Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.12.1994, Az.: 16 Sa 604/94 E

Höhergruppierung in eine andere Vergütungsgruppe ; Tätigkeitsmerkmale einer Vergütungsgruppe; Aufgaben eines Sozialarbeiters oder eines Sozialpädagogen; Tarifliche Eingruppierung einer sozialpädagogischen Arbeit mit HIV-Positiven

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.12.1994
Aktenzeichen
16 Sa 604/94 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 17348
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1994:1209.16SA604.94E.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lüneburg - 11.02.1993 - AZ: 1 Ca 1691/93 E
nachfolgend
BAG - 10.07.1996 - AZ: 4 AZR 139/95

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die gesamte auszuübende Tätigkeit eines im Öffentlichen Dienst beschäftigten entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.

  2. 2.

    Als schwierige Tätigkeiten sind solche zu bezeichnen, die in dem betreffenden Fachgebiet im oberen Bereich der Schwierigkeitsskala liegen oder die in besonderen Einzelfällen Leistungen erfordern, die über das im Regelfall erforderliche Mass an Kenntnissen und Fähigkeiten wesentlich hinausgehen.

  3. 3.

    Es gehört zum normalen Aufgabenbereich eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen nach seinem Berufsbild und der Ausbildung, Hilfeleistung in sozialen Problemfällen zu leisten. Das Berufsziel eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen ist es, Menschen verschiedener Altersstufen in entwicklungs-, reife-, konflikt- oder notbedingten Situationen so zu helfen, dass sie möglichst zur vollen Entfaltung ihrer Persönlichkeit und all ihrer Kräfte und Möglichkeiten kommen, dass sie sich aus unnötiger Abhängigkeit lösen und Sozialisationsdefiziten wie Benachteiligungen und Unterprivilegierungen überwinden können.

  4. 4.

    Die Arbeit eines Sozialarbeiter mit HIV-Patienten ist regelmäßig eine über die Beratung und Fürsorge von sozial bedürftigen Personen als Normalmass hinausgehende Tätigkeit, so dass die Beratung und Fürsorge für diesen Personenkreis als eine schwierige Tätigkeit zu bezeichnen ist und eine tarifliche Höhergruppierung insoweit rechtfertigt.

Die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
hat
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes und
die ehrenamtlichen Richter Lenz und
Dierksen
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 11.02.1993, Az.: 1 Ca 1691/93 E, abgeändert.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger ab dem 01.01.1991 eine Vergütung nach Maßgabe der Vergütungsgruppe IV a BAT zu zahlen und den jeweiligen fälligen Nettodifferenzbetrag zwischen gezahlter und beantragter Vergütung ab dem 26.11.1993 zu verzinsen.

Der darüber hinausgehende Zinsantrag wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Berichtigt durch Beschluß vom 18.01.1995

Beschluß siehe unter:LAG Niedersachsen - 18.01.1995 - AZ: 16 Sa 604/94 E

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt mit der Klage seine Höhergruppierung nach Vergütungsgruppe IV a BAT rückwirkend ab dem 01.01.1991.

2

Der am ... geborene Kläger ist seit dem 01.08.1979 bei dem Beklagten als Diplom-Sozialpädagoge im Sozialpsychiatrischen Dienst im Gesundheitsamt des Beklagten tätig. Er ist verheiratet und hat 2 Kinder. Er erhält derzeit eine Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b BAT.

3

Die Leitung des Sozialpsychiatrischen Dienstes bei dem Beklagten hat ein Arzt für Psychiatrie und Neurologie. Mit dem Kläger ist ein 2. Sozialarbeiter mit entsprechender Ausbildung beschäftigt.

4

Der Kläger ist Mitglied der ÖTV. Der BAT ist im Arbeitsvertrag zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbart.

5

Der Kläger hat in der Zeit vom 03.12.1984 bis 16.10.1987 einen Aufbaulehrgang für Sozialarbeiter "Sozialberatung in der Gemeindepsychiatrie" besucht und hierbei alle für den Lehrgangsabschluß erforderlichen Leistungen erbracht. Der Kläger hat ferner an der sozialpsychiatrischen Zusatzausbildung in der ... vom 01.04.1988 bis 31.03.1990 teilgenommen und die Prüfung nach der vorläufigen Ordnung der Prüfung in der sozialpsychiatrischen Zusatzausbildung mit der Gesamtnote sehr gut bestanden.

6

Der Kläger beantragte erstmalig mit Schreiben vom 18.11.1991 seine Höhergruppierung in die Vergütungsgruppe III, hilfsweise in die Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 15 BAT und machte die sich hieraus ergebenden Ansprüche geltend. Der Beklagte lehnte diese Ansprüche durch mehrere Schreiben, auch nach erneuter Geltendmachung vom 10.02.1993, endgültig ab.

