Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2024, Az.: 10 TaBVGa 28/24
Wirksamkeit einer außerhalb des vorgesehenen Zeitraums stattfindenden Betriebsratswahl; Einstweilige Verfügung auf Abbruch einer Betriebsratswahl
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 30.04.2024
- Aktenzeichen
- 10 TaBVGa 28/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 17472
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0430.10TaBVGa28.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 25.04.2024 - AZ: 8 BVGa 1/24
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 2 BetrVG
- § 10 S. 1 ArbGG
- § 83 Abs. 3 ArbGG
Fundstellen
- ArbR 2024, 370
- EzA-SD 23/2024, 11
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die einzelnen Wahlvorstandsmitglieder sind in der Regel keine Beteiligten eines auf den Abbruch einer Betriebsratswahl gerichteten einstweiligen Verfügungsverfahrens. Zu beteiligen ist der Wahlvorstand als i.S.v. § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG beteiligtenfähiges Gremium.
- 2.
Eine Betriebsratswahl, die außerhalb des in § 13 Abs. 1 BetrVG genannten Zeitraums stattfinden soll, ist jedenfalls dann voraussichtlich nichtig, wenn zum Zeitpunkt der Wahl keiner der in § 13 Abs. 2 BetrVG abschließend aufgeführten Fälle gegeben ist.
- 3.
Der Tatbestand des § 13 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG ist erst mit Eintritt der Rechtskraft der erfolgreichen Wahlanfechtungsentscheidung erfüllt.
- 4.
Der Beschluss des Betriebsrats über die Bestellung eines Wahlvorstandes kann regelmäßig nicht dahin ausgelegt werden, dass der Betriebsrat damit zugleich seinen Rücktritt im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG erklärt.
- 5.
Die Eilbedürftigkeit für ein einstweiliges Verfügungsverfahren kann durch prozessuales Verhalten der antragstellenden Partei entfallen (sogenannte Selbstwiderlegung der Dringlichkeit ). Die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es jedoch, den Zugang zum Eilrechtsschutz nicht unverhältnismäßig einzuschränken. Wie lange der Antragsteller nach Kenntniserlangung von der Gefährdung seiner Rechtstellung zuwarten darf, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Dabei braucht er kein Prozessrisiko einzugehen. Er darf vor der Antragstellung alle nicht von vornherein sinnlos erscheinenden Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts und zur außergerichtlichen Konfliktlösung ergreifen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 25.04.2024 (8 BVGa 1/24) abgeändert:
Der Beteiligte zu 2 wird verpflichtet, die eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen, insbesondere am 30.04.2024 keine Stimmabgabe durchzuführen.
Gründe
Die zu 1 beteiligte Arbeitgeberin begehrt im Eilverfahren den Abbruch einer Betriebsratswahl.
Der Beteiligte zu 6 ist der bei der letzten regelmäßigen Betriebsratswahl am 28.03.2022 für den Betrieb der Arbeitgeberin gewählte neunköpfige Betriebsrat (im Folgenden Betriebsrat).
Im arbeitgeberseitig eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren erklärte das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 25.01.2023 (4 BV 5/22) diese Betriebsratswahl für unwirksam. Die Beschwerde des Betriebsrats wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Beschluss vom 31.01.2024 (2 TaBV 20/23) zurück.
Mit Schreiben vom 19.02.2024 erhielt die Arbeitgeberin die Mitteilung, dass der Betriebsrat am 08.02.2024 den zu 2 beteiligten Wahlvorstand (im Folgenden: Wahlvorstand) gebildet habe, deren Mitglieder die erstinstanzlich zu 3 bis 5 Beteiligten sind.
Auf Nachfrage teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin mit, dass er wegen des vor dem Lan-desarbeitsgericht verlorenen Anfechtungsverfahrens vorsorglich den Wahlvorstand gebildet habe, damit ggfls. ein neuer Betriebsrat gewählt werden könne.
