Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.10.1994, Az.: 12 Sa 437/94

Kündigung eines Angestellten der Vergütungsgruppe VI b BAT als Geschäft der laufenden Verwaltung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
07.10.1994
Aktenzeichen
12 Sa 437/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 10741
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1994:1007.12SA437.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 16.12.1993 - AZ: 1 Ca 320/93
nachfolgend
BAG - 14.02.1996 - AZ: 2 AZR 234/95

Amtlicher Leitsatz

Die Kündigung eines Angestellten der Vergütungsgruppe VI b BAT ist ein Geschäft der laufenden Verwaltung i. S.v. § 63 IV NGO; jedenfalls bei einer Stadt von über 145.000 Einwohnern.

In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Oktober 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ...
und die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 16. Dezember 1993 - 1 Ca 320/93 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines zwischen ihnen am 19. August 1992 geschlossenen Aufhebungsvertrages und einen vom Kläger geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch.

2

Der am 28. Januar 1956 geborene Kläger war seit 1972 zunächst als Auszubildender und dann als Verwaltungsangestellter bei der beklagten Stadt beschäftigt. Er ist alkoholkrank. Nachdem der Beklagten bekanntgeworden war, daß der Kläger in den Jahren 1990 bis 1992 gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hatte, suchten der Leiter des Personalamts der Beklagten, der Zeuge ..., sowie ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten den Kläger am 19. August 1992 in dessen Wohnung auf, hielten ihm seine Verfehlungen vor und schlossen mit dem Kläger einen bereits vorbereiteten "Auflösungsvertrag", den der Kläger und Herr ... unterzeichneten mit folgendem Inhalt:

"Das zwischen der Stadt ... vertreten durch den Oberstadtdirektor,

und

Herrn ..., geb. ...

mit Arbeitsvertrag vom 17.02.1988 abgeschlossene Arbeitsverhältnis wird im gegenseitigen Einvernehmen nach § 58 BAT mit sofortiger Wirkung beendet.

..., 19.08.1992

Der Oberstadtdirektor

Im Auftrage"

3

Der Kläger hält die getroffene Vereinbarung für unwirksam und hat deshalb am 28. Mai 1993 die vorliegende Klage eingereicht, nachdem er bereits mit Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten vom 18. Dezember 1992 die Unwirksamkeit des Auflösungsvertrages geltend gemacht hatte.

4

Der Kläger hat vorgetragen, er sei von den Mitarbeitern der Beklagten überrascht worden und nach durchzechter Nacht in alkoholisiertem Zustand gewesen, so daß er nicht in der Lage gewesen sei, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Er habe sich alkoholbedingt in einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit befunden. Ihm sei weder eine Bedenkzeit eingeräumt, noch sei er auf durch den Vertragsabschluß eintretende Nachteile hingewiesen worden.

5

Der Auflösungsvertrag sei auch deshalb unwirksam, weil es an einer Bevollmächtigung des Mitarbeiters ... durch den Oberstadtdirektor fehle und die Vorschriften der Niedersächsischen Gemeindeordnung - Unterzeichnung der Vereinbarung durch den Oberbürgermeister und den Oberstadtdirektor gemeinsam unter Beifügen des Dienstsiegels - nicht eingehalten worden seien.

6

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Auflösungsvertrag vom 19.08.1992 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hat bestritten, daß der Kläger bei Abschluß des Vertrages geschäftsunfähig gewesen sei. Zu keinem Zeitpunkt des Besuches hat er den Eindruck erweckt, noch unter Alkoholeinfluß zu stehen.

9

Auch die formalen Bedenken des Klägers gegen die Wirksamkeit des Auflösungsvertrages seien unberechtigt.

10

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im übrigen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 52 bis 54 d.A.) sowie die zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

11

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat durch das am 16. Dezember 1993 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 51 bis 58 d.A.) die Klage abgewiesen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 11.694,00 DM festgesetzt.

