Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.09.2024, Az.: 10 SLa 221/24

Verbot der Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts; Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt für gleichwertige Arbeit; Entgeltgleichheit; Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
10.09.2024
Aktenzeichen
10 SLa 221/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 24720
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0910.10SLa221.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hameln - 14.02.2024 - AZ: 3 Ca 258/23

Fundstelle

  • ArbR 2024, 549

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.

  2. 2.

    § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sind entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unionsrechtskonform auszulegen.

  3. 3.

    Mit dem Begriff der gleichwertigen Arbeit werden verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren daraufhin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind.

  4. 4.

    § 22 AGG ist auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend.

  5. 5.

    Eine Partei muss nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung iSv. § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist der Partei dies gelungen, reicht dies - auch unter Berücksichtigung des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) - aus, um die Vermutung iSv. § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung wegen des Geschlechts erfolgt und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 14. Februar 2024 - 3 Ca 258/23 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage um Auskunft, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und um Zahlung von Arbeitsentgelt nebst Sonderleistungen.

Die Klägerin stand bis Februar 2022 als Tierärztin in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten, ihrem Vater, der eine Tierklinik mit weniger als 200 Arbeitnehmern betreibt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Im Juli 2022 bezog die Klägerin ein Bruttoentgelt von 3.900 Euro nebst einer Direktversicherung von 420 Euro und einer Entgeltumwandlung von 100 Euro. Der ebenfalls beim Beklagten als Tierarzt beschäftigte Bruder der Klägerin erhielt im Juli 2021 ein Bruttoentgelt von 7.100 Euro; dazu wurden ihm Nebenleistungen in gleicher Höhe wie der Klägerin gewährt. In einem Internetauftritt des Beklagten aus dem Jahre 2021 (Bl. 106 d.A. I. Instanz) wurden als "Klinikleitung" der Beklagte, die Klägerin, deren Bruder und beider Mutter aufgeführt. In einer "Mitteilung an das Gewerbeaufsichtsamt nach §§ 5 Abs. 1, 19 Mutterschutzgesetz" vom 6. März 2015 (Bl. 101 d.A. I. Instanz) teilte der Beklagte mit, die Arbeitszeit der Klägerin betrage täglich acht und wöchentlich 40 Stunden. Auch gegenüber dem Finanzamt gab er eine Vollzeitbeschäftigung der Klägerin an.

Die Klägerin hat behauptet, stets in Vollzeit für den Beklagten tätig gewesen zu sein. Anfangs habe sie lediglich ein Bruttomonatsentgelt von 1.500 Euro erhalten; ihre Eltern hätten dies wahrheitswidrig damit begründet, sie werde früher oder später den Betrieb übernehmen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag und ein Nachweis nach dem Nachweisgesetz seien ihr verweigert worden. Sie gehe "aufgrund von Berichten und Aussagen" des Beklagten und ihrer Mutter davon aus, dass nicht nur ihr in gleicher Funktion beschäftigter, sechs Jahre nach ihr in den Betrieb eingetretener Bruder, sondern auch die anderen in der Klinik beschäftigten männlichen Tierärzte eine wesentlich höhere Vergütung erhalten hätten. Der Tierärztin Frau R. seien monatliche Bruttovergütungen von 3.880 Euro im Januar 2022, 4.180 Euro ab Juni und 4.280 Euro ab Oktober 2022 gezahlt worden. Aufgrund der daraus ersichtlichen geschlechtsbezogenen Benachteiligung könne die Klägerin die Nachzahlung von Arbeitsentgelt verlangen. Für die Bezifferung des Zahlungsanspruchs benötige sie die verlangte Auskunft.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

  1. 1.

    ihr über sämtliche als Tierärzte in der C., dem Betrieb des Beklagten in C-Stadt, in der Zeit vom 1. Januar 2020 bis 28. Februar 2022 beschäftigten männlichen Beschäftigten jeweils einzeln anonymisiert schriftlich Auskunft über die Höhe des in jedem Monat gezahlten Bruttostundenlohns zu erteilen sowie Auskunft darüber zu erteilen, aufgrund welcher Tatsachen der Beklagte den männlichen Arbeitnehmern den vorstehend mitzuteilenden Bruttostundenlohn gezahlt hat;

  2. 2.

    die Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Beklagten zu erteilenden Auskünfte an Eides statt zu versichern, sollten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskünfte bestehen;

  3. 3.