Am 18.03.2024 informierte der Betriebsrat die Arbeitgeberin im Rahmen einer Betriebsversammlung darüber, dass er eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 31.01.2024 einlegen werde. Noch am selben Tag erließ der Wahlvorstand ein Wahlausscheiben für eine Betriebsratswahl am 30.04.2024.
Die Arbeitgeberin forderte die Wahlvorstandsmitglieder am 19.03.2024 erfolglos auf, die Unterlassung der Wahl bis zum 27.03.2024 zu bestätigen.
Am 28.03.2024 erhob der Betriebsrat die angekündigte Nichtzulassungsbeschwerde.
Mit Schreiben vom 03.04.2024 forderte die Arbeitgeberin erneut erfolglos auf, die Unterlassung der Betriebsratswahl bis zum 12.04.2024 zu bestätigen.
Mit dem am 22.04.2024 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die Arbeitgeberin den Abbruch der Betriebsratswahl im Wege einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren verfolgt.
Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, die Bestellung des Wahlvorstandes sei nichtig, da über die Wahlanfechtung noch nicht rechtskräftig entschieden sei.
Die Arbeitgeberin hat beantragt:
- 1.
Die Beteiligten zu 2 bis 6 werden verpflichtet, es zu unterlassen, die eingeleitete Betriebsratswahl durch- bzw. fortzuführen, insbesondere am 30.04.2024 keine Stimmabgabe und am 25.04.2024 keine Betriebsversammlung durchzuführen.
- 2.
Die Beteiligten zu 2 bis 6 werden verpflichtet, bekannt zu machen, dass die Wahl nicht stattfindet, insbesondere am 30.04.2024 keine Stimmabgabe durchgeführt wird und am 25.04.2024 keine Betriebsversammlung durchgeführt wird.
Die Beteiligten zu 2 bis 6 haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie haben vorgetragen, es bestehe kein Eilbedarf, denn die Arbeitgeberin sei über die Bildung des Wahlvorstandes Mitte Februar 2024 informiert worden.
Das Arbeitsgericht hat mit einem der Arbeitgeberin am 29.04.2024 zugestellten Beschluss vom 25.04.2024, auf den wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, die Anträge mit der Begründung zurückgewiesen die Arbeitgeberin habe durch zu langes Abwarten die besondere Eilbedürftigkeit selbst widerlegt. Hiergegen richtet sich die am 26.04.2024 eingelegte und sogleich begründete Beschwerde der Arbeitgeberin.
Die Arbeitgeberin macht geltend, die Wahl habe zu unterbleiben, weil der Wahlvorstand in nichtiger Weise bestellt worden und die Betriebsratswahl erwartbar nichtig sei Die Amtszeit des Betriebsrats sei mangels Rechtskraft der Entscheidung zur Wahlanfechtung noch nicht beendet und werde dies auch am Tag der geplanten Betriebsratswahl nicht sein. Es drohe die Existenz zweier Betriebsräte für denselben Betrieb, da die Amtszeit des bestehenden Betriebsrats außerhalb der regulären Wahlperiode nicht mit der Wahl eines neuen Betriebsrats, sondern erst mit Rechtskraft des Anfechtungsurteils ende.
Aus der Gefahr, betriebsverfassungswidrig zwei Betriebsräte zu jeder Frage konsultieren zu müssen, ergebe sich, dass die einstweilige Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig sei.
Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit liege nicht vor, da sie auf Handlungen des Wahlvorstands jeweils unverzüglich reagiert und versucht habe, die nichtige Betriebsratswahl außergerichtlich zu verhindern.
Die Arbeitgeberin beantragt zuletzt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 25.04.2024 (8 BVGa 1/24) abzuändern und die Beteiligten zu 2 und 6 zu verpflichten, die eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen, insbesondere am 30.04.2024 keine Stimmabgabe durchzuführen.
Betriebsrat und Wahlvorstand beantragen
Den Antrag zurückzuweisen.
Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Verteidigung der angefochtenen Entscheidung.
