Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.08.1994, Az.: 10 Sa 101/93

Ansprüche eines uneingeschränkt ohne Subsidiaritätsklausel gegen Haftpflichtansprüche aus schuldhaften Behandlungsfehlern versicherten Krankenhausarztes; Eintritt eines Schadens bei der Behandlung eines Privatpatienten; Voraussetzungen eines auf den Versicherer übertragbaren Freistellungsanspruchs gegen den Träger des Krankenhauses

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
11.08.1994
Aktenzeichen
10 Sa 101/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 17350
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1994:0811.10SA101.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 11.11.1992 - AZ: 2 Ca 384/92

Amtlicher Leitsatz

Der uneingeschränkt (ohne Subsidiaritätsklausel) gegen Haftpflichtansprüche aus schuldhaften Behandlungsfehlern versicherte Krankenhausarzt hat jedenfalls dann, wenn der Schaden bei der Behandlung eines Privatpatienten eingetreten ist, keinen auf den Versicherer übertragbaren Freistellungsanspruch gegen den Träger des Krankenhauses.

In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 1994
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dudzus und
die ehrenamtliche Richter Plathner und Prigge
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen des Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 11. November 1992 - 2 Ca 384/92 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Am 01. Januar 1985 verstarb der Privatpatient R. an den Folgen einer am 14. Januar 1984 mißlungenen Narkose. Mit Schreiben des Rechtsanwalts W., des späteren Prozeßbevollmächtigten des Klägers, vom 08. Mai 1984 machten die Ärztin für Anästhesiologie Dr. ... B. und der Arzt für Anästhesiologie Dr. ... L. sowie der "hinter ihnen stehende" Kläger als Haftpflichtversicherer arbeitsrechtliche Freistellungsansprüche gegen die Beklagte als Arbeitgeberin geltend (Bl. 10-11).

2

Im Prozeß der Erbin des Patienten R. gegen die beiden genannten Ärzte und gegen die Oberärztin - Ärztin für Anästhesiologie Prof. Dr. ... S. erging am 02. Juni 1988 ein rechtskräftig gewordenes Grund- und Teilurteil (Leseabschrift Bl. 540-553 in 19 O 48/84 des LG Hannover).

3

Die Dres. B. und L. wurden zur Leistung von Schadensersatz wegen verschuldeter Narkosefehler verurteilt. Die Klage gegen die Oberärztin Prof. Dr. S. wurde wegen nicht feststellbarer Kausalität ihres Beitrages, aber insbesondere auch wegen nicht feststellbarer Schuld ihrerseits abgewiesen (LG Hannover a.a.O. S. 12-14 = 551-553).

4

Die Oberärztin Prof. Dr. S. war am 14. Januar 1984 um 16.02 Uhr telefonisch zu der um 15.00 Uhr begonnenen Narkose gerufen worden und hatte ihre Tätigkeit am Patienten um 16.10 Uhr aufgenommen.

5

Der Kläger bezog die Beklagte in die Verhandlung über die Schadensregulierung ein (vgl. u. a. Schriftwechsel Bl. 6 und 25-30). Die Höhe des von dem Kläger in den Jahren bis 1989 bezahlten Schadens von DM 412.059,23 wurde im zweitinstanzlichen Verfahren unstreitig. Die Parteien wurden im Berufungsrechtszug auch darüber einig, daß die Klagforderung in Höhe von 50 % des genannten Betrages dem Kläger jedenfalls dann zustehen würde, wenn die Beklagte im Rahmen eines innerbetrieblichen Schadensausgleiches für die Dres. B. und L. dem Grunde nach einstehen müßte.

6

Mit eigenem Schreiben vom 20. Januar 1992 (Bl. 12) und Anwaltsschreiben vom 31. Januar 1992 (Bl. 13/14) war die Beklagte vergeblich zur Zahlung bzw. zur Anerkennung aufgefordert.

