Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.1994, Az.: 7 Sa 1128/93
Annahmeverzug durch Aussperrung; Tatsächliches Angebot geschuldeter Arbeitsleistung ; Verhältnismäßigkeit von Abwehraussperrungen gegen Kurzstreiks; Wirksamkeit einer Arbeitskampfmaßnahme durch Verlautbarung eines einheitlichen Kampfentschlusses
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 01.09.1994
- Aktenzeichen
- 7 Sa 1128/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 10728
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:0901.7SA1128.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 25.02.1993 - AZ: 1 Ca 727/92
Rechtsgrundlagen
- § 615 BGB
- § 611 BGB
- § 296 BGB
- § 293 BGB
- § 294 BGB
- Art. 9 GG
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 01. September 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 25.02.1993, 1 Ca 727/92, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte am 16.06.1992 die in ihrem Betrieb Wildeshausen beschäftigten Arbeitnehmer ausgesperrt hat oder durch die Aufforderung an die Arbeitnehmer, das Werk zu verlassen, in Annahmeverzug geraten ist.
Die Beklagte betreibt an mehreren Standorten ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie und stellt insbesondere Baumaschinen her. In dem Werk in Wildeshausen sind 350 Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar 244 im gewerblichen und 106 im Angestelltenbereich. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitnehmer beträgt im gewerblichen Bereich je nach Abteilung zwischen 70 und 100 % und im Angestelltenbereich ca. 65 %. Die Beklagte selbst ist keinem Arbeitgeberfachverband angeschlossen, sondern schließt mit der IG Metall, der der Kläger angehört, Haustarifverträge ab.
Im Juni 1992 fanden bei der Beklagten Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen statt, wobei auch eine Arbeitszeitverkürzung zur Diskussion stand. In diesem Zusammenhang kam es am 12. Juni 1992 zwischen 9.15 Uhr und 10.15 Uhr zu einer Arbeitsniederlegung, an der 80 % der Arbeitnehmer teilnahmen.
Am 16. Juni 1992 rief die IG Metall in dem Werk der Beklagten durch Handzettel und Plakate (Bl. 27 und 30 d.A.) zu einem Warnstreik auf. Nach der Mittagspause nahmen daraufhin 57 Angestellte und 138 gewerbliche Arbeitnehmer aus der Normal- und Frühschicht die Arbeit nicht auf. Nach Abschluß der Versammlung vor dem Verwaltungsgebäude der Beklagten zwischen 13.30 Uhr und 13.45 Uhr erklärte der Bezirkssekretär der IG-Metall, daß der Warnstreik mit Schichtende beendet sei, es sei den Mitarbeitern freigestellt, nach Belieben nach Hause zu gehen. Regulär dauerte die Arbeitszeit an diesem Tag in der Frühschicht bis um 14.00 Uhr und in der Normalschicht bis um 15.45 Uhr. Aus der Frühschicht verließen 62 Arbeitnehmer das Betriebsgelände, lediglich 6 Arbeitnehmer begaben sich zu den Arbeitsplätzen zurück bzw. nahmen am Streik nicht teil.
Für die Spätschicht von 14.00 Uhr bis 22.15 Uhr lagen ebenfalls Streikaufrufe vor, wobei als Streikbeginn 20.00 Uhr und 20.45 Uhr aufgeführt war (Bl. 18-26, 28, 29 d.A.).
Der Kläger, der bei der Beklagten als Lackierer tätig ist, hatte an diesem Tag Spätschicht. Er traf pünktlich zum Arbeitsbeginn ein und nahm, wie auch seine Kollegen, die Arbeit auf, wobei auch über das Geschehen des Tages diskutiert wurde.
Nachdem die Beklagte die Arbeitnehmer zunächst zur Arbeitsaufnahme aufgefordert hatte, forderten der damalige Personalleiter der Beklagten Kriesler und der Betriebsleiter Soboll sämtliche Arbeitnehmer zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr auf, die Arbeitsplätze zu verlassen und nach Hause zu gehen. Auf Nachfrage wurde mitgeteilt, der Arbeitsablauf sei nicht gesichert.
Die Beklagte zahlte an den Kläger für den 16. Juni 1992 den Lohn für die Zeit bis 15.00 Uhr, nicht jedoch für die Zeit danach in unstreitiger Höhe der Klageforderung. Dieser Lohn wurde von dem Kläger bis spätestens Ende August 1992 bei der Beklagten schriftlich geltend gemacht.
