Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.1994, Az.: 7 Sa 930/93

Anspruch auf Vergütung aus Annahmeverzug infolge einer Aussperrung; Voraussetzungen des Eintritts des Annahmeverzuges; Arbeitsaufnahme als tatsächliches Angebot der geschuldeten Arbeitsleistung; Voraussetzungen der Ablehnung eines Arbeitsangebotes; Wirksamkeit einer Abwehraussperrung; Anforderungen an eine Aussperrungserklärung; Entfallen eines Lohnanspruchs nach der Grundlage der Lehre vom Arbeitskampfrisiko

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
01.09.1994
Aktenzeichen
7 Sa 930/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 15745
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1994:0901.7SA930.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 20.04.1993 - AZ: 5 Ca 458/92
ArbG Oldenburg - 20.04.1993 - AZ: 5 Ca 459/92
ArbG Oldenburg - 20.04.1993 - AZ: 5 Ca 483/92
ArbG Oldenburg - 20.04.1993 - AZ: 5 Ca 499/92
ArbG Oldenburg - 20.04.1993 - AZ: 5 Ca 501/92

Prozessführer

2. ... - 29. ...

Prozessgegner

...

Redaktioneller Leitsatz

Auch Arbeitgeber, die keinem Arbeitgeberverband angehören, können im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Kurzstreiks mit Abwehraussperrungen beantworten. Die Beantwortung eines Streiks mit einer Aussperrung darf nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen.

Zur Wirksamkeit einer Arbeitskampfmaßnahme ist die Verlautbarung eines einheitlichen Kampfentschlusses notwendig. Die Kampfmaßnahme muß dabei gegenüber dem Kampfgegner kundgetan werden und eindeutig sein. Sie muß zu erkennen geben, dass ihre Ausführung planmäßig zur Erreichung des Kampfzieles erfolgt.

Nach den Grundsätzen der Verteilung des Arbeitskampfrisikos haben arbeitswillige Arbeitnehmer in einem unmittelbar betroffenen Betrieb keinen Beschäftigungs- und Vergütungsanspruch, wenn arbeitskampfbedingt die Beschäftigung unmöglich oder unzumutbar wird.

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 01. September 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20.04.1993, 5 Ca 458/92, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt,

an den Kläger zu 1)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 2)177,17 DM brutto,
an den Kläger zu 3)173,46 DM brutto,
an den Kläger zu 4)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 5)165,90 DM brutto,
an den Kläger zu 6)178,38 DM brutto,
an den Kläger zu 7)174,65 DM brutto,
an den Kläger zu 8)185,55 DM brutto,
an den Kläger zu. 9)167,30 DM brutto,
an den Kläger zu 10)199,23 DM brutto,
an den Kläger zu 11)175,93 DM brutto,
an den Kläger zu 12)185,73 DM brutto,
an den Kläger zu 13)163,45 DM brutto,
an den Kläger zu 14)174,65 DM brutto,
an den Kläger zu 15)181,00 DM brutto,
an den Kläger zu 16)158,76 DM brutto,
an den Kläger zu 17)165,90 DM brutto,
an den Kläger zu 18)178,71 DM brutto,
an den Kläger zu 19)175,93 DM brutto,
an den Kläger zu 20)182,98 DM brutto,
an den Kläger zu 21)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 22)162,82 DM brutto,
an den Kläger zu 23)172,12 DM brutto,
an den Kläger zu 24)162,89 DM brutto,
an den Kläger zu 25)183,68 DM brutto,
an den Kläger zu 26)161,00 DM brutto,

nebst 4 % Zinsen auf den sich jeweils ergebenden Nettobetrag seit dem 20.10.1992

sowie

an den Kläger zu 27)181,00 DM brutto,
an den Kläger zu 28)163,45 DM brutto,
an den Kläger zu 29)177,35 DM brutto

nebst 4 % Zinsen auf den sich jeweils ergebenden Nettobetrag seit dem 19.11.1992

zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits bei einem Streitwert von 5.011,99 DM zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte am 16.06.1992 die in ihrem Betrieb Wildeshausen beschäftigten Arbeitnehmer ausgesperrt hat oder durch die Aufforderung an die Arbeitnehmer, das Werk zu verlassen, in Annahmeverzug geraten ist.

