Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.08.1994, Az.: 14 Sa 1512/92
Arbeitsrechtliche Geltendmachung einer Einmalzahlung; Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses während der Zeit der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub; Berücksichtigung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien bei der Auslegung eines Tarifvertrages
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.08.1994
- Aktenzeichen
- 14 Sa 1512/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 10750
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:0818.14SA1512.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Verden - 16.09.1992 - AZ: 1 Ca 98/92
Rechtsgrundlage
- § 611 BGB
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
In dem Rechtsstreit
hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plathe und
die ehrenamtlichen Richter Möreke und Dicke
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 16.09.1992 Az.: 1 Ca 98/92 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist seit dem 01.06.1985 bei den Stationierungsstreitkräften in der ... Kaserne ... als Dolmetscherin/Übersetzerin beschäftigt.
Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft beiderseitiger Tarifbindung sowie aufgrund entsprechender vertraglicher Vereinbarung den Regelungen des Tarifvertrages für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV AL II).
Im Zusammenhang mit der Geburt ihres Kindes ... 1991 befand sich die Klägerin in der Zeit vom 08.05. bis zum 25.08.1991 im Mutterschutz sowie vom 26.08. bis zum 31.12.1991 im Erziehungsurlaub. Seit dem 01.01.1992 arbeitet sie mit einer Arbeitszeit von wöchentlich 19 Stunden.
Die Klägerin verlangt mit der Klage eine Zahlung von DM 200,- gemäß Ziffer 5 der Anlage Einmalzahlung zu der Tarifvereinbarung über Lohnerhöhungen vom 16.01.1991.
Die betreffenden Regelungen sehen allgemeine Erhöhungen der Löhne und Gehälter mit Wirkung ab 01.01.1991 sowie Einmalzahlungen vor.
Hierzu heißt es in Ziffer III der tariflichen Regelung:
Einmalige Zahlung
Arbeitnehmer, die in den Monaten Oktober. November. Dezember 1990 nach den in Abschnitt I.1 aufgeführten Lohn-/Gehaltstabellen entlohnt wurden, erhalten eine einmalige Zahlung gemäß anliegender Vereinbarung.
Die Regelung der Einmalzahlungen lautet:
Einmalzahlung
- 1.
Arbeitnehmer, die am 31. Dezember 1990 in einem Beschäftigungsverhältnis bei den Stationierungsstreitkräften standen und deren Entlohnung sich nach dem Lohntarif A (§ 62) oder dem Gehaltstarif C (§ 63) des TV AL II oder des TV AL II (Frz) oder nach den Lohn-(Gehaltstabellen) der Anhänge A, D, K, P, Z des TV AL II oder der Anhänge A, D, K, P des TV AL II (Frz) gerichtet hat - mit Ausnahme der Auszubildenden - erhalten unter der Voraussetzung der Ziffer 2 eine einmalige Zahlung von brutto 400,00 DM.
- 2.
Voraussetzung für den Anspruch nach Ziffer 1 ist, daß der Arbeitnehmer vom 1. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1990 ohne Unterbrechung im Geltungsbereich des TV AL II oder des TV AL II (Frz) beschäftigt war.
- 3.
Arbeitnehmer, deren regelmäßige Arbeitszeit in dem in Ziffer 2 genannten Zeitraum ständig oder vorübergehend auf weniger als 38.5 Stunden wöchentlich festgesetzt war und deren Vergütung entsprechend der Teilzeitbeschäftigung geregelt war, erhalten die Einmalzahlung anteilig.
Der Anteil entspricht dem Verhältnis der mit dem Arbeitnehmer vertraglich vereinbarten (Teil-)Arbeitszeit zur 38,5 Stunden-Woche.
- 4.
Die Einmalzahlung ist nicht Bestandteil des regelmäßigen Arbeitsverdienstes nach § 17 TV AL II/TV AL II (Frz).
