Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.07.2024, Az.: 4 Sa 531/23

wichtiger Grund

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
29.07.2024
Aktenzeichen
4 Sa 531/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 21899
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0729.4Sa531.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 11.07.2023 - AZ: 6 Ca 14/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein grob fahrlässiger Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen ist an sich als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

  2. 2.

    Eine an sich mögliche Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Grund, der einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Inhalt entgegensteht, es nicht zugleich ausschließt, den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz oder zu anderen Bedingungen weiterzubeschäftigen. Die anderweitige Beschäftigung muss dem Arbeitgeber nicht nur möglich, sondern auch zumutbar sein. Hierbei ist in der Regel darauf abzustellen, ob ein Kündigungsgrund arbeitsplatzbezogen ist. Bei verhaltensbedingten Gründen, die arbeitsplatzunabhängig sind, ist eine Versetzung regelmäßig kein geeignetes Mittel im Verhältnis zur Kündigung.

Tenor:

  1. I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 11.07.2023 - - teilweise abgeändert.

    Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

  2. II.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

  3. III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist dem Kläger gegenüber erklärten Kündigung.

Der am 00.00.1969 geborene, verheiratete und zwei Kindern sowie seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 11.07.1990 bei der Beklagten zu einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 4.200,00 € beschäftigt. Der Kläger war nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrag für die Eisen- und Stahlindustrie ordentlich unkündbar (§ 17 Ziff. 6.2. MTV).

Der Kläger war zunächst als Kranfahrer in Kränen eingesetzt, die von oben aus einer Kanzel heraus gesteuert werden. Er erhielt im März und April 2017 Abmahnungen, in welchen ihm vorgeworfen wurde, er habe eine schwebende Last über einen Mitarbeiter gefahren und sei beim Chargieren einer Stahlpfanne mit einer Absaughaube kollidiert. Die Abmahnungen wurden nach fünf Jahren aus der Personalakte entfernt. Am 12.12.2019 erhielt der Kläger eine Abmahnung, weil er am 13.09.2019 einen Coil in einem Bereich abstellte, der statisch dafür nicht geeignet war.

Vor Erteilung dieser Abmahnung wurde der Kläger vor dem bei der Beklagten bestehenden Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen zu dem Vorfall am 13.09.2019 gehört. Ausweislich des Protokolls vom 09.12.2019 (Anlage B5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.03.2022) gab der Kläger an, dass er die Coils heruntergenommen und diese vorübergehend vor die vorhandenen Reihen gestellt habe. Dort sei Boden gewesen, es habe sich nicht um den Bereich der Abdeckplatten gehandelt. Er sei nicht darauf aufmerksam gemacht worden, dass er die Coils dort nicht abstellen dürfe. Auf den Hinweis des Betriebsleiters F., dass die Normalschicht festgestellt habe, dass die Coils auf der Kellerdecke stünden, entschuldigte sich der Kläger und teilte mit, dass er die Coils nicht absichtlich falsch abgestellt habe. Wegen der Äußerungen der Teilnehmenden im Einzelnen wird auf das zur Akte gereichte Protokoll vom 09.12.2019, Anlage B5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.03.2022, Bezug genommen.

Im Anschluss an eine Reha-Maßnahme erfolgte Ende März 2020 eine arbeitsmedizinische Untersuchung des Klägers. Diese ergab dauerhafte arbeitsmedizinische Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers mit häufigem Bücken, Zwangshaltung über Schulterniveau, Knien und Hocken sowie schwerer Arbeit.

Am 30.11.2020 schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag, wonach der Kläger ab dem 01.12.2020 auf dem Arbeitsplatz des Kranfahrers im Bereich Warmbreitbandwalzwerk eingesetzt wurde. Danach war der Kläger zuletzt in Halle B als Kranfahrer mit der Bedienung funkferngesteuerter Kräne beschäftigt. Hierbei handelt es sich um Brückenkräne, mit denen Gewichte bis zu 35 Tonnen bewegt werden.

Für das sicherheitsgerechte Arbeiten mit Kränen im Bereich Warmflach existiert eine umfangreiche Arbeitsanweisung. Danach ist bei dem Transport von Lasten ua. auf Personen im Fahrbereich und die Bewegung benachbarter Krane zu achten. Kranbewegungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn der Kranfahrer das Lastaufnahmemittel bzw. die angehängte Last beobachten kann. Soweit ein nicht besetzter Kran im Weg steht, ist der Schichtführer zu verständigen, welcher ggf. zu veranlassen hat, dass der Kran weggefahren wird. Unter näher genannten Voraussetzungen darf ein defekter Kran langsam geschoben werden. Wegen des weiteren Inhalts der Arbeitsanweisung wird auf die Anlage B10 zum Schriftsatz der Beklagten vom 28.04.2023 (Bl. 100 bis 106 der Akte) Bezug genommen. Darüber hinaus existiert eine Betriebsanweisung für Arbeiten auf/im Wirkbereich von Krananlagen. Danach ist der betroffene Kran so zu sichern, dass er von anderen Kränen nicht angefahren werden kann. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Anlage B11 zum Schriftsatz der Beklagten vom 28.04.2023 (Bl. 107 bis 110 der Akte) Bezug genommen. Es führt eine Kranbahn durchgehend durch die Halle, auf der alle Kräne nacheinander positioniert sind.