7

Für die Tätigkeit des Kläger gibt es eine Arbeitsplatzbeschreibung vom 21.10.1991 sowie eine weitere vom 24.07.1992, wegen des Inhaltes wird auf diese (Bl. 13 bis 18 und 32 bis 38 d. A.) Bezug genommen. Gemäß der Arbeitsplatzbeschreibung vom 24.07.1992 übt der Kläger die folgenden Tätigkeiten aus:

Beratung und Betreuung von schwerstgestörten psychisch kranken Menschen (psychisch Kranke mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, psych. Kranke mit Mehrfachbehinderungen, chronische Psychotiker, psychisch kranke alte Menschen und akut Suizidgefährdete) in Form von präventiver, begleitender und nachgehender Fürsorge auf Grund des Mieders. Psych KG:87 %
Akute Krisen Intervention; Einschätzung der Konfliktlage und Einleitung der notwendigen Maßnahmen.
- Entscheidung und Mitverantwortung für Maßnahmen die auch gegen den Willen der Betroffenen erforderlich sind und die für die persönliche und soziale Situation der Klienten sowie für deren Umfeld von besonderer Bedeutung und großer Tragweite sind, beispielsweise Einweisungen in Kliniken, Unterbringung in Heimen sowie Einleitung von Betreuungen.
- Betreuung von schwerstgestörten Psychotikern unter soziotherapeutischen Gesichtspunkten mit dem Ziel einer umfassenden Rehabilitation und weitgehender gesellschaftlicher Integration.
- Beratung des persönlichen und sozialen Umfeldes von schwerstgestörten psychisch Kranken.
- Koordinierung von Hilfsmaßnahmen verschiedener Institutionen.
Konzeptionierung und Durchführung von Gruppenangeboten für Klienten mit chronifizierten Psychosen und Verhaltensauffälligkeiten. (Wegfall der Sportgruppe)10 %
Erarbeitung und Durchführung von Öffentlichkeitsarbeit3 %
Anleitung von Berufspraktikanten der Sozialpädagogik.
8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß er die Tatbestandsmerkmale der besonderen Schwierigkeit und Bedeutung der Fallgruppen 15 und 16 der Vergütungsgruppe IV a BAT für den Sozial- und Erziehungsdienst erfülle.

9

Er müsse bei seiner Tätigkeit tief in die Intimsphäre und Selbstbestimmung der Patienten eingreifen. Wenn der Kläger nicht richtig reagiere und arbeite, sei der Erfolg seiner Tätigkeiten in Frage gestellt mit schwersten Folgen für das Klientel. Die von ihm betreuten Kranken seien in existentieller Krisensituation (Suizidgefahr, Verwahrlosung usw.). Der Kläger trete erst in die Tätigkeit ein in besonders zugespitzten Problemlagen, und zwar in den Fällen, in denen eine andere Betreuung nicht mehr in Betracht komme.

10

Es handele sich deshalb um keine normale Tätigkeit eines Sozialarbeiters, denn der von ihm betreute Personenkreis könne von keiner der zur Verfügung stehenden medizinischen oder sozialarbeitenden Institution erreicht werden. Er erhalte über Umwege erste Hinweise auf Hilfsbedürftige, die er dann aufsuche. Diesen Kranken fehlte dann eine Krankheitseinsicht, und sie lehnten auch in der Regel die Dienste des Klägers ab. Der Kläger müsse sich deshalb erst unter schwierigen Bedingungen den Zugang zu den Kranken erschließen. Das Vertrauen der Kranken zu ihm habe oft auch keinen weiteren Bestand und müsse ständig neu erarbeitet werden. Dieses erfolge häufig auch nur unter Hintanstellung der eigenen Menschenwürde.

11

Die von ihm betreuten Kranken seien zudem regelmäßig chronisch krank. Es bestehe stets die Gefahr von akuten Rückfällen.

12

Auch müsse der Kläger häufig in Krisensituationen intervenieren. In diesen Fällen müsse er zügig abwägen, in welchem Zustand der Patient sei. Er müsse einschätzen, welche Gefahren für den Patienten selbst oder für andere Personen vom Patienten ausgingen, welche Schritte erforderlich seien bis letztlich hin zur Zwangseinweisung in eine Institution. Insoweit seien schematische Lösungen nicht möglich. Der Kläger werde deshalb erst dann eingeschaltet, wenn andere Dienste wie der allgemeine Sozialdienst, die Sozialstation oder der Beratungsdienst nicht mehr weiter wüßten.

13

Für diese Tätigkeit benötige der Kläger Spezialkenntnisse wie zum Beispiel die Zusatzausbildung. Ansonsten könne eine umfassende klienten- und problemgerechte Fallbearbeitung nicht stattfinden. Die Arbeit könne ohne diese Zusatzausbildung nicht sachgerecht erledigt werden. Er müsse psychiatrische Krankheitsbilder erkennen, diagnostizieren und auch therapieren. Dieses werde in der Ausbildung des Sozialarbeiters so nicht gelehrt.

14

Er müsse darüber hinaus Kenntnisse der Behandlungsmöglichkeiten, der medikamentösen Behandlung, der soziotherapeutischen Behandlung und Formen der Rehabilitationen im einzelnen kennen. Von ihm werde gefordert die Beherrschung von Interventionstechniken und die Fähigkeit zur multifakturellen Problemanalyse. Schließlich müsse der Kläger die Fähigkeit zur sach- und problemgerechten Rechtsgüterabwägung besitzen sowie ein besonderes Geschick bei seiner Tätigkeit. Die Bedeutung seiner Tätigkeit ergebe sich einerseits aus der erheblichen Auswirkung auf das Klientel selbst wie aber auch auf seine Mitbürger, seine Umwelt und die Gesellschaft insgesamt. Es bestehe ein wesentlicher Einfluß auf Gesundheit und Leben des Patienten. Mit der Entscheidung des Klägers werde aber auch geholfen, Gewalttaten oder ähnliches von der Gesellschaft abzuwenden, aber auch erhebliche Kosten einer möglichen Unterbringung in eine Anstalt zu verhindern. Der Kläger hat darüber hinaus an 4 Beispielen seine Tätigkeit dargestellt. Insoweit wird auf die Klageschrift (Bl. 4 bis 9 d. A.) Bezug genommen.