2

Die Beklagte betreibt an mehreren Standorten ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie und stellt insbesondere Baumaschinen her. In dem Werk in Wildeshausen sind 350 Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar 244 im gewerblichen und 106 im Angestelltenbereich. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitnehmer beträgt im gewerblichen Bereich je nach Abteilung zwischen 70 und 100 % und im Angestelltenbereich ca. 65 %. Die Beklagte selbst ist keinem Arbeitgeberfachverband angeschlossen, sondern schließt mit der IG METALL, der die Kläger angehören, Haustarifverträge ab.

3

Im Juni 1992 fanden bei der Beklagten Lohn- und Gehaltstarif Verhandlungen statt, wobei auch eine Arbeitszeitverkürzung zur Diskussion stand. In diesem Zusammenhang kam es am 12. Juni 1992 zwischen 9.15 Uhr und 10.15 Uhr zu einer Arbeitsniederlegung, an der 80 % der Arbeitnehmer teilnahmen.

4

Am 16. Juni 1992 rief die IG Metall in dem Werk der Beklagten durch Handzettel und Plakate (Bl. 37 und 40 d. A.) zu einem Warnstreik auf. Nach der Mittagspause nahmen daraufhin 57 Angestellte und 138 gewerbliche Arbeitnehmer aus der Normal- und Frühschicht die Arbeit nicht auf. Nach Abschluß der Versammlung vor dem Verwaltungsgebäude der Beklagten zwischen 13.30 Uhr und 13.45 Uhr erklärte der Bezirkssekretär der IG Metall, daß der Warnstreik mit Schichtende beendet sei, es sei den Mitarbeitern freigestellt, nach Belieben nach Hause zu gehen. Regulär dauerte die Arbeitszeit an diesem Tag in der Frühschicht bis um 14.00 Uhr und in der Normalschicht bis um 15.45 Uhr. Aus der Frühschicht verließen 62 Arbeitnehmer das Betriebsgelände, lediglich 6 Arbeitnehmer begaben sich zu den Arbeitsplätzen zurück bzw. nahmen am Streik nicht teil.

5

Für die Spätschicht von 14.00 Uhr bis 22.15 Uhr lagen ebenfalls Streikaufrufe vor, wobei als Streikbeginn 20.00 Uhr und 20.45 Uhr aufgeführt war (Bl. 28-36, 38, 39 d. A.).

6

Die Kläger, die bei der Beklagten überwiegend im Akkord tätig sind, hatten an diesem Tag Spätschicht. Sie trafen pünktlich zum Arbeitsbeginn ein und diskutierten auch über das Geschehen des Tages. Ob sie und ihre Kollegen dabei die Arbeit aufgenommen haben, war erstinstanzlich streitig. Der damalige Personalleiter der Beklagten Kriesler und der Betriebsleiter Soboll forderten dann zwischen 14.30 Uhr und 15.00 Uhr sämtliche Arbeitnehmer auf, die Arbeitsplätze zu verlassen und nach Hause zu gehen. Auf Nachfrage wurde mitgeteilt, der Arbeitsablauf sei nicht gesichert.

7

Die Beklagte zahlte an die Kläger für den 16. Juni 1992 den Lohn für die Zeit bis 15.00 Uhr, nicht jedoch für die Zeit danach in unstreitiger Höhe der Klageforderung. Dieser Lohn wurde von den Klägern bis spätestens Ende August 1992 bei der Beklagten schriftlich geltend gemacht.

8

Am 19. Juni 1992 erzielte die Beklagte mit der IG Metall ein Verhandlungsergebnis, auf dessen Inhalt im übrigen Bezug genommen wird (Bl. 50, 51 d. A.).

9

Ziffer VII. dieser Vereinbarung lautet:

Die Parteien sind sich darüber einig, daß die ausgefallene Arbeitszeit, bedingt durch den von der IG Metall veranlaßten Warnstreik, nicht gezahlt wird.