Unter dem 14.10.2022 erhielt der Kläger eine Abmahnung, weil er am 08.05.2022 beim Kippen von Schrott aus einem kleinen in einen größeren Kübel die Traverse des kleinen Kübels verbogen hatte. Als der Kläger den Inhalt des kleineren Übels in den größeren Kübel habe entleeren wollen - so heißt es in der Abmahnung - sei er mit dem kleineren Kübel aufgesetzt. Durch das Aufsetzten sei die Traverse des kleineren Kübels komplett verbogen. Wegen des Inhalts der Abmahnung vom 14.10.2022 im Einzelnen wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 26.01.2023, Blatt 23 der Akte, Bezug genommen.

Der Abmahnung vorausgegangen war wiederum eine Sitzung des Ausschusses für Ordnungsmaßnahmen am 23.08.2022 und 13.09.2022. Gegenstand hier war nicht nur der Vorfall in der Nachtschicht vom 07.05.2022 auf den 08.05.2022, sondern auch das übrige Arbeitsverhalten des Klägers. Dem Kläger wurde ua. vorgehalten, Anfang des Jahres dabei gesehen worden zu sein, wie er Fahrrad gefahren und währenddessen den Kran bedient habe. Dies wurde von dem Kläger im Rahmen der Anhörung genauso in Abrede gestellt wie der Vorwurf, er fahre mit dem Kran mit hängender Last über sich selbst herüber und gefährde damit sich selbst sowie auch andere Mitarbeiter. In der sodann am 13.09.2022 fortgesetzten Sitzung beschloss das Gremium einvernehmlich, dem Kläger aufgrund seines Fehlverhaltens am 08.05.2022 eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen seine Verpflichtung, die ihm übertragenen Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen, zu erteilen. Der Kläger wurde am Ende der Ausschusssitzung darauf hingewiesen, dass ein derartiges Fehlverhalten nicht akzeptiert werde und er im Wiederholungsfall mit weitergehenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müsse. Ihm wurde mitgeteilt, dass von ihm als Kranfahrer ab sofort ein absolut fehlerfreies Verhalten erwartet werde.

Vom 27. auf den 28.12.2022 war der Kläger in der Nachtschicht eingesetzt und bediente den Kran B3. Der Kran B2 war defekt. Die Abstandswarneinrichtung an dem Kran B2 funktionierte zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Monaten nicht mehr. Dies war auch dem Kläger bekannt. Ein Vorarbeiter fuhr den Kran B2 auf die Vorstraße. Der Kläger führte seine Tätigkeiten mit dem Kran B3 aus, stellte den Kran B3 auf der Fertigstraße ab und begab sich in die Pause. Während der Pause bewegten Elektriker, die mit der Reparatur des Krans B2 beauftragt waren, diesen Kran sowie den vom Kläger zuvor gesteuerten Kran B3 zur Haspel am Ende der Halle. Der Kläger wurde hierüber nicht informiert und stellte nach Beendigung der Pause fest, dass sich der Kran B3 nicht an der Stelle befand, an der er ihn abgestellt hatte. Die Kräne B2 und B3 waren zu diesem Zeitpunkt in einem Abstand von ca. 10 Metern voneinander positioniert. Der Kläger entdeckte die Fernbedienung für den Kran B3 auf dem Boden. Er setzte den Kran B3 mit der Fernsteuerung in Bewegung und kollidierte mit dem Kran B2. Dieser wurde so erschüttert, dass sich die dort mit Reparaturarbeiten befassten Elektriker gerade noch am Geländer festhalten konnten.

Am 29.12.2022 informierte der Betriebsleiter F. die nicht kündigungsberechtigten Mitarbeiter der Personalabteilung H. und S. über den Vorfall. Der Mitarbeiter der Personalleitung H. informierte per E-Mail vom 30.12.2022 den Leiter der Personalverwaltung O. darüber, dass der Kläger wieder einen Unfall gebaut habe. Wegen des Inhalts der E-Mail im Einzelnen wird auf die Anlage B22 zum Schriftsatz der Beklagten vom 11.06.2024 Bezug genommen. Herr O., der nicht kündigungsberechtigt ist, befand sich zu diesem Zeitpunkt noch bis einschließlich 03.01.2023 im Erholungsurlaub. Noch während seines Urlaubs bat er ua. seinen Vertreter T., weitere Sachverhaltsermittlungen durchzuführen und eine Sitzung des Ausschusses für Ordnungsmaßnahmen zur Befragung des Klägers zu diesem Vorfall zu organisieren.

Am 05.01.2023 wurde der Vorfall in dem bei der Beklagten gebildeten Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen behandelt. Der Kläger gab an, er habe den Kran B2 übersehen. Er habe mit dem während seiner Pause geänderten Standort des Krans B2 nicht gerechnet. Auch habe er nicht gewusst, dass auf dem Kran Arbeiten durch Elektriker durchgeführt würden.

Am 06.01.2023 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist an. Mit Schreiben vom 09.01.2023 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers unter Hinweis darauf, dass der Vorfall nicht nur auf einem Fehlverhalten des Klägers, sondern einer Verkettung mehrerer Umstände beruht habe. Zudem existierten zahlreiche andere Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger.

Mit Schreiben vom 12.01.2023, welches dem Kläger noch am gleichen Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

Im Bereich des Pförtnerdienstes schied bei der Beklagten zum 31.01.2023 der Mitarbeiter Herr B. (im Folgenden nur B) aufgrund eines Aufhebungsvertrags, der zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht unterzeichnet war, aus. Ferner schied in diesem Bereich altersbedingt Herr V. (im Folgenden V) im März 2023 aus.

