Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.04.2024, Az.: 6 Sa 416/23

Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der anteiligen Monatsbruttovergütung wegen der tatsächlich erbrachten geschuldeten Arbeitsleistung des Arbeitnehmers

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
18.04.2024
Aktenzeichen
6 Sa 416/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 17766
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 10.05.2023 - AZ: 11 Ca 24/23

Fundstellen

  • ArbR 2024, 270
  • NJW 2024, 2421 "Vortrag zu Erkrankung"
  • NZA-RR 2024, 386
  • ZIP 2024, 1920-1924
  • ZIP 2024, 2264-2265

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Zwar kann der Arbeitgeber unbeschadet der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 297 BGB trotz einer unstreitigen Freistellung des Arbeitnehmers nicht in Annahmeverzug kommen, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Der Arbeitnehmer kann sich jedoch den Vortrag des Arbeitgebers, er sei tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, hilfsweise zu eigen machen, sodass in Hinblick auf die begehrte Zahlung von Vergütung diese beiden Parteivorträge gleichwertig sind. Danach steht dem Arbeitnehmer der Anspruch auf Zahlung, wenn er tatsächlich krank war, als Entgeltfortzahlung, wenn er tatsächlich arbeitsfähig war, unter Annahmeverzugsgesichtspunkten zu.

  2. 2.

    Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG kann nach den Umständen des Einzelfalls auch wegen Verstößen des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der Arbeitsunfähigkeit-Richtlinie (AURL) erschüttert sein. So kann es sich etwa verhalten, wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - wie hier - entgegen § 4 Abs. 5 AURL nicht nach unmittelbar persönlicher Untersuchung des Arbeitnehmers und auch nicht mittelbar persönlich im Wege einer Videosprechstunde, sondern allein auf einen telefonischen Kontakt hin ausgestellt worden ist und die Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19 - Epidemie nach § 8 AURLnicht mehr galten. Gleiches gilt, soweit entgegen § 5 Abs. 5 AURL eine voraussichtliche zukünftige Krankheitsdauer für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen bescheinigt wurde, ohne dass dies aufgrund der Erkrankung oder eines besonderen Krankheitsverlaufes gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 AURL sachgerechtgewesen sein könnte.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts vom 10.05.2023 - 11 Ca 24/23 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.013,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2023 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Entgeltansprüche der Klägerin für den Monat Dezember 2022.

2

Die Klägerin war bis zum 15.01.2023 auf Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 31.03.2021 (vgl. Blatt 6 bis 9 der Akte) bei der Beklagten in Teilzeit als kaufmännische Angestellte tätig. Die vereinbarten Arbeitstage waren montags bis mittwochs. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 15.12.2022 mit Ablauf des 15.01.2023.

3

Auch der Lebensgefährte der Klägerin stand in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Dieses hatte er mit Schreiben vom 05.12.2022 zum 31.01.2023 gekündigt. Nachdem er zunächst bis zum 07.12.2022 seinen vertraglichen Arbeitsverpflichtungen nachgekommen war, hat er der Beklagten anschließend für den Restmonat Dezember verschiedene Erst- und Folgebescheinigung in Hinblick auf eine bei ihm bestehende Arbeitsunfähigkeit vorgelegt. In einem vom Lebensgefährten der Klägerin angestrengten gerichtlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht zum Aktenzeichen 11 Ca 25/23 wies das Arbeitsgericht den von diesem geltend gemachten Entgeltfortzahlungsanspruch für den Zeitraum vom 8. bis 31.12.2022 nach Vernehmung der Ärztin Frau Dr. G. und des Arztes Dr. R. ab (siehe Blatt 144 bis 149 der Akte).

4

Bis zum 07.12.2022 hat auch die Klägerin ihre Arbeitsleistung für die Beklagte tatsächlich erbracht.

5

Am Sonntag, den 12.12.2022, schrieb die Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten um 11: 17 Uhr per WhatsApp, dass sie "morgen definitiv raus" sei, Kopf und Gliederschmerzen sowie "ganz schlimme" Krämpfe habe. Der Geschäftsführer der Beklagten erklärte daraufhin, er werde verschiedene Gegenstände, unter anderem den Dienstwagen des Lebensgefährten der Klägerin, noch am selben Tag von deren gemeinsamer Wohnung abholen. Zudem schrieb er der Klägerin am 12.12.2022 um 12: 19 Uhr unter anderem: "ich möchte keine Kommentare ich möchte alles abholen. Dann plane ich euch jetzt aus bei der Weihnachtsfeier. Ich möchte die Woche keinen mehr sehen. Ich melde mich dann die Woche wie wir weitermachen ich brauche Zuverlässigkeit gerade im Moment und nach Weihnachten. Danke". Wegen der weiteren Einzelheiten des WhatsApp-Chatverlaufs wird auf Blatt 54 der Akte verwiesen.

