Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.02.2024, Az.: 2 Sa 375/23
Außerordentliche Kündigung im Ausildungsverhältnis wegen sexueller Belästigung einer Auszubildenden desselben Unternehmens außerhalb der Arbeitszeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 28.02.2024
- Aktenzeichen
- 2 Sa 375/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 16067
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0228.2Sa375.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 18.04.2023 - AZ: 6 Ca 186/22
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG
- § 626 BGB
Fundstellen
- AuA 2024, 57
- CCZ 2024, 255-256
- EzA-SD 21/2024, 4
- NZA-RR 2024, 416-422
- RdW 2024, 779-780
Amtlicher Leitsatz
Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Ein außerdienstliches Verhalten beeinträchtigt die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Die einmalige sexuelle Belästigung einer Auszubildenden durch einen Auszubildenden aus dem gleichen Betrieb außerhalb der Arbeitszeit kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes vom 18. April 2023 - 6 Ca 186/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.741,-Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand ihres Ausbildungsverhältnisses.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie.
Der 1996 geborene Kläger war seit dem 1. September 2020 als Auszubildender zum Elektroniker für Automatisierungstechnik in dem Betrieb der Beklagten zu einer Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.247,00 € brutto beschäftigt. In dem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.
Bei der Beklagten gilt seit dem 1. August 1977 eine Arbeitsordnung in Form einer Betriebsvereinbarung, welche unter "§ 4 Beendigung des Arbeitsverhältnisses" eine Störung des Arbeits- oder Betriebsfriedens als möglichen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung benennt. § 22 der Arbeitsordnung verpflichtet alle Werksangehörigen zur Einhaltung des Arbeitsfriedens (Bl. 69 ff. d. A.).
Ferner verpflichtet ein bei der Beklagten geltender "Code of Conduct" (Bl. 71 ff. d. A.) alle Mitarbeiter, jede Art von Diskriminierung (z. B. durch Benachteiligung, Belästigung, Mobbing) zu unterlassen und ein respektvolles partnerschaftliches Miteinander zu ermöglichen.
Die Betriebsvereinbarung 1/07 mit dem Titel "Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz" mit Gültigkeit ab dem 1. Januar 2007 erklärt in der Präambel jede Art von Diskriminierung beispielsweise in Form der sexuellen Belästigung für nicht statthaft. Der Begriff der sexuellen Belästigung wird unter Ziffer 2. sodann wie folgt näher definiert: "Sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen. Was als sexuelle Belästigung empfunden wird, ist durch das subjektive Empfinden des Betroffenen bestimmt."
Diese betrieblichen Regelungen sind im Intranet für alle Beschäftigten der Beklagten frei zugänglich und damit jederzeit einsehbar.
Der Kläger nahm im Rahmen von Bildungsurlaub als einer von 22 Auszubildenden an einem sogenannten Jugend-1-Seminar der IG Metall in der Seminareinrichtung in der Zeit vom 3. Juli bis 8. Juli 2022 teil. Die einzige weibliche Teilnehmerin an diesem Seminar war die Zeugin K.. Die Zeugin K. war wie weitere Teilnehmer des Seminars ebenfalls Auszubildende der Beklagten in deren Werk und zum damaligen Zeitpunkt 19 Jahre alt. Der Kläger und die Zeugin K. kannten sich vor dem Seminar nicht.
Am Abend des 3. Juli 2022 hielt sich eine Gruppe der Teilnehmer des Seminars, unter anderem der Kläger, in dem Zimmer der Zeugin K. auf. Die Gruppe beschloss, noch auszugehen/zu einem Volksfest zu gehen, um etwas zu trinken. Nachdem die Zeugin K. die Toilette aufgesucht hatte, befand sich nur noch der Kläger in ihrem Zimmer. Weitere Einzelheiten in diesem Zusammenhang sind zwischen den Parteien streitig.
Am späten Abend des 4. Juli 2022 suchten mehrere Auszubildende das Schwimmbad, das sich auf dem Seminargelände befindet, auf. Das weitere Geschehen ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 5. September 2022, dem Kläger am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses. Mit seiner am 15. September 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen diese Kündigung.
Ein Anfang Oktober 2022 durchgeführtes Schlichtungsverfahren blieb ohne Ergebnis.
Wegen des unstreitigen Sachverhaltes, der streitigen erstinstanzlichen Behauptungen, der konträren Rechtsauffassungen, der geltend gemachten Ansprüche sowie des gesamten erstinstanzlichen Sachverhaltes im Übrigen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, S. 2 - 4 desselben, Bl. 172 - 174 R. d. A., Bezug genommen.
Mit Urteil vom 18. April 2023 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Das Ausbildungsverhältnis des Klägers habe aufgrund der fristlosen Kündigung vom 5. September 2022 sein Ende gefunden.
Die Kündigung sei formwirksam, es liege ein wichtiger Grund im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG vor. Das Kündigungsschreiben vom 5. September 2022 genüge den Anforderungen des § 22 Abs. 3 BBiG. Es benenne konkret das dem Kläger vorgeworfene Verhalten gegenüber der Zeugin K. am 3. und 4. Juli 2022. Die Beweisaufnahme habe die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe in der Nacht am 4. Juli 2022 seinen Arm um die Zeugin K. gelegt und dabei ihre Brust berührt sowie eine Kussbewegung in ihre Richtung gemacht, bestätigt. Die Zeugin K. habe ausgesagt, der Kläger habe sich beim Verlassen des Schwimmbades zwischen sie und den Zeugen H. gedrängt, ihr auf die Brust geschlagen, die Hand dort liegengelassen und sodann versucht, ihren Kopf zu sich hinzudrehen, wobei er mit seinem Kopf und einem Kussmund an sie herangekommen sei. Der Zeuge H. habe ausgesagt, der Kläger habe zunächst seinen Arm um ihn gelegt und sodann auch bei der Zeugin K. und zwar so weit, dass er an ihre Brust gekommen sei. Er habe weiter angegeben, wahrgenommen zu haben, dass der Kläger seinen Kopf in Richtung der Zeugin K. gedreht habe, nicht aber, dass der Kläger seinerseits den Kopf von der Zeugin K. genommen habe. Nach den Aussagen dieser beiden Zeugen sei die Kammer davon überzeugt, dass sich am 4. Juli 2022 eine Situation am Ende des Schwimmbadbesuches ergeben habe, in der der Kläger mit der Zeugin K. und dem Zeugen H. zuletzt allein im Schwimmbad gewesen sei. Dabei habe er (auch) der Zeugin K. seinen Arm so um die Schulter gelegt, dass er ihre Brust berührt habe. Ferner habe er zumindest eine Geste gemacht, die die Zeugin K. als Kussversuch aufgefasst habe. Die Aussagen der Zeugen seien glaubhaft. Die beiden Zeugen hätten jeder für sich das Geschehen schlüssig geschildert. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die Zeugen etwas geschildert hätten, was sie so tatsächlich wahrgenommen hätten. Sie hätten den wesentlichen Kern des Geschehens übereinstimmend geschildert. Der Glaubhaftigkeit der Aussagen stehe nicht entgegen, dass sie nicht in allen Details übereinstimmten. Dies betreffe insbesondere die Frage, ob sich die konkrete Situation beim Herausgehen oder noch direkt am Beckenrand ereignet habe. Übereinstimmend hätten die Zeugen die Reaktion der Zeugin K. auf das Verhalten des Klägers, nämlich das Weglaufen, geschildert. Soweit der Zeuge H. den von der Zeugin K. geschilderten Kussversuch nicht wahrgenommen habe, sei damit der von ihr so wahrgenommene Kussversuch nicht wiederlegt. So habe der Zeuge H. bestätigt, dass der Kläger seinen Kopf in Richtung der Zeugin K. gedreht habe. Es sei nachvollziehbar, dass er in diesem Moment einen etwaigen Kussmund, wie von der Zeugin K. geschildert, nicht wahrgenommen haben könne. Demgegenüber sei es überzeugend, dass sich die Zeugin K. gerade an dieses spezielle Detail noch erinnere. Die Aussagen der Zeugen stimmten auch mit den Angaben überein, die sie zeitnah nach dem Vorfall gegenüber dem Ermittlungsdienst der Beklagten gemacht hätten. Die Aussagen wiesen keine Belastungstendenzen auf. Die vom Kläger benannten Zeugen A. und B. hätten seine Darstellung, wonach es an dem Abend schon keine Konstellation beim Verlassen des Schwimmbades, wie es die Beklagte behaupte, gegeben habe, nicht bestätigt.