Mit seiner am 18.01.2023 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Zur Abmahnung aus dem Jahr 2019 hat er behauptet, es sei üblich, die fragliche Fläche zur Lagerung zu nutzen. Er habe hierzu keine Einweisung erhalten. Bei dem Vorfall, der zur Abmahnung im Oktober 2022 führte, habe er nur auf Anweisung des Straßenmeisters gehandelt. Bei dem Vorfall in der Nachtschicht Ende Dezember 2022 habe er aufgrund schlechter Hallenbeleuchtung nur einen Kran gesehen. Die Beleuchtung am Kran B2 sei ausgeschaltet gewesen. Er habe nicht erkennen können, dass sich der Kran B2 dort befunden habe. Die Elektriker hätten den Kran nicht ordnungsgemäß abgesichert und ihn vorschriftswidrig nicht informiert. Er habe die Kollision nicht zu vertreten und sei an dem Vorfall nicht beteiligt gewesen, sondern ausschließlich die Elektriker. Es habe zum Zeitpunkt der Kündigung anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten im Bereich des Pförtnerdienstes, der Waschkaue und der Materialausgabe gegeben. Darüber hinaus sei er auch in anderen Bereichen einsetzbar. Die Beklagte habe nicht alle notwendigen Stellen bei der Prüfung alternativer Arbeitsplätze eingeschaltet.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 12.01.2023, zugegangen am 12.01.2023 nicht aufgelöst worden ist,

  2. 2.

    den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst wurde, zu den im Arbeitsvertrag geregelten Arbeitsbedingungen als zu einem monatlichen Nettogehalt von 3.000,00 € bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

Die hat Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zu der Abmahnung aus dem Jahr 2019 behauptet, der Kläger sei jährlich über Sperrflächen unterwiesen worden. In der Nachtschicht Ende Dezember 2022 habe der Kläger in Kenntnis des Umstands, dass der Kran B2 defekt war, seinen Kran bewegt, ohne hinzusehen, wohin er fahre. Der Kran B2 sei mit einer Notbeleuchtung beleuchtet gewesen. Durch die Kollision mit dem Kran B2 habe der Kläger die dort tätigen Elektriker in erhebliche Gefahr gebracht. Alternative Arbeitsplätze, auf denen der Kläger weiter beschäftigt werden könne, gebe es nicht. Insgesamt sei eine Weiterbeschäftigung aufgrund der Unzuverlässigkeit des Klägers ausgeschlossen. Auch im Bereich des Pförtnerdienstes handele es sich um gefahrgeneigte Arbeit, die eine zuverlässige Abfertigung im Rahmen des Schichtwechsels erfordere. Herr V. sei dort im Personalüberhang eingesetzt gewesen, dessen Stelle sei nicht nachbesetzt worden. Tätigkeiten im Bereich Waschkaue seien dem Kläger schon aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Zudem habe es dort keine freien Stellen gegeben.

Mit Urteil vom 11.07.2023 hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben, den Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers hingegen abgewiesen. Im Wesentlichen mit folgender Begründung: Zwar liege ein wichtiger Grund für die Kündigung vor, weil der Kläger grob fahrlässig seine Sorgfaltspflichten bei der Ausübung seiner Tätigkeit verletzt und damit andere Mitarbeiter erheblich gefährdet habe. Erschwerend komme hinzu, dass sich der Kläger - zumindest im Rahmen des Rechtsstreits - uneinsichtig gezeigt habe. Die Kündigung erweise sich jedoch im Hinblick auf eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Klägers im Bereich des Pförtnerdienstes als unverhältnismäßig. Die Stelle des Herrn B. im Bereich des Pförtnerdienstes sei mit dessen Ausscheiden am 31.01.2023 frei. Der Antrag des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung sei bereits unzulässig, weil der Kläger die Art der Beschäftigung nicht im Antrag aufgenommen habe. Zudem sei der Antrag unbegründet, da der Kläger schon nicht dargelegt habe, dass er einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu einem monatlichen Nettogehalt von 3.000,- € habe.

Gegen das der Beklagten am 17.07.2023 zugestellte Urteil richtet sich deren am 09.08.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie am 19.10.2023, innerhalb der bis dahin verlängerten Berufungsbegründungsfrist, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Arbeitsgericht sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliege. Unzutreffend sei die Auffassung des Arbeitsgerichts aber, soweit dies meine, sie sei gehalten gewesen, dem Kläger die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ungekündigte Stelle des Oberwachmanns B. anzubieten. Sie habe zum einen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht gesichert davon ausgehen können, dass der Arbeitsplatz des B. zum 31.01.2023 frei werde. Zum anderen seien die eklatanten Verletzungen von Verfahrens- und Sicherheitsanweisungen durch den Kläger auch nicht ausschließlich arbeitsplatzbezogenen. Bei der vom Kläger für sich in Anspruch genommenen Position handele es sich um diejenige eines Oberwachmanns. Diese setzte ein hohes Maß an Sicherheit- und Verantwortungsbewusstsein und ein hohes Bewusstsein für Sorgfaltspflichten voraus. Die Anforderungen gingen sowohl nach Breite als auch nach Tiefe und Sachkunde deutlich über die an allgemeine Sicherheitsfachkräfte zu stellenden Anforderungen hinaus. Es sei ein erhöhtes Gefahrenbewusstsein und eine erhöhte Umsicht gerade im Hinblick auf abstrakte Gefahrenlagen erforderlich und unabdingbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 11.07.2023 - 6 Ca 14/23 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil dem Grunde nach, wobei das Arbeitsgericht nach seiner Anschauung zu Unrecht einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses angenommen habe. Er habe seine Sorgfaltspflichten nicht grob fahrlässig verletzt und nicht damit rechnen können, dass die Elektriker sämtliche sie treffenden Sorgfaltspflichten verletzten. Er sei nicht einschlägig abgemahnt. Die ihm in der Vergangenheit erteilten Abmahnungen seien zu Unrecht erfolgt. Das Arbeitsgericht habe seinen Vortrag nicht als Uneinsichtigkeit werten dürfen. Zu Recht habe das Arbeitsgericht indes die Kündigung wegen des freien Arbeitsplatzes im Bereich des Pförtnerdienstes als unverhältnismäßig angesehen. Bestritten werde, dass Herr B. bei der Beklagten als Oberwachmann beschäftigt gewesen sei. Er verfüge über den erforderlichen Ausbildungsstand für den Arbeitsplatz von Herrn B. Zudem berufe er sich nicht lediglich auf den Arbeitsplatz des Herrn B., sondern auf weitere freie Arbeitsplätze, wie denjenigen des Herrn V., der ab März 2023 altersbedingt aus dem Pförtnerdienst bei der Beklagten ausgeschieden ist sowie einen Arbeitsplatz in der Waschkaue.