15

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab 01.01.1991 Vergütung aus Vergütungsgruppe IV a BAT zu zahlen.

16

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

17

Er hat die Ansicht vertreten, daß die Tätigkeit des Klägers lediglich als schwierig zu bezeichnen sei im Sinne des Tarifmerkmales, so daß er zu Recht ein Gehalt nach der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT erhalte.

18

Durch Urteil vom 11.02.1993 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 12.562,92 DM festgesetzt.

19

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger erfülle nicht die Merkmale der besonderen Schwierigkeit und Bedeutung.

20

Der Einsatz in der Krise bilde bereits die Normaltätigkeit des Sozialarbeiters. Demzufolge sei zu fordern, daß eine zweifache Qualifizierung in bezug auf die Schwierigkeit der Tätigkeit vorhanden sei, wenn eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe IV a BAT erfolgen solle. Die Tarifvertragsparteien hätten mit der Protokollnotiz Nr. 12 bezüglich der Eingruppierung im Sozial- und Erziehungsdienst Randgruppen der Gesellschaft aufgeführt. Die hiermit verbundene Tätigkeit werde als schwierig bezeichnet, nicht aber die Beratung oder Betreuung von schwerstgestörten psychisch kranken Menschen. Man könne deshalb die Tätigkeit des Klägers nur dann als besonders schwierig bewerten, wenn besondere Faktoren bei der ausgeführten Arbeit mit der vom Kläger betreuten Menschengruppe hinzuträten. Dieses sei vorliegend aber nicht gegeben. Aufgrund der Zusatzausbildung sei der Kläger in der Lage, in Zusammenarbeit mit dem Arzt die Symptome zu erkennen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Auch das wecken der Einsicht in die Therapie bei dem betroffenen Personenkreis könne der Kläger aufgrund seiner besonderen Ausbildung ohne weiteres erledigen. Aus diesem Grunde sei die Arbeit des Klägers im Sozialpsychiatrischen Dienst zu Recht als schwierige Tätigkeit zu bewerten.

21

Das Urteil des Arbeitsgerichtes Lüneburg wurde dem Kläger am 10.03.1994 zugestellt. Hiergegen legte dieser am 11.04.1994 (Montag) Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 13.06.1994 rechtzeitig am 13.06.1994.

22

Mit der Berufung trägt der Kläger vor, daß seine Tätigkeit als einheitlicher Arbeitsvorgang anzusehen sei. Seine Tätigkeit habe Funktionscharakter und könne deshalb nicht in einzelne Arbeitsschritte aufgeteilt werden.

23

Der Kläger sei mit einem extremen Klientel konfrontiert gemäß § 1 des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen (PsychKG).

24

Er erfülle die Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsgruppe IV a BAT, denn seine Zusatzqualifikation korrespondiere mit der Aufgabenkompetenz des Klägers. Er habe es mit der Behandlung von schwerstgestörten psychisch kranken Menschen zu tun, mit Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, mit mehrfachen Behinderungen, mit chronischen Psychotikern, mit Kranken, Alten sowie akut Suizidgefährdeten.

25

Diese Personen seien regelmäßig nicht mehr in der Lage, ihre Situation zu erkennen und eigeninitiativ eine Beratungsstelle aufzusuchen. Bei einem Sozialarbeiter sei die selbständige Kontaktaufnahme der hilfebedürftigen Personen jedoch der Normalfall. Bei einem Klientel des Klägers müsse jedoch möglichst ohne massiven Eingriff in die Lebensverhältnisse der Kranken diese in einen Zustand versetzt werden, wo sie überhaupt erst wieder kommunikations- bzw. beratungsfähig seien. Der Kläger werde deshalb nicht beratend tätig, sondern müsse diese Beratungsfähigkeit überhaupt erst wiederherstellen. Dabei müsse er in akuten Krisensituationen eventuelle Zwangsmaßnahmen veranlassen und greife damit in die Lebensverhältnisse des Klientel massiv ein.

26

Beim Kläger landeten die sonst aussortierten Schwerstfälle. Der Sozialpsychiatrische Dienst sei das letzte Auffangbecken für Kranke mit schwerster Negativprognose, bei denen die Arbeit anderer Stellen bereits gescheitert sei. Aus diesem Grunde benötige der Kläger Spezialkenntnisse über psychiatrische Krankheitsbilder, Behandlungsmöglichkeiten und Interventionstechniken. Er müsse insbesondere die Fähigkeit zur multifakturellen Problemanalyse besitzen und zur sofortigen Rechtsgüterabwägung zugunsten des Klienten in der Lage sein. Diese Tätigkeiten würden sich nach Auffassung des Klägers aus dem Beispielskatalog der Protokollnotiz Nr. 12, die schwierige Aufgaben definiert, deutlich herausheben.

27

Die Bedeutung der Tätigkeit ergebe sich aus der dem Kläger übertragenen Eingriffskompetenz in die Lebenssituation des Klientel.

28

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 01.01.1991 eine Vergütung nach Maßgabe der Vergütungsgruppe IV a BAT zu zahlen und ,

den jeweils fälligen Nettodifferenzbetrag zwischen gezahlter und beantragter Vergütung mit 4 % zu verzinsen.

29

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

30

Der Beklagte vertritt weiter die Auffassung, daß der Kläger die erhöhten Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsgruppe IV a BAT nicht erfülle. Im übrigen sei die Tätigkeit des Klägers nicht als ein Arbeitsvorgang anzusehen, da es Tätigkeiten in unterschiedlicher tariflicher Wertigkeit gebe.

