Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.06.2024, Az.: 3 Sa 648/23

Pflegezulage nach Tarifvertrag für Pflegefachkräfte mit der Tätigkeit in Funktionsdiensten

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
20.06.2024
Aktenzeichen
3 Sa 648/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 20739
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0620.3Sa648.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hameln - 30.08.2023 - AZ: 3 Ca 308/22

Fundstelle

  • FA 2024, 281

Amtlicher Leitsatz

Eine Pflegezulage nach Abschnitt B I § 3 Abs. 1 TV Diakonie Niedersachsen mit Wirkung ab dem 01.05.2019 erhalten auch Pflegefachkräfte mit der Tätigkeit in Funktionsdiensten (Auslegung des Begriffs "Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen in der Pflege in Krankenhäusern").

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 30.08.2023 (Az.: 3 Ca 308/22) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.920,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 02.11.2022 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat 2 %, die Beklagte hat 98 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer tariflichen Zulage zum Arbeitsentgelt.

Die klagende Partei ist bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, seit 1993 beschäftigt. Mindestens seit Mai 2019 ist sie als Fachkrankenschwester im Herzkatheter-Labor tätig. Die Parteien sind sich darüber einig, dass es sich bei den Tätigkeiten der Klägerin um solche einer Pflegefachkraft in einem Funktionsdienst handelt. Wegen der genauen Einzelheiten der Tätigkeiten der klagenden Partei wird auf ihren Schriftsatz vom 05.05.2023 (S. 7 f., Bl. 184 ArbG Akte) Bezug genommen. Die klagende Partei erhält Vergütung nach der Entgeltgruppe E 8.

Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit findet der Tarifvertrag Diakonie Niedersachsen (TV DN) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. In dessen Abschnitt B (Eingruppierung und Entgelt) I (Rahmenbestimmungen) enthält er in § 3 mit Wirkung ab dem 01.05.2019 für Krankenhäuser (für andere Dienstgeber gilt die Regelung ab dem 01.01.2020) folgende Fassung:

§ 3 Zulagen zum monatlichen Tabellenentgelt

(1) Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen in der Pflege in Krankenhäusern und stationären Altenpflegeeinrichtungen erhalten eine monatliche Zulage zum Tabellenentgelt. Die Höhe der Zulage beträgt in den Entgeltgruppen

- E3 bis E4 85,00 €,

- E5 bis E6 100,00 € und

- E7 bis E9 120,00 €.

(2) In Entgeltgruppen E 7 bis E 9 eingruppierte Pflegefachkräfte auf Arbeitsplätzen in der ambulanten Pflege erhalten ebenfalls die monatliche Zulage zum Tabellenentgelt in Höhe von 120 €.

(3) In Entgeltgruppe E 3 eingruppierte Helferinnen auf Arbeitsplätzen in der Behindertenhilfe ohne fachspezifische Ausbildung in der Assistenz erhalten nach 24 Monaten tatsächlicher entsprechender Tätigkeit beim Arbeitgeber ab dem darauffolgenden Monatsersten eine monatliche Zulage in Höhe von 210,-€. Die Zulage wird bei allgemeinen Tabellenentgelterhöhungen entsprechend erhöht.

(4) Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit Aufgaben einer Praxisanleitung in der Pflege oder der Geburtshilfe erhalten eine monatliche Zulage in Höhe von 100 €, wenn entsprechende Tätigkeiten ausdrücklich übertragen worden sind.

Wegen des genauen Inhalts des Tarifvertrags in der Fassung des 10. Änderungstarifvertrags vom 29.08.2022 sowie in der Fassung des 11. Änderungstarifvertrags vom 22.11.2023 wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.06.2024 Bezug genommen. Vorhergehende Fassungen bzw. Änderungstarifverträge sind abrufbar im Internet unter www.ddniedersachsen.de unter dem Abschnitt "TVDN" zu finden.

Im Berufungsverfahren ist unstreitig geworden, dass die klagende Partei durch ihr Geltendmachungsschreiben vom 11.11.2019 auch für nachfolgende Zeiträume die tarifvertraglichen Ausschlussfristen für die Geltendmachung der Zulage nach B I § 3 Abs. 1 TV DN eingehalten hat.

Die klagende Partei hat die Auffassung vertreten, sie nehme einen Arbeitsplatz "in der Pflege" nach der Tarifnorm wahr. Dass die Tätigkeit in einem Funktionsbereich von der Tarifregelung ausgenommen sei, ergebe sich nicht.