Die Kammer hat in der Sitzung am 29.07.2024 Beweis erhoben. Wegen des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 29.07.2024 Bezug genommen.

Auch wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von den Parteien zu Protokoll abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

B.

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

I.

Die außerordentliche Kündigung vom 12.01.2023 hat das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet.

1.

Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender und sorgfältiger Begründung angenommen, dass das grob fahrlässige Verhalten des Klägers - die Steuerung des Krans B3 ohne sich vorher pflichtwidrig darüber zu vergewissern, dass die Kranbahn frei ist - einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB an sich darstellt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Berufungskammer auf die erstinstanzlichen Ausführungen unter B. I. 1 der Entscheidungsgründe (S. 5 und 6 des Urteils) vollumfänglich Bezug, macht sich diese zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Angriffe der Berufung rechtfertigen ein anderes Ergebnis nicht. Sie gebieten lediglich folgende Ergänzungen:

Dem Kläger als Kranführer kommt eine besondere Verantwortung nicht nur für das Eigentum der Beklagten, sondern insbesondere für Leib und Leben der Arbeitnehmer zu, die mit der Gefahrenquelle des von ihm zu führenden Krans in Berührung kommen. Wegen der potentiellen Gefahren, die mit der Bewegung von Lasten bis zu 35 Tonnen einhergehen, existieren zahlreiche Arbeitsanweisungen, welche vom Kläger als Kranführern zum Schutz von Leib und Leben anderer Arbeitnehmer dringend zu beachten sind.

Schlechtleistungen und unzureichende Arbeitsleistung des Arbeitnehmers rechtfertigen zwar in der Regel nicht dessen außerordentliche Kündigung. Hier werden die Interessen des Arbeitgebers und des Betriebes im allgemeinen durch den Ausspruch der ordentlichen Kündigung nach vorausgegangener Abmahnung genügend gewahrt, und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer fahrlässig großen Schaden verursacht (BAG 4. Juli 1991 - 2 AZR 79/91 - Rn. 30). Dies gilt aber nicht uneingeschränkt für alle möglichen Fallkonstellationen. So kann die außerordentliche Kündigung ausnahmsweise bei bereits einmaligem fahrlässigen Versagen ohne vorausgegangene Abmahnung zB. zulässig sein, wenn das Versehen eines Arbeitnehmers, der eine besondere Verantwortung übernommen hat, geeignet war, einen besonders schweren Schaden herbeizuführen und der Arbeitgeber das Seine getan hat, die Möglichkeiten für ein solches Versehen und seine Folgen einzuschränken (vgl. BAG 4. Juli 1991 - 2 AZR 79/91 - zu II 2 b der Gründe, BAG 14. Oktober 1965 - 2 AZR 466/64 zu III. der Gründe).

Der Kläger hat, indem er den Kran B3 bewegte, ohne sich unter Verstoß gegen die Arbeitsanweisungen vom 03.05.2018, insbesondere die Sicherheitsanweisungen unter Ziffer 3 (Blatt 102 der Akte) zu vergewissern, dass die Kranbahn frei ist, nicht nur fahrlässig, sondern grob fahrlässig gehandelt. Es leuchtet jedermann ein, dass Gewichte von bis zu 35 Tonnen nur in Bewegung gesetzt werden dürfen, wenn absolute Sicherheit darüber herrscht, dass die Fahrbahn frei und eine Kollision mit anderen Kränen ausgeschlossen ist. Obwohl er die zur Bedienung erforderliche Fernsteuerung für den Kran vorschriftswidrig am Boden vorfand und obwohl sich der Kran B3 nach der Pause des Klägers an einer anderen Stelle der Halle befand, hat er diesen mit allenfalls oberflächlichem Blick nach oben - nach seinen Angaben im Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen am 05.01.2023 erfolgte sogar erst nach der Kollision zur Kranbahn ein Blick nach oben, vgl. Anlage zur Betriebsratsanhörung, Bl. 44 ff. der Akte - in Bewegung gesetzt, so dass es zum Zusammenstoß mit dem Kran B2 kam. Der Kläger schildert selbst, dass er sich vorherigen Aufforderungen der Elektriker, vorschriftswidrig den Kran B2 mithilfe des Krans B3 auf die Vorstraße zuschieben, widersetzt habe. Aus welchen Gründen der Kläger sodann die jedermann einleuchtende und noch viel gewichtigere Sicherheitsmaßnahme unterlassen hat, trotz der von ihm behaupteten schlechten Sichtverhältnisse den Kran B3 überhaupt zu bedienen ohne sich vorab zu vergewissern, dass die Kranbahn frei ist, erschließt sich der Kammer nicht. Dabei hätten ihn die Umstände, insbesondere, dass sich die Fernbedienung für den Kran vorschriftswidrig auf dem Boden befand, sich der Kran B3 nicht mehr an der Stelle befand, an der er vor der Pause stand und dass die Elektriker ihn zuvor erfolglos gebeten hatten, den Kran B2 zu schieben, zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen. Hätte der Kläger diese, im Übrigen von jedem Verkehrsteilnehmer im allgemeinen Straßenverkehr zu beachtenden Regeln beachtet, wäre es zu der Kollision der beiden Kräne nicht gekommen. Die Pflichtverletzung erscheint auch nicht deshalb in einem anderen Licht, weil die Abstandswarneinrichtung am Kran B2 nicht funktioniert hat. Gerade weil dieser Mangel dem Kläger bekannt war, hätte er umso größere Vorsicht walten lassen müssen. Die grobe Pflichtverletzung war geeignet, besonders schweren Schaden, zum einen schwere bis tödliche Personenschäden anderer Arbeitnehmer, zum anderen hohe Sachschäden für die Beklagte herbeizuführen. Das größerer Personen- und Sachschäden ausgeblieben ist, war allein dem Zufall geschuldet.