31

Im übrigen sei der Zinsanspruch jedenfalls insoweit unbegründet, als der Kläger rückwirkend über den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit hinaus Zinsansprüche geltend mache.

32

wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze (Bl. 90 bis 99 d. A. sowie Bl. 101 bis 105 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beschwerdewert in dieser vermögensrechtlichen Streitigkeit übersteigt 800,00 DM. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).

34

Die Berufung des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht ab 01.01.1991 ein Anspruch auf Bezahlung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT zu.

35

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) einschließlich der Regelung der Vergütungsmerkmale (hier Teil II VKA) sowohl kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung als auch beiderseitiger Tarifbindung gemäß § 3 TVG Anwendung.

36

Gemäß § 22 BAT richtet sich die Eingruppierung der Angestellten nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen der Anlagen 1 a und b. Der Angestellte erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die er eingruppiert ist. Gemäß § 22 Abs. 2 BAT ist der Angestellte in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.

37

In der begehrten Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 15 des Teils II der Anlage 1 a zum BAT für den kommunalen Bereich sind eingruppiert Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, deren Tätigkeit sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT heraushebt. In der Fallgruppe 16 der genannten Vergütungsgruppe sind dieselben Tätigkeitsmerkmale aufgeführt, allerdings ist es ausreichend, daß sich die Tätigkeit mindestens zu einem Drittel durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT heraushebt.

38

Nach Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT sind eingruppiert Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben mit schwierigen Tätigkeiten.

39

Die Grundeingruppierung für Sozialarbeiter/Sozialpädagogen findet sich in Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 10 BAT, wo entsprechend qualifizierte Arbeitnehmer eingruppiert sind, die eine ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeit ausüben.

40

Als schwierige Tätigkeiten sind solche zu bezeichnen, die in dem betreffenden Fachgebiet im oberen Bereich der Schwierigkeitsskala liegen oder die in besonderen Einzelfällen Leistungen erfordern, die über das im Regelfall erforderliche Maß an Kenntnissen und Fähigkeiten wesentlich hinausgehen.

41

Die schwierigen Tätigkeiten sind definiert in der Protokollnotiz Nr. 12, wonach hierzu zum Beispiel zu zählen sind die Beratung von Suchtmittel-Abhängigen, die Beratung von HIV-Infizierten oder an AIDS erkrankten Personen, die begleitende Fürsorge für Heimbewohner und nachgehende Fürsorge für ehemalige Heimbewohner sowie die begleitende Fürsorge für Strafgefangene und nachgehende Fürsorge für ehemalige Strafgefangene.

42

Sofern die Tarifvertragsparteien besonders schwierige Tätigkeiten fordern, verlangen sie damit eine beträchtliche und gewichtige Heraushebung über die Anforderungen der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT hinaus. Sofern schwierige Tätigkeiten verrichtet werden müssen, wird dieses an der deutlich wahrnehmbar erhöhten Qualität der Arbeit, dem erhöhten Wissen und Können oder sonstigen gleichwertigen Qualifikationen deutlich. Die besonders schwierige Tätigkeit bezieht sich auf das fachliche Können bzw. die fachliche Erfahrung des Mitarbeiters. Es wird demgemäß ein Wissen und Können vorausgesetzt, daß die Anforderungen der schwierigen Tätigkeiten beträchtlich übersteigt. Diese erhöhte Qualifikation kann sich aus der Breite des geforderten fachlichen Wissens und Könnens ergeben, aber auch aus außergewöhnlichen Erfahrungen oder sonstigen gleichwertigen Qualifikationen wie etwa besonderen Spezialkenntnissen. Es müssen in dem geforderten Ausmaß höhere fachliche Anforderungen gestellt werden, als sie normalerweise von einem Sozialarbeiter/Sozialpädagogen verlangt werden, der bereits ein erhöhtes Können und Missen hat.

43

Sofern die Bedeutung des Aufgabengebietes angesprochen ist, so sind damit Tatbestände gemeint, die Auswirkungen der Tätigkeit des Angestellten betreffen. Es muß deshalb erkennbar sein, daß die Auswirkungen der Tätigkeit des Angestellten deutlich wahrnehmbar bedeutungsvoller sind als die Tätigkeit nach Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT. Diese Bedeutung kann sich ergeben aus der Größe des Aufgabengebietes, der Tragweite der zu bearbeitenden Materie sowie den Auswirkungen der Tätigkeit für den innerdienstlichen Bereich und die Allgemeinheit (vgl. hierzu Urteil des BAG in AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975 m.w.N.).

44

Bei der Tätigkeit des Klägers ist von einem einheitlichen Arbeitsvorgang bezüglich Ziffer 1) der Arbeitsplatzbeschreibung vom 24.07.1992 auszugehen. Unter einem Arbeitsvorgang im Sinne von § 22 Abs. 2 BAT ist eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer vernünftigen, sinnvollen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen.

45

Arbeitsergebnis bezüglich der überwiegend ausgeübten Tätigkeit beim Kläger ist die dem Kläger übertragene Tätigkeit der Besorgung der Angelegenheiten der psychisch kranken Menschen unter den verschiedensten Gesichtspunkten. Die einzelne Tätigkeit des Klägers, sei es Beratung, Betreuung, Krisenintervention, Entscheidung über Maßnahmen der Unterbringung oder Koordinierung von Hilfsmaßnahmen, dient dem einheitlichen Ziel der Hilfestellung für ein Klientel, das psychisch krank ist und einer besonderen Betreuung bedarf. Das Arbeitsergebnis des Klägers ist, daß die psychisch kranken Menschen alleinverantwortlich leben können und mit seiner Hilfe ihre sozialen Angelegenheiten sachgerecht lösen können. Diesem Gesamtziel der Tätigkeit sind alle Maßnahmen des Klägers untergeordnet. Seine Tätigkeit hat insoweit Funktionscharakter.