12

Es hat angenommen, das Arbeitsverhältnis sei durch den Auflösungsvertrag vom 19. August 1992 beendet worden. Dieser sei nämlich nicht nichtig nach § 105 BGB. Aus dem klägerischen Vortrag sei nämlich nicht ersichtlich, daß er den Aufhebungsvertrag im Zustand der Bewußtlosigkeit unterschrieben habe. Dahinstehen könne, ob der Kläger am 18. August 1992 derartig alkoholisiert gewesen sei, daß er bewußtlos i. S. von § 105 Abs. 2 BGB gewesen sei. Darauf könne es deshalb nicht ankommen, weil der Auflösungsvertrag zwischen 11.00 Uhr und 12.00 Uhr am 19. August 1992 unterschrieben worden sei. Daß er zu diesem Zeitpunkt noch alkoholisiert gewesen sei, ergebe sich aus dem Vortrag des Klägers nicht. Soweit er dies behaupte, sei sein Vorbringen unsubstantiiert. Es wäre seine Sache gewesen, im einzelnen darzulegen, wieso er noch bewußtlos i. S. von § 105 Abs. 2 BGB gewesen sein solle, obwohl er unstreitig geschlafen und fast 10 Stunden nichts mehr getrunken habe. Wenn sich aber aus seinem eigenen Vortrag schon nicht ergebe, daß er im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung bewußtlos gewesen sei oder eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit i. S. von § 105 Abs. 2 BGB vorgelegen habe, so sei der Aufhebungsvertrag auch nicht nichtig nach § 105 Abs. 1 BGB. Auch ansonsten sei der Aufhebungsvertrag nicht nichtig, denn der Kläger trage Anfechtungsgründe nicht vor. Der Vertrag sei auch nicht unwirksam, weil der Mitarbeiter ... nicht bevollmächtigt gewesen sei, einen solchen Aufhebungsvertrag für die Beklagte zu unterzeichnen und das Dienstsiegel nach der Niedersächsischen Gemeindeordnung gefehlt habe. Mit Beschluß vom 23. Februar 1977 habe nämlich der Verwaltungsausschuß der Beklagten dem Oberstadtdirektor die Befugnis zur Einstellung, Eingruppierung und Entlassung von Angestellten mit Ausnahme der Angestellten, die in Vergütungsgruppe I bis IV a BAT eingestellt werden oder eingestuft seien, übertragen. Da der Kläger nach Vergütungsgruppe VI b BAT eingestuft sei, gehöre er nicht zur ausgenommenen Vergütungsgruppe. Mithin sei der Oberstadtdirektor befugt gewesen, den Aufhebungsvertrag allein zu unterschreiben und habe sich auch vertreten lassen können. Eine unverzügliche Zurückweisung der durch den Mitarbeiter ... vorgenommenen Unterschriftsleistung von seiten des Klägers in entsprechender Anwendung des § 174 Satz 1 BGB sei nicht erfolgt, so daß der Auflösungsvertrag auch nicht aus diesem Grunde unwirksam sei. Einen Weiterbeschäftigungsanspruch habe der Kläger nicht, da das Arbeitsverhältnis beendet worden sei.

13

Gegen das ihm am 11. Februar 1994 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. März 1994 Berufung eingelegt und diese am 11. April 1994 (Montag) begründet.

14

Der Kläger wiederholt und ergänzt sein erstinstanzliches Vorbringen und macht insbesondere geltend, da der Beklagten seine Alkoholkrankheit bekanntgewesen sei, habe sie eine besondere Fürsorgepflicht in Erörterung des Sachverhaltes mit dem Kläger getroffen. Es wäre erforderlich gewesen, den Personalrat oder einen Sozialarbeiter, den die Beklagte extra eingestellt habe, zur Betreuung der Mitarbeiter, die sich in derartigen Schwierigkeiten befinden, hinzuzuziehen. Statt dessen hätten die Mitarbeiter der Beklagten in Ausnutzung der Situation ihn überrumpelt mit der Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung.

15

Am 18. August 1992 habe er den ganzen Tag über bis in die frühen Morgenstunden des 19. August 1992 hinein Alkohol (Bier und Schnaps) in einem Maße zu sich genommen, bis er nicht mehr gekonnt habe. Damit habe er einen Grad der Alkoholisierung erreicht, der einen Blutalkoholgehalt von mehr als 3,0 g Promille ergeben würde. Er habe sich damit in einem Zustand der Bewußtlosigkeit i. S. des § 105 Abs. 2 BGB befunden. Dieser Zustand habe auch noch angedauert, als die Gespräche zwischen ihm und den Mitarbeitern der Beklagten geführt worden seien.

16

Er bestreite weiterhin, daß der Mitarbeiter ... durch den Oberstadtdirektor bevollmächtigt gewesen sei, eine derartige Erklärung zu unterzeichnen. Auch bleibe er bei seiner Auffassung, daß die Wirksamkeitsbestimmungen der Niedersächsischen Gemeindeordnung für die Begründung bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Angestellten nicht vorlägen. Danach bedürften derartige Vereinbarungen der Unterzeichnung durch den Oberbürgermeister und den Oberstadtdirektor gemeinsam unter Beifügung des Dienstsiegels. Den von der Beklagten vorgelegten Niederschriften sei zu entnehmen, daß die Gremiumsmitglieder Zustimmung zu dem Anliegen der Verwaltung erteilt hätten, weil durch die Verwaltung in besonderem Maße herausgestellt worden sei, daß insbesondere auch bei Entlassung der Personalrat beteiligt sei. Da vorliegend unstreitig eine Beteiligung des Personalrats nicht erfolgt sei - rein formell auch möglicherweise nicht erfolgen müsse - erscheine der Abschluß von Aufhebungsverträgen durch die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen nicht gedeckt.

