Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.07.2024, Az.: 15 SLa 127/24
Außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 08.07.2024
- Aktenzeichen
- 15 SLa 127/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 20743
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:0708.15SLa127.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück - 31.01.2024 - AZ: 4 Ca 244/23 Ã
Rechtsgrundlage
- § 626 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- ZAP EN-Nr. 485/2024
- ZAP 2024, 852
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Arbeitnehmerin kommt der sie treffenden sekundären Darlegungslast für das Bestehen einer Krankheit nicht durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach, wenn deren Beweisiwert erschüttert ist.
- 2.
Ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, bedarf es weiteren Vortrags zu den tatsächlichen Umständen, die für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sprechen.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 31.01.2024 - 4 Ca 244/23 Ö - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten.
Die am 00.00.1963 geborene, ledige Klägerin war seit dem 01.12.2007 bei der beklagten Samtgemeinde als Sekretärin in der Verlässlichen Grundschule G. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 13,61 Stunden und einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 1.024,00 € beschäftigt.
Der zwischen den Parteien zunächst befristet geschlossene Arbeitsvertrag vom 15.11.2007 lautet aufzugsweise:
"§ 4
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und dem Besonderen Teil Verwaltung und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (§ 1 Abs. 2 TVÜ-VKA)."
Wegen des weiteren Wortlautes des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 57-59 der erstinstanzlichen Akte, wegen des unbefristeten Änderungsvertrages vom 27.07.2009 auf Bl. 55-56 der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen.
In einem Personalgespräch am 07.09.2022 teilten die Schulleiterin K. und der Fachdienstleiter der Beklagten D. der Klägerin mit, dass zu Beginn der niedersächsischen Sommerferien am 06.07.2023 und an den folgenden Tagen Urlaub nicht gewährt werden könne. In der Folgezeit bestand die Klägerin darauf, am 06.07.2023 Urlaub zu bekommen. Die Beklagte lehnte dies ab.
Am 05.07.2023 teilte die Klägerin der Schulleiterin K. telefonisch mit, es gehe ihr nicht gut und sie weise eine Magen-Darm-Grippe auf. Für die Zeit vom 05.07.2023 bis zum 07.07.2023 legt die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihr Ärztin B. vor, nach der die Arbeitsunfähigkeit am 05.07.2023 festgestellt wurde.
Am 06.07.2023 nahm die Klägerin an einem Trainer-Lizenz-Lehrgang (C-Lizenz) bei der Landesturnschule in M. statt. Mit Schreiben vom 07.07.2023 hörte die Beklagte die Klägerin wegen des Verdachts der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit an. Mit Schreiben vom 10.07.2023 teilte die Klägerin mit, sie habe von Dienstag auf Mittwoch (05.07.2023) starke Bauchschmerzen und Übelkeit gehabt, das Schlucken habe wehgetan und sie habe Kopfschmerzen gehabt. Am Mittwoch habe sie ihren Arzt aufgesucht, der sie für drei Tage krankgeschrieben habe. Nach Einnahme der verschriebenen Medikamente sei umgehend Besserung eingetreten. Sie gehe davon aus, dass die Symptome teilweise psychosomatisch waren. Am 06.07.2023 habe sie sich OK gefühlt und beschlossen zur Schulung nach M. zu fahren. Wegen des Wortlautes des Schreibens wird auf Bl. 63 der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 13.07.2023 informierte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses und bat um Herstellung des Begehrens. Mit Schreiben vom 17.07.2023 (Bl. 60 der erstinstanzlichen Akte) teilte der Personalrat mit, das Benehmen zur außerordentlichen Kündigung werde nicht erteilt. Mit Schreiben vom 18.07.2023 (Bl. 61 und 62 der erstinstanzlichen Akte) teilte die Beklagte dem Personalrat mit, dass die Kündigung erklärt werden wird.
Mit Schreiben vom 18.07.2023 (Bl. 4 und 5 der erstinstanzlichen Akte) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis sowohl als Tat- sowie vorsorglich als Verdachtskündigung außerordentlich fristlos.
Mit Schriftsatz vom 25.07.2023, bei dem Arbeitsgericht D-Stadt eingegangen am 25.07.2023 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Am 06.07.2023 habe sie sich trotz der bestehenden Erkrankung so fit gefühlt, dass sie an der Fortbildung in Melle zum Erwerb der Trainer-Lizenz habe teilnehmen können. Sie befinde sich in der Psychotherapie. Insbesondere bei einer solchen Erkrankung sei es nicht unbedingt erforderlich und auch für den Patienten nicht gut, wenn dieser sich zu Hause vergrabe. Die außerordentliche Kündigung sei jedenfalls nicht verhältnismäßig.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.07.2023 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Klägerin sei in der Zeit vom 05.07. bis zum 07.07.2023 nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen.
Sie hat die Ansicht geäußert, jedenfalls bestünden ausreichende Anhaltspunkte für einen Verdacht, dass die Klägerin ihre Arbeitsfähigkeit vorgetäuscht habe.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 132-135 der erstinstanzlichen Akte) wegen der rechtlichen Würdigung durch das Arbeitsgericht auf die Entscheidungsgründe (Bl. 135-138 der erstinstanzlichen Akte) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 31.01.2024 hat das Arbeitsgericht Osnabrück die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es habe ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht bestanden, dass die Klägerin die ab dem 05.07.2023 attestierte Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Die Klägerin habe weder im Rahmen ihrer Anhörung noch im Verfahren Umstände aufgezeigt, die für ein anderes Geschehen sprächen. Sie habe lediglich pauschal auf die ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verwiesen, aber nicht substantiiert dargelegt, genau welche Krankheiten vorgelegen hätten, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden hätten, welche Verhaltensmaßregelungen der Arzt gegeben habe und welche Medikamente bewirkt hätten, dass sie zwar nicht die geschuldete Arbeit verrichten aber ihren Trainer-Lehrgang teilnehmen konnte. Die Klägerin sei zu dem Verdacht ausreichend angehört worden. Eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich gewesen. Die Tatsache, dass die Klägerin aufgrund tarifvertraglicher Regelungen ordentlich nicht mehr kündbar gewesen sei, führe zu keiner anderen Beurteilung.
Gegen das ihr am 08.02.2024 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.02.2024, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 29.02.2024 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.03.2024, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 15.03.2024 begründet.
Die Klägerin trägt vor, die ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedeute in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht, dass sie vom 05.07. bis zum 07.07.2023 arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist. Die Arbeitsunfähigkeit habe die Teilnahme an dem Lehrgang nicht ausgeschlossen. Eine Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung schließe die Teilnahme an einem Lehrgang im Rahmen der Freizeitgestaltung nicht aus. Am 06.07.2023 sei die Schulleiterin K. in der Landesgrundschule erschienen und habe von der Klägerin im Klassenzimmer ein Foto gemacht. Dieses Verhalten könnte maßgeblich für die Erkrankung der Klägerin gewesen sein. Selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit im Zweifel zu ziehen sei, reiche sie nicht für die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 31.01.2024 abzuändern und festzustellen, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.07.2023 unwirksam ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil als richtig und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 29.02.2024, 15.03.2024, 21.03.2024, 25.04.2024 und 03.07.2024 sowie die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist aber unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Klage zwar zulässig aber unbegründet ist.
1.
Bei dem Klagantrag handelt es sich um einen Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 S. 1 KSchG. Soweit die Klägerin erstinstanzlich die Feststellung begehrt hat, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbesteht, handelt es sich mangels näherer Begründung der Klägerin hierzu um ein überflüssiges und selbstständiges Anhängsel ohne eigene prozessrechtliche Bedeutung im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO (Vgl. BAG, 24.08.2023, 2 AZR 17/23, juris Rn. 13) das die Klägerin dementsprechend in der zweiten Instanz nicht mehr gestellt hat.
2.
Die Klage ist unbegründet, da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 18.07.2023 mit Ablauf des 18.07.2023 beendet worden ist, denn die Kündigung ist wirksam.
a)
Allerdings gilt die Kündigung nicht bereits gemäß §§ 4, 7 KSchG als wirksam. Die Klägerin hat durch Erhebung der Kündigungsschutzklage am 25.07.2023 die Unwirksamkeit der Kündigung innerhalb der Frist des § 4 KSchG geltend gemacht.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Kündigung im Antrag als Kündigung vom 08.07.2023 bezeichnet hat. Hierbei handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit. Dass die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 18.07.2023 erhoben werden sollte, ergibt sich sowohl aus der Begründung der Kündigungsschutzklage, denn darin wird ausgeführt, dass die Kündigung am 18.07. ausgesprochen worden ist als auch aus der Beifügung des Kündigungsschreibens vom 18.07.2023 als Anlage zur Klageschrift.
b)
Die Kündigung ist als außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB wirksam.
(1)
Für die Kündigung besteht ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB, denn es liegen Tatsachen vor, aufgrund der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden konnte.
Solche Tatsachen sind in der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in der Zeit vom 05. bis zum 07.07.2023 zu sehen.
Die Klägerin ist in der Zeit vom 05.07. bis 07.07.2023 nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Der dahingehende Vortrag der primär darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten gilt als zugestanden, weil die Klägerin der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht im ausreichenden Maße nachgekommen ist.
Dies ergibt sich aus den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast, die eingreifen, wenn der Arbeitgeber Vortrag zu einer negativen Tatsache halten muss.
Zwar verschiebt sich die Beweislast nicht deshalb, weil es um den Beweis einer negativen Tatsache geht. Eine solche Beweisführung unterliegt für die beweisbelastete Partei im allgemeinen besonderen Anforderung. Doch ist in den Schwierigkeiten, den sich die Partei gegenüber sieht, die das Negativum (das Nichtvorliegen einer Tatsache) beweisen muss, im Rahmen des zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner auf die bloße Behauptung des negativen durch den primär darlegungs- und beweispflichtigen seinerseits nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen darf, sondern im Rahmen einer sekundären Darlegungslast vortragen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des positiven sprechen. Dem Beweispflichtigen obliegt sodann (nur) der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft. Dieser Nachweis kann von der beweisbelastenden Partei auch mit Hilfe von Indizien erbracht werden. Bei sekundären Darlegungslast der Partei, die eine negative Tatsache bestreitet, handelt es sich um eine eigenständige prozessuale Rechtsfigur. Dem Prozessgegner ist es schlechterdings nur erlaubt, dass Vorliegen einer negativen Tatsache zu bestreiten, wenn er aus eigener Kenntnis oder aufgrund von Nachforschungen des von ihm behauptete Geschehen in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht substantiiert darlegen kann. Ist er dazu nicht in der Lage, trifft ihn die gleiche prozessuale Folge, die sonst einen Anspruchssteller trifft, der nicht alle Tatbestandsmerkmale einer einschlägigen Anspruchsgrundlage dartun kann: zu seinem Nachteil ist dann davon auszugehen, dass die im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu schildernde (positive) Tatsache nicht vorliegt; vgl. BAG, 16.12.2021, 2 AZR 356/21, juris Rn. 31-33.
Diese Grundsätze sind auch für die Behauptung des Nichtvorliegens von Arbeitsunfähigkeit heranzuziehen.
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist zwar von dem Grundsatz auszugehen, dass dem Arbeitgeber der Vollbeweis für das Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden Grundes obliegt. Vom Arbeitgeber kann aber nicht verlangt werden nachzuweisen, dass irgendeine Erkrankung im Zeitpunkt der erfolgten Ankündigung einer künftigen Krankmeldung überhaupt nicht vorgelegen haben kann. Es ist deshalb im Rahmen einer sekundären Behauptungslast Sache des Arbeitnehmers vorzutragen, welche konkreten Krankheiten bzw. Krankheitssymptome zum Zeitpunkt der Ankündigung der Krankschreibung vorgelegt haben und weshalb der Arbeitnehmer darauf schließen durfte, auch noch am Tag der begehrten Freistellung arbeitsunfähig zu sein. Erst wenn der Arbeitnehmer insoweit einer Substantiierungspflicht nachgekommen ist und gegebenenfalls seine ihn behandelnden Ärzte von der Schweigeplicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers entkräften; vgl. BAG, 12.03.2009, 2 AZR 251/07, juris Rn. 30.
Dieser sekundären Darlegungslast ist die Klägerin nicht nachgekommen.
(a)
Der sekundären Darlegungslast konnte die Klägerin nicht bereits durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 05.07.2023 nachkommen, da der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist.
(aa)
Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorlegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. EntgFG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Die Gesetzesbegründung zur elektronischen Meldung nach § 109 Abs. 1 S. 1 SGB IV hat die in § 5 Abs. 1a S. 2 EntgFG vorgesehene Papierbescheinigung "als gesetzlich vorgesehenes Beweismittel mit dem hier von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert" bezeichnet (BT Drs 19/13 59 Seite 37) und sich damit diese Bewertung zu Eigen gemacht. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein "bloßes Bestreiten" der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers geben, mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zu kommt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Der Arbeitgeber ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben; vgl. BAG 13.12.2023, 5 AZR 137/23, juris Rn. 12 und 13).
(bb)
Zweifel an dem Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 05.07.2023 ergeben sich zunächst daraus, dass diese für einen Zeitraum ausgestellt worden ist, für den die Klägerin unstreitig zuvor Urlaub begehrt hat.
Die Klägerin hat nicht bestritten, dass es bereits zu Beginn des Schuldjahres im September 2022 ein Gespräch mit der Schulleiterin und dem zuständigen Fachdezernenten über die Möglichkeit, am 06.07.2023 Urlaub gegeben hat, in dem ihr gesagt worden ist, dass aus dienstlichen Notwendigkeiten Urlaub nicht gewährt werden kann. Sie hat ebenso nicht bestritten, dass sie im weiteren Verlauf mehrmals darauf bestanden hat, am 06.07.2023 Urlaub zu erhalten. Vor diesem Hintergrund mag zwar die Tatsache, dass ihr am 05.07.2023 Arbeitsunfähigkeit für den 06.07.2023 bescheinigt worden ist ein Zufall sein, dieses zeitliche Zusammentreffen begründet aber erste Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Diese werden verstärkt durch die Tatsache, dass die Klägerin am 06.07.2023, wie von ihr beabsichtigt, an dem Lehrgang bei der Landesturnschule M. teilgenommen hat. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass die Teilnahme an dem Lehrgang nicht notwendigerweise bedeutet, dass die Klägerin nicht arbeitsunfähig gewesen ist. Es ist denkbar, dass krankheitsbedingte Ursachen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, die die Klägerin nicht gehindert haben, an dem Lehrgang teilzunehmen. Bereits hierzu hat sich die Klägerin aber nicht hinreichend erklärt. Sie hat zu der genauen Ursache ihrer Arbeitsunfähigkeit keine Angaben gemacht. Soweit sie in ihrer Stellungnahme und auch in den erstinstanzlichen Schriftsätzen angedeutet hat, sie sei wegen einer Magen-Darm-Grippe erkrankt gewesen, ist nicht sicher festzustellen, ob sie diesen Vortrag aufrechterhalten wollte. Im Weiteren hat sie vorgetragen, es habe sich um eine psychosomatische Erkrankung gehandelt. Ausgehend hiervon vermag die Kammer nicht festzustellen, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung trotz des unstreitigen Verhaltens der Klägerin weiterhin besteht.
Hinzukommt, dass davon ausgegangen werden muss, dass die Klägerin von Anfang an beabsichtigte, trotz ihrer bestehenden Arbeitsverpflichtung an dem Lehrgang an der Landesturnschule am 06.07.2023 teilzunehmen. Die Kammer geht davon aus, dass die Teilnahme an diesem Lehrgang nur nach vorheriger Anmeldung möglich ist. Daraus folgt, dass sich die Klägerin im Vorfeld zu diesem Lehrgang angemeldet und trotz der Verweigerung von Urlaub für diesen Tag durch die Beklagte nicht wieder abgemeldet hat. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin zu der Frage, wann sie sich zum Lehrgang angemeldet hat trotz vorherigen schriftlichen Hinweises und ausdrücklicher Nachfrage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08.07.2024 keine Erklärung abgegeben hat.
(b)
Die Klägerin hat über die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinaus keinen ausreichenden Vortrag geleistet, um ihrer sekundären Darlegungslast nachzukommen.
Sie hat, wie oben bereits ausgeführt, keinen eindeutigen Vortrag zu der Ursache ihrer Erkrankung gehalten. Soweit sie vorgetragen hat, die Erkrankung beruhe auf einem Arbeitsplatzkonflikt und habe der Teilnahme an dem Lehrgang nicht entgegengestanden ist nicht sicher erkennbar, ob die Klägerin damit zu der von ihrer Ärztin B. am 5.7.2024 gestellten Diagnose vortragen will. Dagegen spricht, dass die Klägerin selbst in ihrer Stellungnahme vom 10.7.2023 ausgeführt hat, die Beschwerden vom 5.7.2023 seien nach Einnahme der Medikamente abgeklungen, sie gehe davon aus, dass sie psychosomatisch gewesen seien und werde diesbezüglich in Zukunft einen Facharzt aufsuchen. Daraus folgt, dass sie die Ärztin B. nicht wegen der Belastungssituation konsultiert hat. Zu welchen Krankheitssymptomen die als Zeugin benannte Ärztin dann hätte gehört werden sollen, ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht. Die Klägerin hat auch nicht im Einzelnen vorgetragen, welche Medikamente sie eingenommen haben will, die eine so schnelle Besserung der Symptome bewirkt haben sollen. Insoweit vermag die Kammer aus der Medikation keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Vorliegen einer Erkrankung am 5.7.2023 zu ziehen.
(2)
Die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt auch nach der gebotenen umfassenden Interessenabwägung die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
(a)
Einer vorherigen Abmahnung der Klägerin bedurfte es nicht.
Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung ua. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen. Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen; vgl. BAG; 20.05.2021, 2 AZR 596/20, Juris Rn. 27.
In dem Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit ist eine schwerwiegende Pflichtverletzung zu sehen. Lässt sich der Arbeitnehmer für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung gewähren, begeht er damit regelmäßig einen Betrug zulasten des Arbeitgebers (vgl. hierzu BAG, 29.6.2017, 2 AZR 597/16, Juris Rn. 16). Auch mit der nur einmaligen Hinnahme eines so erheblichen Pflichtverstoßes konnte die Klägerin nicht rechnen.
(b)
Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch im Hinblick auf die zugunsten der Klägerin zu berücksichtigende beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses und ihr Lebensalter zuzumuten. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass in dem Verhalten der Klägerin auch deswegen ein erheblicher Vertrauensverstoß liegt, weil der Klägerin unstreitig bereits zu Beginn des Schuljahres mitgeteilt worden ist, dass für den 6.7.2023 kein Urlaub gewährt werden könne. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die Versagung des Urlaubs wegen des Arbeitsaufkommens in der ersten Ferienwoche sachlich gerechtfertigt war. Wollte die Klägerin dies nicht akzeptieren, stand es ihr frei, die Frage gerichtlich klären zu lassen. Diesen Weg hat die Klägerin nicht gewählt und trotzdem ihr Vorhaben, an dem Lehrgang teilzunehmen weiterverfolgt. Dies ergibt sich, wie oben ausgeführt, daraus, dass sie sich entweder in Kenntnis der Tatsache, dass Urlaub nicht gewährt wird zu dem Lehrgang angemeldet oder von dem Lehrgang nicht abgemeldet hat. Hierin liegt eine so erhebliche Schwere des Vertrauensverstoßes, dass die Interessen der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dahinter zurücktreten müssen.
III.
Auch das weitere Vorbringen der Klägerin, auf das in diesem Urteil nicht besonders eingegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG die Revision zuzulassen, bestehen nicht.