Es bestehe auch kein Verfügungsanspruch. Der Beschluss zur Bestellung des Wahlvorstandes sei als konkludenter Rücktrittsbeschluss auszulegen. Der Betriebsrat sei somit bis zur Konstituierung des neu gewählten Betriebsrats geschäftsführend im Amt.
Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen.
II.
Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 87 Abs. 2, 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden. Insbesondere ist dies bereits vor dem gesetzlich festgelegten Fristbeginn möglich, weil die Begründung nicht von vornherein ausgeschlossen ist, wenn die Entscheidung - wie im Streitfall - bereits verkündet worden ist (vgl. BAG 28.02.2008 - 3 AZB 56/07 -, juris, Rn. 10). Die Arbeitgeberin hat sich jedenfalls im Schriftsatz vom 29.04.2024 innerhalb der Begründungsfrist hinreichend mit der vom Arbeitsgericht verneinten Dringlichkeit auseinandergesetzt. Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig und begründet.
1.
Der in der richtigen Verfahrensart (§ 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG) geltend gemachte Antrag ist als einheitliches Unterlassungsbegehren zu verstehen. Er ist darauf gerichtet, dem Wahlvorstand und dem Betriebsrat im Wege einstweiliger Verfügung jede weitere Handlung zu untersagen, die auf die Durchführung der Wahl gemäß Wahlausschreiben vom 18.03.2024 gerichtet ist.
2.
Eine einstweilige Verfügung ist gemäß §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO auch im Beschlussverfahren statthaft.
3.
Der Antrag zulässig.
a)
In dem oben genannten Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
b)
Die Arbeitgeberin ist antragsbefugt. Sie kann sich mit einem Unterlassungsantrag dagegen wenden, dass der nach ihrer Auffassung nicht wirksam errichtete Wahlvorstand tätig wird. Ihre Antragsbefugnis entspricht dem Recht, die spätere Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 2 BetrVG anzufechten (vgl. BAG 27.07.2011 - 7 ABR 61/10 -, juris, Rn. 20).
c)
Beteiligte sind neben der antragstellenden Arbeitgeberin der Wahlvorstand und der Betriebsrat, nicht jedoch die einzelnen Wahlvorstandsmitglieder.
aa)
Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz im einzelnen Fall beteiligt sind. Beteiligt in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes ist jede Stelle, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen ist (BAG 27.07.2011, a.a.O., Rn. 14).
bb)
Der Wahlvorstand ist beteiligtenfähig i.S.v. § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG. Das gilt selbst dann, wenn seine Bestellung nichtig ist. Der Wahlvorstand hält sich für existent. Für das Verfahren, in dem mittelbar über die Nichtigkeit seiner Bestellung gestritten wird, ist er als bestehend zu behandeln und damit beteiligtenfähig (BAG 27.07.2011, a.a.O., Rn. 21). Er ist auch zu beteiligen. Die von der Arbeitgeberin erstrebte Entscheidung betrifft unmittelbar seine Existenz und seine betriebsverfassungsrechtlichen Rechte (BAG 27.07.2011, a.a.O., Rn. 15).
cc)
Die einzelnen Wahlvorstandsmitglieder waren am Verfahren nicht weiter zu beteiligen. Es geht nicht um die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte der einzelnen Wahlvorstandsmitglieder, sondern um die Existenz und die Rechte des Gremiums (BAG 27.07.2011, a.a.O., Rn. 15).
dd)
Der Betriebsrat ist hingegen im Streitfall zu beteiligen, weil nach Auffassung der antragstellenden Arbeitgeberin die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 BetrVG für eine Betriebsratswahl außerhalb des in § 13 Abs. 1 BetrVG genannten Zeitraums nicht vorliegen und durch die Neuwahl eines Betriebsrats vor Ablauf dieses Zeitraums die betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition des bisherigen Betriebsrats betroffen sein kann.
4.