17

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 16.12.1993 aufzuheben und festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Auflösungsvertrag vom 19.08.1992 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht,

sowie

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

18

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

19

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 20. Juni 1994 (Bl. 96 bis 101 d.A. nebst Anlage Bl. 102 d.A.) und beruft sich hilfsweise darauf, daß der Kläger seine Klagebefugnis verwirkt habe.

20

Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 7. Oktober 1994 (Bl. 112, 113 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

22

Zwar ist das Klagerecht des Klägers nicht verwirkt. Der Auflösungsvertrag der Parteien vom 19. August 1992 ist jedoch in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht als wirksam anzusehen.

23

Die Frage, ob die Auflösung eines Arbeitsvertrages hingenommen wird, duldet keinen längeren Schwebezustand. Deshalb kann auch die Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Auflösungsvertrages verwirken. Für eine solche Verwirkung müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Einmal muß der Gläubiger mit der Geltendmachung des Anspruchs besonders lange gezögert haben (Zeitmoment). Er muß weiter durch sein unangemessen langes Zuwarten beim Schuldner die Ansicht hervorgerufen haben, er werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen, so daß der Schuldner sich darauf eingestellt hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Schließlich muß dem Schuldner jetzt die Erfüllung des Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar sein. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zum Ergebnis, daß die beklagte Stadt sich nicht darauf berufen kann, der Anspruch des Klägers sei wegen illoyaler Verspätung gemäß § 242 BGB verwirkt. Zur Verwirkung gehört auch der Umstand, daß dem Schuldner, also der Beklagten, die Erfüllung der verspätet geltend gemachten Forderung nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist. Zu diesem Punkt der Zumutbarkeit hat die Beklagte im vorliegenden Fall nichts vorgetragen. Damit sind aber die Voraussetzungen, unter denen der Klageanspruch hätte verwirken können, nicht schlüssig dargelegt, so daß das Berufen der Beklagten auf Verwirkung ohne Erfolg bleiben muß.

24

Der Auflösungsvertrag zwischen den Parteien vom 19. August 1992 ist jedoch wirksam und hat ihr Arbeitsverhältnis beendet, so daß auch kein Beschäftigungsanspruch des Klägers besteht.

25

Soweit der Kläger die Beseitigung des Aufhebungsvertrages mit der Begründung begehrt, er sei am 19. August 1992 von den beiden Mitarbeitern der Beklagten "überrumpelt" worden, kann er keinen Erfolg haben, denn ein Aufhebungsvertrag ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat (vgl. BAG NZA 94, 209 ff. [BAG 30.09.1993 - 2 AZR 268/93]).

26

Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend festgestellt, daß der Vertragsschluß nicht nach § 105 Abs. 2 BGB nichtig ist, da der Kläger die Voraussetzungen hierfür nicht nachgewiesen hat. Eine Willenserklärung ist dann unwirksam, wenn sie im Zustand der Bewußtlosigkeit oder der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wurde. Die genannte Vorschrift setzt einen Zustand voraus, der die freie Willensbestimmung ausschließt. Die geistige Störung muß dabei einen völligen Ausschluß der freien Willensbestimmung zur Folge haben. Wer behauptet, daß eine Willenserklärung aus den in § 105 Abs. 2 BGB genannten Gründen nichtig ist, hat dies für den Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäfts zu beweisen. Dazu gehört auch der Nachweis, daß der Zustand der Bewußtlosigkeit bzw. die vorübergehende Störung der Geistestätigkeit zu einem Ausschluß der freien Willensbestimmung geführt hat. Eine hochgradige Trunkenheit reicht dafür nicht ohne weiteres aus (vgl. OLG Düsseldorf WM 88, 1407 f.) Wie die Beklagte - welche die entsprechenden Erklärungen des Klägers bestritten hat - zu Recht bemängelt, hat der Kläger keine ausreichenden konkreten Tatsachen für den Grad seiner behaupteten Alkoholisierung vorgetragen. Seine Angaben sind vage und lassen eine genaue Bestimmung der genossenen Alkoholmenge nicht zu, so daß dem Beweisantritt Sachverständigengutachten nicht nachzugehen ist, denn dies liefe auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus. Soweit sich der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung darauf berufen hat, daß im Strafverfahren eine Sachverständige seine eingeschränkte Schuldfähigkeit festgestellt habe, ist dies unbeachtlich, denn entscheidend ist der Zustand des Klägers bei Abschluß des Auflösungsvertrages und nicht hinsichtlich der im Strafverfahren zu überprüfenden Vorwürfe.