Sie wird nicht berücksichtigt bei der Berechnung von Leistungen nach § 39 (Betriebliche Altersversorgung) und nach § 40 - Anhänge V und W - (Urlaubsgeld. Weihnachtsgeld) des TV AL II/TV AL II (Frz).
- 5.
Eine weitere einmalige Zahlung in Höhe von brutto 200,00 DM erhalten Arbeitnehmer, die am 30. September 1991 in einem Beschäftigungsverhältnis bei den Stationierungsstreitkräften stehen, deren Entlohnung sich nach den in Ziffer 1 genannten Lohn- und Gehaltstarifen richtet und die zu diesem Zeitpunkt seit mindestens einem Jahr im Geltungsbereich des TV AL II/TV AL II (Frz) beschäftigt sind. Die einmalige Zahlung wird mit dem Arbeitsverdienst für den Monat Oktober 1991 ausgezahlt; im übrigen gelten die Ziffern 3 und 4 entsprechend.
Diesen tariflichen Regelungen ist eine Kündigung der zuvor geltenden Entgeltsregelungen seitens der Gewerkschaft ÖTV zum 30.09.1990 vorausgegangen.
In dem Kündigungsschreiben vom 28.06.1990 wurden folgende Entgeltsforderungen erhoben:
- Erhöhung der Löhne und Gehälter um 9 Prozent, mindestens um 200,00 DM
- die Vergütungen für Auszubildende um 100,00 DM zu erhöhen
- die Laufzeit beträgt 12 Monate.
Die Klägerin hat die Einmalzahlung in Höhe von DM 400,- erhalten.
Eine Leistung der weiteren einmaligen Zahlung von DM 200,- hat der Arbeitgeber mit der Begründung abgelehnt, daß die Klägerin sich am 30.09.1991 im Erziehungsurlaub befunden hat und ihr damit keine Vergütungsansprüche zugestanden hätten.
Das Arbeitsgericht, auf dessen Entscheidung auch wegen des Sach- und Streitstandes wie er in erster Instanz zur Entscheidung vorgelegen hat, verwiesen wird, hat der Klage stattgegeben.
Mit der vom Arbeitsgericht zulassenen Berufung macht die Beklagte weiterhin geltend: Ein Anspruch der Klägerin auf die weitere Einmalzahlung bestehe nicht, da die weitere Einmalzahlung ausschließlich Entgeltcharakter habe und der Klägerin am 30.09.1991 als dem maßgeblichen Zeitpunkt wie auch für den Monat Oktober 1991 wegen ihres Erziehungsurlaubs Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht zugestanden hätten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 23.09.1992 Az.: 1 Ca 98/92 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Leistung der weiteren Einmalzahlung von DM 200,- aus Ziffer III des Tarifvertrages vom 16.01.1991 in Verbindung mit Ziffer 5 der Regelung der Einmalzahlungen zu.
Die Klägerin erfüllt die dort genannten Anspruchsvoraussetzungen, da sie am 30.09.1991 seit mehr als einem Jahr im Beschäftigungsverhältnis bei den Stationierungsstreitkräften gestanden hat und ihr Arbeitsentgelt sich nach der Gehaltsregelung in § 63 TV AL II richtet.
Daß die Klägerin sich am 30.09.1991 im Erziehungsurlaub befunden hat und ihr wegen dieses Umstandes auch für den Monat Oktober 1991 Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht zugestanden haben, steht dem Anspruch auf Leistung der Einmalzahlung nicht entgegen. Die tariflichen Regelungen verlangen ausdrücklich lediglich, daß die Arbeitnehmer "am 30.09.1991 in einem Beschäftigungsverhältnis bei den Stationierungsstreitkräften stehen".
Ein Beschäftigungsverhältnis besteht jedoch auch während der Zeit der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub.
Diese tarifliche Regelung kann nicht dahin ausgelegt werden, daß der Anspruch auf die weitere Einmalzahlung davon abhängig ist, ob die Arbeitnehmerin am 30.09.1991 auch tatsächlich arbeitet und ihr für den Monat Oktober 1991 Gehaltsansprüche zustehen.