Das Verhalten des Klägers am 4. Juli 2022 gegenüber der Zeugin K. stelle eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG dar. Eine sexuelle Belästigung sei gemäß § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, die geeignet sein könne, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies ergebe sich aus der auf das Ausbildungsverhältnis anwendbaren Gesamtbetriebsvereinbarung Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz. Zudem stelle eine sexuelle Belästigung anderer Beschäftigter regelmäßig eine Störung des Betriebsfriedens dar, die nach der Gesamtbetriebsvereinbarung Arbeitsordnung eine fristlose Kündigung nach sich ziehen könne. Die Beklagte sei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gehalten gewesen, auf die Pflichtverletzung des Klägers durch eine Abmahnung oder Versetzung zu reagieren. Nach Auffassung der Kammer habe es dem Kläger klar sein müssen, dass die Beklagte seinen sexuellen Übergriff gegenüber der erst 19-jährigen Mitauszubildenden nicht hinnehmen und etwa nur mit einer Abmahnung sanktioniere werde. Von einem 26-jährigen Auszubildenden könne erwartet werden, dass er sich über die Situation im Klaren sei, die sich für die Zeugin K. als einzige weibliche Auszubildende mit ausschließlich männlichen Mitauszubildenden während der Seminarfahrt ergeben habe. Insgesamt könne den Kläger aufgrund seines Lebensalters eine fehlende Reife nicht entlasten. Unter Berücksichtigung aller Umstände wiege das Verhalten des Klägers so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Dies gelte selbst dann, wenn die ursprüngliche Umarmung der Zeugin K. nicht mit dem Ziel erfolgt sei, sie an die Brust zu fassen. Auch der Kläger selbst habe nicht etwa eine Situation geschildert, die "nur" auf eine versehentliche unsittliche Berührung der Zeugin K. schließen lasse. Als milderes Mittel gegenüber einer fristlosen Kündigung komme eine Versetzung nicht in Betracht. Dem stehe die Schwere des Fehlverhaltens des Klägers entgegen. Darüber hinaus wäre der Kläger auch in einem anderen Werk der Beklagten in einem Ausbildungsjahrgang mit anderen Auszubildenden gewesen. Die vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Die Pflichtverletzung des Klägers wiege nicht deswegen weniger schwer, weil sie sich außerhalb des eigentlichen Ausbildungsplatzes bei der Beklagten ereignet habe. Es habe sich bei der Seminarfahrt vielmehr um eine Veranstaltung der Beklagten im Rahmen der Ausbildung gehandelt. Auch der unstreitige Umstand, dass an dem Abend des 4. Juli 2022 vor dem Vorfall Alkohol getrunken worden sei, entlaste den Kläger nicht entscheidend. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Steuerbarkeit des Verhaltens des Klägers eingeschränkt gewesen sei. Schließlich wirke sich zu Lasten des Klägers aus, dass er bis zuletzt wahrheitswidrig in Abrede gestellt habe, dass sich eine Situation mit der Zeugin K. am Abend des 4. Juli 2022 auch nur ansatzweise so ereignet habe, wie sie sich für die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme darstelle. Eine Einsicht in ein Fehlverhalten sei bei dem Kläger nicht erkennbar.
Die Beklagte habe die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gemäß § 22 Abs. 4 BBiG eingehalten. Nach der Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen J. stehe fest, dass das Personalwesen der Beklagten, auf dessen Kenntnis es maßgeblich ankomme, von den Vorwürfen gegenüber dem Kläger erst am 23. August 2022 erfahren habe. Die Beklagte habe den bei ihr gebildeten Betriebsrat ordnungsgemäß zur fristlosen Kündigung des Klägers gemäß § 102 BetrVG angehört. Dies habe der Kläger in seiner Klage selbst bestätigt.
Das Urteil ist dem Kläger am 5. Mai 2023 zugestellt worden. Hiergegen hat er mit einem am 25. Mai 2023 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 9. August 2023 beim Landesarbeitsgericht Niedersachen eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf seinen Antrag vom 25. Mai 2023 durch Beschluss vom 30. Mai 2023 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. August 2023 verlängert worden war.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Ziel weiter. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen. Das Arbeitsgericht habe infolge einer fehlerhaften Beweiswürdigung einen Sachverhalt festgestellt, der auf den divergierenden und widersprüchlichen Zeugenaussagen der Zeugen K. und H. beruhe. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen sei trotz der in wesentlichen Details nicht übereinstimmenden Zeugenaussagen nicht in Frage gestellt worden. In seiner Beweiswürdigung setze sich das Arbeitsgericht nicht ausreichend mit der Beweisaufnahme auseinander. Es reduziere die Beweiswürdigung lediglich darauf, dass die Aussagen der Zeugen glaubhaft seien, weil sie den Kern des Geschehens übereinstimmend schilderten. Erforderlich wäre gewesen, sich neben der Feststellung des Kerns des Geschehens mit den Unterschieden der Zeugenaussagen zu beschäftigen und argumentativ festzustellen, warum diese Unterschiede unerheblich seien. Das sogenannte Randgeschehen lasse das Arbeitsgericht völlig außer Betracht und beziehe es auch nicht in seine Würdigung mit ein.