    die Klägerin nach Maßgabe der zu erteilenden Auskünfte gleich zu behandeln und sie nach Maßgabe der zu erteilenden Auskünfte in der Zeit vom 1. Januar 2020 bis 28. Februar 2022 aufgrund geschlechtsbezogener Lohndiskriminierung und hiermit einhergehender Verletzung des Arbeitsvertrages und ihres Persönlichkeitsrechts zu wenig/nicht gezahlte Stundenlöhne, Urlaubslöhne, Entgeltfortzahlungsbeträge, Überstundenvergütungen, Überstundenzuschläge, Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, die Klägerin sei stets in alle Vorgänge der Klinikleitung einbezogen gewesen, habe Einblick in sämtliche Personalunterlagen gehabt und wisse daher, dass sie nicht schlechter bezahlt worden sei als die männlichen Tierärzte. Sie habe sich geweigert, einen vom Beklagten vorgelegten Arbeitsvertrag zu unterzeichnen. Im Streitzeitraum habe sie lediglich etwa 20 Stunden pro Woche für den Beklagten gearbeitet; auch dieser Umfang sei jedoch keine festgelegte Mindestarbeitszeit gewesen. Sie habe jederzeit auch kurzfristig weitere Freizeit in Anspruch nehmen können; ihre Kinder und deren Betreuungsbedarf hätten jederzeit Vorrang gehabt. Dagegen sei ihr Bruder tatsächlich in Vollzeit, zumeist noch weit darüber hinaus, tätig gewesen. Er habe einen ständigen Notdiensthintergrund wahrgenommen und diverse Wochenenddienste verrichtet. Deswegen und aufgrund seiner Position als Klinikleiter sei er weder mit der Klägerin noch mit der von ihr genannten Arbeitnehmerin R. vergleichbar.

Mindestens zu einem erheblichen Teil habe der Einsatz der Klägerin nicht auf einem Arbeitsverhältnis beruht, sondern darauf, dass sie ihn "im Voraus" im Hinblick auf die erwartete Übernahme des Betriebes und auf die familiäre Verbundenheit habe erbringen wollen. Insoweit habe es an einer Vergütungserwartung gefehlt. Sie sei noch weiteren beruflichen Engagements nachgegangen und habe daraus wesentliche Beiträge zu ihrem Lebensunterhalt erzielt. Für die Zeit ab dem 14. Oktober 2021 habe sie keinen Entgeltanspruch, weil sie an einen 600 km entfernten Ort verzogen und nicht leistungswillig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Ein Auskunftsanspruch folge nicht aus § 10 EntgTranspG, weil es sich nicht um einen Betrieb mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten handele. Ansprüche aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz schieden aus, weil das Entgelttransparenzgesetz das Verbot der geschlechtsbedingten Benachteiligung beim Entgelt als Spezialgesetz regele und daher insbesondere für den Auskunftsanspruch Vorrang genieße. In Ermangelung des Auskunftsanspruchs könne die Klägerin weder die eidesstattliche Versicherung verlangen noch Zahlung "nach Maßgabe der zu erteilenden Auskünfte".

Gegen das ihr am 26. Februar 2024 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 21. März 2024 Berufung eingelegt und sie innerhalb der verlängerten Frist am 24. Mai 2024 begründet.

Die Berufung führt aus: Das Benachteiligungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG gelte für sämtliche Betriebe unabhängig von ihrer Größe. Die Gleichheit von Frauen und Männern und damit auch die Entgeltgleichheit folge zudem aus Art. 23 GRCh, aus Art. 3 Abs. 2, 3 Satz 1 GG und aus Art. 157 AEUV. Das Arbeitsgericht habe festgestellt, dass der Bruder der Klägerin im Juli 2021 ein Bruttoentgelt von 7.100 Euro erhalten habe, die ebenfalls in Vollzeit als Klinikleiterin beschäftigte Klägerin jedoch nur in Höhe von 3.900 Euro. Damit habe sie ausreichende Indizien für eine geschlechtsbedingte Diskriminierung vorgetragen mit der Folge, dass der Beklagte beweisen müsse, nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen zu haben. Dass dieser behaupte, die Klägerin habe lediglich 20 Stunden in der Woche gearbeitet, stehe angesichts seiner Mitteilung an das Gewerbeaufsichtsamt über ihre Beschäftigung mit 40 Wochenstunden nicht entgegen; zu der von der Klägerin unter Beweis gestellten Differenz zu den weiteren Tierarztgehältern erkläre er sich nicht. Der Klägerin gehe es nicht darum, erst durch die beantragte Auskunft Erkenntnisse über das Vorliegen einer Diskriminierung zu gewinnen; sie habe hierzu bereits ausreichenden Sachverhalt vorgetragen. Die Auskunft diene allein der Bezifferung des Zahlungsanspruchs.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,