Der Antrag ist auch begründet.
a)
Ein Verfügungsanspruch ergibt sich aus §§ 12, 823 Abs. 1, 1004 BGB analog.
aa)
Ein Anspruch des Arbeitgebers darauf, die von einem Wahlvorstand eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen, kann sich zum einen aus der zu erwartenden Nichtigkeit der Betriebsratswahl ergeben. Die mit der Durchführung einer Betriebsratswahl verbundenen Maßnahmen berühren den Arbeitgeber als Betriebsinhaber unmittelbar in seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zugleich werden ihm im Zusammenhang mit der Wahl Pflichten auferlegt (vgl. z.B. § 2 Abs. 2 Satz 1 WO). Ferner hat er nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Kosten der Wahl zu tragen. Ein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers besteht zum anderen, wenn das Gremium, das als Wahlvorstand auftritt, in dieser Funktion überhaupt nicht oder in nichtiger Weise bestellt wurde. Eine absehbar lediglich unwirksame Wahl bzw. Bestellung reicht nicht aus (vgl. BAG 27.07.2011, a.a.O., Rn. 24 und 30f).
bb)
Die Kammer lässt es dahinstehen, ob der Wahlvorstand in nichtiger Weise bestellt wurde, wenn zu diesem Zeitpunkt die - hier allein in Betracht kommenden - Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 BetrVG für eine Betriebsratswahl außerhalb des in § 13 Abs. 1 BetrVG genannten Zeitraums nicht vorgelegen haben. Eine Nichtigkeit erscheint hier deshalb fraglich, weil zum Zeitpunkt der Bestellung die vorangegangene Betriebsratswahl in zwei Instanzen für unwirksam erklärt worden war und in Rechtsprechung und Literatur teilweise die Auffassung vertreten wird, dass der Betriebsrat in einem solchen Fall vor Eintritt der Rechtskraft noch den Wahlvorstand bestellen kann (vgl. Fitting/Trebinger/Linsenmaier/Schelz/Schmidt, BetrVG, 32. Aufl. 2024, § 19 Rn. 45 m.w.N.). Auch erscheint eine rückwirkend eintretende Nichtigkeit zweifelhaft, wenn der Betriebsrat nach Bestellung des Wahlvorstandes doch noch rechtzeitig ein Rechtsmittel gegen die erfolgreiche Wahlanfechtung einlegt. Im Streitfall war jedenfalls zu erwarten, dass die vom Wahlvorstand eingeleitete Betriebsratswahl aufgrund ihres Zeitpunktes nichtig sein würde. Der Arbeitgeber hat Anspruch darauf, dass eine absehbar nichtige Betriebsratswahl nicht durchgeführt wird.
(1)
Die beabsichtigte Wahl soll außerhalb des in § 13 Abs. 1 BetrVG genannten Zeitraums stattfinden. Dies ist gem. § 13 Abs. 2 BetrVG nur in den dort abschließend aufgeführten Fällen zulässig, dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.
(a)
Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 1, 2, 5 und 6 liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor.
(b)
Eine vorzeitige Wahl war nicht nach § 13 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG zulässig. Dieser Tatbestand ist erst mit der Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung erfüllt, denn erst damit steht die Ungültigkeit der Wahl fest (vgl. etwa LAG Köln 02.08.2011 - 12 TaBV 12/11 -, Rn. 29, juris Richardi BetrVG/Thüsing, BetrVG, 17. Aufl. 2022, § 13 Rn. 44; Düwell, BetrVG, 6. Aufl. 2022, § 13 Rn. 10; BeckOK ArbR/Besgen, 71. Ed. 1.3.2024, BetrVG § 13 Rn. 17). Zum Zeitpunkt der vorgesehenen Wahl ist der bisherige Betriebsrat jedoch noch im Amt, denn er hat am 28.03.2024 gegen die in den Vorinstanzen erfolgreiche Wahlanfechtung Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundearbeitsgericht eingelegt, über die derzeit noch nicht entschieden ist.