Der Sachverhalt, von dem das Arbeitsgericht ausgegangen sei, könne weder über die Aussagen der Zeugin K. oder des Zeugen H. während des Prozesses gelingen noch über die Ermittlungsergebnisse und Befragungen durch die Beklagte nach dem Vorfall. Im Kündigungsschreiben vom 5. September 2022 stelle die Beklagte den Vorfall am Abend des 4. Juli 2022 im Schwimmbad so dar, dass der Kläger der Zeugin K. von hinten die Arme über die Schultern gelegt, ihr dann an die Brust gefasst und anschließend den Versuch unternommen habe, sie zu küssen. Gegenüber der Werkssicherheit habe die Zeugin K. am 18. Juli 2022 zunächst ausgesagt, dass der Kläger ihre Brust berührt und sie an sich herangezogen habe, um sie zu küssen. Im weiteren Verlauf der Befragung habe die Zeugin K. abweichend von ihrer anfänglichen Schilderung ausgesagt, der Kläger habe ihr mit der flachen Hand und mit Schwung auf die Brust geschlagen. Der Unterschied zwischen Berühren und mit Schwung schlagen sei erheblich. Im Kündigungsschreiben werde behauptet, der Kläger habe der Zeugin K. von hinten die Arme über die Schulter gelegt, ihr in der Folge an die Brust gefasst und anschließend den Versuch unternommen, sie zu küssen. Diese Sachverhaltsdarstellung finde sich in keiner Aussage wieder. Im Übrigen habe die Zeugin K. gegenüber der Werkssicherheit behauptet, an diesem Tag keinen Alkohol konsumiert zu haben. Der Zeuge H. habe gegenüber der Werksicherheit angegeben, dass die Zeugin K. in jedem Fall auch angetrunken gewesen sei. Er habe dort weiter bekundet, dass der Kläger beiden Zeugen seine Arme um die Schulter gelegt und beiden Zeugen gegen die Brust geschlagen habe. Im Übrigen habe der Zeuge H. erklärt, der Vorfall habe sich zu einem Zeitpunkt ereignet, als die Zeugin K. und er das Schwimmbad hätten verlassen wollen. In der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht habe der Zeuge H. nun ausgesagt, dass sich der angebliche Vorfall nicht während des Verlassens des Schwimmbads ereignet habe, sondern zu einem Zeitpunkt, als er und die Zeugin K. am Beckenrand des Schwimmbads gestanden und sich unterhalten hätten. Ferner habe der Zeuge H. nun bekundet, dass der Kläger seinen linken Arm auf seine Schulter gelegt und seinen rechten Arm auf die Schulter der Zeugin K. gelegt habe. Die Zeugin K. hätte somit rechts des Klägers gestanden und der Zeuge H. links von ihm. Ferner solle der Kläger mit seiner rechten Hand etwas zu weit nach unten und an die Brust der Zeugin K. gekommen sein. Eine Absicht habe der Zeuge H. ebenso wie einen Kussversuch nicht bestätigen können. Er habe vor dem Arbeitsgericht eine deutlich andere Situation als bei seiner Aussage am 19. Juli 2022 gegenüber dem Werksschutz geschildert. Einen Kussversuch oder ein Eindrehen des Kopfes der Zeugin K. zum Kläger hätte der Zeuge H. nach seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht allein durch seine körperliche Nähe erkennen müssen. Dies habe er jedoch ausdrücklich nicht wahrgenommen.
Die Zeugin K. habe vor dem Arbeitsgericht die Situation gänzlich anders dargestellt als der Zeuge H.. Der Zeuge H. soll rechts von ihr gelaufen sein. Der Kläger habe sich zwischen sie und den Zeugen H. gedrängt und habe dann dem Zeugen H. und ihr die Hand auf die Schulter gelegt. Mit der linken Hand habe der Kläger im selben Moment auf ihre Brust geschlagen, ihren Kopf zu sich gezogen und versucht, sie zu küssen. Im Gegensatz zu der Aussage vor der Werkssicherheit der Beklagten am 18. Juli 2022 habe die Zeugin K. nun ausgesagt, dass sie nicht wisse, was der Kläger und der Zeuge H. bei dem Vorfall gemacht und wie sie reagiert hätten. Im Übrigen habe sie vor dem Arbeitsgericht eingeräumt, an dem Abend doch alkoholisiert gewesen zu sein.
So wie die Zeugin K. und der Zeuge H. die Situation am 4. Juli 2022 im Rahmen der Kammerverhandlung geschildert hätten, ergäben sich deutliche Diskrepanzen zwischen den Darstellungen. Die betreffe nicht nur das Kerngeschehen, sondern auch das Randgeschehen. Es lasse sich weder aus der Version der Zeugin K. noch aus der Version des Zeugen H. ein klar nachvollziehbarer und beweisbarer Sachverhalt erkennen, der ihn belaste. In der Version des Zeugen H. könne durchaus ein Versehen des Klägers erkannt werden, weil die Berührung der Brust nur versehentlich passiert sein könne. In der Version der Zeugin K. sei sie durch den Kläger an der linken Brust - in welcher Weise auch immer - berührt worden: Einerseits "nur" berühren, andererseits "auf die linke Brust geschlagen". Es seien zwei Sachverhaltsversionen durch die Aussagen der beiden Zeugen entstanden, denen nur gemein sei, dass der angebliche Vorfall im gleichen Gebäude mit den gleichen handelnden Personen stattgefunden haben solle und die Zeugin K. irgendwie berührt worden sei. Es sei nicht übereinstimmend zu erkennen, ob dies versehentlich oder in sexueller Weise geschehen sei. Diese Details bzw. Unterschiede, die einen Zweifel an der Glaubwürdigkeit belegten, hätte das Arbeitsgericht auch erkennen müssen.
Bezüglich der Glaubwürdigkeit der Zeugen K. und H. sei anzuführen, dass die Zeugin K. nicht nur Alkohol konsumiert habe. Er habe bereits bei seiner Vernehmung bei der Beklagten am 15. August 2022 berichtet, wie er die Zeugin K. beim Drogenkonsum beobachtet habe. Der Wahrheitsgehalt der Aussagen und der Erinnerungen, die unter dem Einfluss von Alkohol und diversen Drogen stünden, dürfte in jedem Fall anzuzweifeln sein. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin K. und des Zeugen H. ließen sich auch daraus ableiten, dass die beiden Zeugen schon vor dem Seminar im Juli 2022 privat bekannt gewesen seien und sich auch bereits privat getroffen hätten. Im Übrigen ließen sich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin K. daraus ableiten, dass sie mit der Auszubildenden Frau G. befreundet sei. Bei dieser Auszubildenden handele es sich um seine Exfreundin. Ihre Beziehung habe er am 27. Mai 2022, also nur wenige Wochen vor dem Seminar, beendet. Dabei habe es sich um keine einvernehmliche Trennung gehandelt. So habe Frau G. ihn bezichtigt, sie u. a. innerbetrieblich belästigt zu haben. Es könnte sich bei dem behaupteten Vorfall vom 4. Juli 2022 um eine Art Racheaktion von Frau G. an ihm gehandelt haben, der über die Freundschaft der Zeugin K. mit Frau G. zustande gekommen sein könnte.
Auch habe das Arbeitsgericht fehlerhaft festgestellt, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Dabei verletze das Arbeitsgericht den fundamentalen Rechtsgrundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare". Dabei beruhe die Prognose des Arbeitsgerichtes, eine Abmahnung sei entbehrlich, auf der Feststellung, dass er sich im gerichtlichen Verfahren uneinsichtig gezeigt habe. Dieser Zeitpunkt liege nach der ausgesprochenen Kündigung. Das Arbeitsgericht hätte jedoch feststellen müssen, welche arbeitsrechtliche Maßnahme die Beklagte zum Zeitpunkt der ausgesprochenen Kündigung anstatt der Kündigung hätte treffen können. Auch übersehe das Arbeitsgericht, dass er und die Zeugin K. in zwei völlig unterschiedlichen Bereichen ihre Lehre absolvierten. E mache eine Lehre als Elektroniker für Automatisierungstechnik, die Zeugin K. eine Lehre als Industriemechanikerin. Dies belege, dass das Unternehmen der Beklagten so groß sei, dass Auszubildende sich mitunter nicht kennenlernten.