46

Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes im Urteil vom 29.09.1993, Az.: 4 AZR 690/92, das diese Beurteilung insbesondere auch damit begründet, daß für die Annahme eines solchen großen Arbeitsvorganges auch der im BAT zum Ausdruck gekommene Wille der Tarifvertragsparteien spricht, indem dort die Betreuung bestimmter näher bezeichneter Personengruppen insgesamt genannt wird, um eine schwierige Tätigkeit eines Sozialarbeiters zu kennzeichnen. Eine hiervon ausgehende Bewertung der Tätigkeiten des Sozialarbeiters müsse deshalb notwendigerweise alle für den entsprechenden Personenkreis zu erledigen Tätigkeiten zu einem Arbeitsvorgang zusammenfassen.

47

Bei einer Beurteilung dessen, welche Anforderungen an den Sozialpädagogen gestellt werden, ist eine Festlegung des Berufsbildes des Sozialarbeiters mit der Feststellung einer Normaltätigkeit erforderlich.

48

Es gehört zum normalen Aufgabenbereich eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen nach seinem Berufsbild und der Ausbildung, Hilfeleistung in sozialen Problemfällen zu leisten. Das Berufsziel eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen ist es, Menschen verschiedener Altersstufen in entwicklungs-, reife-, konflikt- oder notbedingten Situationen so zu helfen, daß sie möglichst zur vollen Entfaltung ihrer Persönlichkeit und all ihrer Kräfte und Möglichkeiten kommen, daß sie sich aus unnötiger Abhängigkeit lösen und Sozialisationsdefiziten wie Benachteiligungen und Unterprivilegierungen überwinden können. Damit sollen Selbstbestimmung, Mündigkeit und ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben ermöglicht werden (vgl. BAG AP Nr. 2 zu §§ 22, 23 BAT Sozialarbeiter).

49

Üblicherweise werden deshalb für Sozialarbeiter auch Tätigkeitsfelder und Aufgabenbereiche der Sozialarbeit angenommen für den Bereich von Gesundheitshilfe, Jugendhilfe, Sozialhilfe, aber auch der Hilfe von Erziehungsfragen oder bei Störungen im Bereich der Familie (vgl. Blätter für Berufskunde, Band 2, IV a 30, 2. Auflage 1971, Selten 4 und 5).

50

Eine Festlegung, was im Tarifsinne als Normaltätigkeit, als schwierige Tätigkeit oder als besonders schwierige Tätigkeit anzusehen ist, kann sich nur aus einer Gesamtschau der Regelungen des BAT und seiner Anlagen ergeben. Hierbei sind insbesondere die Protokollnotizen zu Vergütungsgruppe IV b BAT von entscheidender Bedeutung, aus denen sich eine Definition von schwierigen Tätigkeiten ergibt, so daß insoweit eine Abgrenzung nach unten möglich ist, was insoweit als Normaltätigkeit zu bezeichnen ist, nach oben eine Abgrenzung zu den besonders schwierigen Tätigkeiten ermöglicht wird.

51

Bei der schwierigen Tätigkeit nach der Protokollnotiz stellen die Tarifvertragsparteien ausdrücklich darauf ab, daß eine bestimmte Gruppe von Menschen beraten wird, die sich in einer besonderen Situation befindet. Bei diesem dort genannten Personenkreis ist entscheidend, daß dieser regelmäßig nicht nur aufgrund seiner Sucht (Protokollnotiz Nr. 12 lit. a) unmittelbare Probleme mit der Abhängkeit oder Krankheit hat, sondern auch unmittelbare Probleme im Bereich der persönlichen Beziehungen, der Familie, der Arbeit sowie mit strafrechtlichen Problemen. Gleiches gilt für die in der Protokollnotiz Nr. 12 lit. b genannten Personen, die HIV-infiziert oder an AIDS erkrankt sind, sowie für Heimbewohner und Strafgefangene bzw. ehemalige Heimbewohner und Strafgefangene gemäß der Protokollnotiz Nr. 12 lit. c und d. Entscheidend bei diesen Protokollnotizen ist, daß es insoweit aber nur um den Bereich der Beratung bzw. der begleitenden oder nachgehenden Fürsorge geht. Hieraus ist der Schluß zu ziehen, daß in den Fällen, in denen der zu betreuende Personenkreis diese besondere Problematik nicht aufweist, die Beratung oder Fürsorge von sozial hilfsbedürftigen Personen sich als Normaltätigkeit darstellen muß.

52

Findet also eine Beratung oder Fürsorge von hilfsbedürftigen Personen statt, stellt sich dieses als Normaltätigkeit nach Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 10 BAT dar. Die Beratung stellt sich als persönliche Hilfe oder Einflußnahme in Fragen der Gesundheit, Lebensgestaltung, Erziehung usw. dar. Diese ist wiederum abzugrenzen von der einfachen Auskunftserteilung bzw. andererseits von individueller therapeutischer Fürsorge oder Hilfe. Eine Beratung erfolgt regelmäßig bei gestörter Verhaltensweise, und zwar im wesentlichen durch Gespräche, Umlernen oder Gewöhnung, in schwierigeren Fällen auch durch Aufnahme in therapeutische Gruppen oder Wechsel der Umgebung.