27

Schließlich ist der umstrittene Auflösungsvertrag auch nicht wegen fehlender Vertretungsbefugnis unwirksam. Der Vertrag vom 19. August 1992 bedurfte entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Unterzeichnung durch den Oberbürgermeister und den Oberstadtdirektor unter Beifügung des Dienstsiegels. Zwar bestimmt § 80 Abs. 5 Satz 3 NGO im Wege einer Rechtsfolgenverweisung (BAG AP Nr. 6 zu § 174 BGB), daß für die Anstellungsverträge und sonstigen schriftlichen Erklärungen zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Angestellten und Arbeitern § 63 Abs. 2 und 4 gilt. Gemäß § 63 Abs. 2 NGO kann Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll, der Gemeindedirektor nur gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden abgeben. Sie sind, sofern sie nicht gerichtlich oder notariell beurkundet werden, nur rechtsverbindlich, wenn sie handschriftlich unterzeichnet und mit dem Dienstsiegel versehen sind. Nach § 63 Abs. 4 NGO gelten die Absätze 2 und 3 nicht für Geschäfte der laufenden Verwaltung. Im Streitfall liegt ein Geschäft der laufenden Verwaltung vor, so daß § 63 Abs. 2 NGO keine Anwendung findet.

28

Zu den Geschäften der laufenden Verwaltung einer Stadt gehören die Aufgaben des Verwaltungsvollzuges, soweit sie nicht von grundsätzlicher über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sind, sich in den Grenzen der üblicherweise von einer Gemeindeverwaltung zu erledigenden Aufgaben bewegen und keine besondere über den üblichen Rahmen hinausgehende Behandlung oder Beurteilung erfordern. Dabei kann der tatsächliche Umfang der Geschäfte der laufenden Verwaltung vor allem in Abhängigkeit von der Gemeindegröße und dem Haushaltsvolumen und der Eigenart der örtlichen Verwaltungsaufgaben sehr unterschiedlich sein. In einer Großstadt - die Beklagte hat über 145.000 Einwohner - kann z. B. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung von einfachem Büropersonal oder Reinigungskräften ebenso ein Geschäft der laufenden Verwaltung sein wie der Abschluß eines Arbeitsvertrages (Krückhans, Anmerkung zu AP Nr. 6 zu § 174 BGB). Dies muß im Streitfall insbesondere auch für eine Entlassung und damit ebenfalls für einen Auflösungsvertrag angenommen werden, weil gemäß § 80 Abs. 4 Satz 3 NGO der Verwaltungsausschuß der Beklagten dem Oberstadtdirektor die Befugnis übertragen hat, über die Einstellung, Eingruppierung und Entlassung von Angestellten mit Ausnahme der Angestellten, die in Vergütungsgruppe I bis V c eingestuft werden oder eingestuft sind, zu entscheiden. Damit fällt die Entlassung des Klägers, welcher nach Vergütungsgruppe VI b BAT bezahlt wird, in den Zuständigkeitsbereich des Oberstadtdirektors und gilt als Geschäft der laufenden Verwaltung.

29

Daß der Personalrat bei Abschluß des Auflösungsvertrages nicht beteiligt worden ist, rechtfertigt nicht die Unwirksamkeit der Vereinbarung. Zum einen sieht das Personalvertretungsgesetz in Niedersachsen keine Beteiligung des Personalrats beim Abschluß von Auflösungsverträgen vor, so daß insoweit die Erklärungen anläßlich der Sitzung des Verwaltungsausschusses vom 28. Oktober 1975 nicht einschlägig sind. Selbst wenn man aber eine Personalratsbeteiligung im Streitfall auf freiwilliger Basis annehmen will, so ist dies eine interne Verwaltungsangelegenheit der Beklagten und entfaltet gegenüber dem Kläger keine Außenwirkung wie etwa ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht und dessen Verletzung.

30

Auch die Unterschriftsleistung unter den Auflösungsvertrag durch den Leiter des Personalamtes ... begegnet keinen Bedenken. Die Vertretung der Gemeinde (Stadt) nach außen ist dem Gemeindedirektor (hier: Oberstadtdirektor) nicht zur Person, sondern als Organ übertragen. Das bedeutet, daß sämtliche Gemeindebediensteten nach Maßgabe ihres durch den Organisationsplan oder Einzelanweisung dienstordnungsmäßig festgelegten Aufgabenbereiches auch zugleich vertretungsberechtigt sind. Der innerdienstliche Auftrag und die nach außen wirkende Vertretungsmacht decken sich in vollem Umfang. Irgendeiner besonderen Bevollmächtigung bedarf es nicht. Herr ... als dienstlich zuständiger Stadtbediensteter (Leiter des Personalamtes) konnte deshalb die Beklagte bei Abschluß des Auflösungsvertrages vertreten.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert des Berufungsverfahrens: 11.694,00 DM.