Das Arbeitsgericht habe weiterhin die Prüfung, in welchem Umfeld der vermeintliche Verstoß stattgefunden haben solle, außer Acht gelassen. Das Seminar sei ein nur von der IG-Metall organisiertes und durchgeführtes Seminar gewesen. Die Teilnahme sei freiwillig und selbstbestimmt gewesen. Die Beklagte habe den Teilnehmern lediglich Zusatzurlaub für die Teilnahme bewilligt. Der gesamte Vorfall habe im privaten Bereich eines Seminars stattgefunden, der nur marginal mit der Ausbildung bei der Beklagten in Verbindung stehe. Sein außerdienstliches Verhalten sei damit kündigungsrechtlich irrelevant. Es sei insoweit scharf zwischen der Privatsphäre des Arbeitnehmers und dem Arbeitsverhältnis zu trennen.
Die durch Schreiben vom 5. September 2022 ausgesprochene außerordentliche Verdachtskündigung sei rechtsunwirksam, weil sie nicht auf den dringenden Verdacht der sexuellen Belästigung gestützt werden könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichtes vom 18. April 2023 - 6 Ca 186/22 - abzuändern und festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 5. September 2022 beendet worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Argumentation des Klägers in der Berufung zu der Frage, wie sich der Sachverhalt unter Zugrundelegung der Zeugenaussagen abgespielt habe, stütze sich auf verschiedene einzelne Detailaspekte, bei denen der Kläger auf Punkte hinweise, in denen die Zeugenaussagen nicht übereinstimmten. Dabei flüchte er auf Nebenschauplätze und versuche damit, den Blick auf das durch die Zeugenaussagen bestätigte Kerngeschehen wegzulenken. Es sei durch die Zeugenaussagen bestätigt, dass es das Ereignis im Schwimmbad gegeben habe. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass sich die Zeugen K. und H. zuletzt mit dem Kläger noch im Schwimmbad aufgehalten hätten, der Kläger sich zwischen die beiden Zeugen gedrängt, seine Arme über deren Schultern gelegt und dabei die Zeugin K. an der Brust berührt habe, seine Hand dort noch habe liegen lassen und den Kopf zu der Zeugin K. gewandt habe. Dabei habe die Zeugin K. den Kussmund/Kussversuch des Klägers bestätigt. Die Zeugen hätten übereinstimmend geschildert, dass die Zeugin sodann fluchtartig das Schwimmbad verlassen habe. Dieses Kerngeschehen sei durch die Zeugenaussagen belegt. Es bestünden keine Bedenken an der Glaubwürdigkeit der Zeugen bzw. der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Dass sich die Zeugenaussagen nicht deckten, könne nicht überraschen. Die Zeugen hätten eine neun Monate zurückliegende Situation geschildert und sich dabei um eine nüchterne, sachliche und richtige Wiedergabe des Sachverhaltens bemüht und nicht darum, einen Sachverhalt aufzubauschen, geschweige denn einen Sachverhalt zu schildern, der sich so nicht ereignet habe. Im Übrigen verteidigt die Beklagte die angefochtene Entscheidung als zutreffend nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 6. Dezember 2023 (Bl. 339 ff. d. A.).
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Anlagen sowie auf das Protokoll des Kammertermins vom 28. Februar 2024 Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen K. K. und M. H.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 28. Februar 2024 (Bl. 393 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO). Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 - 4 ZPO. Sie lässt erkennen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art nach Ansicht des Klägers das angefochtene Urteil unrichtig ist und worauf dies im Einzelnen beruht.
B.
Die Berufung ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Verhandlung vor dem gebildeten Schlichtungsausschuss ist erfolgt. Der von dem Kläger angerufene Schlichtungsausschuss hat am 6. Oktober 2022 das Nichtzustandekommen eines Spruches festgestellt. Die bereits vor Anrufung des Schlichtungsausschusses erhobene Klage ist mit Abschluss des Schlichtungsverfahrens zulässig geworden.
II.
Die Klage ist unbegründet. Das Ausbildungsverhältnis des Klägers ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 5. September 2022 beendet worden.
1.
Die außerordentliche Kündigung vom 5. September 2022 (fälschlich datiert auf den 5. August 2022) ist formwirksam. Das Kündigungsschreiben benennt gemäß § 22 Abs. 3 BBiG das dem Kläger vorgeworfene Fehlverhalten gegenüber der Zeugin K. vom 3. und 4. Juli 2022 in ausreichender Weise.
2.
Das Verhalten des Klägers gegenüber der Zeugin K. am 4. Juli 2022 ist ein wichtiger Grund im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG.
a.
Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vom Ausbilder nur aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann. Das Verständnis des wichtigen Grundes im Sinne von § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG entspricht dem wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Es ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände an sich und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG, 31. Juli 2018 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; BAG, 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; BAG, 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 15).
Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Er muss alle Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, die den Vorwurf begründen, der Arbeitnehmer habe vertragswidrig gehandelt. Im Vertragsrecht indiziert ein bestimmter Sachverhalt, der den objektiven Voraussetzungen für eine Vertragsverletzung entspricht, nicht zugleich ein rechts- bzw. vertragswidriges Verhalten; vielmehr muss die Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens besonders begründet werden. Deshalb muss der Arbeitgeber ggf. auch die Tatsachen beweisen, die einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Arbeitnehmers ausschließen. Das Fehlen eines solchen Grundes gehört zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen (vgl. BAG, 6. August 1987 - 2 AZR 226/87 - Rn. 21).
Der Arbeitgeber braucht aber nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitnehmer Rechtfertigungsgründe pauschal und ohne nähere Substantiierung vorbringt. Vielmehr ist er nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, die Tatsachen, aus denen er eine Rechtfertigung seines Verhaltens herleiten will, ausführlich vorzutragen. Erst eine substantiierte Einlassung des Arbeitnehmers ermöglicht dem Arbeitgeber die Überprüfung dieser tatsächlichen Angaben und auch einen erforderlichen Beweisantritt, falls er sie für unrichtig hält (BAG, 19. Dezember 1991 - 2 AZR 367/91 - Rn. 29 ff.).
b.
Das Verhalten in Form der sexuellen Belästigung der Zeugin K. durch den Kläger ist "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG zu bilden.
aa.
Eine sexuelle Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG ist gemäß § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die "an sich" als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Sie liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen. Schutzgut der §§ 7 Abs. 3, 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem oder mehreren Anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Bei Handlungen, deren Sexualbezogenheit aus sich heraus nicht zwingend ist, wie beispielsweise Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund der mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben. Eine solche kann auch darin bestehen, den Betroffenen unter Verletzung seines Rechts auf Selbstbestimmung sexualbezogen zu beschämen. Geht es dagegen um ein Verhalten, dass das Geschlechtliche im Menschen unmittelbar zum Gegenstand hat, genügt für das "Bewirken" im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit verlangt - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG - nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlich hat. Maßgeblich ist, ob allein die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG, 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 - Rn. 24).