53

Hierfür sind in der Bundesrepublik eine Reihe von Beratungsstellen eingerichtet, in denen Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen ihrer Tätigkeit nachgehen und Hilfestellung insoweit leisten, daß in den sozial schwierigen Situation der zu betreuenden Personen Regelungen erfolgen, um die Sozialisationsdefizite abzumildern oder abzubauen. Hierbei handelt es sich zum Beispiel um Tätigkeiten im Sozialamt, bei der Gesundheits-, Ehe- oder Erziehungsberatung, wo auf der einen Seite nicht nur Auskünfte erteilt werden, wie man sich helfen lassen kann, andererseits aber auch lediglich aufgrund der Fachkenntnisse des Sozialarbeiters bzw. Sozialpädagogen eine Beratung stattfindet, wie Veränderungen im sozialen Umfeld gestaltet werden können. Prägend für diese Tätigkeit ist gerade, daß die zu betreuenden Personen in die Beratungsstellen kommen, damit eine Bereitschaft bereits mitbringen, sich helfen zu lassen, und sodann über den Sozialarbeiter/Sozialpädagogen Änderungen im Zusammenhang mit dem Klientel erarbeitet werden, um zu einer angemessenen Lösung zu kommen.

54

Gleiches gilt auch für den Begriff der Fürsorge, der eine organisierte materielle, seelische oder erzieherische Hilfstätigkeit zur Behebung individueller schwerer oder nicht normierbarer Notlagen beinhaltet. Hiermit wird der Begriff der heutigen Sozialarbeit umschrieben, so daß gerade hieraus ersichtlich wird, daß eine fürsorgerische Tätigkeit sich als die typische Sozialarbeit darstellt, indem einzelnen Personen Hilfestellung dadurch geleistet wird, daß sie ihre Lebenslage und Lebensqualität dadurch verbessern, daß sie über pädagogische Hilfen, soziale Dienste oder sozialpädagogische Einrichtungen wie auch staatliche Hilfen aufgeklärt und informiert werden und bei der Vermittlung und Bereitstellung materieller und finanzieller Hilfen unterstützt werden.

55

Geschieht dieses demzufolge für einen Personenkreis, der nicht die Besonderheiten der Protokollnotiz Nr. 12 lit. a bis d umfaßt, muß von einer Normaltätigkeit ausgegangen werden. Dieses entspricht auch dem Inhalt der Ausbildung im Studiengang Sozialwesen an den Fachhochschulen.

56

Die Kammer kann insoweit nicht den Ausführungen des Urteiles des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsen, Az.: 9 Sa 1614/93 E, folgen, das immer schon dann, wenn diese Inhalte Gegenstand der Ausbildung sind, die Anwendung dieser Ausbildung stets als Normaltätigkeit bezeichnet. Dieses bedeutete, daß immer dann, wenn ein Arbeitnehmer seiner Ausbildung entsprechend eingesetzt wird, es zu einer Höhergruppierung deswegen nicht kommen kann, weil diese Fähigkeiten in irgendeiner Form bereits in der Ausbildung erlernt worden sind. Richtig ist nach Auffassung der Kammer dagegen, daß die Kenntnisse, die in der Ausbildung vermittelt werden, überhaupt erst Voraussetzung zur Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit sind und nunmehr auf die Tätigkeit konkret bezogen gefragt werden muß, ob zusätzliche Kenntnisse oder Erfahrungswissen vorhanden sein muß, um die Tätigkeit ordnungsgemäß zu verrichten.

57

Ist demzufolge die Beratung und Fürsorge von sozial bedürftigen Personen als Normaltätigkeit zu definieren, so ist die Beratung und Fürsorge eines bestimmten Personenkreises, wie ausgeführt, als schwierige Tätigkeit zu bezeichnen. Insoweit hat eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe IV b BAT stattzufinden, da besondere Schwierigkeiten vorliegen.

58

wird jedoch eine Tätigkeit verrichtet, die über die Beratungs- oder Fürsorgetätigkeit hinausgeht, so muß nach dem Gesamtaufbau der Vergütungsmerkmale eine erhöhte Anforderung und damit erhöhtes Fachwissen bei diesen Arbeitnehmern vorhanden sein und damit eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe IV a BAT ermöglicht werden.

59

Liegt eine Beratung vor, wenn nach der Kontakt-Motivationssphase, die jeweils einem Gespräch vorausgeht, der Ratsuchende befähigt wird, Entscheidungen zu treffen und seine Probleme aktiv zu bearbeiten, und besteht die Beratung gerade darin, unter Einbeziehung des sozialen Umfeldes eine Behandlungsmotivation zu erarbeiten bzw. ein eigenständiges Angehen der eigenen Probleme zu erreichen, so handelt es sich bei einer Therapie um eine weitergehende Maßnahme. Eine Therapie ist damit definiert, daß eine Problemanalyse stattfindet, eine umfassende anamnetische Exploration sowie Hypothesen entwickelt werden, ein Therapieplan aufgestellt wird und sodann eine Einzel- und/oder Gruppentherapie stattfindet unter Anwendung verschiedener therapeutischer Verfahren. Diese therapeutischen Maßnahmen haben zur Voraussetzung, daß zuvor eine Beratungstätigkeit stattfindet, die als einheitliche Maßnahme gegenüber dem Klientel in eine Therapie übergeht und damit nicht nur Motivation erweckt, die Probleme anzugehen und aktiv zu lösen, vielmehr auch individuelle Veränderungen der Person zu erreichen, also auf die Person im psychischen Bereich bzw. medizinischen Bereich allgemein Einfluß nehmen. Bei der Beratung ist als Ziel definiert im wesentlichen die Aktivierung des Probanden und das Einleiten von Problemlösungsverfahren, ohne aber selbst bereits die Lösung durchzuführen. Die Therapiemaßnahme beinhaltet aber eine inhaltliche Lösung des Problemes und damit eine starke Einflußnahme auf die Person selbst. Die Therapiemaßnahme geht deshalb über die eigentliche Beratungstätigkeit hinaus und wird zur Behandlungstätigkeit, die eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 15 BAT rechtfertigt.