10

In einem Schreiben vom 01.07.1992 an alle Arbeitnehmer der Beklagten (Bl. 59 d. A.) erklärte die IG Metall u.a., der Arbeitgeber habe "rechtswidrig die betroffenen Arbeitnehmer ausgesperrt". In der Tarifinfo Nr. 2 (Bl. 60 d. A.) wurde die Maßnahme der Beklagten als verfassungswidrige "Angriffsaussperrung" bezeichnet.

11

Die Kläger haben behauptet, die Lager- und Transportarbeitsplätze seien voll besetzt und die Handlager wohl gefüllt gewesen. Der Arbeitsablauf habe sich wie an jedem normalen Tag gestaltet.

12

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an den Kläger zu 1)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 2)177,17 DM brutto,
an den Kläger zu 3)173,46 DM brutto,
an den Kläger zu 4)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 5)165,90 DM brutto,
an den Kläger zu 6)178,38 DM brutto,
an den Kläger zu 7)174,65 DM brutto,
an den Kläger zu 8)185,55 DM brutto,
an den Kläger zu 9)167,30 DM brutto,
an den Kläger zu 10)199,23 DM brutto,
an den Kläger zu 11)175,93 DM brutto,
an den Kläger zu 12)185,73 DM brutto,
an den Kläger zu 13)163,45 DM brutto,
an den Kläger zu 14)174,65 DM brutto,
an den Kläger zu 15)181,00 DM brutto,
an den Kläger zu 16)158,76 DM brutto,
an den Kläger zu 17)165,90 DM brutto,
an den Kläger zu 18)178,71 DM brutto,
an den Kläger zu 19)175,93 DM brutto,
an den Kläger zu 20)182,98 DM brutto,
an den Kläger zu 21)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 22)162,82 DM brutto,
an den Kläger zu 23)172,12 DM brutto,
an den Kläger zu 24)162,89 DM brutto,
an den Kläger zu 25)183,68 DM brutto,
an den Kläger zu 26)161,00 DM brutto,
an den Kläger zu 27)181,00 DM brutto,
an den Kläger zu 28)163,45 DM brutto,
an den Kläger zu 29)177,35 DM brutto

nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

13

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte hat behauptet, auch aus der Normalschicht hätten 61 Arbeitnehmer nach dem Streik das Betriebsgelände verlassen, während lediglich 9 Arbeitnehmer sich zu den Arbeitsplätzen zurückbegeben bzw. am Streik nicht teilgenommen hätten. Die Produktion sei nach der Mittagspause nicht wieder aufgenommen worden. Hierdurch sei ein ordnungsgemäßer Arbeitsablauf für diesen Tag nicht mehr gewährleistet gewesen. Da ein erheblicher Teil der Mitarbeiter, die für das Lager- und innerbetriebliche Transportwesen zuständig seien, die Arbeit nicht wieder aufgenommen und alle Staplerfahrer sich dem Streik angeschlossen hätten, sei nur noch eine mangelnde Materialzuführung seitens des Lagers gewährleistet gewesen. Auch sei ein Unfallschutz durch Ersthelfer nicht abgedeckt gewesen und Schichtaufsichten hätten gefehlt.

15

Auch die Mitarbeiter der Spätschicht hätten ihre Arbeitsplätze nicht ein- und die Arbeit nicht aufgenommen, sondern hätten über das Streikgeschehen diskutiert. Der damalige Personalleiter der Beklagten Kriesler und der Betriebsleiter Soboll hätten zwischen 14.00 Uhr und 14.50 Uhr mindestens zweimal die Arbeitnehmer in den Abteilungen vergeblich zur Arbeit aufgefordert. Die Zeit bis 15.00 Uhr sei gezahlt worden, weil die Beklagte gemeint habe, erst ab Beginn der Aussperrung zur Verweigerung der Lohnzahlung berechtigt zu sein.

16

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, sie habe den Kläger rechtmäßig ausgesperrt. Ein Verstoß gegen das Übermaßgebot liege angesichts des deutlichen Verhandlungsübergewichts der IG Metall und der vorausgegangenen Streikmaßnahmen nicht vor. Aber auch nach der Rechtsprechung zum Arbeitskampfrisiko bestünde kein Anspruch aus Annahmeverzug, da die Arbeitsleistung der Kläger nicht mehr sinnvoll habe verwertet werden können.