Mit ihrer Klage vom 27.10.2022, die der Beklagten am 01.11.2022 zugestellt worden ist, hat sie die Zahlung der monatlichen Zulage für den Zeitraum vom 01.05.2019 bis zum 31.10.2022 in unstreitiger Höhe von 120,00 EUR brutto monatlich verlangt.

Die klagende Partei hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.040,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, Arbeitsplätze von Pflegepersonal in Funktionsbereichen würde nicht unter den Begriff "Arbeitsplätze in der Pflege" im Sinne der Tarifnorm fallen. Damit sei ausschließlich das Personal auf bettenführenden Stationen gemeint.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen in erster Instanz gewechselten Schriftsätze, das Protokoll der erstinstanzlichen Kammerverhandlung vom 30.08.2023 sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit Urteil vom 30.08.2023 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat unter Bezugnahme auf zwei Urteile des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 09.02.2022 (Az.: 8 Sa 650/21 - n.v.) und vom 31.01.2022 (15 Sa 165/21 - n.v.) zur Begründung ausgeführt, dass ein Arbeitsplatz im Funktionsdienst - hier des Herzkatheter-Labors - nicht als Arbeitsplatz "in der Pflege" im Sinne der Zulagenregelungen des B. I. § 3 Abs. 1 TV DN anzusehen sei.

Gegen dieses Urteil, das der klagenden Partei am 14.09.2023 zugestellt worden ist, hat sie am 11.10.2023 Berufung eingelegt und diese - nach Fristverlängerung bis zum 14.12.2023 - am 13.12.2023 begründet.

Sie vertritt die Auffassung, sie übe in ausreichendem Maße pflegerische Tätigkeiten im engeren Sinne aus. Da sie auch Assistenzleistungen für Ärzte bei Behandlungen erbringe, führe sie eine Mischtätigkeit aus, die die Zulage nach B. I. § 3 Abs. 1 TV DN rechtfertigte.

Die Klägerin beantragt,

das am 14.09.2023 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 30.08.2023, Az.: 3 Ca 308/22, wird abgeändert und die Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Berufungsklägerin 5.040,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist auch überwiegend begründet. Dem Grunde nach steht der klagenden Partei ein Anspruch auf monatliche Zulage von 120,00 EUR brutto seit dem 01.05.2019 zu. Für Mai 2019 hat die klagende Partei jedoch die tarifvertraglichen Ausschlussfristen nicht eingehalten.

I.

Der Anspruch der klagenden Partei folgt dem Grunde nach aus B. I. § 3 Abs. 1 TV DN, denn die klagende Partei nimmt einen "Arbeitsplatz in der Pflege" wahr. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 13.10.2021 - 4 AZR 365/20 - Rn. 21 m. w. N.).

1.

Der Wortlaut der tariflichen Regelung lässt keine sicheren Rückschlüsse auf den Inhalt zu. Denn unter die Formulierung "in der Pflege" können verschiedene Arbeitsplätze zu fassen sein.

Der Begriff "Pflege" umfasst nach der Definition der Pflege des International Council of Nurses (ICN) die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Danach können unter Arbeitsplätzen in der Pflege alle Arbeitsplätze zu fassen sein, auf denen pflegerische Tätigkeiten erbracht werden. Nach diesem Verständnis erfasst die tarifliche Regelung auch den Arbeitsplatz der klagenden Partei. Denn diese betreut unstreitig Menschen in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen in der Situation eines Krankenhauses, hier konkret bei Herzkatheter-Untersuchungen.

Auch auf der Webseite des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), einem Berufsverband für professionell Pflegende in Deutschland, wird in einer Broschüre über "Pflege im Funktionsdienst hat Zukunft" ausgeführt, dass Pflegefachpersonen in den Funktionsdienstbereichen durch die Anwendung des Pflegeprozesses die Kontinuität der Versorgung der Patientinnen und Patienten garantieren.

Laut § 4 Abs. 2 Pflegeberufegesetz (PFlBG; in der aktuellen Fassung) gehören zu den "pflegerischen Aufgaben" die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs, die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses, sowie die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege. In § 5 Abs. 3 Ziffer 1 PFlBG werden im Rahmen der Beschreibung des Ausbildungsziels Aufgaben einer ausgebildeten Pflegefachkraft spezifizierter benannt. Hier sind unter anderem auch aufgeführt die Durchführung der Pflege und Dokumentation der angewendeten Maßnahmen sowie die Bedarfserhebung und Durchführung präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen.