Weder die vom Kläger geschilderten widrigen Umstände noch die unterlassenen Sicherheitsvorkehrungen der Elektriker oder die defekte Abstandswarneinrichtung vermögen an dem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers etwas ändern. Die Kammer verkennt nicht, dass nicht nur der Kläger, sondern auch die Elektriker, die mit der Reparatur des Krans B2 begonnen hatten, ohne Beachtung der auch für diese geltenden Sicherheitsvorschriften, insbesondere der Information über die Arbeiten am Kran B2 an den Kraneinteiler und den Kläger, das Nichtanbringen einer Sicherheitsleuchte und einer Fahne oder das Nichtaufstellen eines Hemmschuhs, fahrlässig, wenn nicht sogar grob fahrlässig gehandelt haben und damit mitursächlich für den Zusammenstoß und die Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit waren. Der Zusammenstoß hätte auch durch ein umsichtiges Verhalten der Elektriker oder durch ein Warnsignal der Abstandswarneinrichtung verhindert werden können. Da das Verhalten der Elektriker der Beklagten zurechenbar ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihrerseits alles Erforderliche zur Vermeidung der Krankollision getan hätte.

Dessen ungeachtet treffen den Kläger als für die Bedienung des Krans berechtigte und zuständige Person besondere Sorgfaltspflichten. Des Weiteren ist die grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers nicht deshalb weniger gewichtig, weil andere Arbeitnehmer auch grob fahrlässiges Verhalten an den Tag gelegt haben. Ein grob fahrlässiges Verhalten auch der Elektriker lässt die grobe Pflichtwidrigkeit des Klägers nicht in einem anderen Licht erscheinen. So geht es bei der Beurteilung des wichtigen Grunds nicht etwa um die Bestrafung des Klägers für sein grob fahrlässiges Verhalten am 28.12.2022, sondern es gilt das Prognoseprinzip zu beachten. Hiernach ist entscheidend, ob die Beklagte im Kündigungszeitpunkt mit einer Fortsetzung grob fahrlässiger Pflichtverletzungen durch den Kläger rechnen musste oder nicht.

2.

Die Beklagte konnte im Kündigungszeitpunkt damit rechnen, dass der Kläger - ohne den Ausspruch einer Kündigung - auch zukünftig elementare Verhaltensregeln und Arbeitsanweisungen nur oberflächlich bis gar nicht beachtet und es wegen derartiger Verhaltensweisen des Klägers zu Personen- bzw. Sachschäden kommen kann, die bei dem Vorfall am 28.12.2022 glücklicherweise ausgeblieben sind.

a)

Die negative Prognose ist deshalb gerechtfertigt, weil es sich nicht um ein einmaliges Fehlverhalten des Klägers gehandelt hat, sondern der Kläger auch in der Vergangenheit durch unachtsame Verhaltensweisen aufgefallen ist, welche zeigen, dass der Kläger nicht willens und vielleicht auch nicht in der Lage ist, die Gefahrgeneigtheit seiner Tätigkeit zu erkennen und sein Verhalten dementsprechend anzupassen. So hat der Kläger in der Kammerverhandlung am 08.04.2024 auf Nachfrage der Vorsitzenden erklärt, einen Kran mit einer Hand per Knopfdruck bedient zu haben, während er mit der anderen Hand ein Fahrrad geschoben habe. Die Beklagte hatte dem Kläger im Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen vom 23.08.2022 und 13.09.2022 vorgeworfen, den Kran während des Fahrradfahrens bedient zu haben (Anlage B8 zum Schriftsatz der Beklagten vom 14.03.2022, Blatt 55 ff. der Akte). Auch das Bedienen des Krans bei gleichzeitigem Schieben eines Fahrrads, wovon die Kammer zugunsten des Klägers ausgeht, wird einem sorgfältigen Verhalten eines Kranfahrers nicht gerecht. Denn auch wenn der Kläger das Fahrrad nur geschoben haben sollte, hat er damit nicht seine volle Aufmerksamkeit auf die von ihm mit dem Kran bewegten tonnenschweren Güter gerichtet. Nach dem Eindruck der Kammer hatte der Kläger bei der Schilderung seiner Version - ledigliches Schieben des Fahrrads während der Kranbedienung - kein Bewusstsein dafür, dass nicht nur der ihm gemachte Vorwurf, er sei das Fahrrad während der Steuerung des Krans gefahren, sondern auch der von ihm auf Vorhalt eingeräumte Sachverhalt, er habe das Fahrrad geschoben und währenddessen den Kran bedient, eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt, ungeachtet des Umstands, ob das Bedienen des Krans grundsätzlich beide Hände erfordert oder nicht. Auch das Schieben eines Fahrrads während der Steuerung des Krans stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, welche potentielle Gefahren für Leib und Leben andere Arbeitnehmer und das Eigentum der Beklagten birgt. Dass der Kläger hinsichtlich dieses Vorfalls nicht konkret abgemahnt wurde, bringt die negative Prognose nicht zu Fall. Ob eine Abmahnung den Kläger veranlasst hätte, sein Verhalten zu ändern, erscheint der Kammer aufgrund des fehlenden Bewusstseins des Klägers für die von ihm gesteuerte Gefahrenquelle "Brückenkran" nicht erfolgversprechend.