  1. 1.

    ihr über sämtliche als Tierärzte in der C., dem Betrieb des Beklagten in C-Stadt, in der Zeit vom 1. Januar 2020 bis 28. Februar 2022 beschäftigte männlichen Beschäftigten jeweils einzeln anonymisiert schriftlich Auskunft über die Höhe des in jedem Monat gezahlten Bruttostundenlohns zu erteilen, sowie Auskunft darüber zu erteilen, aufgrund welcher Tatsachen der Beklagte den männlichen Arbeitnehmern den vorstehend mitzuteilenden Bruttostundenlohn gezahlt hat;

  2. 2.

    die Richtigkeit und Vollständigkeit der von dem Beklagten zu erteilenden Auskünfte an Eides statt zu versichern, sollten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erteilten Auskünfte bestehen;

  3. 3.

    sie nach Maßgabe der zu erteilenden Auskünfte gleich zu behandeln und ihr nach Maßgabe der zu erteilenden Auskünfte für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 28. Februar 2022 aufgrund geschlechtsbezogener Lohndiskriminierung und hiermit einhergehender Verletzung des Arbeitsvertrages und ihres Persönlichkeitsrechts zu wenig/nicht gezahlte Stundenlöhne, Urlaubslöhne, Entgeltfortzahlungsbeträge, Überstundenvergütungen, Überstundenzuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend: Es gebe keine Indizien für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung. Von einer Vollzeitbeschäftigung sei die Klägerin "weit weg" gewesen. Als Tochter des Beklagten habe sie ein in Anbetracht ihrer tatsächlichen Leistungen mehr als üppiges Entgelt bezogen. Hintergrund des Rechtsstreits sei nur ihre enttäuschte Erwartung, die von ihren Eltern aufgebaute Tierklinik übertragen zu bekommen. Weil sie noch immer keine Indizien einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung in Abgrenzung zu ihrem Bruder vortrage, laufe ihr Begehren auf eine anlasslose Auskunft hinaus, die sie in Ermangelung der im Entgelttransparenzgesetz dafür vorgesehenen Betriebsgröße nicht beanspruchen könne.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung durch das Berufungsgericht gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt erfolglos.

I.

Die nach § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthafte Berufung ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das Arbeitsgericht die Klage bezüglich sämtlicher Stufen abgewiesen.

1.

Die Klage ist zulässig. Die Anträge auf Auskunft und auf eidesstattliche Versicherung von deren Richtigkeit sowie der (noch unbezifferte) Leistungsantrag konnten als Stufenklage nach § 254 ZPO erhoben werden.

a)

Nach § 254 ZPO kann mit der Klage auf Rechnungslegung oder auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung eine Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden werden, was der Beklagte aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis schuldet. Bei der Stufenklage wird ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch unbekannter und daher entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch nicht zu beziffernder Leistungsanspruch zugleich mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen auf Auskunft und ggf. Richtigkeitsversicherung erhoben (BAG 12. Oktober 2022 - 5 AZR 135/22 - Rn. 14; 28. August 2019 - 5 AZR 425/18 - Rn. 17, BAGE 167, 349). Die in der ersten Stufe verlangte Auskunft muss für die Erhebung eines bestimmten Antrags erforderlich sein. Wenn die Auskunft dazu dient, den Leistungsantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmen zu können, werden entgegen dem Gesetzeswortlaut von § 254 ZPO Informationsansprüche jeglicher Art erfasst (vgl. BAG 12. Oktober 2022 - 5 AZR 135/22 - Rn. 16; 9. November 2021 - 1 AZR 206/20 - Rn. 13; 28. August 2019 - 5 AZR 425/18 - Rn. 20, BAGE 167, 349).

b)

So liegt es hier. Die Klägerin begehrt mit ihrem Auskunftsantrag Informationen, mit denen sie die Gehaltsdifferenzen beziffern möchte, die sie mit dem noch zu beziffernden Zahlungsantrag geltend macht.

2.