Die Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass ihre Arbeitnehmer, Praktikanten und Auszubildenden respektvoll miteinander umgehen und gedeihlich zusammenarbeiten. Sie ist als Arbeitgeberin/Ausbilderin nach § 12 Abs. 1 und 3 AGG darüber hinaus gesetzlich verpflichtet, ihre Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen zu schützen (vgl. BAG, 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 - Rn. 23).
bb.
Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen K. und H. und dem Inhalt der gesamten mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung der Kammer fest (§ 286 ZPO), dass der Kläger am späten Abend des 4. Juli 2022 von hinten kommend seinen Arm um die Zeugin K. gelegt und dabei auf ihre Brust geschlagen hat, woraufhin die Zeugin K. gegenüber dem Kläger geäußert hat: "Fass mich nicht an!" und weggelaufen ist. Während sie aus dem Schwimmbad herausgelaufen ist, hat der Kläger ihr hinterhergerufen: "Stell dich nicht so an!". Durch diese sexuelle Belästigung hat der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt.
(1.)
§ 286 Abs. 1 ZPO verlangt die Überzeugung des Gerichtes, eine Behauptung einer Partei sei wahr. Eine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit kann nicht verlangt werden. § 286 ZPO fordert den Richter auf, den Sachverhalt auf Grundlage des Parteivorbringens möglichst vollständig aufzuklären. Das Gericht hat die in erheblicher Weise beantragten Beweise erschöpfend zu erheben und sich in der Urteilsbegründung mit dem Prozessstoff und dem Beweisergebnis umfassend und widerspruchsfrei auseinander zu setzen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, 17. Februar 1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245, 256; BGH, 6. Juni 1973 - IV ZR 164/71 - BGHZ 61, 165, 169). Rechtsfehlerhaft ist es daher, einen Beweis deshalb nicht als erbracht anzusehen, weil keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit gewonnen werden konnte.
Bei der Analyse der Glaubhaftigkeit einer spezifischen Aussage ist nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der forensischen Aussagepsychologie von der sogenannten Nullhypothese auszugehen. Dies bedeutet, dass im Ansatz davon auszugehen ist, dass die Glaubhaftigkeit einer Aussage positiv begründet werden muss. Erforderlich ist deshalb eine Inhaltsanalyse, bei der die Aussagequalität zu prüfen ist. Es geht um die Ermittlung von Kriterien der Wahrhaftigkeit. Zur Durchführung der Analyse der Aussagequalität existieren Merkmale, die die Überprüfung ermöglichen, ob die Angaben auf tatsächlich Erlebtem beruhen, sogenannte "Realkennzeichen", oder ob sie ergebnisbasiert sind. Das Vorhandensein dieser Real- oder Glaubwürdigkeitskennzeichen gilt als Hinweis für die Glaubhaftigkeit der Angaben (vgl. LAG Nürnberg, 12. April 2016 - 7 Sa 649/14 - Rn. 61 ff.).
(2.)
Die Aussagen der Zeugen K. und H. sind ergiebig.
(a.)
Die Zeugin K. hat bekundet, dass am späten Abend des 4. Juli 2022 zum Schluss nur noch der Kläger, der Zeuge H. und sie im Schwimmbad gewesen seien. Sie habe gehen wollen und sei mit dem Zeugen H. schon am Vorgehen gewesen. Dabei sei sie links gegangen und der Zeuge H. sei rechts von ihr gegangen. Der Kläger sei dann durch die Mitte gekommen und habe den Zeugen H. in den Arm genommen. Währenddessen habe er ihr auf die Brust gehauen. Sie habe die Hand des Klägers gesehen, als sie auf ihrer Brust gelegen habe. Sie sei dann vorgelaufen und habe gerufen: "Fass mich nicht an und lass mich in Ruhe!". Die Aussage des Klägers: "Stell dich nicht so an!" sei von ihm gekommen, nachdem sie gesagt habe: "Fass mich nicht an!". Die Aussage des Klägers habe sie daran zweifeln lassen, dass es nicht mit Absicht gewesen sei. Wenn es ein Versehen gewesen sei - so die Zeugin -, wäre doch zumindest eine Entschuldigung gekommen. Hinsichtlich des Vortages hat die Zeugin bekundet, sie sei in ihrem Zimmer auf die darin vorhandene Toilette gegangen. Diese habe sie abgeschlossen. Nachdem sie aus der Toilette herausgekommen sei, sei der Kläger noch in ihrem Zimmer gewesen und habe sie aufgefordert, das Zimmer abzuschließen. Mit dem Ereignis vom Vortag und der Aussage des Klägers, sie solle sich nicht so anstellen, sei für sie eigentlich klar gewesen, wie das Verhalten des Klägers gemeint sei. Zusammen mit dem Vorfall am Vortag habe das Verhalten des Klägers am 4. Juli 2022 für sie einen sexuellen Bezug gehabt.
(b.)
Auch die Aussage des Zeugen H. ist ergiebig. Der Zeuge H. hat bekundet, zuletzt seien sie nur noch zu dritt im Schwimmbad gewesen. Er habe sich mit der Zeugin K. unterhalten. Die Zeugin K. habe links oder rechts neben ihm gestanden. Genaueres könne er nicht mehr bekunden. Anschließend sei der Kläger von hinten in die Mitte von ihnen gekommen und habe ihn ganz normal in den Arm genommen. Nachdem er gemerkt habe, dass der Kläger ihn in den Arm genommen habe, habe er situativ hochgeschaut. In dieser Sekunde habe die Zeugin K. aufgeschrien und er habe gesehen, dass die Hand des Klägers weit im Brustbereich der Zeugin K. gelegen habe. Die Zeugin K. habe etwas gesagt und sei weggegangen. Daraufhin habe der Kläger gesagt, die Zeugin K. solle sich nicht so anstellen. Er habe erst so gar nicht richtig wahrgenommen, wie es in der Situation gewesen sei. "Ok, krass, ist das jetzt wirklich so passiert?", seien seine Gedanken gewesen. Mit krass meine er, dass andere Leute vor anderen Augen so betatscht worden seien. Im ersten Moment sehe man es so, aber als die Zeugin K. so aufgeschrien habe, da realisiere man langsam, was in der Situation so passiert sei.
(3.)
Die Aussagen der Zeugen sind glaubhaft.
(a.)
Die Zeugin K. hat bei ihrer gerichtlichen Vernehmung etwas verschämt gewirkt. Dies führt das Gericht einerseits auf das schambehaftete Thema zurück und andererseits darauf, dass es der inzwischen älteren und gereifteren Zeugin in der Rückschau offenbahr unangenehm ist, sich erneut mit dem Thema zu befassen. Die Zeugin K. konnte das Geschehen detailreich und widerspruchsfrei schildern. Die Darstellung der Zeugin stimmt hinsichtlich der Berührung ihrer Brust durch den Kläger und ihrer nachfolgenden Reaktion im Wesentlichen mit dem überein, was sie bei ihrer betrieblichen Anhörung am 18. Juli 2022 zu Protokoll gegeben hatte. Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin K. leidet auch nicht darunter, dass sie bei ihrer Vernehmung durch die erkennende Kammer im Gegensatz zu ihrer Aussage bei dem Arbeitsgericht nicht mehr angeben konnte, ob der Kläger versucht habe, ihr einen Kuss zu geben. Dies ist einerseits erklärlich, weil zwischen den Vorfällen und der gerichtlichen Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht fast zwei Jahre Zeit vergangen sind. Zum anderen hat die Zeugin K. auch nachvollziehbar erklärt, dass sie zunächst noch bemüht gewesen sei, den Vorfall zu verdrängen.