b)

Eine positive Prognose, der Kläger werde zukünftig umsichtiger mit der von ihm gesteuerten Gefahrenquelle "Brückenkran" umgehen, steht auch der schon erstinstanzlich vom Kläger gewonnene Eindruck in Form der Uneinsichtigkeit entgegen, maßgeblich mit einer erheblichen Pflichtverletzung den sicherheitsrelevanten Vorfall verursacht zu haben. Auch wenn es menschlich sein mag, den Verursachungsbeitrag anderer gegenüber dem eigenen Verursachungsbeitrag in den Vordergrund zu stellen, bestätigte der Kläger auch in der Berufungsverhandlung am 08.04.2024 den Eindruck, insbesondere unter Berücksichtigung seiner Aussagen zum Schieben des Fahrrads während der Bedienung des Krans, aber auch unter Zugrundelegung der nicht protokollierten Äußerungen des Klägers zu seinem nach seiner Anschauung geringen Verursachungsbeitrag an der Kollision am 28.12.2022. Auch hier entstand der Eindruck, der Kläger weise jegliche Verantwortung für die Kollision am 28.12.2022 von sich. Diesen Eindruck konnte er in der Fortsetzungsverhandlung nicht vollständig revidieren.

c)

Die negative Prognose wird zudem dadurch bestätigt, dass der Kläger trotz einschlägiger Abmahnung sein Verhalten nicht änderte.

Hierbei geht das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen davon aus, dass jedenfalls der in der Abmahnung vom 14.10.2022 bezeichnete Vorwurf, der Kläger habe durch das Aufsetzen des kleineren Kübels die Traverse verbogen, zutreffend ist und dem Kläger gegenüber zurecht eine Abmahnung ausgesprochen wurde. Zwar hat der Kläger im Rahmen der Anhörung vor dem Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen zunächst bestritten, mit dem Kübel aufgesetzt zu haben. Er hatte aber auch keine in sich schlüssige Erklärung dafür, warum "der Arm herausgegangen" sei. Den Erklärungen des Klägers im Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen ist nicht zu entnehmen, dass die Traverse bereits zuvor verbogen gewesen wäre, wie der Kläger im Schriftsatz vom 21.12.2023, Seite 3 vortragen ließ. Auch lässt der Kläger erstmals im Verfahren mit Schriftsatz vom 12.04.2023 vortragen, dass sein Vorgesetzter A. ihn angewiesen habe, das Kübel hochzufahren und sich hierbei der Arm verbogen habe. Die Einlassungen des Klägers sind widersprüchlich und schon aus diesem Grund unbeachtlich. Hätte der Kläger auf Anweisung des Vorgesetzten gehandelt und wäre es hierbei zu dem Sachschaden gekommen, hätte der Kläger dies vor dem Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen bei lebensnaher Betrachtung zu seiner Rechtfertigung vorgebracht. Dafür, dass der Kläger dies schon im Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen behauptet hätte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Weder trägt der Kläger dies im Verfahren vor noch ergibt sich dies aus dem Protokoll vom 23.08.2022 und 13.09.2022, welches sowohl von der Personalabteilung als auch vom Betriebsrat unterzeichnet wurde. Ungeachtet der dem Kläger unter dem 14.10.2022 erteilten Abmahnung und der sowohl hier als auch bereits in der Ausschusssitzung am 23.08.2022 und 13.09.2022 erfolgten Warnung, dass dies die letzte Chance des Klägers sei, sein Fehlverhalten nicht akzeptiert werde und er im Wiederholungsfall mit weitergehenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen müsse, hat der Kläger sein sorgloses und den Sicherheitsbelangen der Beklagten entgegenstehendes Verhalten nicht geändert.

