Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.02.2024, Az.: 8 TaBV 49/23

Einreichung von Vorschlagslisten mit weniger als zu besetzenden Betriebsratssitzen bei einer Betriebsratswahl; Einwöchige Nachfristsetzung des Wahlvorstands zur Gewinnung weiterer Wahlbewerber; Anfechtung einer Betriebsratswahl

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
07.02.2024
Aktenzeichen
8 TaBV 49/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 13864
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0207.8TaBV49.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Nienburg - 13.06.2023 - AZ: 2 BV 2/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Werden bei einer Betriebsratswahl Vorschlagslisten mit weniger Bewerbern eingereicht, als Betriebsratssitze zu besetzen sind, so hat der Wahlvorstand in entsprechender Anwendung von § 9 WO eine einwöchige Nachfrist zur Gewinnung weiterer Wahlbewerber zu setzen. Der Wahlvorstand kann keine andere als die gesetzlich vorgesehene Frist zur Einreichung weiterer Wahlvorschläge festlegen.

  2. 2.

    § 9 Abs. 1 WO ist - auch im Falle einer entsprechenden Anwendung - eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG.

  3. 3.

    Im Falle einer zu kurzen Bemessung der Nachfrist des § 9 Abs. 1 WO lässt sich in der Regel nicht ausschließen, dass das Wahlergebnis ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre, da die Möglichkeit besteht, dass bei zutreffend bemessener Frist weitere ordnungsgemäße Wahlvorschläge eingereicht worden wären.

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 13.06.2023 - 2 BV 2/23 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten auch in zweiter Instanz über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Am 15. Februar 2023 fand in dem Gemeinschaftsbetrieb der Beteiligten zu 1. und 2. (im Folgenden: Arbeitgeberinnen), in dem zum damaligen Zeitpunkt 367 Arbeitnehmer beschäftigt waren, eine Betriebsratswahl statt, aus der der zu 3. beteiligte Betriebsrat hervorgegangen ist.

Der bei den Arbeitgeberinnen gebildete Betriebsrat bestellte einen aus fünf Mitgliedern bestehenden Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl (vgl. Bl. 18 d.A.).

Zur Vorbereitung der Betriebsratswahl machte der Wahlvorstand am 8. Dezember 2022 ein Wahlausschreiben durch Aushang bekannt (Bl. 19 dA.). Es enthielt ua. die Hinweise, dass ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern zu wählen sei, und dass Wahlvorschläge bis zum 22. Dezember 2022, 16:00 Uhr beim Wahlvorstand eingereicht werden könnten.

Bis zum Ablauf dieser Frist wurde beim Wahlvorstand ein Wahlvorschlag eingereicht, auf dem jedoch lediglich sechs Wahlbewerber aufgeführt waren. Der Wahlvorstand beschloss daraufhin, eine Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen zu setzen und machte dies am 23. Dezember 2022 per Aushang bekannt (Bl. 20 dA.). Dieser lautet auszugsweise:

"Wichtige Mitteilung zur Betriebsratswahl!

Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlagskandidaten BRWahl

Der Wahlvorstand gibt hiermit bekannt, dass bis zum Ablauf der im Gesetz vorgesehenen Frist von 2 Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens die nötige Anzahl von 9 Kandidaten für die Vorschlagslisten für die Betriebsratswahl nicht erreicht wurde.

Der Wahlvorstand setzt hiermit gemäß § 9 Abs. 1 WO eine Nachfrist von einer Woche (Ende 29.12.2022) ab Aushang dieser Bekanntmachung.

Sollten nach Ablauf dieser Frist, keine weiteren Wahlbewerber vorschlagen werden, ist ein kleinerer Betriebsrat in der Grösse der nächstniedrigeren Staffel des § 9 BetrVG zu wählen."

Am 15. Februar 2023 erfolgte die Betriebsratswahl. Am selben Tag gab der Wahlvorstand das vorläufige (Bl. 29 dA.) und am 23. Februar 2023 das endgültige Ergebnis der Wahl (Bl. 30 dA.) per Aushang bekannt.