Am 19. Juni 1992 erzielte die Beklagte mit der IG Metall ein Verhandlungsergebnis, auf dessen Inhalt im übrigen Bezug genommen wird (Bl. 34, 35 d.A.).
Ziffer VII. dieser Vereinbarung lautet:
Die Parteien sind sich darüber einig, daß die ausgefallene Arbeitszeit, bedingt durch den von der IG Metall veranlaßten Warnstreik, nicht gezahlt wird.
Der Kläger hat behauptet, die Lager- und Transportarbeitsplätze seien voll besetzt und die Handlager wohl gefüllt gewesen. Der Arbeitsablauf habe sich wie an jedem normalen Tag gestaltet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 163,45 brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (das ist seit dem 09.11.1992) zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, auch aus der Normalschicht hätten 61 Arbeitnehmer nach dem Streik das Betriebsgelände verlassen, während lediglich 9 Arbeitnehmer sich zu den Arbeitsplätzen zurückbegeben bzw. am Streik nicht teilgenommen hätten. Hierdurch sei ein ordnungsgemäßer Arbeitsablauf für diesen Tag nicht mehr gewährleistet gewesen. Da ein erheblicher Teil der Mitarbeiter, die für das Lager- und innerbetriebliche Transportwesen zuständig seien, die Arbeit nicht wieder aufgenommen und alle Staplerfahrer sich dem Streik angeschlossen hätten, sei nur noch eine mangelnde Materialzuführung seitens des Lagers gewährleistet gewesen. Auch sei ein Unfallschutz durch Ersthelfer nicht abgedeckt gewesen und Schichtaufsichten hätten gefehlt.
Auch die Mitarbeiter der Spätschicht hätten ihre Arbeitsplätze nicht ein- und die Arbeit nicht aufgenommen, sondern hätten über das Streikgeschehen diskutiert. Der damalige Personalleiter der Beklagten Kriesler und der Betriebsleiter Soboll hätten zwischen 14.00 Uhr und 14.50 Uhr mindestens zweimal die Arbeitnehmer in den Abteilungen vergeblich zur Arbeit aufgefordert.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, sie habe den Kläger rechtmäßig ausgesperrt. Ein Verstoß gegen das Übermaßgebot liege angesichts des deutlichen Verhandlungsübergewichts der IG Metall und der vorausgegangenen Streikmaßnahmen nicht vor. Aber auch nach der Rechtsprechung zum Arbeitskampfrisiko bestünde kein Anspruch aus Annahmeverzug, da die Arbeitsleistung der Kläger nicht mehr sinnvoll habe verwertet werden können.
Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 11.06.1993 zugestelltes Urteil vom 25.02.1993, auf dessen Inhalt zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 42-50 d.A.), der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, in der Aufforderung, den Arbeitsplatz zu verlassen, sei keine Aussperrung zu sehen, da ein entsprechender Wille der Beklagten nicht zum Ausdruck gekommen sei. Darüber hinaus sei der Warnstreik auch nicht für den Ausfall der Arbeit nach 15.00 Uhr ursächlich gewesen, jedenfalls habe die Beklagte nicht substantiiert dargetan, daß wegen des Streiks ein ordnungsgemäßer Betriebsablauf nicht mehr gewährleistet gewesen sei.
Hiergegen richtet sich die am Montag, dem 12. Juli 1993 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13. September 1993 am 13. September 1993 begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist der Auffassung, ausreichend sei, daß der Tarifpartner die kollektiv-rechtliche Willenserklärung als Aussperrung verstanden habe. Daß dies der Fall gewesen sei, folge aus den von der IG Metall verfaßten Flugblättern und Handzettel. Auch der Umstand, daß auch die Mitarbeiter im Verwaltungsbereich nach Hause geschickt worden seien, belege, daß sich die Beklagte nicht ausschließlich auf fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten habe stützen wollen.
Die Beklagte behauptet ferner zunächst, die Mitarbeiter der Spätschicht und auch der Kläger hätten ihre Arbeit nicht aufgenommen, auch nicht nach der Arbeitsaufforderung durch den Personalleiter und Betriebsleiter. Sie habe in dieser Situation davon ausgehen können, daß es an diesem Tag aufgrund der Vorkommnisse zu keinerlei geregelter Arbeitsaufnahme mehr kommen werde.
In der mündlichen Verhandlung vom 01.09.1994 erklärte sie dann, sie könne nicht konkret für jeden Kläger behaupten, daß er nicht in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.00 Uhr gearbeitet habe. Sie habe jedenfalls in dieser Zeit festgestellt, daß Vorbereitungen getroffen worden seien für den Streik am Abend. Unter diesem Gesichtspunkt sei dann die Entscheidung gefallen, aussperren zu müssen. Der Betriebsleiter Soboll sei von einer Gruppe von Arbeitnehmern gefragt worden, ob dies denn eine Aussperrung sei, was von diesem sodann ausdrücklich bestätigt worden sei.
Wenn der Warnstreik sich auf eine halbe Stunde beschränkt hätte und nicht ausgeufert wäre, hätte an diesem Tag eine geregelte Arbeit noch erfolgen können. Wenn um 14.00 Uhr sämtliche Arbeitnehmer normal an ihrem Arbeitsplatz gearbeitet hätten, wäre der Betriebsablauf normal möglich gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 25.02.1993 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist weiter der Auffassung, die Beklagte habe weder ausdrücklich noch konkludent eine kollektiv-rechtliche Willenserklärung abgegeben. Die Erklärung gegenüber den Arbeitnehmern, wegen des vorangegangenen Streiks sei ein geordneter Produktionsablauf nicht mehr gewährleistet, könne nicht in eine inhaltlich andere einem anderen Empfänger gegenüber umgedeutet werden.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Beklagte dem Kläger für den 16. Juni 1992 Lohn in Höhe des eingeklagten Betrages unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gemäß §§ 615, 611, 293, 296 BGB schuldet.
Voraussetzung des § 615 S. 1 BGB ist, daß der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug geraten ist. Verzug tritt gemäß §§ 293 ff. BGB ein, wenn der Dienstberechtigte die tatsächlich angebotene Leistung nicht annimmt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Kläger ist am 16. Juni 1992 zur Arbeit erschienen und hat diese auch aufgenommen. Dies muß nach der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.1994 als unstreitig angesehen werden. Die Beklagte hat nämlich ihre ursprüngliche Behauptung, der Kläger habe seine Arbeit nicht aufgenommen, nicht aufrecht gehalten, sondern erklärt, dies für den Kläger konkret nicht behaupten zu können. Ein qualifiziertes Bestreiten der vom Kläger dargelegten Arbeitsleistung zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr, für die im übrigen auch die Tatsache spricht, daß diese Stunde von der Beklagten vergütet worden ist, kann deshalb nicht mehr angenommen werden. In dieser Arbeitsaufnahme liegt ein tatsächliches Angebot der geschuldeten Arbeitsleistung im Sinne des § 294 BGB für die Zeit nach 15.00 Uhr.
Mit der Aufforderung an den Kläger, um 15.00 Ihr nach Hause zu gehen, hat die Beklagte zu erkennen gegeben, daß sie nicht mehr bereit ist, die Arbeitsleistung des Klägers an diesem Tag anzunehmen, § 293 BGB.
Nach dem nunmehr unstreitigen Parteivortrag kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger um 15.00 Uhr nicht leistungsbereit gewesen ist. Denn wenn der Kläger vor 15.00 Uhr gearbeitet hat, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß er nicht ernsthaft bereit gewesen sein könnte, die angebotene Leistung, so wie sie geschuldet ist, auch weiterhin zu erbringen. Die von der Kammer ursprünglich beabsichtigte Beweisaufnahme war unter diesen Umständen nicht mehr erforderlich.
Der Eintritt des Annahmeverzuges ist auch nicht durch eine Arbeitskampfmaßnahme ausgeschlossen. Es konnte nämlich nicht festgestellt werden, daß die Beklagte eine suspendierende Abwehraussperrung wirksam ausgesprochen hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können auch Arbeitgeber, die keinem Arbeitgeberverband angehören, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Kurzstreiks mit Abwehraussperrungen beantworten (BAG vom 11.08.1992, 1 AZR 10392, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Begründet wird dies u.a. damit, daß gerade der Außenseiter-Arbeitgeber, der in einem Konflikt um einen Firmentarifvertrag einer Gewerkschaft allein gegenübersteht, die Möglichkeit haben muß, auf einen Streik mit einer Aussperrung zu antworten. Denn die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG dienen im Bereich der Tarifautonomie der Herstellung der Verhandlungsparität (BVerfG vom 26.06.1991, 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
Allerdings müssen sich Abwehraussperrungen gegen Kurzstreiks im Rahmen der Verhältnismäßigkeit halten, was anhand einer abstrakt-materiellen Betrachtungsweise zu beurteilen ist. Die Beantwortung eines Streiks mit einer Aussperrung darf nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen (BAG vom 11.08.1992, a.a.O.).