6

Die Klägerin reichte bei der Beklagten anschließend zunächst eine von der Ärztin Frau L. aus der Praxisgemeinschaft am 12.12.2022 aufgrund eines Telefongesprächs ausgestellte Erstbescheinigung über ihre Arbeitsunfähigkeit vom 12.12.2022 bis zum 14.12.2022 (Blatt 40 der Akte), anschließend eine von Herrn Dr. R. ebenfalls aus Praxisgemeinschaft aufgrund eines Telefonates erstellte Folgebescheinigung vom 19.12.2022 bis 21.12.2022 und schließlich eine wiederum von den Dr. R. erstellte Folgebescheinigung vom 22.12.2022 bis 13.01.2023 (Blatt 42 der Akte) ein.

7

Unter dem 14.12.2022 erteilte die Beklagte der Klägerin eine schriftliche Gehaltsabrechnung für den Monat Dezember 2022 erteilt, wegen deren Inhalt auf Blatt 5 der Akte verwiesen wird. Die Auszahlung der darin ausgewiesenen Vergütung an die Klägerin erfolgte nicht.

8

Nachdem die Klägerin einen von der Beklagten vorgeschlagenen Aufhebungsvertrag abgelehnt hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 15.12.2022, der Klägerin zugegangen am 16.12.2022, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 15.01.2023. Unter dem 17.12.2022 bestätigte die Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten schriftlich den Erhalt der Kündigung und fragte diesen: "Wie sieht es denn mit der Zeit bis Januar aus? Wenn ich denn wirklich nicht mehr ins Büro kommen soll, bestätigen Sie mir das bitte noch schriftlich?" (vgl. Blatt 57 der Akte). Der Geschäftsführer erwiderte hierauf mit Mail vom selben Tag wie folgt: "Prüfen Sie das Datum und melden sich gerne wieder. Dann sprechen wir weiter. Können gerne bis zum 15.01.2023 alles sauber abrechnen. Die 18 Tage sind klar. Urlaub etc. brauche ich dann noch dann zahle ich den Rest aus" (vgl. Blatt 55 der Akte).

9

Mit der am 19.01.2023 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage hat die Klägerin die Beklagte unter anderem auf Zahlung von 2.026,00 € brutto nebst Zinsen für den Monat Dezember 2022 in Anspruch genommen.

10

Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe für den Monat Dezember 2022 die in der Abrechnung ausgewiesene Bruttovergütung in Höhe von 2.026,00 € zu. Sie sei ab dem 12.12.2022 tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen, habe an einer langwierigen Magen-Darm-Infektion gelitten, die sich im Wesentlichen in Übelkeit, Erbrechen und Durchfall geäußert habe. Gleiches habe für ihre ganze Familie einschließlich ihres Lebensgefährte gegolten. Man habe sich offensichtlich immer wieder gegenseitig angesteckt. Ohnehin sei sie vom Geschäftsführer der Beklagten freigestellt worden. Dieser habe nicht nur sämtliche dienstlichen Gegenstände abgeholt, sondern ihr auch gesagt, sie solle nicht mehr kommen.

11

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

12

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.026,00 € (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2023 bezahlen.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Sie hat die Auffassung vertreten, zu keiner Vergütungszahlung für den Monat Dezember verpflichtet zu sein. Die Klägerin sei nicht erkrankt gewesen. Der Beweiswert der von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Eine Freistellungserklärung des Geschäftsführers habe es nicht gegeben.

16

Mit Urteil vom 10.05.2023 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ein Betrag in Höhe von 2.026,00 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Wegen der rechtlichen Erwägungen wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (Seiten 3-6 desselben, Blatt 77-80 der Akte) Bezug genommen.

17

Das Urteil ist der Beklagten am 16.05.2023 zugestellt worden. Mit dem am 16.06.2023 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen Schriftsatz hat die Beklagte hiergegen Berufung eingelegt und diese, nachdem ihr zuvor Fristverlängerung gewährt worden war, unter dem 09.08.2023 begründet.

18

Sie ist weiterhin der Auffassung, nicht zur Zahlung von Vergütung an die Klägerin für den Monat Dezember 2022 verpflichtet zu sein. Der Beweiswert der von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dazu trägt die Beklagte unter anderem nachstehendes vor:

19

Der Umstand, dass die Klägerin sich bereits vor Ausspruch der arbeitgeberseitigen Kündigung krankgemeldet habe, ändere nichts an der zeitlichen Koinzidenz zwischen den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass sich auch der Lebensgefährte der Klägerin krankgemeldet habe und dessen Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende dessen Arbeitsverhältnisses lückenlos festgestellt worden sei. Das spreche für eine "abgesprochene Aktion". Es sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin nicht haben untersuchen lassen, sondern telefonisch die nunmehr vorgelegten Arbeitsbescheinigungen begehrt und erhalten habe. Es werde bestritten, dass eine ordnungsgemäße Untersuchung und Diagnose einschließlich einer eingehenden telefonischen Anamnese durch Befragung seitens des behandelnden Arztes oder Ärztin stattgefunden hätten. Ohnehin könne die behauptete Magen-Darm-Erkrankung eine derart lange Krankheitsdauer nicht rechtfertigen. Aus dem Parallelverfahren des Lebensgefährten der Klägerin werde ersichtlich, dass Herr Dr. R. es mit den Vorschriften der Arbeitsunfähigkeit-Richtlinie (AU-RL) nicht sonderlich genau nehme. Er habe in seiner Zeugenvernehmung eingeräumt, dass er den von ihm krankgeschriebenen Lebensgefährten der Klägerin im Dezember kein einziges Mal gesehen habe. Auch seien sei die von der Klägerin vorgelegten Arbeitsbescheinigungen entgegen den AU-RL nur für Arbeitstage und nicht auch für arbeitsfreie Tage ausgestellt worden. Unklar sei auch, warum die Klägerin sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwar bis einschließlich 13.01.2023 habe ausstellen lassen, Entgeltfortzahlung aber nur bis zum 31.12.2022 geltend mache. Das spreche dafür, dass die Klägerin bereits zum 01.01.2023 eine neue Beschäftigung aufgenommen habe.

20

Die Beklagte beantragt,

21

das Urteil des Arbeitsgerichtes vom 10.05.2023 - 11 Ca 24/23 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

22

Die Klägerin beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und führt dazu unter anderem nachstehendes aus:

25

Unstreitig stehe der Klägerin vom 01.12. bis 10.12.2022 ein Vergütungsanspruch aus tatsächlich geleisteter Arbeit zu. Für den Zeitraum danach habe sie Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Ab Sonntag, den 11.12.2002 20 sei sie arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Der Beweiswert der von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht erschüttert. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liege schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin nicht selbst gekündigt habe, sondern bereits krankgeschrieben gewesen sei, als sie die Kündigung der Beklagten erhalten habe. In der WhatsApp Nachricht vom 11.12.2022 habe die Klägerin der Beklagten nicht nur von Kopf - und Gliederschmerzen, sondern auch von Krämpfen berichtet. Diese seien offensichtlich durch den Magen-Darm-Infekt hervorgerufen worden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe am diesem Sonntag die Firmenschlüssel, den Firmenwagen, das Firmenhandy und den Firmenlaptop bei ihr abgeholt. Dabei habe der Geschäftsführer nochmals erklärt, dass beide gar nicht wiederkommen brauchten, auch nicht zur betrieblichen Weihnachtsfeier. Er, der Geschäftsführer der Beklagten, wolle sich bis kommenden Mittwoch melden und mitteilen, wie das Arbeitsverhältnis beendet werde. Der Geschäftsführer habe die von der Klägerin mitgeteilte Erkrankung erkennbar nicht angezweifelt, sondern stattdessen den streitigen Vergütungsanspruch für den ganzen Monat Dezember 2022 ordnungsgemäß dem Grunde und der Höhe nach abgerechnet sowie der Klägerin die entsprechende Abrechnung übersandt. Erst nachdem die Klägerin die Auszahlung gerichtlich geltend gemacht habe, habe der Geschäftsführer der Beklagten angezweifelt, dass die Klägerin tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die Klägerin sei seit einigen Jahren Patientin der Gemeinschaftspraxis. Dort würde sie von beiden Ärzten behandelt, je nachdem, bei wem gerade ein Termin frei sei. Entsprechend würden auch AU-Bescheinigungen ausgestellt. Am Montag, dem 12.12.2022 habe die Klägerin der Praxis angerufen und von ihrem Magen- und Darminfekt berichtet und den damit einhergehenden Symptomen. Frau L. habe erklärt, die Klägerin solle aufgrund der Ansteckungsgefahr für die anderen Patienten sowie im Hinblick auf die noch existierende Corona Pandemie nicht persönlich erscheinen und sich nach Möglichkeit schonen. Wenn es in den kommenden Tagen nicht besser werde, solle sich noch mal melden. Das sei so geschehen. Deshalb sei sie zunächst von Frau L. bis zum 14.12.2022 und dann von Herrn Dr. R. im Wege der Folgebescheinigung bis zum 19.12.2022 krankgeschrieben worden. Am 22.12.2022 sei die Klägerin persönlich in der Praxis bei Herrn Dr. R. erschienen. Dieser habe sie weiter krankgeschrieben, weil es ihr immer noch nicht besser gegangen sei. Entgegen der laienhaften Einschätzung des Beklagten sei es nicht ungewöhnlich, dass die Klägerin längere Zeit mit den Symptomen zu kämpfen gehabt habe. Die Klägerin lebe nicht alleine, sondern mit zwei Kindern und ihrem Lebensgefährten in einem Haushalt, weshalb das gegenseitige und wiederholte Ansteckungsrisiko vergleichsweise hoch sei. Die Aussagen im Rahmen der Zeugenvernehmung des Herrn Dr. R. in dem Verfahren des Lebensgefährten spielten für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin keine Rolle. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin sich nach Erhalt der Kündigung mit E-Mail vom 17.12.2022 an den Geschäftsführer der Beklagten gewandt habe. Die Antwort des Geschäftsführers bestätige, dass dieser ihr zuvor gegenüber erklärt habe, die Klägerin müsse nicht mehr zur Arbeit kommen. Der Geschäftsführer der Beklagten habe die Klägerin ganz offensichtlich freigestellt, auch, indem er jedenfalls den Inhalt der E-Mail der Klägerin nicht widersprochen und darüber hinaus erklärt habe, er werde alles sauber abrechnen und bezahlen. Dass die Klägerin nicht wieder zur Arbeit habe kommen sollen, habe Geschäftsführer auch dadurch dokumentiert, dass er bereits am 12.12.2022 den Schreibtisch der Klägerin mit ihren persönlichen Sachen ausgeräumt und teilweise entsorgt habe.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie auf die in der mündlichen Verhandlung am 18.04.2024 abgegebenen Erklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.

A.

28

Die Berufung ist insgesamt zulässig. Sie ist statthaft, sowie form- und fristgereicht eingelegt und begründet worden, §§ 64,66 ArbGG, 519,520 ZPO.

B.

29

Die Berufung ist aber nur zum Teil begründet.

30

Die Klägerin hat gegen die Beklagten Anspruch auf Zahlung von Vergütung vom 01. bis 18.12.2022 (6 von insgesamt 12 Arbeitstagen im Dezember 2022 - jeweils Montag, Dienstag, Mittwoch) in Höhe von 1.013,00 € brutto (I.). Die hiergegen gerichtete Berufung unterliegt der Zurückweisung. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 19. bis 31.12.2022 (6 von insgesamt 12 Arbeitstagen im Dezember 2022) in Höhe von weiteren 1013,00 € brutto (II.). Insoweit war die Klage abzuweisen und es hatte auf die Berufung der Beklagten eine teilweise Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu erfolgen.

31

I.

Die Beklagte ist dazu verpflichtet, an die Klägerin für den Zeitraum vom 01. bis 18.12.2022 die hälftige Monatsbruttovergütung in Höhe von 1.013,00 € gemäß § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und z.T. mit § 615 BGB zu zahlen.

32

1.

Unstreitig hat die Klägerin vom 01. bis 10.12.2022 an den nach der vertraglichen Vereinbarung maßgeblichen drei Arbeitstagen (Montag der 05.12.2022, Dienstag der 06.12.2022 und Mittwoch 07.12.2022) ihre geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbracht. Ihr Vergütungsanspruch folgt mithin aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag. Die Höhe der geschuldeten Vergütung ist nicht im Streit. Sie beträgt im Monat 2.026,00 € Brutto. Bei 12 Arbeitstage im Monat Dezember 2022 errechnet sich für diese drei Arbeitstage ein Anspruch in Höhe von 506,50 € (2.026 Monatsbrutto: 12 Arbeitstage im Dezember x 3 tatsächlich erbrachte Arbeitstage).

33

2.

Für den Zeitraum vom 12. bis 18.12.2022 schuldet die Beklagten der Klägerin bei Zugrundelegung des unstreitigen Vortrages einschließlich des Vortrages der Beklagten, den sich die Klägerin hilfsweise zu eigen gemacht hat, weitere 506,50 € brutto unter dem Aspekt des Annahmeverzuges gemäß § 615 BGB in Verbindung mit § 611a BGB und dem Arbeitsvertrag der Parteien.

34

a)

Es kann zwar zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass der Klägerin insoweit kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EFZG zusteht, weil der Beweiswert, der von der Klägerin für diesen Zeitraum vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert ist und die Klägerin weder ausreichend zu ihren Krankheitssymptomen vorgetragen noch den Beweis für das Bestehen eine Arbeitsunfähigkeit erbracht hat.

35

b)

Die Klägerin hat jedoch nicht nur vorgetragen, sondern auch die entsprechende WhatsApp-Kommunikation vorgelegt, wonach der Geschäftsführer der Beklagten ihr am 12.12.2022 um 12: 19 Uhr u.a. geschrieben hat, dass er "euch"- die Klägerin und deren Lebensgefährten - bei der Weihnachtsfeier "ausplane" und "die Woche keinen mehr sehen möchte". Die Beklagte hat zwar pauschal bestritten, der Geschäftsführer habe erklärt, dass Pärchen brauche nicht mehr zu kommen. Sie hat aber weder die Existenz noch den Inhalt der von der Klägerin vorgelegten WhatsApp-Korrespondenz am 12.12.2022 bestritten. Dabei handelt es sich jeweils um Gegenstände der eigenen Wahrnehmung, weshalb der Beklagten ein substantiiertes Bestreiten nicht nur möglich, sondern auch zumutbar gewesen wäre. Dem hat die Beklagte nicht entsprochen, woraufhin der diesbezügliche Vortrag der Klägerin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig gilt.

36

c)

Danach befand sich die Beklagten für den Zeitraum der von ihrem Geschäftsführer in der WhatsApp-Nachricht vom 12.12.2022 12: 19 Uhr konkretisierten Woche (12.12. bis 18.12.2022) im Verzug mit der Annahme der klägerischen Arbeitsleistung gemäß §§ 293 ff. BGB und war daher gemäß § 615 BGB trotz Nichterbringung der Arbeitsleistung zur Fortzahlung der hierfür vereinbarten Vergütung verpflichtet.

37

aa)

Der Arbeitgeber kommt gemäß § 293 BGB in Verzug, wenn er im erfüllbaren Arbeitsverhältnis die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung grundsätzlich tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers, § 295 BGB, genügt, wenn der Arbeitgeber ihm zuvor erklärt hat, er werde die Arbeit nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen. Für den Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung geht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, das Angebot der Arbeitsleistung sei regelmäßig nach § 296 BGB entbehrlich. Zudem kann ein Angebot der Arbeitsleistung seitens des Arbeitnehmers ausnahmsweise dann nicht erforderlich sein, wenn offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung, die geschuldete Leistung anzunehmen, beharrt (BAG, 10.08.2022 - 5 AZR 154/22 - Rn. 15).

38

bb)

Danach ist die Beklagte dadurch, dass ihr Geschäftsführer der Klägerin gegenüber in der WhatsApp-Nachricht vom 12.12.2022 erklärt hat, u.a. sie die Woche nicht mehr sehen zu wollen, im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis in Annahmeverzug gerade, ohne, dass es eines Leistungsangebots der Klägerin bedurfte Der Geschäftsführer der Beklagte hat damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Kläger während der kommende Woche nicht zur Arbeit kommen sollte. Auch wenn der Geschäftsführer nicht im selben Büro wie die Klägerin arbeitete, konnte das "Nicht-mehr-sehen-wollen" bei objektiver Betrachtung auch aus Sicht der Klägerin nur umfassend im Sinne "keiner von euch soll auf der Arbeitsstelle erscheinen" verstanden werden. Nachfragen der Klägerin waren erkennbar nicht erwünscht. Allein die Beklagte wollte insoweit aktiv werden und sich in der nächsten Woche melden, wie es weitergehe. Die Entscheidung der Beklagten zur Nichtbeschäftigung der Klägerin war abschließend getroffen, ohne dass der Klägerin hierauf noch eine Einflussmöglichkeit verbleiben sollte. nur der Geschäftsführer wollte insoweit entscheiden. Davon musste die Klägerin nach den weiteren Bemerkungen des Geschäftsführers "Ich möchte keine Kommentare" und "Ich melde mich nächste Woche ...." zweifelsohne ausgehen. Es war für die Klägerin danach offenkundig, dass der Geschäftsführer selbst bei einem Arbeitsangebot an seiner Weigerung, u.a. sie in der folgenden Woche in seinem Betrieb zu beschäftigen, festhalten würde. Ein auch nur wörtliches Angebot ihrerseits war danach entbehrlich. Dass sie der Beklagten anschließend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat, ändert nichts an der durch Auslegung zu ermittelnden Bedeutung der WhatsApp- Nachricht, für die auf den Zeitpunkt deren Zugang bei der Klägerin am 12.12.2022 abzustellen ist.

39

cc)

Dem Annahmeverzug der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin behauptet, seinerzeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein.

40

(1)

Zwar gerät der Arbeitgeber unbeschadet der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken. Dazu gehört auch die krankheitsbedingte Unfähigkeit die geschuldete Leistung zu erbrinden. Die Leistungsfähigkeit ist neben dem Leistungswillen eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraumes vorliegen muss. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer - wie vorliegend - von der Arbeitspflicht freigestellt worden ist. Deren Aufhebung bedeutet zwar einen Verzicht des Arbeitgebers auf das Angebot der Arbeitsleistung. Jedoch muss der Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten leistungsfähig sein, ein Absehen von den Erfordernissen des § 297 BGB bedarf der ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien (BAG, 21.07.2021 - 5 AZR 543/20 - Rn. 9).

41

(2)

Zwar behauptet die Klägerin in der Hauptsache, in der Woche vom 12. bis 18.12.2022 arbeitsunfähig erkrankt und damit außerstande gewesen zu sein, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass sie sich den Vortrag der Beklagten, sie sei tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, hilfsweise zu eigen gemacht hat. Die Klägerin hat sich zu Begründung ihres Entgeltantrages sowohl erst als auch zweitinstanzlich durchgängig nicht nur darauf berufen, arbeitsunfähig erkrankt gewesen, sondern auch von der Beklagten freigestellt worden zu sein. In Hinblick auf die begehrte Zahlung von Vergütung sind diese beiden Parteivorträge gleichwertig, d.h. wenn die Klägerin tatsächlich krank war, steht ihr der Anspruch als Entgeltfortzahlung zu, wenn die Klägerin tatsächlich arbeitsfähig war, steht ihr der Anspruch unter Annahmeverzugsgesichtspunkten zu. Nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit des Parteivorbringens kann sich die Klägerin danach die von ihrem vorrangigen Sachvortrag abweichenden Behauptungen des Beklagten - sie sei tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen - hilfsweise zu eigen machen und ihre Klage darauf stützen. Das hat die Klägerin auch getan indem sie sich neben der Behauptung eine Arbeitsunfähigkeit durchgängig auch auf eine Freistellung von Seiten der Beklagten berufen hat (vgl. hierzu BGH, 18.01.2018 - I ZR 150/15 - Rn. 39).

42

(3)

An dem Leistungswillen der Klägerin bestehen auch nach dem Vortrag der Beklagten keine begründeten Zweifel. Allein der Umstand, dass ihr Lebensgefährte das Arbeitsergebnis mit der Beklagten gekündigt und sich anschließend während der Dauer der Kündigungsfrist hat krankschreiben lassen, begründet kein ausreichendes Indiz dafür, dass auch die Klägerin deshalb das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beenden und bis dahin ihre geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen wollte. Die - mit ihrem Lebensgefährten parallelen - Krankmeldungen im bestehenden Arbeitsverhältnis sind insoweit unzureichend. Das mag unter Umständen ein dahingehend Verdacht begründen, kann aber nicht zur Begründung der vollen Überzeugung im Sinne von § 286 ZPO ausreichen. Nicht die Klägerin, sondern allein die Beklagte ist initiativ in Hinblick auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses geworden. Die Klägerin hat ein Auflösungsangebot der Beklagten nicht angenommen. Erst die darauffolgende Kündigung seitens der Beklagten hat zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt.

43

c)

Der Annahmeverzug hat auf Grundlage der WhatsApp-Nachricht vom 12.12.2022 für die Klägerin erkennbar nur für die Woche vom 12. bis zum 18.12.2022 angedauert. In dieser Nachricht hat der Geschäftsführer der Beklagten einerseits die Freistellung auf die laufende Woche begrenzt und andererseits darauf hingewiesen, sich in der nächsten Woche zu melden, wie man gemeinsam weitermache. Das hat auch offensichtlich die Klägerin so verstanden. Ausweislich ihrer E-Mail vom 17.12.2022, 10.13 Uhr (vgl. Blatt 57 der Akte) hat sie die Beklagte noch während der laufenden Freistellung und nach Erhalt Kündigung vom 15.12.2022 gefragt, wie es denn mit der Zeit bis Januar aussehe. Darin hat sie Beklagte zugleich gebeten, diese solle ihr schriftlich bestätigen, wenn sie, die Klägerin wirklich nicht mehr ins Büro kommen solle. Die Klägerin war sich danach zumindest nicht sicher, ob sich die vorherige Freistellung weiter andauern sollte. Hierauf hat die Beklagte E-Mail ebenfalls vom 17.12.2022 16: 12 Uhr geantwortet (vgl. Blatt 55 der Akte), ohne die von der Klägerin begehrte schriftliche Bestätigung zu erteilen. Für die Klägerin musste danach klar sein, dass mit beginnenden neuen Woche die Freistellung beendet war und insoweit weiterer Gesprächsbedarf zwischen den Parteien bestand.

44

d)

In den Freistellungszeitraum vom 12. bis 18.12.2022 fielen drei Arbeitstage (Montag der 12., Dienstag der 13. und Mittwoch der 14.12.2022). Ausgehend von einer Monatsbruttovergütung in Höhe von 2.026,00 € entfallen auf diese drei Tage als gemäß § 615 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag zu zahlende Vergütung 506,50 € brutto (2.026 € Monatsbrutto: 12 Arbeitstage im Dezember x 3 zu vergütende Arbeitstage).

45

3.

Insgesamt stehen der Klägerin mithin für den Zeitraum vom 1. bis 18.12.2022 Vergütungsansprüche in Höhe von 1.013,00 € brutto zu. Der hierauf bezogene Zinsanspruch hat seine Grundlage §§ 286 284 BGB.

46

II.

Für den Rest des Monats Dezember 2022, d. h. vom 19. bis 31.12.2022 stehen der Klägerin keine Vergütungsansprüche gegen die Beklagte zu. Ihre Klage ist insoweit unbegründet.

47

1.

Die Klägerin behauptet selbst nicht, in diesem Zeitraum ihre Arbeit vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbracht zu haben. Ein Anspruch gemäß § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag ist mithin nicht gegeben.

48

2.