Dabei ist davon auszugehen, daß Tarifverträge in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen sind, wobei der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien über den reinen Wortlaut hinaus nur zu berücksichtigen ist, wenn und soweit er in dem tariflichen Normenwerk seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. BAG AP Nr. 135 zu § 1 TV Auslegung m. w. Nachw.).
Der Wortlaut der Ziffer III der tariflichen Regelung vom 16.01.1991 sowie der Inhalt der Einzelregelungen der Einmalzahlung bieten keine Anhaltspunkte dafür, daß über die dort genannten Anforderungen Voraussetzung für die hier streitige zweite Einmalzahlung eine tatsächliche Arbeitsleistung am 30.09.1991 bzw. im Monat Oktober 1991 sein sollte.
Aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung sowie aus der durch die schriftliche Kündigung der vorangegangenen Gehaltstarife zum 30.09.1990, die im Kündigungsschreiben aufgestellten Entgeltsforderungen sowie die allgemeine Erhöhung der Arbeitsentgelte im Tarif vom 16.01.1991 erst ab dem 01.01.1991 dokumentierten Tarifgeschichte ergibt sich vielmehr, daß die Einmalzahlung von insgesamt DM 600,- als Ausgleich dafür anzusehen ist, daß die allgemeine Erhöhung der Arbeitsentgelte erst zum 01.01.1991 und nicht bereits zum 01.10.1990 vereinbart worden ist. Die Einmalzahlung von insgesamt DM 600,- entspricht der im Kündigungsschreiben genannten Mindestforderung für eine Erhöhung der Arbeitsentgelte um monatlich DM 200,-. Dies kommt in Ziffer III der tariflichen Regelung vom 16.01.1991 dadurch ausreichend zum Ausdruck, daß die einmaligen Zahlungen für diejenigen Arbeitnehmer vorgesehen sind, die in den von der allgemeinen Entgeltserhöhung nicht erfaßten Monaten Oktober, November und Dezember 1990 bereits im Arbeitsverhältnis gestanden haben. Hinsichtlich des zweiten Teils der Einmalzahlung in Höhe von DM 200,- ist dann in Ziffer 5 der Einzelregelung der Einmalzahlung als weitere Anspruchsvoraussetzung ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf des 30. September 1991 vorgesehen. Damit kommt zum Ausdruck, daß mit dieser weiteren Einmalzahlung auch die entsprechende Betriebstreue belohnt werden soll.
Der danach für die zweite Einmalzahlung anzunehmende Mischcharakter in dem Sinne, daß damit sowohl tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung in den Monaten Oktober bis Dezember 1990 als auch eine fortdauernde Betriebszugehörigkeit bis zum Ablauf des 30.09.1991 entgolten werden sollen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. In der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, ist anerkannt, daß sich auch im Bereich von Sonderleistungen Inhalt und Umfang der Ansprüche ausschließlich aus den sachlichen Regelungen über Anspruchsvoraussetzungen sowie über Ausschluß- und Kürzungstatbestände ergeben und daß jede Veränderung dieser Tatbestände eine Änderung der Gesamtregelung darstellen würde und nicht mehr als Auslegung bezeichnet werden könnte (vgl. BAG AP Nr. 143, 144, 155 zu § 611 BGB Gratifikation sowie Urteil vom 16.03.1994 Az. 10 AZR 669/92 = DB 94, 2035).
Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin mit ihrer tatsächlichen Arbeitsleistung in den Monaten Oktober bis Dezember 1990 sowie weit in das Jahr 1991 hinein auch die Voraussetzung einer nicht unerheblichen Arbeitsleitung im Bezugszeitraum erbracht hat, die in der älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellt worden war (vgl. AP Nr. 104 zu § 611 BGB Gratifikation) und die seitens des Bundesarbeitsgerichts in den genannten neueren Entscheidungen ausdrücklich aufgegeben worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 II Nr. 1 ArbGG.