Wie diese Ausführungen zeigen, werden - auch in Fachkreisen - die Tätigkeiten im Funktionsdienst durchaus ebenfalls als pflegerische Tätigkeiten bezeichnet.

2.

Allerdings folgt aus dem Gesamtzusammenhang, dass die Tarifvertragsparteien als Arbeitsplätze "in der Pflege" nicht nur solche auf bettenführenden Stationen, sondern auch solche in Funktionsbereichen ansehen.

a)

Es finden sich nämlich folgende Regelungen in dem TV DN:

aa)

Aufgrund der Tarifeinigung in den Tarifverhandlungen vom 18.04.2019, mit der unter anderem § 3 Abs. 1 im Abschnitt B. I. eingeführt wurde, wurde bei den Eingruppierungsvorschriften folgende Bestimmung neu eingefügt:

"Richtbeispiel zu E 8

Arbeitsplätze in Spezialbereichen in der Pflege, mit überwiegenden Tätigkeiten, die Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, die durch eine abgeschlossene Fachweiterbildung von mindestens 700 Stunden vermittelt wird, erhalten eine Zulage gemäß Teil B Abschnitt I § 2 Satz 3 i. H. v. 50 %."

bb)

Mit dem 9. Änderungstarifvertrag vom 16.02.2022 wurde - unter Wegfall des soeben genannten Richtbeispiels zu E8 - in Abschnitt B. I. § 3 in einem neuen Absatz 5 eine monatliche Zulage wie folgt neu aufgenommen:

"In Entgeltgruppe E 8 eingruppierte Pflegefachkräfte auf Arbeitsplätzen in Spezialbereichen in der Pflege mit überwiegenden Tätigkeiten, die Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern, die durch eine abgeschlossene Fachweiterbildung von mindestens 700 Stunden oder durch eine abgeschlossene Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft zur Ausbildung und Prüfung von operationstechnischen und anästhesietechnischen Assistentinnen und 17.09.2013 vermittelt wird, erhalten eine monatliche Zulage in Höhe von 50 % der Differenz zwischen dem Tabellenentgelt der Entgeltgruppe E 8 und der Entgeltgruppe E 9 ihrer jeweiligen Stufe."

cc)

Inzwischen - für Zeiträume die hier nicht streitgegenständlich sind - hat der TV DN in der aktuellen Fassung des 11. Änderungstarifvertrags mit Wirkung ab dem 01.04.2024 den § 3 Abs. 1 und 2 zum Abschnitt B. I wie folgt geändert:

"§ 3 Zulagen zum monatlichen Tabellenentgelt

(1) Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen in der Pflege einschließlich Entbindungspflege in Krankenhäusern sowie der Pflegekräfte, Pflegeassistenten und Pflegefachkräfte in gem. § 72 SGB XI zugelassenen Einrichtungen und Einrichtungen gemäß § 39a SGB V (Hospiz) erhalten eine monatliche Zulage zum Tabellenentgelt. Sie beträgt für Arbeitnehmerinnen der Entgeltgruppen

- E3 bis E4 85,00 €

- E5 bis E6 100,00 € und

- E7 bis E9 120,00 €.

(2) Eine Tätigkeitszulage in Höhe von 120,00 € monatlich erhalten in Entgeltgruppe E 8, E 9 oder E 10 eingruppierte Arbeitnehmerinnen, sowie medizinische Fachangestellte in Entgeltgruppe E 7, die in folgenden Funktionsbereichen tätig sind, soweit diese Tätigkeit nach Anordnung mehr als die Hälfte ihrer regelmäßigen Wochenarbeitszeit ausmacht:

a. Anästhesie

b. Operationsdienst

c. Notaufnahme

d. Endoskopie

e. Herzkatheterlabor

f. urologischer Funktionsdienst

g. Kreißsaal

Arbeitnehmerinnen, die diese Zulage erhalten, erhalten nicht die Zulage nach Abs. 1.

Arbeitnehmerinnen mit administrativen Tätigkeiten, soweit diese Tätigkeit mehr als die Hälfte ihrer regelmäßigen Arbeitszeit ausmacht, erhalten diese Tätigkeitszulage nicht

b)

Unter Berücksichtigung dieser tariflichen Regelungen gingen die Tarifvertragsparteien spätestens seit April 2019 davon aus, dass auch die Tätigkeiten in "Spezialbereichen" Arbeitsplätze in der Pflege beinhalten. Dies ergibt sich aus dem mit dem 6. Änderungstarifvertrag vom 18.04.2019 eingeführten neuen Richtbeispiel der Entgeltgruppe E 8 und - mit dem Entfall dieses Richtbeispiels durch den 9. Änderungstarifvertrag vom 16.02.2022 - durch die Neuregelung in B. I. § 3 Abs. 5 des TV DN. Denn in beiden Tarifregelungen finden sich Bestimmungen für "Arbeitsplätze in Spezialbereichen in der Pflege". Diese "Spezialbereiche in der Pflege" sind daher abzugrenzen von "Normalbereichen" in der Pflege. Dass hiermit beispielsweise die bettenführenden Stationen gemeint sind, ergibt sich aus den angesprochenen Bestimmungen im Umkehrschluss. Denn als ein Beispiel für einen "Spezialbereich in der Pflege" wird ein Bereich aufgeführt, in dem Tätigkeiten anfallen, die durch eine abgeschlossene Ausbildung als operationstechnische und anästhesietechnische Assistentin ermöglicht werden. Hieran wird deutlich, dass gerade Pflegetätigkeiten in OP- oder Anästhesie-Abteilungen als solche Spezialbereiche der Pflege aufgefasst werden. Daraus folgt, dass es sich bei den "Arbeitsplätzen in der Pflege" nach § 3 Abs. 1 der Regelungen über Zulagen zu monatlichen Tabellenentgelt um einen Oberbegriff für Arbeitsplätze in der Pflege handelt. Er umfasst daher auch Arbeitsplätze in Spezialbereichen in der Pflege.

c)

Dieser Auslegung steht nicht die Neuregelung im 11. Änderungstarifvertrag vom 22.11.2023 zu § 3 bezüglich der Zulagen zum monatlichen Tabellenentgelt entgegen.

In § 3 Abs. 2 TV DN aktuelle Fassung wird nunmehr eine Tätigkeitszulage in Höhe von 120,00 EUR brutto monatlich unter anderem für Arbeitnehmerinnen in den Entgeltgruppen E 8 bis E 10, die in bestimmten Funktionsbereichen tätig sind, geregelt, soweit diese Tätigkeit nach Anordnung mehr als die Hälfte der regelmäßigen Wochenarbeitszeit ausmacht. Hier sind die Funktionsbereiche ausdrücklich aufgeführt und umfassen unter anderem die Anästhesie, den Operationsdienst und das Herzkatheterlabor.

Der Anspruch der klagenden Partei folgt für Zeiträume ab Inkrafttreten des 11. Änderungstarifvertrags aus dieser Vorschrift, denn sie ist nach Entgeltgruppe E 8 eingruppiert und übt eine Tätigkeit im Herzkatheterlabor aus und zwar mit mehr als der Hälfte ihrer regelmäßigen Wochenarbeitszeit.

Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien nunmehr diese ausdrückliche Regelung getroffen haben, ändert an der vorgenommenen Auslegung nichts. § 3 Abs. 2 im Abschnitt B. I. TV DN enthält nämlich eine Spezialregelung zu § 3 Abs. 1. Denn Satz 2 des § 3 Abs. 2 bestimmt ausdrücklich, dass Arbeitnehmerinnen, die eine Zulage nach Abs. 2 erhalten, darüber hinaus nicht zusätzlich die Zulage nach Abs. 1 geltend machen können. Schon hieraus ergibt sich, dass auch die Tarifvertragsparteien es für möglich gehalten haben, dass Beschäftigte anderenfalls sowohl die Zulage nach Abs. 2, als auch die nach Abs. 1 beanspruchen könnten.