Die Klage ist jedoch insgesamt unbegründet. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich die Wahrscheinlichkeit des zunächst unbeziffert geltend gemachten Zahlungsanspruchs nicht, so dass die Klage hinsichtlich aller Stufen unschlüssig ist.

a)

Grundsätzlich besteht keine nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits. Die Zivilprozessordnung kennt keine - über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende - Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei. Von diesem Grundsatz abweichend kann allerdings materiell-rechtlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht bestehen (BAG 12. Oktober 2022 - 5 AZR 135/22 - Rn. 21). Dafür müssen es die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die Auskunft unschwer geben kann, die erforderlich ist, um die Ungewissheit zu beseitigen (vgl. BAG 12. Oktober 2022 - 5 AZR 135/22 - Rn. 22; 25. November 2021 - 8 AZR 226/20 - Rn. 71 mwN; BGH 18. Februar 2021 - III ZR 175/19 - Rn. 44 mwN). Zudem darf die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess durch materiell-rechtliche Auskunftsansprüche nicht unzulässig verändert werden (vgl. BAG 24. Februar 2021 - 10 AZR 8/19 - Rn. 40, BAGE 174, 193).

b)

Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt im Einzelnen voraus: (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner (BAG 12. Oktober 2022 - 5 AZR 135/22 - Rn. 23 mwN; 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19 - Rn. 32 mwN, BAGE 170, 327). Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden (BAG 27. Mai 2020 - 5 AZR 387/19 - aaO; BGH 17. April 2018 - XI ZR 446/16 - Rn. 24).

c)

Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen besteht ein Auskunftsanspruch nicht. Es fehlt an der zumindest wahrscheinlichen Existenz eines Leistungsanspruchs, denn vorliegend gibt es für einen Anspruch auf die Entgeltnachforderung keine materiell-rechtliche Grundlage.

aa)

Als Anspruchsgrundlage für gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts kommen sowohl der direkt anwendbare Art. 157 AEUV als auch § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG in Betracht (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 22).

(1)

Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 24 mwN). § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sind entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unionsrechtskonform auszulegen (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 24).

(2)

Nach § 4 Abs. 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen, § 4 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG. Es ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind, § 4 Abs. 2 Satz 3 EntgTranspG.

(3)

Mit dem Begriff der "gleichwertigen Arbeit" werden verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren daraufhin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 35). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nicht nur zur Feststellung, ob die Arbeitnehmer eine "gleichwertige Arbeit" iSv. Art. 157 AEUV, sondern auch zur Feststellung, ob Arbeitnehmer "gleiche Arbeit" iSv. Art. 157 AEUV verrichten, zu prüfen, ob diese Arbeitnehmer unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie der Art der Arbeit, der Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können; § 4 Abs. 1 EntgTranspG ist daher unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass die Kriterien des § 4 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG auch für die Feststellung gleicher Arbeit maßgeblich sind (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 36 mwN).

bb)

Die unstreitigen und die von der Klägerin behaupteten Tatsachen begründen nicht die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts.

(1)

§ 22 AGG, der auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend ist (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 42 mwN), sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 36).

(2)

Eine Partei muss in einem Rechtsstreit wie dem vorliegenden nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung iSv. § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist der Partei dies gelungen, reicht dies - auch unter Berücksichtigung des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) - aus, um die Vermutung iSv. § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung "wegen des Geschlechts" erfolgt und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben ist sie nämlich bereits dann dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung (BAG 16. Februar 2023 - 8 AZR 450/21 - Rn. 43 mwN).

(3)

Aus den von der Klägerin behaupteten Tatsachen in Verbindung mit dem unstreitigen Sachverhalt ergibt sich nicht, dass ihr der Beklagte im Streitzeitraum ein niedrigeres Entgelt zahlte als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts bzw. - bezogen auf ihren Bruder - dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtete.

(a)

Soweit sie behauptet, der Beklagte zahle männlichen Tierärzten ein höheres Gehalt als ihr und der Tierärztin R., handelt es sich um eine nicht substantiierte Behauptung "ins Blaue hinein", und zwar unabhängig davon, ob sie, wie der Beklagte behauptet, positive Kenntnis von den Entgelten der angestellten Tierärzte hat. Sie trägt lediglich vor, sie gehe "aufgrund von Berichten und Aussagen" des Beklagten und von dessen Ehefrau, also ihrer Mutter, davon aus, dass das Arbeitsentgelt der männlichen Tierärzte höher liege. Zu Zeit, Inhalt und Adressaten der behaupteten Berichte und Aussagen bleibt die Klägerin jeden Vortrag schuldig.