Die Arbeitgeberinnen haben erstinstanzlich ihre Auffassung vorgebracht, das Wahlverfahren sei mit zahlreichen Mängeln behaftet. Insbesondere habe der Wahlvorstand eine zu kurze Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen gesetzt.

Die Arbeitgeberinnen haben vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Betriebsratswahl vom 15. Februar 2023 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hat vor dem Arbeitsgericht vorgebracht, das Wahlverfahren sei frei von Mängeln. Insbesondere sei die Nachfrist aus Sicht des Wahlvorstands zutreffend bemessen. Jedenfalls habe sich eine etwaig unzutreffend berechnete Nachfrist nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt. Es könne ausgeschlossen werden, dass weitere Vorschlagslisten eingereicht worden wären.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze, Protokolle und anderen Unterlagen verwiesen.

Mit Beschluss vom 13.06.2023, dem anwaltlichen Bevollmächtigten des Betriebsrates zugestellt am 23.06.2023, hat das Arbeitsgericht dem Antrag der Arbeitgeberinnen stattgegeben. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Wahlvorstand habe in entsprechender Anwendung des § 9 der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz (im Folgenden nur noch: WO) eine Nachfrist von einer Woche zu setzen. Es handele sich um eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens, die dem Wahlvorstand keinen Spielraum gewähre. Vorliegend habe der Wahlvorstand die Frist unzutreffend einen Tag zu kurz bemessen. Der Verstoß habe das Wahlergebnis auch beeinflussen können, denn es sei nicht auszuschließen, dass am letzten Tag der Frist noch weitere ordnungsgemäße Wahlvorschläge eingereicht worden wären, wenn der Wahlvorstand die Frist zutreffend bemessen hätte.

Der Betriebsrat hat gegen den erstinstanzlichen Beschluss mit Schriftsatz vom 27.6.2023, bei dem erkennenden Gericht eingegangen am gleichen Tage, Beschwerde eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung zum 25.9.2023 mit Schriftsatz vom 22.9.2023, bei dem erkennenden Gericht eingegangen am gleichen Tage, begründet. Er verfolgt seine erstinstanzliche Argumentation, § 9 WO finde auf die vorliegende Konstellation keine Anwendung, weiter. Des Weiteren meint er, ein etwaiger Verstoß habe keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben können.

Der Betriebsrat hat beantragt,

unter Aufhebung [gemeint war: Abänderung] der erstinstanzlichen Entscheidung den Antrag abzuweisen.

Die Arbeitgeberinnen haben beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung und treten der Argumentation des Betriebsrates mit ausführlicher rechtlicher Begründung entgegen.

Wegen des weiteren rechtlichen Vorbringens der Beteiligten in zweiter Instanz wird auf die dort zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Anhörung vom 7. Februar 2023 verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

1.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht eingereicht und begründet worden.

2.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberinnen zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Die Betriebsratswahl vom 15.2.2023 ist unwirksam, da sie an wesentlichen Mängeln leidet und auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Wahlergebnis ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre.

a)

Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind zur Anfechtung einer Betriebsratswahl berechtigt mindestens drei Wahlberechtigte, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber. Satz 2 regelt, dass die Wahlanfechtung nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses angerechnet, zulässig ist. Nach Abs. 3 Satz 3 ist die Anfechtung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und wenn diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht.

Die formellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung liegen vor. Die Arbeitgeberinnen sind zur Anfechtung berechtigt und haben die Wahl fristgerecht angefochten; sie stützen - soweit hier von Belang - die Anfechtung nicht auf die Unrichtigkeit der Wählerliste. Zum Fristenlauf hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, die dortigen Ausführungen werden in Bezug genommen.

b)

Bei der Wahl ist vom Wahlvorstand gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden. Eine Berichtigung ist nicht erfolgt. Durch den Verstoß vermochte das Wahlergebnis auch geändert oder beeinflusst zu werden.

aa)

§ 19 Abs. 1 BetrVG ordnet an, dass die Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden kann, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

aaa)

Gemäß § 9 BetrVG besteht der Betriebsrat besteht in Betrieben mit - wie hier - in der Regel 201 bis 400 Arbeitnehmern aus 9 Mitgliedern.

Nach § 11 BetrVG ist, falls ein Betrieb nicht die ausreichende Zahl von wählbaren Arbeitnehmern hat, die Zahl der Betriebsratsmitglieder der nächstniedrigeren Betriebsgröße zugrunde zu legen.

§ 6 Abs. 1 Satz 1 WO ordnet an, dass, sofern mehr als fünf Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, die Wahl aufgrund von Vorschlagslisten erfolgt, sofern nicht die Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens vereinbart worden ist. Gemäß Satz 2 sind die Vorschlagslisten von den Wahlberechtigten vor Ablauf von zwei Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand einzureichen. Abs. 2 bestimmt, dass jede Vorschlagsliste mindestens doppelt so viele Bewerberinnen oder Bewerber aufweisen soll, wie Betriebsratsmitglieder zu wählen sind. § 8 WO zählt die Tatbestände auf, bei deren Vorliegen Vorschlagslisten ungültig sind. Dies betrifft nach Abs. 1 Vorschlagslisten, die nicht fristgerecht eingereicht worden sind (Nr. 1), auf denen die Bewerberinnen oder Bewerber nicht in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sind (Nr. 2), und Vorschlagslisten, die bei der Einreichung nicht die erforderliche Zahl von Unterschriften aufweisen (Nr. 3); weiter - falls diese Mängel trotz Beanstandung nicht binnen einer Frist von drei Arbeitstagen beseitigt werden - nach Abs. 2 Vorschlagslisten, auf denen die Bewerberinnen oder Bewerber nicht in der in § 6 Abs. 3 bestimmten Weise bezeichnet sind (Nr. 1), Fälle, in denen die schriftliche Zustimmung der Bewerberinnen oder der Bewerber zur Aufnahme in die Vorschlagsliste nicht vorliegt (Nr. 2), sowie Fälle, in denen die Vorschlagsliste infolge von Streichung gemäß § 6 Abs. 5 WO nicht mehr die erforderliche Zahl von Unterschriften aufweist (Nr. 3). Gemäß § 9 Abs. 1 WO hat der Wahlvorstand, wenn nach Ablauf der in § 6 Abs. 1 WO genannten Frist keine gültige Vorschlagsliste eingereicht ist, dies sofort in der gleichen Weise bekannt zu machen wie das Wahlausschreiben und eine Nachfrist von einer Woche für die Einreichung von Vorschlagslisten zu setzen. In der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, dass die Wahl nur stattfinden kann, wenn innerhalb der Nachfrist mindestens eine gültige Vorschlagsliste eingereicht wird.

bbb)

Vorliegend war gem. § 9 BetrVG ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern zu wählen. Jedoch wurde nur eine Liste eingereicht, auf der sich lediglich sechs Kandidaten zur Wahl stellten. Diese Liste verstieß gegen die Bestimmung des § 6 Abs. 2 WO; hierbei handelt es sich nach deren klarem Wortlaut allerdings lediglich um eine Sollvorschrift. § 8 WO erfasst nicht den Fall, dass eine Vorschlagsliste zu wenige Bewerber enthält. Dementsprechend fehlt es auch an den Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 9 WO, denn das Tatbestandsmerkmal, dass "keine gültige" Liste iSd. § 8 WO eingereicht wurde, lag nicht vor.

In Fällen wie dem vorliegenden stellt sich allerdings die unübersehbare Problematik, dass selbst dann, wenn alle sechs Bewerber gewählt werden und die Wahl annehmen, der von Gesetzes wegen vorgesehene neunköpfige Betriebsrat nicht gebildet werden kann. Weder das Betriebsverfassungsgesetz noch die Wahlordnung enthalten ausdrückliche Regelungen dazu, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist.

In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, dass der Wahlvorstand, falls Vorschlagslisten mit insgesamt weniger Bewerbern eingereicht worden sind, als Betriebsratssitze zu besetzen sind, im Interesse, die Wahl eines der gesetzlichen Größe des § 9 BetrVG entsprechenden Betriebsrates zu ermöglichen, eine Nachfrist zur Gewinnung weiterer Wahlbewerber zu setzen hat, dass also § 9 WO für diesen Fall entsprechend anzuwenden ist, und dass erst bei erfolglosem Ablauf der Frist der Betriebsrat in der Größe zu wählen ist, die der nächstniedrigeren Staffel des § 9 BetrVG entspricht (Fitting pp., BetrVG, 31. Aufl., § 9 WO 2001 Rn. 2; Wiese/Jacobs, GK-BetrVG, 12. Aufl., § 9 WO Rn. 1; Düwell, BetrVG, 6. Aufl., § 9 WO Rn. 2; widersprüchlich beiden vertretenen Auffassungen zustimmend Richardi/Forst, BetrVG, 17. Aufl., § 9 WO Rn. 1, zweiter Satz und am Ende). Diese Auffassung ist jedenfalls insoweit zustimmungswürdig, als eine Nachfrist zu setzen ist. Das erkennende Gericht tritt ihr im besagten Umfang aus folgenden Gründen bei:

Das BetrVG und die WO enthalten in Bezug auf den Fall, dass Vorschlagslisten mit weniger Bewerbern eingereicht worden sind, als Betriebsratssitze zu besetzen sind, eine Regelungslücke. Diese ist nach Auffassung der Kammer auch planwidrig, denn der Gesetzgeber strebte ersichtlich an, dass für den Fall der Wahl eines Betriebsrates mindestens so viele Bewerber antreten, dass die gesetzlich vorgesehene Betriebsratsgröße erreicht werden kann. Ein Nachbesserungsverfahren sehen die §§ 8, 9 WO vor. Mittels seiner Durchführung kann erreicht werden, dass sich ggf. noch weitere Arbeitnehmer als Bewerber aufstellen lassen. Das erkennende Gericht ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass der Gesetzgeber, hätte er Fälle der vorliegenden Art bedacht, die Regelung des § 9 WO auch auf dieselben für anwendbar erklärt hätte.

Für eine entsprechende Anwendung des § 9 WO auf Sachverhalte der vorliegenden Art spricht des Weiteren, dass der Gesetzgeber auch keine ausdrücklichen Regelungen zum Schicksal der Wahl, falls keine der Anzahl der von § 9 BetrVG vorgeschriebenen Betriebsratssitze entsprechende Zahl von Bewerbern zustande kommt, getroffen hat. Ausdrücklich geregelt ist lediglich der Fall, dass ein Betrieb keine ausreichende Zahl von wählbaren Arbeitnehmern hat. § 11 BetrVG ordnet an, dass dann die Zahl der Betriebsratsmitglieder der nächstniedrigeren Betriebsgröße zugrunde zu legen ist. Ob § 11 BetrVG entsprechend u.a. angewendet werden kann, wenn - wie hier - die vorgeschriebene Mitgliederzahl deshalb nicht erreicht wird, weil trotz ordnungsgemäßen Wahlausschreibens die Wahlvorschläge nicht genügend Bewerber aufweisen, ist umstritten (vgl. die Nachweise bei Wiese/Jacobs, GK-BetrVG, 12. Aufl., § 11 Rn. 11 und Fn. 4-6). Auch sieht die Norm nur eine Zurückstufung auf die Zahl der Betriebsratsmitglieder der jeweiligen nächstniedrigeren Betriebsgröße vor. Um auf die übernächste oder noch niedrigere Stufen zurückzugehen, müsste der Gesetzeswortlaut erneut erweiternd ausgelegt werden. Von der h.M. wird dies bejaht (vgl. erneut die Nachweise bei Wiese/Jacobs a.a.O. Rn. 8); Jacobs (a.a.O.) hält das für "nicht ganz unbedenklich, weil in solchen Fällen zu befürchten ist, dass der zahlenmäßig zu kleine Betriebsrat nach der in §§ 9 und 11 BetrVG getroffenen gesetzlichen Wertung seine Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllen kann". Indem § 9 WO entsprechend angewendet wird, kann dieser Streit - für diejenigen Fälle, in denen eine Nachbesserung gelingt - vermieden werden.

ccc)

Die vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 4. Juli 2014 - 6 TaBV 24/14 - zur Stützung seiner abweichenden Auffassung vorgetragenen Argumente tragen aus Sicht der Kammer nicht:

(1) Die 6. Kammer des LAG Düsseldorf meint, eine Analogie scheide aus, da der zu beurteilende Sachverhalt nicht mit dem gesetzlich geregelten Fall vergleichbar sei. Die Nachfristsetzung des § 9 WO habe deshalb zu erfolgen, weil andernfalls keine wirksame Betriebsratswahl stattfinden könne, während die Wahl sehr wohl möglich sei, wenn die Zahl der Bewerber hinter der Zahl der zu besetzenden Betriebsratsplätze zurückbleibe. Dies überzeugt nicht. Mithilfe einer Analogie kann eine Rechtsfolge auch auf einen Sachverhalt angewendet werden, der dem geregelten nicht vollauf gleicht, sondern ihm bei wertender Betrachtung so ähnlich ist, dass die Heranziehung der Norm sich aufdrängt. Zudem ordnen weder das BetrVG noch die WO ausdrücklich an, dass die Wahl auch dann durchzuführen ist, wenn die Zahl der Bewerber hinter der Zahl der Sitze zurückbleibt.

(2) Die Argumentation des LAG Düsseldorf, dementsprechend passe der in § 9 Abs. 1 S. 2 WO vorgesehene Hinweis in der Bekanntmachung, dass die Wahl nur stattfinden könne, wenn innerhalb der Nachfrist mindestens eine gültige Vorschlagsliste eingereicht werde, nicht, erweist sich ebenfalls als nicht durchgreifend, da - falls man eine der nachfolgenden Auffassungen vertritt - der Hinweis vom Wahlvorstand ohne größeren Aufwand textlich dahingehend abgeändert werden kann, dass die Wahl auch bei fruchtlosem Verstreichen der Nachfrist stattfinde, falls die Zahl der Betriebsratsmitglieder der nächstniedrigeren Betriebsgröße (vgl. § 11 BetrVG) erreicht werde, bzw., dass sie in jedem Falle stattzufinden habe.

(3) Dass die Gewährung einer Nachbesserungsmöglichkeit dem Willen des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers entspricht, ist entgegen dem LAG Düsseldorf aus Sicht der Kammer feststellbar, weil die Regelungen des BetrVG und der WO ersichtlich durchgängig von dem Bestreben getragen sind, dass Betriebsratsgremien bei der Wahl die gesetzlich vorgesehene Zahl der Mitglieder erreichen.

(4) Die Auffassung des LAG Düsseldorf, dass eine Nachfristsetzung dann, wenn schon eine wirksame Liste eingereicht worden ist, diese benachteiligen würde, da die bereits eingereichte Liste regelmäßig nicht nachgebessert werden könne, weil zusätzliche Bewerber nicht von den bereits erfolgten Stützunterschriften gedeckt wären, vermag die Kammer nicht zu teilen. Auch die Initiatoren der wirksam eingereichten, aber zu wenige Bewerber enthaltenden Liste sind nicht gehindert, eine neue, umfassendere Liste mit entsprechend neu eingeholten Stützunterschriften einzureichen.

(5) Der vom LAG Düsseldorf zu guter Letzt angestellte Vergleich mit der Fallkonstellation, bei der die Zahl der Betriebsratsmitglieder gemäß § 9 BetrVG deshalb nicht erreicht wird, weil einzelne Bewerber das Amt nicht annehmen, und bei dem eine Nachfristsetzung freilich nicht mehr möglich ist, überzeugt deshalb nicht, weil Umstände, die nach erfolgter Wahl eintreten, andersartig sind als sich zuvor auftuende Mängel und Unzulänglichkeiten. Eine Ergänzungswahl sieht das BetrVG nicht vor. Wann Neuwahlen durchzuführen sind, wird durch § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 BetrVG abschließend geregelt. Das ist unter anderem auch dann der Fall, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken ist (Abs. 2 Nr. 2), woraus sich erneut ersehen lässt, dass der Gesetzgeber vollständig besetzte Betriebsratsgremien für bedeutsam hält.

ddd)