Im Übrigen könnte diese Tarifeinigung auch den Zweck haben, den Streit der Tarifvertragsparteien über die Auslegung des Begriffs "Arbeitsplätze in der Pflege" durch eine ausdrückliche Regelung zu beenden.

d)

Der Umstand, dass sich in den Entgeltgruppen E 5 und E 6.2 des TV DN in der Fassung des 10. Änderungstarifvertrags vom 29.08.2022 als Richtbeispiele unter anderen Krankenpflegehelferinnen "in Funktionsdiensten" finden, führt (entgegen LAG Niedersachsen 31.01.2023 - 15 Sa 165/21) nicht zu einer abweichenden Auslegung. Durch diese Richtbeispiele wird lediglich deutlich, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff der Funktionsdienste im Zusammenhang mit Tätigkeiten von Krankenpflegehelfern verwenden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Tätigkeiten in Funktionsdiensten nicht als Tätigkeiten in der Pflege anzusehen sind. Hieran wird vielmehr deutlich, dass auch für Krankenpflegehelferinnen Tätigkeiten in Funktionsdiensten bestehen, zu denen sie aufgrund ihrer Ausbildung befähigt worden sind. Dass es sich dabei um pflegerische Tätigkeiten handeln muss, folgt schon aus der Berufsbezeichnung.

Hätten die Tarifvertragsparteien die Zulage nach § 3 Abs. 1 im Abschnitt B. I. auf Pflegetätigkeiten in bettenführenden Stationen eingrenzen wollen, so hätte es nähergelegen, dies ausdrücklich aufzunehmen oder festzulegen, dass Pflegetätigkeiten in Funktionsdiensten ausgenommen sind (so auch LAG Niedersachsen 8 Sa 426/20 - zu I. 3).

e)

Aus der Regelung in B I § 3 Abs. 2 TV DN in der Fassung bis zum 11. Änderungstarifvertrag lässt sich keine Einschränkung der Arbeitsplätze "in der Pflege" unter Ausschluss der Funktionsbereiche entnehmen (entgegen. LAG Niedersachsen 8 Sa 426/20 - zu I.5). Nach dieser Bestimmung erhalten auch Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen in der ambulanten Pflege, soweit sie nach den Entgeltgruppen E7 bis E9 zu vergüten sind, eine monatliche Zulage zum Tabellenentgelt in Höhe von 120 €. Hieraus kann nicht entnommen werden, dass die Zulage in Abs. 1 des Tarifvertrags lediglich für Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen zu zahlen ist, deren Inhalt in der Pflege von Menschen in einem engeren Sinne besteht.

Zum einen finden sich die Regelungen über die Zulage in unterschiedlichen Absätzen des § 3. Zum anderen handelt es sich um unterschiedliche Arbeitsbereiche.

Der Regelung in § 3 Abs. 2 TV DN in der genannten Fassung kann vielmehr entnommen werden, dass im ambulanten Bereich in der Regel nur Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung als Pflegefachkraft die Zulage erhalten sollen. Denn in die Entgeltgruppen E7 bis E9 sind grundsätzlich nur solche Pflegepersonen eingruppiert. Dies ergibt sich schon aus der neuen "E 7.1", in der "Arbeitnehmerinnen auf Arbeitsplätzen mit entsprechenden Tätigkeiten in der Pflege oder Betreuung und einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Pflegefachfrau oder als Altenpflegerin, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, (Pflegefachkräfte)" genannt sind.

Da es im ambulanten Pflegebereich keine den Funktionsdiensten im Krankenhaus entsprechenden Tätigkeiten gibt, kann aus der Bestimmung zu Arbeitsplätzen in der ambulanten Pflege kein Regelungsinhalt für Funktionsdienste im Krankenhaus entnommen werden. Jedenfalls hat sich nach Auffassung der Kammer ein etwaiger Wille der Tarifvertragsparteien, die Arbeitsplätze "in der Pflege" zu begrenzen auf eine Pflege im engeren Sinne nicht niedergeschlagen.

3.

Dem Tarifvertrag kann nicht entnommen werden, dass die streitgegenständliche Zulage geknüpft ist an die günstigere Erstattungsmöglichkeit für Personalkosten im Bereich der bettenführenden Stationen nach dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG). Danach werden gemäß § 17b Abs. 4 KHG seit 2020 die "Pflegepersonalkosten in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen" nicht mehr über die Fallpauschalen vergütet. Stattdessen erhalten die Krankenhäuser ein Pflegebudget, sodass für das Pflegepersonal auf bettenführenden Stationen eine anderweitige Finanzierung gilt. Dafür, dass sich "Arbeitsplätze in der Pflege" an die Regelung in B I. § 3 Abs. 1 TV DN anlehnen, gibt es im Tarifvertrag jedoch keinen Anhaltspunkt. Wenn dies beabsichtigt gewesen wäre, hätten die Tarifvertragsparteien die Zulage ausdrücklich auf Tätigkeiten in bettenführenden Stationen begrenzen können.