7

Nach Klagerhebung traten die Dres. B. und L. mit Urkunde vom 16. Oktober 1992 eventuell bestehende arbeitsrechtliche Freistellungsansprüche an den Kläger ab (Bl. 40).

8

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und seiner Wertung durch das Arbeitsgericht wird auf das über einen Streitwert von DM 206.029,61 ergangene und die Klage abweisende Urteil vom 11. November 1992 Bezug genommen (Bl. 42-50).

9

Gegen dieses ihm am 05. Januar 1993 zugestellte Urteil legte der Kläger am 20. Januar 1993 Berufung ein und begründete diese Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26. April 1993 am 26. April 1993.

10

Der Kläger vertritt die Ansicht, die Beklagte schulde die Klagforderung schon aufgrund der auf ihn übergegangenen Freistellungsansprüche der Dres. B. und L. Der Kläger sei mit seinen Zahlungen im Interesse der Versicherungsnehmer Dres. B. und L. in Vorlage getreten. Dies dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen. Im Gegensatz zu den hier vorliegenden Versicherungsverträgen seien in der Versicherungswirtschaft auch Berufshaftpflichtversicherungen bekannt, bei denen der Versicherer ausdrücklich nur subsidiär eintritt. In derartigen Fällen würde nur das nicht von anderer Seite gedeckte Risiko versichert.

11

Des weiteren sei die Beklagte gemäß §§ 305, 241 BGB zur Zahlung verpflichtet, weil sie durch ihr Verhalten in den Regulierungsgesprächen auch ohne ausdrückliches Anerkenntnis den Eindruck erweckt habe, sich an den Aufwendungen zu beteiligen. Hiermit habe sie den Kläger veranlaßt, im Interesse auch der Dres. B. und L. den gesamten Schaden zu bezahlen.

12

Schließlich schulde die Beklagte die Klagforderung auch aufgrund eines eigenen Organisationsverschuldens. Die Operation vom 14. Januar 1984 sei kein Notfall gewesen. Aus diesem Grunde hätte die Operation nicht am Wochenendtag des 14. Januar 1984, sondern vielmehr einige Tage später an einem normalen Arbeitstag stattfinden müssen. An einem normalen Arbeitstag hätte nicht nur eine Notbesetzung, sondern das volle Team zur Verfügung gestanden. Prof. Dr. S. hätte nicht aus der Wohnung geholt werden müssen und hätte daher schneller zur Verfügung gestanden. Auch der Chefarzt Prof. Dr. K. hätte geholt werden können.

13

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an den Kläger DM 206.029,61 nebst 8 % Zinsen seit dem 10. Februar 1992 zu zahlen.

14

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 26. Mai 1993 (Bl. 76-83). Zusätzlich behauptet die Beklagte, sie informiere alle bei ihr tätigen Ärzte bereits bei der Einstellung darüber, daß die ... für Schadensfälle aus ärztlicher Tätigkeit nicht versichert sei. Die ... gäbe daher allen Ärzten den dringenden Ratschlag zum Abschluß einer eigenen privaten Berufshaftpflichtversicherung. Ihres Wissens würde dieser Hinweis durchgehend befolgt.

16

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens des Klägers wird auf die Berufungsbegründung vom 26. April 1993 Bezug genommen (Bl. 63-72).

17

Außerdem wird auf die Erklärungen der Parteien zum Protokoll vom 11. August 1994 verwiesen (Bl. 91). Die Prozeßakten des Verfahrens 19 O 48/84 des Landgerichts Hannover waren zu Informationszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

18

Die Berufung ist nicht begründet, weil das Arbeitsgericht Hannover die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen hat. Das Berufungsgericht nimmt gemäß § 543 ZPO auf die Entscheidungsgründe Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden.

19

Die Berufungsbegründung gibt keine Möglichkeit zur Änderung des angefochtenen Urteils.

20

I.

Zum Freistellungsanspruch

21

1.