Ein solcher besteht für diesen Zeitraum auch nicht unter dem Aspekt des Annahmeverzuges gemäß § 615 BGB. Die Beklagte hatte die Klägerin in der WhatsApp Nachricht vom 12.12.2022 - für diese erkennbar (siehe dazu die obigen Ausführungen unter B. I. 2. d)) - lediglich vom 12. bis 18.12.2022 von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt und so ihren Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff. BGB begründet. Ab dem 19.12.2022 war die Klägerin zur Arbeitsleistung verpflichtet. Soweit sie pauschal behauptet, die Beklagte habe sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt oder zumindest über den 18.12.2022 hinaus, hat sie diese Behauptung angesichts des ebenso pauschalen bestreiten Seiten der Beklagten weder substantiiert noch dafür Beweis angetreten. Das geht zu Ihren Lasten als insoweit darlegungs- und beweispflichtiger Partei.

49

3.

Der Klägerin steht für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu.

50

a)

Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

51

b)

Nach den allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG, 11.1 12.2019 - 5 AZR 505/18 - Rn. 16)

52

aa)

Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird dabei in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsbescheinigung vorlegt. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein "bloßes Bestreiten" der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber dann nicht. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zu kommt.

53

bb)

Dabei kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG nach den Umständen des Einzelfalls auch wegen Verstößen des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der Arbeitsunfähigkeit-Richtlinie (AURL) erschüttert sein. Das gilt, obwohl in § 5 EFZG die AURL nicht ausdrücklich erwähnt wird. Insoweit sind jedoch nicht alle Bestimmungen der AURL relevant. Formale Vorgaben, die in erster Linie kassenrechtliche Bedeutung haben und das Verhältnis zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse betreffen, wie Formulare und Angaben über die Abrechnung, sind hierfür grundsätzlich ohne Belang. Anders zu beurteilen sind hingegen die Regelungen in § 4 und § 5 der AURL, die sich auf medizinische Erkenntnisse zur sicheren Feststellung der Arbeitsunfähigkeit beziehen. Hierzu gehören beispielsweise die Bestimmungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund persönlicher ärztliche Untersuchung und zur Dauer der zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit. Es handelt sich dabei zwar nicht um von Gesetzes wegen zwingende Vorgaben, die die Arbeitsvertragsparteien und Arbeitsgerichte binden. Diese Bestimmungen in den AURL enthalten aber eine Zusammenfassung allgemeiner medizinischer Erfahrungs- und Grundregeln zur validen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Sie bilden den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse ab. So verstanden können Verstöße hiergegen nach der Lebenserfahrung und Expertise des Normgebers der AURL geeignet sein, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Rahmen der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Beweiswürdigung zu erschüttern. Dieses Verständnisses des Beweiswertes einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entspricht auch weitgehend dem des Bundesozialgerichtes zum Krankengeldbezug. Sowohl bei der Erstfeststellung der Arbeitsunfähigkeit als auch bei nachfolgenden Feststellungen besteht danach ein Krankengeldanspruch aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nur nach einer persönlichen Untersuchung des Versicherten durch den Arzt; eine telefonische Befragung genügt nicht (vgl. zum Ganzen BAG, 28.06.2023 - 5 AZR 335/22, Rn. 11-18 m.w.N.).

54

cc)

Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben (BAG, 13.1 12.2023 - 5 AZR 137/23 - Rn. 14).

55

c)

Bei der gebotenen Anwendung dieser Vorgaben, hat die Klägerin ihrer Darlegungslast im Hinblick eine bei ihr im Zeitraum vom 19. bis 31.12.2022 bestehende Arbeitsunfähigkeit nicht genügt.

56

aa)

Die bloße dahinhegende Behauptung ist angesichts des Bestreitens auf Beklagtenseite unzureichend.

57

bb)

Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf die von ihr vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen berufen. Vielmehr steht zur Überzeugung der Kammer gemäß § 286 ZPO fest, dass deren Beweiswert erschüttert ist.

58

(1)

Das folgt im Hinblick auf die (Folge-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt von Herrn Dr. R. am 19.12.2022 für den Zeitraum vom 19. bis 23.12.2022 (vgl. Blatt 41 der Akte) schon daraus, dass diese auch nach der Einlassung der Klägerin von ihrem Arzt, Herrn Dr. R., entgegen § 4 Abs. 5 AURL nicht nach unmittelbar persönlicher Untersuchung der Klägerin in seiner Praxis oder zu Hause und auch nicht mittelbar persönlich im Wege einer Videosprechstunde, sondern allein auf einen telefonischen Kontakt hin ausgestellt worden ist. Die Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19 - Epidemie nach § 8 AURL galten im Dezember 2022 nicht mehr. Zudem hat die Klägerin nicht ansatzweise konkret vorgetragen, genau welches Beschwerdebild sie Herrn Dr. R. am 19.12.2022 telefonisch geschildert hat. Der bloße Verweis darauf, "es sei nicht besser geworden", ist insoweit unzureichend. Das gilt insbesondere deshalb, weil die der Folgebescheinigung vorangegangene Erstbescheinigung vom 12.12.2022 (vgl. Blatt 40 der Akte) nicht nur von einer anderen Ärztin, sondern auch von dieser wiederum entgegen § 4 Abs.5 AURL ohne persönliche Vorstellung und konkrete visuelle, körperliche oder sonstige Untersuchungen allein aufgrund von telefonischen Angaben der Klägerin ausgestellt worden war.