Ob diese Voraussetzungen vorliegend als erfüllt angesehen werden können, brauchte nicht entschieden zu werden. Es fehlt nämlich bereits an der erforderlichen Aussperrungserklärung der Beklagten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Großer Senat des BAG vom 21.04.1971 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ist zur Wirksamkeit einer Arbeitskampfmaßnahme die Verlautbarung eines einheitlichen Kampfentschlusses notwendig. Die Kampfmaßnahme muß dabei gegenüber dem Kampfgegner kundgetan werden (LAG Hamm vom 21.08.1980, 8 Sa 66/80, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) und eindeutig sein. Sie muß zu erkennen geben, daß ihre Ausführung planmäßig zur Erreichung des Kampfzieles erfolgt (BAG vom 14.10.1960, 1 AZR 233/58, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
So ist bei einer Arbeitsniederlegung erforderlich, daß dem Vertragsgegner eindeutig erklärt wird, ob es sich um einen Arbeitskampf oder beispielsweise um die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts handelt. Die Arbeitsniederlegung kann nämlich verschiedene Ursachen haben. Der Arbeitgeber muß deshalb "in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise" davon in Kenntnis gesetzt werden, wenn ein Zurückbehaltungsrecht und kein Arbeitskampf vorliegen soll (BAG vom 20.12.1963, 1 AZR 428/62, AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Otto in Münchner Handbuch, Band 3, § 274 Rdz. 14, § 279 Rdz. 136).
Auch bei einer Aussperrung muß mit der nach dem Beschluß des Großen Senats (a.a.O.) erforderlichen Eindeutigkeit erklärt werden, was gewollt ist (BAG vom 26.10.1971, 1 AZR 113/68, AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Der Gegner einer Arbeitskampfmaßnahme muß diese als solche erkennen können. Denn dies ist erforderlich, um eine angemessene Reaktion zu ermöglichen. Auch müssen für den Gegner die Folgen der Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, was aus dem Gebot des fairen Arbeitskampfes folgt. Denn während bei einer rechtmäßigen Aussperrung der Anspruch der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt entfällt, stellt sich bei der Geltendmachung von Produktionsstörungen bzw. von Störungen im Arbeitsablauf die Frage des Annahmeverzuges und hier der Risikozuordnung. Der Tarifgegner wird regelmäßig seine Reaktion davon abhängig machen, ob die Arbeitsunterbrechung durch den Arbeitgeber auf eine Aussperrung oder andere Ursachen zurückzuführen ist, und je nachdem gegebenenfalls kurzfristig eigene Kampfmaßnahmen planen oder aber die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen empfehlen.
Eine eindeutige Aussperrungserklärung in diesem Sinne hat die Beklagte vorliegend nicht abgegeben. Vielmehr hat sie nach dem unbestritten geblichenen Vortrag des Klägers die erforderliche Arbeitsniederlegung damit begründet, daß wegen des Streiks ein geordneter Produktionsablauf nicht mehr gewährleistet sei. Sie hat damit zu erkennen gegeben, daß die Unterbrechung der Produktion ihre Ursache in dem vorhergegangenen Verhalten der Arbeitnehmer hat. Dies ist aber etwas grundlegend anderes als die aktive Erklärung einer eigenen Kampfmaßnahme. Während der Arbeitgeber mit einer Aussperrung in die Offensive geht und frei über die Fortführung der Produktion entscheiden kann, ist er bei Produktionsablaufstörungen regelmäßig zur Produktionseinstellung gezwungen und reagiert lediglich auf bereits vorhandene Umstände.
Angesichts dieser eindeutigen Äußerung mußte auch die IG Metall als Erklärungsgegner nicht von dem Vorliegen einer Aussperrungserklärung ausgehen.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Beklagte sämtliche Mitarbeiter, mithin auch die des Verwaltungsbereichs, nach Hause geschickt hat. Denn zum einen ist es nicht zwingend, daß der Betriebsablauf im Angestelltenbereich unter keinem Gesichtspunkt infolge der Streikmaßnahmen derart beeinträchtigt worden ist, daß auch hier ein sinnvolles Weiterarbeiten bis zum bald folgenden Dienstschluß nicht möglich erscheint. Zum anderen kann jedenfalls angesichts der den Arbeitnehmern gegebenen anderslautenden Erklärung nicht davon ausgegangen werden, daß eine Aussperrung mit der notwendigen Deutlichkeit ausgesprochen worden ist.