Zutreffend hat bereits das Arbeitsgericht ausgeführt, dass es sich bei § 9 Abs. 1 WO um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG handelt. Der Wahlvorstand kann keine andere als die gesetzlich vorgesehene Nachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägen festlegen. Dies gilt insbesondere für den letzten Tag der Frist. Die WO gewährt dem Wahlvorstand insoweit keinen Spielraum (BAG 16. Januar 2018 - 7 ABR 11/16, Rn. 23, NZA 2018, 797). Diese Grundsätze gelten zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auch bei entsprechender Heranziehung der Norm.

bb)

Zu Recht weist das Arbeitsgericht darauf hin, dass offenkundig auch der Wahlvorstand von der Verpflichtung ausging, eine Nachfrist zu setzen, denn sonst hätte er dies unterlassen. Für die Berechnung der Frist finden nach § 41 WO die §§ 186 bis 193 BGB entsprechende Anwendung, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat. Beizutreten ist weiter auch dessen Ausführungen, dass, da für den Beginn der Nachfrist die Vornahme der Bekanntmachung maßgebend ist (Fitting pp., BetrVG, 31. Aufl., § 9 WO Rn. 7), nach § 187 Abs. 1 BGB bei der Berechnung der Frist der Tag, an dem die Bekanntmachung vorgenommen wurde, nicht mitgerechnet wird (Richardi/Forst, BetrVG, 17. Aufl., § 9 WO Rn. 3). Die Frist endet damit nach § 188 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf des Tages der letzten Woche, welcher durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Bekanntmachung vorgenommen wurde. Bei einer Bekanntmachung der Nachfristsetzung am 23. Dezember 2022 wäre, wie das Arbeitsgericht richtig ausführt, der letzte Tag der Nachfrist der 30. Dezember 2022 gewesen. Der Wahlvorstand hat jedoch eine Frist bis zum 29. Dezember 2022 und damit eine einen Tag zu kurze Frist gesetzt.

c)

Der Verstoß gegen die vorliegend entsprechend anwendbare Bestimmung des § 9 Abs. 1 WO konnte das Wahlergebnis beeinflussen.

aa)

§ 19 Abs. 1 aE BetrVG ordnet an, dass ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl berechtigt, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (BAG 16. März 2022 - 7 ABR 29/20, Rn. 41, NZA 2022, 1062).

bb)

Im Streitfall lässt sich, wie bereits das Arbeitsgericht vollauf zutreffend festgestellt hat, nicht ausschließen, dass das Wahlergebnis ohne den Verstoß anders ausgefallen wäre. Die fehlerhafte Festsetzung des letzten Tages der Nachfrist, bis zu dem Wahlvorschläge eingereicht werden konnten, konnte Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere ordnungsgemäße Wahlvorschläge eingereicht worden wären, wenn der Wahlvorstand den letzten Tag der Frist zur Einreichung der Vorschlagslisten nicht auf den 29. Dezember 2022, sondern auf den 30. Dezember 2022 festgelegt hätte. Die seitens des Bundesarbeitsgerichts für eine Anwendung des § 19 Abs. 1 aE BetrVG geforderte konkrete Feststellung kann daher vorliegend nicht getroffen werden.

3.

Ob die Wahl bei zutreffender Bemessung der Nachfrist, falls sich auch dann keine weiteren Bewerber gefunden hätten, trotz Verfehlung des Zielwertes von zumindest neun Bewerbern und weiter auch Verfehlung des Zielwertes der nächstniedrigeren Staffel von zumindest sieben Bewerbern in entsprechender Anwendung des § 11 BetrVG hätte durchgeführt werden können, kann vorliegend dahinstehen. Weiter kann, wie das Arbeitsgericht richtig ausführt, offenbleiben, ob die Anfechtung auch noch aus anderen Gründen, u.a. den weiteren seitens der Arbeitgeberinnen erstinstanzlich geltend gemachten, durchgreifen würde.

III.

Die Rechtsbeschwerde war wegen Divergenz zum Beschluss der 6. Kammer des LAG Düsseldorf vom 4. Juli 2014 - 6 TaBV 24/14 zuzulassen. Weiter hat die hier entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und - fähige Rechtsfrage, ob § 9 WO entsprechend anzuwenden ist, wenn weniger Bewerber als Sitze vorhanden sind, nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch grundsätzliche Bedeutung.