3)

Die Beklagte musste dem Kläger auch keine anderen Tätigkeiten als Oberwachmann zuweisen oder - soweit eine Zuweisung arbeitsvertraglich nicht möglich war - dem Kläger gegenüber eine Änderungskündigung aussprechen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schon sicher absehbar war, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer B. zum 31.01.2023 seine Beendigung finden würde. Zudem kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Arbeitsplatz des zum 31.03.2023 rentenbedingt ausscheidenden Arbeitnehmers V. um ein Überhangarbeitsplatz handelte.

a)

Eine an sich mögliche Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Grund, der einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Inhalt entgegensteht, es nicht zugleich ausschließt, den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz oder zu anderen Bedingungen weiterzubeschäftigen (KR/Fischermeier/Krumbiegel, 13. Auflage 2022, § 626 Rn. 305). Die anderweitige Beschäftigung muss dem Arbeitgeber nicht nur möglich, sondern auch zumutbar sein. Hierbei ist in der Regel darauf abzustellen, ob ein Kündigungsgrund arbeitsplatzbezogen ist. In diesem Fall geht die mögliche Versetzung auf einen freien Arbeitsplatz der Kündigung vor, wenn die begründete Aussicht besteht, dass der Arbeitnehmer unter den veränderten Verhältnissen die Anforderungen vertragsgemäß erfüllen wird. Bei verhaltensbedingten Gründen, die arbeitsplatzunabhängig sind, ist dagegen eine Versetzung regelmäßig kein geeignetes Mittel im Verhältnis zur Kündigung (vgl. Hessisches Landesarbeitsgericht 8. März 2010 - 16 Sa 1280/09 - Rn. 27).

b)

Die Beklagte musste unter Berücksichtigung des geltenden ulima-ratio-Grundsatzes, wonach die außerordentliche Kündigung die unausweichliche letzte Maßnahme darstellt, keine anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger, insbesondere auch nicht einen Einsatz des Klägers als Oberwachmann, in Erwägung ziehen. Der zur Kündigung führende Vorfall betrifft ein dem Kläger vorwerfbares grob fahrlässiges Verhalten, welches arbeitsplatzunabhängig ist. Dem Kläger fehlt es - ohne, dass ein spezifischer Bezug zum Arbeitsplatz als Kranführer hergestellt werden kann - grundsätzlich an einem Bewusstsein dafür, dass kleinste Sorglosigkeiten in Bezug auf die Einhaltung von Arbeitsanweisungen bei seiner Tätigkeit zu großem Schaden führen können.

aa)

Soweit der Kläger sich für eine mögliche Weiterbeschäftigung auf dem Arbeitsplatz des Herrn B. bezieht, aber bestreitet, dass dieser als Oberwachmann für die Beklagte tätig war, vermag das Berufungsgericht nicht erkennen, ob und inwieweit der Kläger hier das Vorbringen der Beklagten durch ein Bestreiten mit Nichtwissen - das von ihm nahezu durchgängig gegen jeglichen Tatsachenvortrag der Beklagten eingesetzte Instrument - tatsächlich angreifen mag. Auch der Kläger trägt vor, dass die Aufgaben des Herrn B. darin bestanden, die Schranken zu öffnen, Besucherscheine auszustellen sowie Durchfahrtskontrollen und Rundgänge durchzuführen. Dies deckt sich - soweit ersichtlich - mit dem Vorbringen der Beklagten. Diese beschreibt die Tätigkeiten lediglich konkreter, bezeichnet diesen Aufgabenbereich als Tätigkeit eines Oberwachmanns und legt in diesem Zusammenhang auch eine Aufgabenbeschreibung vor. Anhaltspunkte dafür, dass Pförtner/Wachmänner mit einem anderen/eingeschränkten Tätigkeitsfeld bei der Beklagten tätig sind, liegen nicht vor und zeigt der Kläger nicht auf. Das Berufungsgericht geht daher davon aus, dass sowohl Herr B. als auch Herr V. - wie die Beklagte substantiiert vorträgt - als Oberwachmänner bei ihr beschäftigt waren.

bb)

Ausweislich der von der Beklagten als Anlage B15 zur Berufungsbegründung vom 18.10.2023 zur Akte gereichten Arbeitsplatzbeschreibung eines Oberwachmanns / einer Oberwachfrau werden diese im Tordienst und im Streifendienst (Objektschutz) eingesetzt. Ihre Tätigkeit besteht ua. darin, ein- und ausgehende Personen bspw. bezüglich eines Werksausweises oder auf das Mitführen von nicht erlaubten Gegenständen/Waren und anderen Auffälligkeiten zu kontrollieren. Sie sind ferner für die Abfertigung aller ein- und ausfahrenden Nutzfahrzeuge zuständig. Hiermit einher geht ua. das Ausschreiben eines Laufzettels für Wareneingänge (Uhrzeit, Lieferfirma, Art der Ware), die Entgegennahme des mit dem Freigabevermerk versehenen Laufzettels bei der Ausfahrt und bspw. der Kontrolle auf richtig gesicherte Ladung. Vor dem Hintergrund der sich aus der Arbeitsplatzbeschreibung ergebenden Aufgaben eines Oberwachmanns handelt es sich - entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung - nicht lediglich um eine bloße unsubstantiierte Wertung der Beklagten, wenn sie vorträgt, dass die Tätigkeit eines Oberwachmanns ein hohes Maß an Sicherheits- und Verantwortungsbewusstsein und ein hohes Bewusstsein für Sorgfaltspflichten voraussetzt. Die bei der Beklagten als Wachleute des Sicherheitsdienstes eingesetzten Arbeitnehmer haben eine Vielzahl von kleinteiligen und umfangreichen Dienstanweisungen zu beachten. Hierzu wird Bezug genommen auf die von der Beklagten als Anlage B16 zur Akte gereichten Ladungssicherungsvorschriften und interne Schulungsunterlagen.

cc)