Auch eine weitergehende Begrenzung des Zwecks der Zahlung der Zulage ergibt sich nicht aus dem Tarifvertrag.

Nach alledem fallen auch pflegerische Tätigkeiten in Funktionsbereichen, wie dem Herzkatheterlabor, unter die Regelung in Abschnitt B. I. § 3 Abs. 1 TV DN.

4.

Die klagende Partei übt solche Tätigkeiten aus. Es kommt dabei nicht darauf an, in welchem Umfang sie Pflegetätigkeiten im engeren Sinn, wie Waschen von Patienten, Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme oder dem Toilettengang tatsächlich ausübt. Denn - wie dargestellt - gehört es auch zur Aufgabe einer Pflegefachfrau oder eines Pflegefachmannes nach § 5 Abs. 3 Ziff. 1 Pflegeberufegesetz, den individuellen Pflegebedarf zu erheben und festzustellen, sowie die Pflege zu planen, den Pflegeprozess zu organisieren, zu gestalten und zu steuern, die angewendeten Maßnahmen zu dokumentieren sowie gesundheitsfördernde Maßnahmen durchzuführen. Hierunter fallen auch die assistierenden Tätigkeiten der Klägerin im Herzkatheterlabor. Dass die Klägerin Pflegetätigkeiten im "weiteren" Sinne ausübt, ist zwischen den Parteien auch nicht streitig.

II.

Der Höhe nach besteht der Anspruch der Klägerin für 41 Monate, beginnend im Juni 2019 bis Oktober 2022. Der Anspruch für Mai 2019 ist nicht gegeben, weil die Klägerin die Einhaltung der Ausschlussfristen insoweit nicht dargelegt hat.

Nach § 43 Abs. 1 TV-DN müssen Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit in Textform geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen.

Die Fälligkeit der Vergütungsbestandteile der klagenden Partei ist in § 22 Abs. 2 Satz 2 TV DN geregelt. Danach ist der Auszahlungsbetrag für alle der Arbeitnehmerin gemäß TV DN zustehenden Entgeltbestandteile für den jeweiligen Kalendermonat am 16. eines jeden Monats für den laufenden Monat. Für den Monat Mai 2019 hätte die klagende Partei daher eine Geltendmachung bis zum 16.11.2019 vornehmen müssen. Dies ist jedoch durch die insoweit darlegungs- und beweisbelastete klagende Partei nicht erfolgt.

Im Berufungsverfahren ist zwar unstreitig geworden, dass sie mit einem Schreiben vom 11.11.2019 die entsprechende Zulage geltend gemacht hat. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 26.11.2019 auf dieses Schreiben Bezug genommen, so dass ein Zugang bei der Beklagten spätestens am 26.11.2019 erfolgt sein muss.

Einen Zugang des Geltendmachungsschreibens vor dem 17.11.2019 hat die Klägerin jedoch weder behauptet, noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich.

Da die Beklagte im Termin der mündlichen Verhandlung am 20.06.2024 unstreitig gestellt hat, dass auch für die nachfolgenden Zeiträume die Ausschlussfristen eingehalten worden sind, steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der Zulage für insgesamt 41 Monate zu.

Dies entspricht einem Betrag von 4.920,00 EUR brutto.

III.

Die Zinsentscheidung folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzugs, §§ 286, 288 BGB. Da die Zinsforderung für den Zeitpunkt ab Klagzustellung geltend gemacht wurde und diese am 01.11.2022 erfolgte, liegt der Zinszeitpunkt auf dem 02.11.2022.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO im Umfang des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens. Da hinsichtlich der Rechtsanwaltsvergütung ein Gebührensprung zwischen einem Gegenstandswert von 4.920,00 EUR und 5.040,00 EUR liegt, hat die Kammer nicht von § 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO Gebrauch gemacht.

Gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 2 ArbGG war die Revision zuzulassen, denn dieses Urteil weicht - wie dargelegt - von einer Entscheidung einer anderen Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen ab und eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage ist bislang nicht ergangen.