(c)
Eine vorzeitige Wahl war auch nicht nach § 13 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG zulässig. Der Betriebsrat ist nicht im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zurückgetreten. Hierfür fehlt ein entsprechender Beschluss des Gremiums (§ 33 BetrVG). Ein ausdrücklicher Beschluss dieses Inhalts existiert nach dem Vorbringen des Wahlvorstandes und des Betriebsrats nicht. Der von ihnen angeführte Beschluss vom 08.02.2024 hat die Bestellung eines Wahlvorstandes zum Gegenstand. Dieser Beschluss kann nicht dahin ausgelegt werden, dass der Betriebsrat damit zugleich seinen Rücktritt erklärt hat.
(aa)
Beschlüsse des Betriebsrats sind nach den für Willenserklärungen geltenden Grundsätzen des § 133 BGB auszulegen, wonach der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn zu haften ist. Da es sich um Mehrheitsentscheidungen handelt, die das Gremium nicht nur in seiner Zusammensetzung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung binden und in der Regel nicht nur interne Bedeutung haben, sondern insbesondere im Verhältnis zum Arbeitgeber Wirkungen nach außen entfalten, kommt es für die Auslegung weder auf den individuellen Willen der einzelnen Mitglieder noch auf solche Umstände an, die nur den an der Beschlussfassung teilnehmenden Mitgliedern bekannt sind. Entscheidend ist vielmehr der nach außen erkennbar dokumentierte Wille des Betriebsrats als Gesamtgremium (BAG 13.11.1991 - 7 ABR 18/91 - Rn. 36, juris; LAG Berlin-Brandenburg 09.10.2014 - 21 TaBV 769/14 -, Rn. 47, juris).
(bb)
Danach lässt sich dem Beschluss vom 08.02.2024 ein Rücktrittswille des Betriebsrats, nicht hinreichend sicher entnehmen. Die Mitteilung vom 19.02.2024 beinhaltet ausschließlich die Wahl eines Wahlvorstandes. Einen weitergehenden Wortlaut des Beschlusses hat der Betriebsrat nicht behauptet. Der Rücktritt müsste jedoch zum einen der Bestellung des Wahlvorstandes vorangegangen sein, da erst der Rücktritt nach Nr. 3 dazu führt, dass außerhalb der Zeit des § 13 Abs. 1 BetrVG ein Betriebsrat zu wählen und ein neuer Wahlvorstand zu bestellen ist. Zudem müsste der Rücktritt des Gremiums wegen der weitreichenden Folgen - nicht nur für den Betriebsrat - den Gesamtumständen zweifelsfrei zu entnehmen sein. Daran fehlt es. Die spätere Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde spricht vielmehr gegen einen bei Beschlussfassung vorhandenen Rücktrittswillen auf Seiten des Betriebsrats.
(2)
Der Verstoß führt voraussichtlich auch zur Nichtigkeit der vorgesehenen Betriebsratswahl.
(a)
Voraussetzung für eine Nichtigkeit ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen wird, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln. Das kann etwa anzunehmen sein, wenn während der Amtszeit eines ordnungsgemäß gewählten Betriebsrats für denselben Betrieb oder Betriebsteil ohne begründeten Anlass ein weiterer Betriebsrat gewählt wird mit dem Ziel, den amtierenden Betriebsrat abzuwählen. Denn in einem Betrieb kann nur ein Betriebsrat bestehen (BAG 21.07.2004 - 7 ABR 57/03 -, Rn. 35, juris; LAG Hamm 17.08.2007 - 10 TaBV 37/07 -, Rn. 86; LAG Köln 02.08.2011 - 12 TaBV 12/11 -, Rn. 29, juris).