Ein auf den Kläger übergegangener sogenannter arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch ist hier aus verschiedenen Gründen nicht entstanden.

22

a)

Die Versicherungsverträge des Klägers mit den Dres. B. und L. haben nach dem eigenen ausdrücklichen Vorbringen des Klägers entgegen anderen in der Branche benutzten Vertragsgestaltungen keine Subsidiaritätsklausel enthalten, sondern deckten das volle Risiko der Versicherten gegenüber dem geschädigten Dritten ab. Hierfür hat der Kläger die vollen Prämien erhalten, die nach diesem Risiko kalkuliert waren.

23

b)

Für den Kläger war es gleichgültig, ob seine Versicherungsnehmer diese Versicherung auf Veranlassung der Beklagten oder aus eigenem Antrieb genommen hatten. Es hätte für ihn auch keinen Unterschied gemacht, wenn die Versicherungsprämien im Innenverhältnis zwischen den Dres. B. und L. zur Beklagten, von letzterer getragen worden wären. In diesem Falle würde dem Kläger schon deshalb kein Anspruch zustehen können (vgl. Hanau in Gamillscheg - Hanau, die Haftung des Arbeitnehmers, 2. Aufl. S. 107).

24

c)

Das Bestehen eines Freistellungsanspruches ist hier auch aufgrund der Verkehrssitte ausgeschlossen. Dies ergibt sich daraus, daß Ärzte sich üblicherweise selbst gegen Haftpflichtrisiken versichern (so: Hanau a.a.O.). Es kommt daher nicht darauf an, ob die von der Beklagten behaupteten ausdrücklichen Gespräche mit den neu einzustellenden Ärzten tatsächlich stets stattfinden und ob sie insbesondere mit den Dres. B. und L. geführt worden sind.

25

Der vom Kläger für seine abweichenden Ansichten in Anspruch genommene Autor Heinze (MedR 1983, S. 6 ff) zitiert die Ansicht von Hanau - S. 12 in Fußnote 61 - interessanterweise, ohne der Ansicht von Hanau entgegenzutreten.

26

d)

Ein Freistellungsanspruch konnte hier auch deshalb nicht entstehen, weil es sich bei dem Patienten R. um einen sogenannten Privatpatienten gehandelt hat.

27

Für diese Fallgestaltung kann für die hier interessierende Frage des sogenannten innerbetrieblichen Risikoausgleichs die Beklagte nicht als Arbeitgeberin der Dres. B. und L. angesehen werden. Privatpatienten schließen nicht nur mit dem Chirurgen als Operateur, sondern zwangsläufig auch bereits über die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Krankenhäuser private Behandlungsverträge mit allen an der ärztlichen Versorgung beteiligten Ärzten ab.

28

Der Haftungsgrund liegt nicht im Betrieb des Arbeitgebers, sondern im selbständigen Dienstvertrag zwischen Patienten und Krankenhausarzt (so: Heinze, a.a.O. sub. II 2 auf S. 7/8).

29

Sollten die Dres. Dr. B. und L. hier wegen ihrer Assistenzarzttätigkeit nicht als Vertragspartner des Patienten R. in Betracht gekommen sein, wofür einiges sprechen dürfte, so wären sie für den ärztlichen Vertragspartner des Patienten R. tätig geworden. Die Beklagte hätte die Dres. B. und L. dann dem liqidationsberechtigten Arzt lediglich zur Verfügung gestellt. Als Arbeitgeber im Sinne des innerbetrieblichen Schadensausgleichs wäre hier der liquidationsberechtigte Arzt anzusehen.

30

2.

Wollte man im Gegensatz zu der hier sub. 1 vertretenen Ansicht der Meinung sein, daß Freistellungsansprüche auch zu Gunsten selbst gegen Haftpflicht versicherte Krankenhausärzte entstehen können, so wären sie wegen der in den Jahren bis 1989 erfolgten Zahlungen des Klägers nach der Rechtsprechung des BAG (1 AZR 386/62 v. 21. Juni 1963 in AP Nr. 29 zu § 611 BGB, Haftung des Arbeitnehmers = NJW 63, 1940-1941 sub. III.) und des BVwG (VI c 53/65 vom 14. Februar 1968 in NJW 68, 2308-2310) untergegangen.