60

Eine solche Tätigkeit übt der Kläger vorliegend jedoch aus, da er für seinen Bereich sozio-therapeutisch tätig wird.

61

Dieses entspricht der Zielvorstellung des Nds. PsychKG, nach dem der Kläger tätig wird. Gemäß § 1 Nr. 1 regelt das Gesetz Hilfen für Personen, die an einer Psychose, einer Suchtkrankheit, einer anderen krankhaften seelischen oder geistigen Störung oder an einer seelischen oder geistigen Behinderung leiden oder gelitten haben oder bei denen Anzeichen einer solchen Krankheit, Störung oder Behinderung vorliegen. Gemäß § 3 des Gesetzes sollen die Hilfen dazu beitragen, daß derartige Krankheiten, Störungen oder Behinderungen rechtzeitig erkannt werden. Sie sollen das Ziel verfolgen, daß den betroffenen Personen durch eine der Art der Krankheit, Störung oder Behinderung angemessene individuelle ärztlich geleitete Beratung und Betreuung eine selbständige Lebensführung in der Gemeinschaft ermöglicht wird. Diese Tätigkeiten sind gemäß § 4 Abs. 2 dem Sozialpsychiatrischen Dienst unterstellt. Entscheidend ist gemäß § 3 Abs. 2 Nds. PsychKG, daß einerseits Vorsorgen und nachgehende Hilfen erfolgen sollen, daß aber insbesondere auch neben einer ambulanten ärztlichen Behandlung diejenigen Hilfen gewährt werden, die zusätzlich erforderlich sind.

62

Hieraus ist ersichtlich, daß bei diesem Personenkreis nicht nur eine Beratung und Betreuung stattfindet, sondern auch eine Behandlung, die einerseits aus ärztlicher Sicht zu erfolgen hat, die aber zusätzlich begleitende Behandlung erfordert, damit die ärztliche Behandlung Erfolg haben kann. Daß der Kläger dieses tut, ergibt sich aus seiner Arbeitsplatzbeschreibung, die als solche unstreitig ist, oder wobei die Betreuung auch nach sozio-therapeutischen Gesichtspunkten zu erfolgen hat mit dem Ziel einer umfassenden Rehabilitation und weitgehender gesellschaftlicher Integration. Die Begleitung der psychisch erkrankten Personen erfolgt demzufolge parallel im Rahmen einer ärztlichen Behandlung wie auch einer sozio-therapeutischen Behandlung, um erfolgreich sein zu können. Ist dieses aber so, so ist die Tätigkeit des Klägers deutlich schwieriger als die in der Protokollnotiz Nr. 12 genannten schwierigen Tätigkeiten und hebt sich damit erheblich aus der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT heraus.

63

Insoweit weicht die Bewertung der Kammer von dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 08.02.1994, Az.: 13 Sa 1460/93 E, ab, da nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und insbesondere dem Aufbau der Vergütungsgruppen von erheblich erhöhten fachlichen Anforderungen ausgegangen werden muß.

64

Die Richtigkeit dieser Entscheidung ergibt sich insbesondere auch aus den nachstehenden Erwägungen.

65

Gemäß § 4 Abs. 2 Nds. PsychKG ist der Sozialpsychiatrische Dienst unter der Leitung eines in der Psychiatrie erfahrenen Arztes einzurichten. Gemäß § 6 Abs. 2 Nds. PsychKG werden zur Durchführung der Aufgabe Ärzte mit längerer Erfahrung in der Beurteilung psychischer Krankheiten gefordert.

66

Hieraus ergibt sich, daß im Bereich des ärztlichen Dienstes ein besonderes Erfahrungswissen gefordert ist, daß in der Ausbildung nicht gelehrt wird. Hierzu gehört eine längere Zeit der Tätigkeit, wie sie unter anderem auch beim Kläger vorhanden ist.

67

Werden aber Ärzte mit entsprechender umfangreicherer Erfahrung gefordert, so kann sich für die Sozialarbeiter/Sozialpädagogen keine andere Beurteilung ergeben, da diese mit demselben Personenkreis in Berührung kommen und auch für diesen Fachbereich entsprechend gelten muß, was für die Ärzte gilt.

68

Hinzu kommt, daß nach wie vor eine sozialpsychiatrische Zusatzausbildung angeboten wird. Zwar ist diese Zusatzausbildung ohne Einfluß auf die eigentliche Eingruppierung, jedoch ergibt sich aus der Tatsache, daß eine solche Zusatzausbildung angeboten wird, daß ein Erfordernis für eine solche Ausbildung tatsächlich vorhanden ist. Auch hat tatsächlich eine Vielzahl von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen in diesem Bereich diese Zusatzausbildung durchlaufen. Eine solche Zusatzausbildung wäre entbehrlich, wenn nicht besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten gefordert würden für den Bereich des Sozialpsychiatrischen Dienstes, in dem gerade diese Ausbildungsinhalte gefordert werden. Für die Kammer hat deshalb diese Tatsache ausreichende Indizwirkung dafür, daß zusätzliche Fähigkeiten und Kenntnisse gefordert werden, um diese Tätigkeit ordnungsgemäß verrichten zu können.