(b)
Danach ist im Streitfall von einem groben Verstoß auszugehen. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass die Anfechtung der früheren Betriebsratswahl in zwei Instanzen erfolgreich war und die Initiative zur Wahl eines neuen Betriebsrats von dem derzeitigen Betriebsrat selbst ausgegangen ist. Der Betriebsrat hat jedoch nach Bestellung des Wahlvorstandes und nach Erlass des Wahlausschreibens eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen die auch zweitinstanzlich erfolgreiche Wahlanfechtung eingelegt und dadurch den Eintritt der Rechtskraft verhindert. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens bleibt der bisherige Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt (BAG 27.07.2011, a.a.O., Rn. 32). Damit war es ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG (wenigstens) zum Zeitpunkt der vorgesehenen Betriebsratswahl vorliegen. Daran hat sich bis zur Entscheidung der Kammer nichts geändert. Die Nichtzulassungsbeschwerde war am 22.04.2024 noch nicht begründet, jedoch eine Begründung angekündigt. Ob und wann die Entscheidung zur Wahlanfechtung in Rechtskraft erwächst ist derzeit nicht absehbar. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 BetrVG, unter denen eine Neuwahl des Betriebsrats außerhalb des in Abs. 1 genannten Zeitraums stattfinden dürfen, sind jedoch abschließend und zwingend. Liegen sie nicht vor, ist die außerhalb des regelmäßigen Wahlzeitraums durchgeführte Wahl nichtig (Fitting/Trebinger/Linsenmaier/Schelz/Schmidt, a.a.O. § 13 Rn. 3 und 18, m.w.N.). Aufgrund der Nichtbeachtung der Voraussetzungen besteht bei Durchführung der beabsichtigten Wahl die Gefahr, dass gleichzeitig zwei Betriebsräte für denselben Betrieb bestehen und unklar wäre, welcher mitzuwirken bzw. mitzubestimmen hätte. Dies hätte der Betriebsrat im Streitfall allenfalls durch einen wirksamen Rücktritt vor der Wahl verhindern können. Eine hinreichende Gewähr dafür, dass der bisherige Betriebsrat nach der Konstituierung des neuen tatsächlich zurücktritt oder sämtliche bisherigen Mitglieder und Ersatzmitglieder geschlossen ihr Amt niederlegen, besteht nicht.
b)
Für den Erlass der einstweiligen Verfügung besteht der erforderliche Verfügungsgrund.
aa)
Eine einstweilige Verfügung ist gemäß §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO auch im Beschlussverfahren statthaft. Der Zugang zu den Eilverfahren hängt vom Vorliegen eines Verfügungsgrundes ab. Als Grund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sieht das Gesetz eine Gefährdung an. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der §§ 917, 935, 940 ZPO sowie den Ausnahmevorschriften etwa in §§ 885 Abs. 1 S. 2 und 899 Abs. 2 S. 2 BGB. Die Gefährdung des zu sichernden Anspruchs oder des Rechtsfriedens muss so erheblich sein, dass sie die Abwendungsmaßnahme dringlich erscheinen lässt, denn das Eilverfahren gewährt Rechtsschutz unter Einschränkung des rechtlichen Gehörs und unter Ersetzung der Beweisführung durch Glaubhaftmachung. Eine auf den Abbruch einer Betriebsratswahl gerichtete einstweilige Verfügung ist wegen der damit verbundenen Vorwegnahme der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nur ausnahmsweise zulässig, wenn sie zur Erfüllung des rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs auf effektiven Rechtsschutz zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen erforderlich ist, denn der Wahlabbruch stellt keine Regelung eines einstweiligen Zustandes dar, sondern ist endgültig und weitergehend als eine erfolgreiche Wahlanfechtung, bei der der Betriebsrat jedenfalls vorübergehend wirksam im Amt bleibt.
bb)
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Wahl steht unmittelbar bevor. Da die Wahl angesichts der vorstehenden Ausführungen wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen wesentliche Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts voraussichtlich als nichtig anzusehen wäre, belastet sie die Arbeitgeberin. Diese hat die Wahlkosten nach § 21 Abs. 3 BetrVG, die Vergütung für die Zeit der Stimmabgabe sowie den Personalaufwand und die Kosten der vorübergehenden Betriebsratstätigkeit zu tragen. Dies ist insgesamt ein erheblicher Kostenaufwand.
cc)
Die Arbeitgeberin hat die Eilbedürftigkeit nicht selbst widerlegt.