Aus dem letztgenannten Gesichtspunkt kann auch der neue Sachvortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.1994, gegenüber einer Gruppe von Arbeitnehmern sei auf eine entsprechende Frage erwidert worden, dies sei eine Aussperrung, als wahr unterstellt werden. Selbst wenn dies gegenüber einzelnen Beschäftigten geäußert worden sein sollte, steht dies im Widerspruch zu den anderen Erklärungen, so daß nicht hinreichend klar wurde, was die Beklagte nun tatsächlich gewollt hat.
Aus der Bezeichnung der Maßnahme durch die IG Metall in dem Flugblatt vom 01.07.1992 bzw. in der Tarifinfo Nr. 2 ergibt sich keine andere Beurteilung. Zum einen wird die Maßnahme hier als "rechtswidrige" Aussperrung bezeichnet - eine Wertung, die auch bei fehlender Aussperrungsbekanntgabe zutreffend ist -, zum anderen kommt es auch bei der Kundgabe einer Arbeitskampfmaßnahme auf den objektiven Erklärungsinhalt an, nicht aber auf das, was der Empfänger subjektiv darunter versteht oder verstehen will. Den genannten Schreiben kann jedenfalls nicht entnommen werden, daß die IG Metall von einer rechtmäßigen Aussperrung ausgegangen ist.
Der Lohnanspruch des Klägers ist schließlich auch nicht auf der Grundlage der Lehre vom Arbeitskampfrisiko entfallen. Nach den Grundsätzen der Verteilung des Arbeitskampfrisikos haben arbeitswillige Arbeitnehmer in einem unmittelbar betroffenen Betrieb keinen Beschäftigungs- und Vergütungsanspruch, wenn arbeitskampfbedingt die Beschäftigung unmöglich oder unzumutbar wird (BAG vom 14.12.1993, 1 AZR 550/93, DB 1994, S. 632, 633; LAG Hamm vom 16.07.1993, 18 Sa 201/93, NZA 1994, S. 430, 431). Der Grundsatz der Kampfparität wirkt sich dadurch auf das Recht der Leistungsstörungen aus (BAG vom 22.12.1980, 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
Daß vorliegend eine Beschäftigung des Klägers und seiner Kollegen unmöglich oder unzumutbar war, hat die Beklagte nicht hinreichend konkret dargetan, obwohl bereits, das Arbeitsgericht den diesbezüglichen Vortrag nicht für ausreichend gehalten hat. Nach der Erklärung der Beklagten zu Protokoll vom 01.09.1994 vor dem Landesarbeitsgericht muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die vorausgegangene Streikmaßnahme nicht ursächlich für den Arbeitsausfall ab 15.00 Uhr geworden ist. Die Beklagte geht nunmehr nämlich selbst davon aus, daß dann, wenn sämtliche Arbeitnehmer um 14.00 Uhr normal an ihrem Arbeitsplatz gearbeitet hätten, der Betriebsablauf ungestört hätte fortgeführt werden können. Da aber der Warnstreik der IG Metall zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war, fehlt es an der erforderlichen Kausalität.
Nicht konkretisiert hat die Beklagte das Verhalten der Arbeitnehmer nach 14.00 Uhr. Ursprünglich hat sie zwar behauptet, sämtliche Beschäftigten hätten die Arbeit nicht aufgenommen. Zuletzt hat sie dies allerdings eingeschränkt und ausgeführt, sie könne nicht konkret für jeden Kläger behaupten, daß nicht gearbeitet worden sei. Unter diesen Umständen ist nicht hinreichend konkret dargelegt, daß aus bei den Arbeitnehmern liegenden Gründen die weitere Produktion unmöglich oder unzumutbar geworden ist. Nicht nachgegangen mußte deshalb auch der Frage, ob überhaupt eine Arbeitsniederlegung trotz Beendigung des Streiks dazu führen kann, daß der Kläger, dem ein konkretes Fehlverhalten nicht vorgeworfen wird, seinen Lohnanspruch verliert.
Der Annahmeverzug ist schließlich auch nicht für die Zeit ab 20.00 Uhr wieder entfallen. Zwar war für diese Zeit und/oder für 20.45 Uhr an diesem Tag eine weitere Streikmaßnahme vorgesehen. Hierzu ist es aber wegen des vorausgegangenen Verhaltens der Beklagten gerade nicht gekommen, so daß auch die Voraussetzungen der §§ 293-299 BGB nicht weggefallen sind.
Die Berufung der Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. II Ziffer 1 ArbGG.