Die dem Kläger nachweisbaren Pflichtverletzungen, die zur Kündigung führende Sorgfaltspflichtverletzung am 28.12.2022, das Schieben des Fahrrads während der Kransteuerung sowie das Verbiegen der Traverse, belegen allesamt sorgfaltswidrige Verhaltensweisen, die zwar alle im Zusammenhang mit der Steuerung des Krans durch den Kläger stehen. Sie belegen aber zugleich eine grundsätzliche Unwilligkeit des Klägers dahingehend, Gefahrenquellen zu erkennen und diesen durch angemessenes und umsichtiges Verhalten zu begegnen. Da auch die Tätigkeit des Oberwachmanns gerade ein umsichtiges und Gefahrenquellen erkennendes Arbeitsverhalten erfordert, war es der Beklagten nicht zumutbar, dem Kläger die Tätigkeit eines Oberwachmanns zuzuweisen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsleistung des Klägers als Oberwachmann störungsfrei verlaufen würde und der Kläger im Rahmen dieser Tätigkeit einen anderen, angemesseneren Sorgfaltsmaßstab anlegt hätte als er dies als Kranführer getan hat. Auch wenn die Tätigkeit als Oberwachmann in erster Linie nicht mit der Gefahrenquelle "Brückenkran" in Berührung kommt, sind die Gefahren, die ein Oberwachmann bei der Beklagten möglichst durch umsichtige und genaue Arbeit auszuschalten hat, vielfältig.

c)

Einen freien Arbeitsplatz in der Waschkaue gab es zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht.

4.

Der Beklagten war es in Ansehung der grob fahrlässigen und schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers am 28.12.2022 unzumutbar, den Kläger bis zum Ablauf einer sozialen Auslauffrist weiter zu beschäftigen. Zwar spricht zugunsten des Klägers seine lange, fast 33-jährige Betriebszugehörigkeit und seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau und zwei Kindern. In die Abwägung eingeflossen ist zudem das Alter. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kündigung 54 Jahre und damit in einem Alter, in dem es trotz des derzeitigen Fachkräftemangels schwierig, aber nicht unmöglich ist, eine Anschlussbeschäftigung zu finden. Dessen ungeachtet überwiegen die Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die Beklagte dar, welches die Beklagte zum Schutz von Leib und Leben anderer Arbeitnehmer und ihrem Eigentum auch nicht bis zum Ablauf einer fiktiven Kündigungsfrist hinnehmen muss. Dies hat der zur Kündigung führende Vorfall, auch wenn der Kläger hierfür nicht allein verantwortlich war, sowie die zuvor aufgeführten vorherigen Begebenheiten, die für eine Neigung des Klägers zur Uneinsichtigkeit in Bezug auf eigene Fehler sprechen, gezeigt. Der Kläger ist in der Vergangenheit mehrfach in den Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen einberufen worden. Ihm wurde hier mehrfach ohne Erfolg vor Augen geführt, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist, wenn er der ihm obliegenden Verpflichtung, alles unterlassen, was geeignet ist, die Betriebssicherheit zu stören, nicht nachkommt. Der Kläger hatte diese letzte Chance nicht genutzt und sein Verhalten nicht angepasst.

5.

Die Kündigung ist auch nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Hiernach kann die Kündigung nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen (Satz 1). Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von denen für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat.

a)

Die Frist beginnt, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 39). Eine sichere und umfassende Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen liegt vor, wenn alles in Erfahrung gebracht worden ist, was als notwendige Grundlage für eine Entscheidung über Fortbestand oder Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen ist (ErfK/Niemann, 24. Aufl. 2024, § 626 BGB Rn. 209). In der Regel gehört die Anhörung des Arbeitnehmers zur Aufklärung des Kündigungssachverhalts obgleich sie, abgesehen vom Fall der Verdachtskündigung, keine Wirksamkeitsvoraussetzung einer außerordentlichen Kündigung ist (ErfK/Niemann, 24. Aufl. 2024, § 626 BGB Rn. 211). Um den Lauf der Frist aber nicht länger als unbedingt notwendig hinauszuschieben, muss die Anhörung innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24).

b)

Auch wenn zwischen dem Kündigungsvorfall und der Anhörung des Klägers geringfügig mehr als eine Woche liegt, spricht schon vieles dafür, dass die Beklagte die Einlassung des Klägers im Ausschuss für Ordnungsmaßnahmen am 05.01.2023 abwarten konnte, ohne dass die Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begann. Dies kann letztlich dahinstehen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur hinreichenden Überzeugung der Kammer fest, dass der die Kündigung mitunterzeichnende Geschäftsführer der Beklagten L, erst am 02.01.2023 von dem Kündigungssachverhalt Kenntnis erlangt hat. Der Zeuge T. hat widerspruchsfrei und bildhaft bekundet, dass er am Abend des 02.01.2023 (Montag) von dem Geschäftsführer L. gegen 20:30 Uhr / 20:45 Uhr zurückgerufen wurde und er ihm erstmals von der Kollision am 28.12.2022 berichtet hatte. Der Zeuge war glaubwürdig.

Hierbei kam es der Kammer nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Geschäftsführer der Beklagten allein kündigungsberechtigt ist oder ob hierfür, worauf die Kündigungserklärung selbst hindeutet, eine weitere Unterschrift der mitunterzeichnende Prokuristin I. zwingend erforderlich war. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Prokuristin I. schon während ihres bis 06.01.2023 andauernden Urlaubs von dem Kündigungssachverhalt erfahren hat.

II.

Auch die umfassende Abwägung aller von dem Kläger weiter vorgetragenen Argumente, auch soweit auf sie im Urteil nicht mehr besonders eingegangen wurde, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führten nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 91 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.