(1)
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass selbst eine zunächst bestehende Eilbedürftigkeit für ein einstweiliges Verfügungsverfahren durch prozessuales Verhalten der antragstellenden Partei entfallen kann (sogenannte "Selbstwiderlegung der Dringlichkeit"). Die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG gebietet es jedoch, den Zugang zum Eilrechtsschutz nicht durch formelle Begrenzungen unverhältnismäßig einzuschränken. Denn Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Wie lange der Antragsteller nach Kenntniserlangung von der Gefährdung seiner Rechtstellung zuwarten darf, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Regelmäßig wird ihm zumindest ein Monat zugebilligt. Dabei braucht der Antragsteller kein Prozessrisiko einzugehen; er darf vor der Antragstellung alle nicht von vornherein sinnlos erscheinenden Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts und zur außergerichtlichen Konfliktlösung ergreifen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 05.02.2015 - 10 Ta 73/15 -, Rn. 52f, juris; BeckOK ZPO/Mayer, Stand 01.03.2024, ZPO § 935 Rn. 17 m. w. N. aus der Rsp.).
(2)
Danach konnte die Eilbedürftigkeit im Streitfall nicht verneint werden. Zwar wusste die Arbeitgeberin am 19.02.2024 von der Bestellung eines Wahlvorstandes. Weder stand zu diesem Zeitpunkt aber sicher fest, dass der Betriebsrat gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Wahlanfechtungsverfahren Rechtsmittel einlegen würde, noch stand ein konkretes Wahldatum fest. Letzteres war erst am 18.03.2022 bekannt. Bzgl. Rechtsmitteleinlegung lag auch zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Ankündigung vor. Hierauf hat die Arbeitgeberin unverzüglich reagiert und die Mitglieder des Wahlvorstandes am Folgetag erfolglos aufgefordert, dies zu unterlassen und bis zum 27.03.2024 zu bestätigen. Frühestens mit Ablauf dieses Tages sowie der tatsächlichen Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am Folgetag musste die Arbeitgeberin von einer unmittelbaren Gefährdung ihrer Rechtsposition ausgehen. Erst jetzt war hinreichend sicher davon anzunehmen, dass der bisherige Betriebsrat über den vorgesehenen Wahltermin hinaus mindestens vorübergehend weiter im Amt sein würde. Auf diesen Umstand hat die Arbeitgeberin unverzüglich mit Schreiben vom 03.04.2024 und - innerhalb weniger als einem Monat - mit dem Eingang des Eilantrags reagiert.
c)
Auch unter abschließender Abwägung der beiderseitigen Interessen ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung geboten.
aa)
Bei der Interessenabwägung ist auf die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache und das Gewicht des drohenden Nachteils auf beiden Seiten abzustellen. Es ist zu prüfen, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung des effektiven Rechtsschutzes dringend geboten ist, um einen Verfügungskläger auch verfahrensmäßig abzusichern, da die Versagung einer einstweiligen Verfügung ebenso einen endgültigen Zustand zu Ungunsten des Verfügungsklägers herbeiführt wie eine Vorwegnahme der Hauptsache durch Erlass der einstweiligen Verfügung auf Seiten des Verfügungsbeklagten.
bb)
Danach ergibt sich für den Streitfall, dass in einem Hauptsacheverfahren sicher eine Nichtigkeit der vorgesehenen Betriebsratswahl zu erwarten war. Zudem droht nicht unmittelbar ein betriebsratsloser Betrieb, denn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens bleibt der bisherige Betriebsrat mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt.
d)
Zu verpflichten war allein der Wahlvorstand als das zur Durchführung der Betriebsratswahl zuständige Gremium (§ 938 Abs. 1 ZPO).
III.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Sie ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.