Die Zeugin hat nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, warum sie zu dem Kläger erklärt habe: "Fass mich nicht an!" und weggelaufen sei. Das vor ihr bekundete Geschehen in ihrem Zimmer am Vortag sei der Grund gewesen, warum sie nach dem Vorfall im Schwimmbad schreiend weggelaufen sei. Mit dem Ereignis vom Vortag und der Aussage des Klägers, sie solle sich nicht so anstellen, sei für sie eigentlich klargewesen, wie das Verhalten des Klägers gemeint sei. Zusammen mit dem Vorfall am Vortag habe das Verhalten des Klägers am 4. Juli 2022 für sie einen sexuellen Bezug gehabt. Sehr eindrücklich und nachvollziehbar hat die Zeugin bekundet, dass sie nicht davon ausgehe, dass es ein versehentliches Handeln des Klägers gewesen sei. In diesem Fall hätte sich der Kläger doch dann entschuldigt. Dies habe er aber nicht getan.
Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin leidet auch nicht darunter, dass sie sich entgegen ihrer Aussage vor dem Arbeitsgericht im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht bekundet hat, dass der Kläger ihr nachgerufen habe, sie solle sich nicht so anstellen. Nachvollziehbar hat die Zeugin in diesem Zusammenhang bekundet, dass sie sich bei ihrer Aussage gegenüber dem Ermittlungsdienst der Beklagten an die Äußerung des Klägers deshalb habe erinnern können, weil die Befragung ihrer Person ja kurz nach dem Vorfall geschehen sei. Zwischen der Aussage vor dem Ermittlungsdienst der Beklagten und der Aussage vor dem Arbeitsgericht am 18. April 2023 lag sodann ein Zeitraum von 9 Monaten. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass sich Zeugen nach einem gewissen Zeitraum an den konkreten Wortlaut von Aussagen nicht genau erinnern können. Die Zeugin K. hat im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht erklärt, warum sie sich nunmehr wieder an die Aussage des Klägers erinnere. Sie hat bekundet, dass ihr im Rahmen der Vernehmung vor dem Arbeitsgericht mehrfach vorgehalten worden sei, ob der Kläger die Aussage, sie solle sich nicht so anstellen, ihr gegenüber getätigt habe. Die Zeugin K. hat glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass sich die Äußerung des Klägers nach ihrer Aussage vor dem Arbeitsgericht "in ihren Kopf eingebrannt" habe. Die Szene, als sie weggelaufen sei, sei bildlich quasi wieder in ihrem Kopf hochgekommen. Sie sei bereits damals davon ausgegangen, dass das Verfahren noch einmal verhandelt werde. Gerade diese Schilderung zeugt von einer Plausibilität.
Die Zeugin K. hat auch nachvollziehbar geschildert, warum sie sich nicht bereits während des Seminars an einen Seminarleiter oder Betreuer der IG Metall gewandt hat, um den Vorfall zu thematisieren. Sie hat bekundet, dass sie bereits an dem Abend des 4. Juli 2022 mit dem Mitauszubildenden und Mitteilnehmer L. gesprochen habe. Sie habe ihn gebeten, ob er mit dem Kläger reden könne, weil er größer sei, so von Mann zu Mann. L. habe sie abgewiesen mit den Worten, sie sei das einzige Mädchen, damit müsse sie klarkommen. Diese Aussage von L. habe sie daran zweifeln lassen, dass sie überreagiere und es nicht notwendig sei, sich an jemanden zu wenden. Sie hat erklärt, dass sie sich letztlich nach weiteren zwei, drei Wochen doch an die Jugendvertretung gewandt habe, weil es nicht viele Frauen bei der Beklagten gebe, und deshalb müssten sich die wenigen Frauen ein solches Verhalten des Klägers nicht gefallen lassen.
(b.)
Die Aussage des Zeugen H. ist glaubhaft.
Er hat in Übereinstimmung mit der Zeugin K. bekundet, dass der Kläger gekommen sei und sich zwischen die Zeugin K. und ihn gestellt habe. Der Kläger sei von hinten gekommen habe ihn umarmt. Als er dies bemerkt habe, habe er hochgeschaut und gesehen, dass die Hand des Klägers bei dem Brustbereich der Zeugin K. gelegen habe. Die Zeugin K. habe aufgeschrien und sei weggegangen. Daraufhin habe der Kläger gesagt, die Zeugin solle sich nicht so anstellen. Hinsichtlich dieses relevanten Kerngeschehens deckt sich seine Aussage im Kammertermin vor dem Landesarbeitsgericht am 14. Februar 2024 mit seiner Aussage gegenüber der Werkssicherheit vom 19. Juli 2022.
Der Zeuge H. konnte sich auch noch an seine emotionale Auffassung des Geschehens erinnern. Er hat bekundet, dass er im ersten Moment den Vorfall erst gar nicht richtig realisiert habe, weil er mit einer derartigen Situation nicht gerechnet habe. Nach der Reaktion der Zeugin H., dass sie so aufgeschrien habe, habe er langsam realisiert, was in der Situation so passiert sei. Wörtlich hat er bekundet: "OK, krass, ist das jetzt wirklich so passiert?" Dies seien seine Gedanken gewesen. Das sei ein Schockmoment für ihn gewesen. Er hat bekundet, mit "krass" meine er, dass andere Leute vor anderen Augen so betatscht worden seien. Diese Aussage zeigt, dass der Zeuge H. bemüht war, die Situation so wiederzugeben, wie er sie nach seiner Erinnerung erlebt hat. Gerade diese Schilderung dieses für ihn unangenehmen Sachverhaltes zeugt von einer Plausibilität. Aus diesem nachvollziehbaren Realkennzeichen ergibt sich auch schlüssig, weshalb sich der Zeuge H. gut an den Vorfall erinnern kann.
(c.)
Der Feststellung, dass die Aussagen der Zeugen K. und H. glaubhaft sind, steht nicht entgegen, dass die Aussagen nicht in allen Details übereinstimmen.