(b)

Soweit es ihren ebenfalls im Betrieb beschäftigten Bruder betrifft, steht zwar fest, dass er im Streitzeitraum eine wesentlich höhere Vergütung bezog; sie hat jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtete.

(aa)

Ihrem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, dass der Inhalt ihrer Tätigkeit im Streitzeitraum derjenigen ihres Bruders gleich oder vergleichbar war. Zwar waren beide als angestellte Tierärzte beschäftigt. Der Beklagte hat jedoch - unwidersprochen - vorgetragen, sie habe anders als ihr Bruder weder einen ständigen Notdiensthintergrund wahrgenommen noch Wochenenddienste verrichtet; auch sei nur ihr Bruder in der Position der Klinikleitung gewesen. Die Klägerin beruft sich zwar darauf, in einem Internetauftritt des Beklagten ebenfalls als Teil einer vierköpfigen Klinikleitung aufgeführt worden zu sein. Dies ersetzt aber von ihr unschwer zu leistenden substantiierten Vortrag zu den jeweiligen Tätigkeitsinhalten nicht, der eine wertende Gegenüberstellung ihrer Aufgaben und derjenigen ihres Bruders ermöglicht. Aus dem Begriff der "Klinikleitung" als solchem lassen sich weder Art und Umfang der jeweiligen Aufgaben entnehmen noch indiziert seine Verwendung beim Internetauftritt, dass jedes Mitglied der "Klinikleitung" die gleichen oder auch nur vergleichbare Aufgaben hätte. Gegen eine Vergleichbarkeit allein aufgrund der Bezeichnung spricht bereits, dass auch die Mutter der Klägerin, die offenbar keine Tierärztin ist, mit dem Zusatz "Administration" als Mitglied der Klinikleitung bezeichnet wird. Die von ihr zum Vergleich herangezogene Tierärztin R. war unstreitig nicht Mitglied der Klinikleitung und damit mit dem Bruder der Klägerin nicht vergleichbar.

(bb)

Ferner ist aus dem Vortrag der Klägerin nicht ersichtlich, dass ihre regelmäßige Arbeitszeit wie die ihres Bruders 40 Stunden pro Woche betragen hätte. Zwar hat sie dies behauptet; doch ist sie dem Vorbringen des Beklagten, sie habe anders als ihr Bruder jederzeit auch kurzfristig weitere Freizeit in Anspruch nehmen können, eine bestimmte Mindestarbeitszeit sei nicht festgelegt worden, und ihre Kinder und deren Betreuungsbedarf hätten jederzeit Vorrang gehabt, nicht entgegengetreten. Zu Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit und zu den Pausen hat sie ebenfalls keinen Sachvortrag geleistet.

Der Umstand, dass der Beklagte in einer Mitteilung an das Gewerbeaufsichtsamt aus dem Jahre 2015 angegeben hatte, die Klägerin arbeite in Vollzeit, ändert hieran nichts. Zum einen wurde diese Erklärung weit vor Beginn des Streitzeitraums abgegeben. Zum anderen indiziert sie gerade unter Berücksichtigung des unzureichenden Sachvortrags der Klägerin nicht den tatsächlichen Umfang ihrer regelmäßigen Arbeitszeit. Entsprechendes gilt für Erklärungen des Beklagten gegenüber dem Finanzamt.

Unter diesen Umständen war dem Beweisangebot der Klägerin für ihre Vollzeittätigkeit nicht nachzugehen, weil es sich um einen prozessual unzulässigen Ausforschungsbeweis handeln würde.

(cc)

Der Umstand, dass zwischen den Parteien - aus zwischen ihnen streitigen Gründen - kein schriftlicher Arbeitsvertrag zustande kam und dass der Beklagte auch keinen Nachweis nach dem Nachweisgesetz erteilte, hat keine Auswirkungen auf die Darlegungslast. Zwar ist umstritten, ob und in welchem Umfang sich bei Nichterteilung des Nachweises die Beweislast zugunsten des Arbeitnehmers verändert. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an einer substantiierten Darlegung der Klägerin zu ihrer regelmäßigen Arbeitszeit. Dass ihr das Fehlen des Nachweises bereits diese Darlegung und nicht erst die Beweisführung erschwert hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, weil der Rechtsfrage nach dem Umfang der Darlegungslast für Klagen wegen geschlechtsbezogener Entgeltdiskriminierung grundsätzliche Bedeutung zukommt.