69

Letztlich ist von nicht unerheblicher Bedeutung, daß nach dem unbestritten Vortrag des Klägers der Sozialpsychiatrische Dienst erst dann eingeschaltet wird, wenn andere Dienste nicht mehr weiterwissen und eine entsprechende Betreuung nicht mehr vornehmen. Wenn aber gerade dem Sozialpsychiatrischen Dienst und damit dem Kläger Problemfälle überwiesen werden, deren ausreichende Bewältigung die Möglichkeiten der normalen Sozialarbeitertätigkeit übersteigen, so ist erkennbar, daß besondere Kenntnisse und Fähigkeiten vorhanden sein müssen, um die sich hieraus ergebenden Probleme zu lösen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Klientel des Klägers auch um einen Personenkreis, wie er zu Recht ausführt, bei dem die Behandlungsmotivation erst erweckt werden muß und dieses zum Teil auch gegen den widerstand der zu Betreuenden. Er muß deshalb zusätzliche Spezialkenntnisse und Fähigkeiten besitzen, um diese Tätigkeit ordnungsgemäß verrichten zu können (vgl. insoweit Urteil des BAG vom 06.02.1991, Az.: 4 AZR 343/90).

70

Nach alledem ist entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes von dem Tarifmerkmal der besonderen Schwierigkeit auszugehen.

71

Die Tätigkeit des Klägers hebt sich aber auch durch das Maß der Bedeutung aus der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 BAT heraus. Die Bedeutung muß eine beträchtliche und gewichtige Heraushebung gegenüber der vorherigen Vergütungsgruppe sein.

72

Die besondere Bedeutung ergibt sich vorliegend daraus, daß in die Lebensverhältnisse des betreuten Personenkreises stark eingegriffen wird. Für diesen ist die Tätigkeit des Klägers von existentieller Bedeutung, insbesondere zum Schutz vor sich selbst wie aber auch bei einer Wiedereingliederung in Familie, Gesellschaft und Arbeitsleben wie auch beim Erkennen und Vermeiden von Suizidgefahren.

73

Darüber hinaus sind erhebliche Auswirkungen auf die Allgemeinheit zu erkennen, da im Bereich der psychisch Erkrankten eine Reihe von Folgeerkrankungen auftreten können bzw. Unterbringungen im Heim oder Anstalt erforderlich werden und damit die Aufwendungen im Gesundheitswesen nicht unerheblich sind, wenn nicht in geeigneter Weise von vornherein gemäß dem Nds. PsychKG darauf hingewirkt wird, daß eine selbständige Lebensführung in der Gemeinschaft ermöglicht wird und eine Unterbringung vermieden wird.

74

Nach alledem ist der Kläger zu Recht nach Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 15 BAT eingruppiert.

75

Der Kläger hat seine Ansprüche auch rechtzeitig gegenüber dem Beklagten geltend gemacht mit Schreiben vom 18.11.1991. Die Änderung des Tarifvertrages zum 01.01.1991 erfolgte gemäß § 2 Abschnitt B des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 24.04.1991. Gemäß § 70 BAT müssen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten schriftlich geltend gemacht werden, damit sie nicht verfallen.

76

Demzufolge hätte der Kläger seine Ansprüche an sich bis zum 24.10.1991 geltend machen müssen, soweit sie sich auf die Monate Januar bis April 1991 beziehen.

77

Es war jedoch nicht zu erwarten, daß der Kläger bereits am 24.04.1991 im einzelnen von dem Inhalt des Tarifvertrages Kenntnis nehmen konnte. Aus diesem Grunde ist eine angemessene Frist über den 24.04.1991 hinaus zu bestimmen, nach deren Ablauf davon ausgegangen werden kann, daß jeder Arbeitnehmer in der Lage war, vom Inhalt dieses Tarifvertrages Kenntnis zu nehmen. Diese Frist beträgt mindestens einen Monat, so daß davon auszugehen ist, daß mit dem Antrag des Klägers vom 18.11.1991 noch eine rechtzeitige Geltendmachung erfolgen konnte.

78

Bezüglich des Zinsanspruches hat der Kläger erstmalig in zweiter Instanz den Zinsanspruch gestellt. Die Ansprüche sind an sich fällig geworden jeweils zum 15. eines jeden Monats für den laufenden Monat gemäß § 36 BAT.

79

Die Kammer folgt aber vorliegend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gemäß Urteil vom 07.10.1981 (in AP Nr. 49 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Insoweit kann der Zinsanspruch nicht über den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit hinaus geltend gemacht werden, da ein Verzug Verschulden voraussetzt und angesichts der Schwierigkeit der Eingruppierungsfragen von einem Verschulden grundsätzlich nicht ausgegangen werden kann. Der Zinsanspruch ist deshalb erst begründet seit Zustellung der Klage, die nach Angaben des Beklagten am 25.11.1993 erfolgte. Der Zinsanspruch ist deshalb begründet erst ab dem 26.11.1993. Der darüber hinausgehende Zinsantrag war abzuweisen.

80

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG.

81

Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 und Nr. 1 und 2 ArbGG.