59

(2)

Im Hinblick auf die Folgebescheinigung vom 22.12.2022, ausgestellt durch den Arzt Herrn Dr. R. am selben Tag, hat die Klägerin zwar behauptet, an diesem Tag persönlich bei Herrn Dr. R. in der Praxis vorstellig geworden zu sein. Danach scheidet zwar ein neuerlicher Verstoß gegen § 4 Abs.5 AURL aus. Herr Dr. R. hat der Klägerin jedoch entgegen § 5 Abs.5 AURL eine voraussichtliche zukünftige Krankheitsdauer für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen bescheinigt, nämlich vom 22.12.2022 bis 13.01.2023. Zwei Wochen waren ausgehend vom 22.12.2022 bereits am 05.01.2023 abgelaufen. Die Frist des § 5 Abs.5 AURL ist von Herr Dr. R. um mehr als die Hälfte, nämlich genau 8 Tage überschritten worden. Dass es aufgrund ihrer Erkrankung oder eines besonderen Krankheitsverlaufes sachgerecht gemäß § 5 Abs.4 Satz 2 AURL gewesen sein könnte, der Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 13.01.2023 zu bescheinigen, ist nicht ersichtlich. Genau welche Intensität, die bei ihr noch bestehenden Beschwerden am 22.12.2022 gehabt haben, hat die Klägerin nicht konkretisiert. Immerhin konnte sie den Arzt zum ersten Mal persönlich aufsuchen. Welche Untersuchungen Herr Dr. R. vorgenommen hat, hat die Klägerin ebenso wenig ausgeführt wie, welche Behandlungsmethode, Verhaltensempfehlungen, Medikamentengabe Herr Dr. R. ihr zum Auskurieren der immerhin schon mehreren Wochen andauernden Erkrankung gegeben hat.

60

cc)

Die Klägerin hat ihrer sie danach - wieder - treffenden Darlegungslast zum Bestehen eine zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung nicht genügt. Sie hat lediglich pauschal vorgetragen, während des gesamten Zeitraumes an einem Magen- und Darminfekt gelitten zu haben. Für den Zeitraum vom 19. bis 31.12.2022 hat sie keine konkreten Tatsachen darlegt, die den Schluss darauf zulassen, sie sei infolge dieser Erkrankung an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung verhindert gewesen. Genau welche gesundheitliche Einschränkung vom 19. bis zum 31.12.2022 noch bestanden haben, hat sie nicht erläutert. Dass die vorherigen Beschwerden nicht besser geworden seien, ist kein ausreichender Vortrag. Es wäre der Klägerin zumutbar und möglich gewesen, zumindest laienhaft vorzutragen, wie sich der behauptete Magen- und Darminfekt mit seinen in der Regel recht eindeutig wahrnehmbaren Folgen konkret bei ihr ausgewirkt hat. Welche Beschwerden genau sie in welcher Frequenz und Intensität noch hatte, trägt sie nicht ansatzweise vor. Dass überhaupt und wenn ja, welche Verhaltensmaßregeln und/oder Medikamente ärztlich verordnet worden sind, legt sie auch nicht dar.

61

d)

Die Kammer war nicht gehalten, den von der Klägerin insoweit angetretenen Beweis in Gestalt der Zeugenvernehmung des Arztes Dr. R. zu erheben. Wird Beweis angetreten, bei dem es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsachen fehlt, und sollen durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für substantiierte Tatsachenbehauptungen gewonnen werden, ist der Beweisantritt unzulässig und unbeachtlich. Gegenüber einem unschlüssigen und/oder nicht hinreichend konkretisierten Sachvortrag kann nicht gerügt werden, der angebotene Beweis sei nicht erhoben werden. Ein Beweisantritt kann keinen Vortrag von Tatsachen ersetzen oder ergänzen. Nach § 373 ZPO muss die beweispflichtige Partei vielmehr diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte Gegebenheiten oder der Gegenwart angehörige Geschehnisse und Zustände. Entsprechen die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen nicht diesen Anforderungen, hat die Beweiserhebung aufgrund dieses unzulässigen Ausforschungsbeweisantrittes zu unterbleiben (BAG, 21.01.2014 - 3 AZR 362/11 - Rn. 46). So liegt es hier. Die Klägerin hat nicht konkret zu Art, Umfang und Intensität ihren gesundheitlichen Einschränkungen und daran anknüpfenden ärztlichen Untersuchungen und Maßnahmen für den Zeitraum vom 19. bis 31.12.2022 vorgetragen. Das geht zu ihren Lasten als insoweit darlegungs- und beweispflichtiger Partei.

C.

62

Die Kosten des Rechtsstreites in erster und zweiter Instanz haben die Parteien gemäß § 92 Abs.1 ZPO je zur Hälfte zu tragen.

D.

63

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 72 Abs.2 ArbGG.

64

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.