In diesem Zusammenhang ist es letztlich nicht entscheidend, ob der Zeuge H. oder die Zeugin K. links vom Kläger gestanden haben oder umgekehrt. Während sich die Zeugin K. noch daran erinnert hat, dass sie links von dem Kläger gestanden habe, als er ihre Brust berührt habe, konnte sich der Zeuge H. nicht mehr genau daran erinnern, ob die Zeugin K. links oder rechts neben ihm gestanden habe. Maßgeblich ist, dass beide Zeugen übereinstimmend das Kerngeschehen bekundet haben, nämlich dass die Hand des Klägers auf der Brust der Zeugin K. lag, sie aufgeschrien hat und der Kläger ihr beim Weglaufen hinterhergerufen hat, sie solle sich nicht so anstellen. Übereinstimmend haben beide Zeugen auch geschildert, dass der Abstand zwischen ihnen beiden zum Zeitpunkt des Vorfalles etwa die Breite eines quer gelegten DIN-A4-Blattes betragen habe. Angesichts der geringen Entfernung zwischen der Zeugin K. und dem Zeugen H. zum Zeitpunkt des Vorfalles war es dem Kläger angesichts seiner Größe von 1,80 m auch unproblematisch möglich, den 1,79 m großen Zeugen H. und gleichzeitig auch die 1,60 m große Zeugin K. zu umarmen.
(d.)
Der Glaubhaftigkeit der Aussagen steht auch nicht entgegen, dass die Zeugen an dem Abend des Vorfalles alkoholisiert waren. Nach ihren übereinstimmenden Aussagen ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Kammer, dass bei den Zeugen relevante alkoholbedingte Erinnerungs- lücken oder Wahrnehmungsstörungen vorlagen. Die Zeugin K. hat bekundet, die im Schwimmbad anwesenden Personen seien noch geradeaus gelaufen. Der Zeuge H. hat bekundet, er habe auf jeden Fall noch gewusst, was er mache. Auch der Kläger hat in seiner Anhörung am 14. Februar 2024 bekundet, dass die Zeugen sich noch normal unterhalten konnten. Soweit der Kläger behauptet hat, die Zeugin K. habe während des Seminars neben Alkohol weitere Drogen konsumiert, hat es dies nicht konkret bezüglich des Abends des 4. Juli 2022 geltend gemacht und auch keine konkreten Tatsachen hierzu vorgetragen.
(4.)
Die Zeugen sind glaubwürdig.
Bedenken gegen ihre Glaubwürdigkeit bestehen nicht bereits deshalb, weil sie sich bereits vor den Vorfällen am 3. Juli 2022 und 4. Juli 2022 gekannt haben. Bei beiden Zeugen ist auch kein Eigeninteresse an dem Prozessausgang erkennbar.
Für die Kammer haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Zeugin K. in Schädigungsabsicht gegenüber dem Kläger Vorgänge bekundet hat, die es in der Realität gar nicht gegeben hat. Die Zeugin sprach offen und gab sofort an, wenn sie etwas nicht mehr wusste oder wenn sie sich an etwas nicht erinnern konnte. Die Zeugin K. hat die Vorfälle vom 3. Juli 2022 und vom 4. Juli 2022 weder dramatisiert noch in sonstiger Weise aufgebauscht. Ihr ist es nach eigener Aussage bei ihrer Meldung des Vorfalles gegenüber der Jugendvertretung auch gar nicht darum gegangen, das gegenüber dem Kläger eine Kündigung ausgesprochen werde. Nach ihrer Aussage habe sie lediglich erreichen wollen, dass der Kläger verwarnt werde. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich bei dem von ihr bekundeten Vorfall vom 4. Juli 2022 um eine Art Racheaktion der ehemaligen Freundin des Klägers, Frau G., an dem Kläger handeln könnte.
Der Zeuge H. ist glaubwürdig. Das gesamte Aussageverhalten und der Inhalt seiner Aussage begründen nach Auffassung der Kammer keine Zweifel daran, dass er etwas tatsächlich Erlebtes wiedergegeben hat. Die Zeuge sprach offen und gab sofort an, wenn er etwas nicht mehr wusste oder wenn er sich an etwas nicht erinnern konnte. Der Zeuge H. hat den Vorfall vom 4. Juli 2022 weder dramatisiert noch gegenüber seinen Angaben gegenüber dem Ermittlungsdienst der Beklagten am 19. Juli 2022 aufgebauscht. Auch bei ihm sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass er in Absprache mit der Zeugin K. und Frau G. bereit war, eine strafbare uneidliche Falschaussage (§153 StGB) vor der erkennenden Kammer abzugeben.
cc.
Das Verhalten des Klägers am 4. Juli 2022 gegenüber der Zeugin K. stellt eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG dar.
Der Kläger hat zur Überzeugung der Kammer der Zeugin K. nicht nur mit seiner Hand wissentlich und willentlich auf ihre Brust geschlagen, sondern hat ihr, nachdem die Zeugin K. infolge dieser sexuellen Belästigung weggerannt ist, noch nachgerufen, sie solle sich nicht so anstellen. Damit hat der Kläger gegenüber der Zeugin K. zum Ausdruck gebracht, dass er selbst und nicht sie über einen Eingriff in ihre Intimsphäre durch körperlichen Kontakt bestimmen will. Der Kläger hat selber im Rahmen seiner Anhörung im Kammertermin am 14. Februar 2024 erklärt, dass er noch gerade laufen und er sich mit den Zeugen H. und K. noch flüssig unterhalten konnte. Eine alkoholbedingte versehentliche Handlung ist danach nicht ersichtlich und wird auch von Seiten des Klägers nicht als Entschuldigung geltend gemacht.
dd.
Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch die genannte sexuelle Belästigung der Zeugin K. im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG verletzt. Dem steht nicht entgegen, dass die sexuelle Belästigung der Zeugin K. während des Jugend-1-Seminars der IG Metall in Hustedt stattgefunden hat.
(1.)
Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden. Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (BAG, 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 31).
(2.)
Die vom Kläger begangene sexuelle Belästigung hat einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Dieser Bezug besteht bereits darin, dass der Kläger seine Kollegin, die Zeugin K., belästigt hat. Die von dem Kläger begangene sexuelle Belästigung hatte zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. Die Zeugin K. hat gegenüber der Werkssicherheit in ihrer Vernehmung am 18. Juli 2022 angegeben, dass sie weder mit dem Kläger reden wolle noch mit ihm alleine sein wolle. Sie habe Angst vor ihm. Die sexuelle Belästigung stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Dies ergibt sich zudem auch aus der auf das Ausbildungsverhältnis anwendbaren Gesamtbetriebsvereinbarung Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz. Zudem stellt eine sexuelle Belästigung anderer Beschäftigter oder anderer Auszubildender regelmäßig eine Störung des Betriebsfriedens dar, die nach der Gesamtbetriebsvereinbarung Arbeitsordnung eine fristlose Kündigung nach sich ziehen kann.
c.
Die außerordentliche Kündigung verstößt nicht gegen das Ultima-Ratio-Prinzip.
aa.
Danach kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.
bb.
Aufgrund des im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des für verhaltensbedingte Kündigungen geltenden Prognoseprinzips ist vor jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Fehlverhaltens des Auszubildenden ausgesprochen wird, grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich. Die gilt jedenfalls dann, wenn damit gerechnet werden kann, dass eine Abmahnung zu einem vertragsgemäßen Verhalten in der Zukunft führen wird und eine Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Auszubildendem erwartet werden kann. Eine Abmahnung ist dann entbehrlich, wenn es um schwerwiegende Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme oder Duldung dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. In einem solchen Fall kann durch eine Abmahnung als milderes Mittel die Wiederherstellung des für ein Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden (vgl. BAG, 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33; BAG, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37; BAG, 1. Juli 1999 - 2 AZR 676/98 - Rn. 27 ff.).
cc.