31

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist hier uneingeschränkt einschlägig, weil auch beamtete Ärzte außerhalb hoheitlichen Handelns, also bei vertraglich geschuldeter Behandlung von Patienten in gleicher Weise wie angestellte Ärzte Freistellungsansprüche haben können (so: Heinze a.a.O. sub. III 4 auf S. 9).

32

II.

Der Kläger hat aus den unter Beteiligung der Beklagten geführten Regulierungsgesprächen auch unter dem Gesichtspunkt der §§ 305, 241 BGB keinen Anspruch. Der Kläger trägt hier keinen irgendwie gearteten Vertragsschluß vor. Er trägt selber nicht vor, aus welchen tatsächlichen Umständen er meint, die Beklagte habe sich verpflichtet. Die zunächst fehlende ausdrückliche Anerkennung der Beklagten, sich an den Leistungen zu beteiligen, genügt nicht. Insbesondere aus dem eigenen Schreiben des Klägers vom 20. Januar 1992 aber auch aus dem Schreiben des späteren Prozeßbevollmächtigten vom 31. Januar 1992 (Bl. 12-14) wird deutlich, daß die Beklagte auch keinen sogenannten Vertrauenstatbestand geschaffen haben kann, der den Kläger in den Jahren bis 1989 zu seiner Zahlung veranlaßt haben könnte.

33

Die Einbeziehung der Beklagten in die Regulierungsverhandlungen wird lediglich Grund für die Beklagte gewesen sein, die Höhe der geltend gemachten Schäden als richtig anzuerkennen.

34

III.

Entgegen der Ansicht des Klägers haftet die Beklagte aber auch nicht deshalb, weil die Operation an einem Wochenendtag, anstelle eines normalen Arbeitstages stattgefunden hat. Das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß hier keine Kausalität der frühen Operation für den eingetreten Schaden vom Kläger dargestellt worden ist. Dies erscheint nach dem unstreitigen Sachverhalt auch als ausgeschlossen. Am 14. Januar 1984 standen trotz des Wochenenddienstes sofort zwei sogar voll ausgebildete Ärzte für Anästhesie zur Verfügung. Die Oberärztin Prof. Dr. S. erschien 8 Minuten nach ihrer Einbestellung im Operationssaal. Es kann nicht festgestellt werden, daß Prof. Dr. S. an einem anderen Tage schneller erschienen wäre. Befand sie sich am 14. Januar 1984 zwar in ihrer Wohnung, so wäre sie an einem normalen Arbeitstag vermutlich zwar in der Klinik anwesend gewesen, aber mit anderen, möglicherweise ebenfalls unaufschiebbaren Arbeiten beschäftigt gewesen. Da schon die Oberärztin Prof. Dr. S. die Situation nicht mehr hatte retten können, bleibt unerfindlich, was der Chefarzt Prof. Dr. K. noch hätte erreichen können, falls man ihn bei einer Operation an einem anderen Tage noch zusätzlich herbeigeholt hätte.

35

IV.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 ZPO, weil sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.

36

Die in Übereinstimmung mit den Anregungen beider Parteien zugelassene Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

37

Die hier erörterten Fragen zum Freistellungsanspruch gegen Berufshaftpflicht versicherte Arbeitnehmer und hierbei insbesondere von Krankenhausärzten ist von grundsätzlicher Bedeutung. Außerdem könnte auch noch eine Divergenz zum wohl unveröffentlichten Urteil der 2. Kammer des LAG Niedersachsen vom 27. April 1993 - 2 (5) Sa 999/92 sub. A III auf den Seiten 16-17 bestehen (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG).