die Öffnung der Freiumschläge in dem für die Stimmauszählung bekannt gegebenen Raum (im hinteren Bereich) stattgefunden habe, habe die rechtzeitige Bekanntmachung von Zeit und Ort der Öffnung der Freiumschläge und der sich daran anschließenden Handlungen nicht entbehrlich gemacht. Der Wahlverstoß sei geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl müsse nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lasse, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Könne diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibe es bei der Unwirksamkeit der Wahl. In diesem Sinne sei der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchwbVWO geeignet gewesen, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es bei dem Öffnen der Freiumschläge, bei der Bewertung, ob die Stimmabgabe i. S. v. § 11 SchwbVWO ordnungsgemäß gewesen sei, bei dem Vermerk der Stimmabgabe oder bei dem Einwurf der Wahlumschläge in die Wahlurne zu Fehlern gekommen sei, die bei einer Öffnung der Freiumschläge in öffentlicher Sitzung nicht unterlaufen wären. Es komme nicht darauf an, ob tatsächlich objektive Anhaltspunkte für solche Fehler vorlägen. Die Vorschrift solle der Minderung abstrakter Gefährdungen dienen.
Der Beschluss ist den Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) bis 23) am 8. Mai 2023 zugestellt worden. Hiergegen hat die Beteiligte zu 23) mit einem am 30. Mai 2023 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 31. August 2023 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren Antrag vom 3. Juli 2023 durch Beschluss vom gleichen Tag die Beschwerdebegründungsfrist bis zum 31. August 2023 verlängert worden war.
Die Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) haben mit einem am 5. Juni 2023 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem am 7. August 2023 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren Antrag vom 5. Juli 2023 durch Beschluss vom gleichen Tag die Beschwerdebegründungsfrist bis zum 8. August 2023 verlängert worden war.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) ihr erstinstanzliches Ziel der Zurückweisung des Antrages weiter. Sie wiederholen und vertiefen ihr Vorbringen. Das Arbeitsgericht verkenne, dass die Öffnung der Freiumschläge betriebsöffentlich - also in öffentlicher Sitzung - stattgefunden habe. Das Wahlergebnis sei nicht beeinflusst worden. Aus dem Wahlausschreiben ergebe sich, dass direkt im Anschluss an die letzte Möglichkeit zur schriftlichen Stimmabgabe (14. Oktober 2022, 9.00 Uhr) die Sitzung zur öffentlichen Stimmauszählung begonnen habe. Diese Sitzung sei ordnungsgemäß im Wahlausschreiben bekannt gemacht worden. Am 14. Oktober 2022 habe der Wahlvorstand zuerst ab 9.00 Uhr im Rahmen dieser öffentlichen Sitzung die Freiumschläge gemäß § 12 Abs. 1 SchwbVWO geöffnet. Danach habe die öffentliche Auszählung der Stimmen stattgefunden, § 1 Abs. 1 SchwbVWO. Neben den Mitgliedern des Wahlvorstandes und den Wahlhelfern seien im Rahmen der Betriebsöffentlichkeit die Antragsteller zu 1) und 2), die Beteiligten zu 5), 7) bis 10) und 13) sowie der Zeuge Herr M. anwesend gewesen. Das Gebot der Öffentlichkeit sei nicht verletzt worden. Die Öffnung der Freiumschläge habe beobachtet werden können. Auch eine "Bekanntmachung" hätte zu keinem anderen Ergebnis als der Kontrollmöglichkeit der Betriebsöffentlichkeit führen können. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts könne somit ausgeschlossen werden, dass es in dieser betriebsöffentlichen Sitzung zu Fehlern gekommen sei, die in bekanntgemachter öffentlicher Sitzung nicht unterlaufen wären. Die abstrakte Gefährdung sei - wie gesetzlich vorgesehen - gemindert gewesen.
Die Beteiligte zu 23) verfolgt mit ihrer Beschwerde ihr erstinstanzliches Ziel der Zurückweisung des Antrags weiter. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen. Der Wahlvorstand habe am 14. Oktober 2022 ab 9.00 Uhr im Rahmen der öffentlichen Sitzung zunächst die Freiumschläge geöffnet und danach die Stimmen ausgezählt. Es habe damit keinen Teil der Stimmauszählung gegeben, der nicht in öffentlicher Sitzung stattgefunden habe. Die Öffentlichkeit der Stimmauszählung sei zwar ein wesentlicher Grundsatz des Wahlverfahrens. Sie sei aber kein individuelles Recht. Es komme nicht darauf an, ob ein einzelner Wahlberechtigter oder eine einzelne Wahlberechtigte an der Stimmauszählung habe teilnehmen können, sondern nur darauf, ob grundsätzlich eine öffentliche Stimmauszählung erfolgt sei. Dies sei aber zwischen den Beteiligten unstreitig.
Die Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) sowie die Beteiligte zu 23) beantragen,
den Beschluss des Arbeitsgerichtes Hannover vom 19. April 2023 - 8 BV 13/22 - abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 1) bis 4) beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss als zutreffend nach Maßgabe ihrer Beschwerdeerwiderung vom 1. September 2023 (B. 198 f. d. A.).
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Anlagen sowie auf das Protokoll des Anhörungstermins vom 27. März 2024 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1.
Die Beschwerde ist zulässig, weil sie statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 u. 2, 64 Abs. 6, 66 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO).
2.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Der zulässige Antrag ist begründet. Die Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen sowie die Wahl der stellvertretenden Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb der Beteiligten zu 23) am 14. Oktober 2022 ist gemäß § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX, § 19 Abs. 1 BetrVG, § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO unwirksam.
a.
Der Antrag ist zulässig. Die Antragsteller zu 1) bis 3) sind zur Wahlanfechtung berechtigt und haben die Wahl auch rechtzeitig binnen zwei Wochen angefochten, nachdem das endgültige Wahlergebnis durch Aushang am 21. Oktober 2022 bekannt gegeben worden ist. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht Hannover am 4. November 2022 und damit rechtzeitig eingegangen.
b.
Der Antrag ist begründet. Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist gemäß § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam.
Danach kann die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt.
c.
Der Wahlvorstand hat gegen eine wesentliche Wahlvorschrift verstoßen, indem er nicht rechtzeitig Ort und Zeit der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen bekannt geben hat.
aa.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO öffnet der Wahlvorstand unmittelbar vor Abschluss der Wahl in öffentlicher Sitzung die bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Freiumschläge und entnimmt ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen. Ist die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt (§ 11 SchwbVWO), legt der Wahlvorstand die Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten ungeöffnet in die Wahlurne.
bb.
Öffentlichkeit iSd. § 12 Abs. 1 SchwbVWO ist dabei nicht die allgemeine Öffentlichkeit, sondern die Betriebsöffentlichkeit. Es soll denjenigen die Teilnahme ermöglicht werden, die ein berechtigtes Interesse an der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung und ihrem Ausgang haben. Die Öffentlichkeit der Wahl ist Grundvoraussetzung für eine demokratische Willensbildung (vgl. für politische Wahlen BVerfG 3. März 2009 - 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 - Rn. 106, BVerfGE 123, 39). Sie sichert die Ordnungsgemäßheit und Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für begründetes Vertrauen der Wähler in den korrekten Ablauf der Wahl. Die grundsätzlich gebotene Öffentlichkeit im Wahlverfahren umfasst das Wahlvorschlagsverfahren, die Wahlhandlung - in Bezug auf die Stimmabgabe durchbrochen durch das Wahlgeheimnis - und die Ermittlung des Wahlergebnisses (vgl. für politische Wahlen BVerfG 3. März 2009 - 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 - aaO).
Durch das Gebot der Öffentlichkeit sollen interessierte Personen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlmanipulationen "hinter verschlossenen Türen" nicht aufkommen kann (vgl. zur Stimmenauszählung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVGBAG 15. November 2000 - 7 ABR 53/99 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 96, 233). Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit ist es erforderlich, dass Ort und Zeit sämtlicher öffentlicher Kontrolle unterliegender Vorgänge im Wahlverfahren rechtzeitig vorher bekannt gegeben werden. Es genügt nicht, dass ein Interessierter dies durch eigene Nachfrage beim Wahlvorstand erfahren kann. Das Erfordernis, selbst aktiv zu werden und sich nach dem Bestehen einer Teilnahmemöglichkeit sowie nach Ort und Zeit von öffentlich vorzunehmenden Handlungen des Wahlvorstands zu erkundigen, ist vielmehr geeignet, Zugangsberechtigte von vornherein von der Teilnahme auszuschließen. Müssen interessierte Personen den Wunsch, ihr Kontrollrecht wahrzunehmen, gerade gegenüber den zu kontrollierenden Personen im Vorfeld offenbaren, um Ort und Zeitpunkt ihrer Kontrollmöglichkeit zu erfahren, gibt dies vermeidbaren Anlass zu Misstrauen bzw. Missdeutungen. Diese werden durch eine jederzeit und ohne Ankündigung mögliche Kontrolle wirkungsvoll verhindert (vgl. zur Stimmenauszählung nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVGBAG 15. November 2000 - 7 ABR 53/99 - aaO).
cc.
Bei der schriftlichen Stimmabgabe ist die Kontrollmöglichkeit der Vorgänge nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO von besonderer Bedeutung.
Bei der persönlichen Stimmabgabe händigt der Wähler oder die Wählerin nach § 10 Abs. 3 Satz 1 SchwbVWO den Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, dem mit der Entgegennahme der Wahlumschläge betrauten Mitglied des Wahlvorstands aus, wobei der Name des Wählers oder der Wählerin angegeben wird. Sodann ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 SchwbVWO der Wahlumschlag in Gegenwart des Wählers oder der Wählerin in die Wahlurne einzuwerfen, nachdem die Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten vermerkt worden ist. Bei der persönlichen Stimmabgabe kann daher der Wähler unmittelbar beobachten und kontrollieren, ob mit der von ihm abgegebenen Stimme korrekt verfahren wird. Diese unmittelbare Beobachtungsmöglichkeit hat der Briefwähler bei der schriftlichen Stimmabgabe nicht. Die Kontrollmöglichkeit trägt hier in besonderem Maße dazu bei, dass gar nicht erst der Verdacht aufkommen kann, es habe bei der Behandlung der Briefwahlstimmen zu Unregelmäßigkeiten kommen können. Auch wird dadurch das Wahlgeheimnis des Briefwählers geschützt. Könnte der Wahlvorstand ohne eine mögliche Kontrolle durch die Öffentlichkeit die Freiumschläge der Briefwähler öffnen und die Wahlumschläge entnehmen, wäre die Gefahr nicht auszuschließen, dass er in die Wahlumschläge Einblick nimmt, um festzustellen, wie der betreffende Wähler seine Stimme abgegeben hat.
dd.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO hat die Öffnung der Freiumschläge "unmittelbar vor Abschluss der Wahl" zu erfolgen. Erfolgt eine Wahl im Wege der persönlichen Stimmabgabe und werden nur den an der persönlichen Stimmabgabe verhinderten Wahlberechtigten nach § 11 Abs. 1 SchwbVWO Briefwahlunterlagen übersandt, haben die nach § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO vom Wahlvorstand vorzunehmenden Handlungen unmittelbar vor dem Abschluss des in § 10 SchwbVWO näher beschriebenen Wahlvorgangs zu erfolgen. Wenn der Wahlvorstand nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die allgemeine schriftliche Stimmabgabe beschließt, entfällt der Wahlvorgang nach § 10 SchwbVWO. Das ändert jedoch nichts daran, dass die in § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO beschriebenen Vorgänge in öffentlicher Sitzung zu erfolgen haben. Da es aber in einem solchen Fall an einer persönlichen Stimmabgabe fehlt, deren Ort, Tag und Zeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SchwbVWO mitzuteilen wäre, muss der Wahlvorstand, um dem Erfordernis der Öffentlichkeit zu genügen, rechtzeitig Ort und Zeit der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen bekannt geben. Dabei muss der Hinweis nicht notwendig bereits im Wahlausschreiben enthalten sein, sondern kann auch auf andere Weise erfolgen (BAG, 10. Juli 2013 - 7 ABR 83/11 - Rn. 20; BAG 15. November 2000 - 7 ABR 53/99 - zu B II 2 der Gründe).
ee.
§ 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO ist eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren, deren Verletzung nach § 19 Abs. 1 BetrVG iVm. § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX geeignet ist, die Anfechtung der Wahl zu rechtfertigen (BAG, 10. Juli 2013 - 7 ABR 83/11 - Rn. 21).
ff.
Vorliegend hat der Wahlvorstand gegen § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO verstoßen. Nachdem er nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die generelle schriftliche Stimmabgabe beschlossen hatte, hätte er rechtzeitig bekannt machen müssen, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden wird. Dies hat er nicht getan. Zutreffend hat das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass es nicht ausreichend war, dass die Öffnung der Freiumschläge in dem für die Stimmauszählung bekannt gegebenen Raum erfolgt. Dies machte die rechtzeitige Bekanntmachung von Zeit und Ort der Öffnung der Freiumschläge und der sich daran anschließenden Handlungen nicht entbehrlich.
d.
Der Verfahrensverstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
aa.
Nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (st. Rspr., BAG, 18. Juli 2012 - 7 ABR 21/11 - Rn. 30 mwN).
bb.
In diesem Sinne war der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SchwbVWO geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2013 (7 ABR 83/11 - Rn 20) zutreffend ausgeführt, dass der Wahlvorstand, um dem Erfordernis der Öffentlichkeit zu genügen, rechtzeitig Ort und Zeit der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen bekannt geben muss. Dies hat der Wahlvorstand unterlassen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei dem Öffnen der Freiumschläge, bei der Bewertung, ob die Stimmabgabe iSv. § 11 SchwbVWO ordnungsgemäß war, bei dem Vermerk der Stimmabgabe oder bei dem Einwurf der Wahlumschläge in die Wahlurne zu Fehlern gekommen ist, die bei einer rechtzeitigen Bekanntmachung von Zeit und Ort der Öffnung der Freiumschläge und der daran sich anschließenden Handlungen nicht unterlaufen wären.
Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 5) bis 20), 22) und 23) kommt es nicht nur darauf an, ob grundsätzlich eine öffentliche Stimmauszählung erfolgt ist und ob ausgeschlossen werden kann, dass es bei der Stimmauszählung zu Fehlern gekommen ist, die in bekannt gemachter öffentlicher Sitzung nicht unterlaufen wären.
Vorliegend wurde im Wahlausschreiben nur die Stimmauszählung angekündigt. Diese dient als nachgeordneter Schritt nicht mehr der Kontrollfunktion der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO beschriebenen Vorgänge. In § 12 Abs. 1 SchwbVWO werden Vorgänge vor Abschluss der Wahl geregelt, wohingegen in § 13 SchwbVWO die Stimmauszählung nach Abschluss der Wahl geregelt ist. Werden diese Stimmen ausgezählt, kann nicht mehr überprüft werden, ob die der Stimmauszählung zugrundeliegenden Wahlumschläge ordnungsgemäß in die Wahlurne gelegt wurden und auch die tatsächlich richtig abgegebenen Stimmen ausgewertet werden. Das im Wahlausschreiben die Modalitäten der nachgeorderten Stimmauszählung mitgeteilt worden sind, hilft nicht darüber hinweg, dass die Einzelheiten der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten letzten Vorgänge vor Abschluss der Wahl nicht bekannt gegeben wurden. In dem Wahlausschreiben fehlt die Angabe, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden wird. Informiert der Wahlvorstand die Betriebsöffentlichkeit von sich aus nicht darüber, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden wird, hat die Betriebsöffentlichkeit nicht den erforderlichen ungehinderten Zugang zur Beobachtung der Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen. Es hängt dann von Zufällen ab, ob der Einzelne überhaupt von der Möglichkeit der Beobachtung erfährt. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Schwerbehinderter ohne entsprechende Informationen damit rechnet, dem in § 12 Abs. 1 SchwbVWO geregelten Verfahren beiwohnen zu können. Das Erfordernis, selbst aktiv zu werden und sich nach dem Bestehen einer Beobachtungsmöglichkeit sowie nach deren Ort und Zeit zu erkundigen, ist geeignet, Zugangsberechtigte von vornherein von der Teilnahme auszuschließen, sei es aufgrund von Unkenntnis, sei es durch die psychologische Hemmschwelle, die einer Nachfrage entgegenstehen kann. Wenn interessierte Personen den Wunsch, ihr Kontrollrecht wahrzunehmen, gerade gegenüber den zu kontrollierenden Personen ggf. im Vorfeld offenbaren müssen, um Ort und Zeit ihrer Kontrollmöglichkeit zu erfahren, gibt dies vermeidbaren Anlass zu Misstrauen bzw. Missdeutungen. In diesem Sinne war der Verstoß des Wahlvorstandes, Ort und Zeit sämtlicher in § 12 Abs. 1 SchwbVWO genannten Handlungen vorher rechtzeitig bekannt zu geben, geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Nach § 19 Abs. 1 letzter Hs. BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften ausnahmsweise dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn ein solcher Verstoß das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Insoweit ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtung eine ohne den Verstoß durchgeführte Wahl zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte. Dies kann bei dem hier vorliegenden Verstoß gegen die Verpflichtung, Ort und Zeit sämtlicher in § 12 Abs. 1 SchwbVWO genannten Handlungen vorher rechtzeitig bekannt zu machen, nicht angenommen werden. Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich objektive Anhaltspunkte für solche Fehler vorliegen. Soweit die Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) insoweit pauschal behaupten, es könne ausgeschlossen werden, dass es am 14. Oktober 2022 zu Fehlern bei der Öffnung der Freiumschläge und der Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen gekommen sei, die in bekannt gemachter öffentlicher Sitzung nicht unterlaufen wären, handelt es sich lediglich um eine denkgesetzliche Möglichkeit, nicht aber um eine auf konkrete Tatsachen gestützte Behauptung.
3.
Auch eine Würdigung des weiteren Sachvortrags der Beteiligten, von dessen Darstellung im Einzelnen Abstand genommen wird, führt zu keinem abweichenden Ergebnis.
Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 2 Abs. 2 GKG.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 92 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 92 b ArbGG) wird hingewiesen.