Gemessen an diesen Voraussetzungen war eine vorherige Abmahnung des Klägers wegen der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich.
Ihm musste bewusst sein, dass es sich bei seinem Verhalten um eine sehr schwere Vertragspflichtverletzung handelte, die seitens der Beklagten nicht geduldet wird. Der Kläger durfte auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufsausbildungsverhältnisses nicht mit berechtigten Gründen davon ausgehen, dass die Beklagte sein Verhalten gegenüber der Zeugin K. auch nur im Einzelfall duldet. Dies gilt insbesondere, weil der Kläger bereits zum Zeitpunkt des Vorfalles fast 26 Jahre alt war und ihn aufgrund dieses Lebensalters eine fehlende Reife nicht entlasten kann. Er war zum Zeitpunkt seines Fehlverhaltens kein unbedarfter Jugendlicher mehr, sondern bereits langjährig volljährig. Er musste wissen, was er tat. Das Verhalten des Klägers und seine Äußerung, die Zeugin K. "solle sich nicht so anstellen", lässt deutlich erkennen, dass er nicht gewillt ist, seinen Pflichten als Auszubildender nachzukommen, sondern im Einzelfall von weiblichen Auszubildenden erwartet, dass sie seinen sexuellen Zudringlichkeiten nachgeben oder sie zumindest dulden. Das Verhalten des Klägers ist als sexuell motiviert anzusehen und auch von der Zeugin K. so wahrgenommen worden. Unter Berücksichtigung aller Umstände wiegt das Verhalten des Klägers so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich war.
Als milderes Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung kommt eine Versetzung in einen anderen Betrieb der Beklagten nicht in Betracht. Dem steht die Schwere des Fehlverhaltens des Klägers entgegen. Ferner wäre der Kläger auch in einem anderen Werk der Beklagten in einem anderen Ausbildungsjahrgang mit anderen (weiblichen) Auszubildenden zusammen.
d.
Die abschließende Abwägung der beiderseitigen Interessen führt zu dem Ergebnis, dass vorliegend das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses überwiegt.
aa.
Bei dieser Gesamtwürdigung ist das Interesse des Ausbilders an einer sofortigen Beendigung des Ausbildungsvertrages gegen das Interesse des Auszubildenden an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Vertragsverhältnis fortzusetzen, weil alle milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat unter Abwägung aller konkreten Umstände zu erfolgen. Unter Berücksichtigung des Ausbildungszwecks sind Pflichtverstöße nur unter erschwerten Bedingungen als unzumutbar für den Ausbildenden zu bewerten. Eine außerordentliche Kündigung kurz vor Abschluss der Ausbildung ist nahezu kaum möglich.
bb.
Bei der gebotenen Anwendung vorstehender Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung der Beklagten als verhältnismäßig.
Auf Seiten des Klägers ist sein Interesse zu berücksichtigen, seine Ausbildung bei der Beklagten zu Ende zu bringen sowie der Umstand, dass er nicht erst am Anfang seiner Ausbildung bei der Beklagten stand. Andererseits befand er sich aber auch nicht kurz vor Abschluss der Ausbildung, sondern (erst) zu Beginn des 3. Lehrjahres. Er hatte sonach erst etwas mehr als die Hälfte seiner Ausbildungszeit bei der Beklagten zurückgelegt.
Die insoweit für den Kläger ins Feld zu führenden Gesichtspunkte müssen jedoch hinter den Interessen der Beklagten zurücktreten. Der vorliegende Kündigungssachverhalt belastet den Kläger so stark, dass aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers angesichts der Schwere des Fehlverhaltens nur die Möglichkeit bestand, sich mit sofortiger Wirkung zu trennen. Konkret ergibt sich die Schwere der begangenen Pflichtverletzung aus dem sexualisierten körperlichen Übergriff gegenüber der Zeugin K.. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass der Übergriff des Klägers gegenüber einer deutlich jüngeren Mitauszubildenden erfolgte, für die die Beklagte ihrerseits eine besondere Fürsorgepflicht zu erfüllen hat.
Die Beklagte ist nach § 12 AGG in einem umfassenden Sinne dazu verpflichtet, die bei ihr Beschäftigten (vgl. § 6 Abs. 1 AGG) vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zu schützen. Dazu gehört insbesondere ein effektiver Schutz vor sexuellen Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen der Beklagten im Rahmen der Auswahl der geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen, zu denen auch die Kündigung gehört, insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu "unterbinden" hat. Nach § 12 Abs. 3 AGG hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen der Arbeitgeber als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität ab (BAG, 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15; BAG, 9. Juni 2011 - 2 AZR 223/10 - Rn. 16). Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, d. h. eine Wiederholung ausschließen (BAG, 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 29).
Soweit die Beklagte diesen gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, besteht für sie das Risiko, mit Schadensersatzansprüchen diskriminierter Beschäftigter konfrontiert zu werden. Für den erforderlichen Schutz hat die Beklagte u. a. mit dem bei ihr geltenden "Code of Conduct", mit der Betriebsvereinbarung "Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz" und auch durch das installierte Hinweisgebersystem die strukturellen Voraussetzungen geschaffen. Die Beklagte hat insofern ein legitimes generalpräventives Interesse daran, dass für die Belegschaft sichtbar wird, dass Verstöße gegen die entsprechenden Vorschriften zum Schutz der Persönlichkeit und der sexuellen Integrität konsequent und effizient geahndet werden. Die Zeugin K. hat bekundet, sie sei zur Jugendvertretung gegangen, weil sie der Auffassung sei, das Verhalten des Klägers gehöre sich nicht. Es seien nicht viele Frauen bei der Beklagten und deshalb müsse man sich das Verhalten des Klägers nicht gefallen lassen. Hierdurch hat die Zeugin K. nochmals auf die der Beklagten obliegenden Pflicht, weibliche Mitarbeiter und weibliche Auszubildende zu schützen, konkret hingewiesen.
3.
Mit dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 5. September 2022 hat die Beklagte die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 22 Abs. 4 BBiG gewahrt.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen J. ist das Arbeitsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass das Personalwesen der Beklagten, auf dessen Kenntnis es insoweit maßgeblich ankomme, von den Vorwürfen gegenüber dem Kläger erst am 23. August 2022 erfahren habe.
Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist auf der Grundlage des Sitzungsprotokolls vom 18. April 2023 gut nachvollziehbar. Sie macht die richterliche Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO transparent, ohne sich in Leerformeln zu erschöpfen. Die erkennende Kammer folgt der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichtes. Die zutreffende Beweiswürdigung wird von dem Kläger im Rahmen der Berufung auch nicht angegriffen.
Die Kündigung ging dem Kläger am 5. September 2022 und somit innerhalb der 14-Tages-Frist zu.
4.
Die Beklagte hat den bei ihr gebildeten Betriebsrat ordnungsgemäß zur fristlosen Kündigung des Klägers gemäß § 102 BetrVG angehört.
Der Kläger hat bereits in seiner Klage selbst bestätigt, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Er hat auch im Rahmen der Berufung die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der Kündigung nicht angegriffen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert war gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen festzusetzen.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.