17

Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 11.05.1993 zugestelltes Urteil vom 20.04.1993, auf dessen Inhalt zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 83-91 d. A.), die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe die Arbeitnehmer der Spätschicht wirksam ausgesperrt. Die Beklagte habe als sog. Arbeitgeber - Außenseiter zur Herstellung der Verhandlungsparität auf einen gewerkschaftlichen Streik zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages mit einer Abwehraussperrung antworten dürfen. Die Aussperrung sei auch verhältnismäßig gewesen. Angesichts des Organisationsgrades der Beschäftigten der Beklagten sei davon auszugehen, daß die Gewerkschaft gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber, der keinem Fachverband angehöre, ein Übergewicht habe. Der zulässige Rahmen sei eingehalten worden. Nicht erforderlich sei, daß die Maßnahme als Aussperrung bezeichnet worden sei, da die Beklagte kollektiv eine Mehrheit von Arbeitnehmern als Kampfmittel von der Arbeit ausgeschlossen habe.

18

Hiergegen richtet sich die am 7. Juni 1993 eingelegte und am 5. Juli 1993 begründete Berufung der Kläger.

19

Die Kläger sind der Auffassung, die Beklagte habe weder ausdrücklich noch konkludent eine kollektiv-rechtliche Willenserklärung abgegeben. Es fehle eine Erklärung gegenüber dem Gegner der Tarifauseinandersetzung, der IG Metall. Diese habe erst am nächsten Tag durch einen Anruf des Betriebsratsvorsitzenden von der "Aussperrung" erfahren. Die Erklärung gegenüber den Arbeitnehmern, wegen des vorangegangenen Streiks sei ein geordneter Produktionsablauf nicht mehr gewährleistet, könne nicht im nachhinein in eine Aussperrung umgedeutet werden.

20

Nicht nachvollziehbar sei zudem, weshalb streikbedingt eine sinnvolle Arbeit nicht mehr möglich gewesen sei. Die Beklagte argumentiere widersprüchlich, wenn sie einerseits behaupte, noch um 14.00 Uhr und um 14.50 Uhr sei zur Arbeit aufgefordert worden, ab 15.00 Uhr sei dann eine Arbeit aber nicht mehr möglich gewesen.

21

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20.04.1993 abzuändern und nach den in 1. Instanz gestellten Anträgen zu erkennen mit der Maßgabe, daß Zinsen lediglich auf den sich aus dem eingeklagten Bruttobetrag ergebenden Nettobetrag verlangt werden.

22

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

23

Die Beklagte ist der Auffassung, ausreichend sei, daß der Tarifpartner die kollektiv-rechtliche Willenserklärung als Aussperrung verstanden habe. Daß dies der Fall gewesen sei, folge aus den von der IG Metall verfaßten Flugblättern und Handzettel. Auch der Umstand, daß auch die Mitarbeiter im Verwaltungsbereich nach Hause geschickt worden seien, belege, daß sie ein Kampfsignal gegenüber dem Tarifpartner habe setzen wollen. Die Aussperrung habe der Dokumentierung ihrer Arbeitskampfbereitschaft gedient. Hierfür sei es nicht notwendig, daß der Tarifpartner während oder bei der Aussperrung davon Kenntnis erlangt.

24

In der mündlichen Verhandlung vom 01.09.1994 erklärte die Beklagte, sie könne nicht konkret für jeden Kläger behaupten, daß er nicht in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.00 Uhr gearbeitet habe. Sie habe jedenfalls in dieser Zeit festgestellt, daß Vorbereitungen getroffen worden seien für den Streik am Abend. Unter diesem Gesichtspunkt sei dann die Entscheidung gefallen, aussperren zu müssen. Der Betriebsleiter Soboll sei von einer Gruppe von Arbeitnehmern gefragt worden, ob dies denn eine Aussperrung sei, was von diesem sodann ausdrücklich bestätigt worden sei.

25

Wenn der Warnstreik sich auf eine halbe Stunde beschränkt hätte und nicht ausgeufert wäre, hätte an diesem Tag eine geregelte Arbeit noch erfolgen können. Wenn um 14.00 Uhr sämtliche Arbeitnehmer normal an ihrem Arbeitsplatz gearbeitet hätten, wäre der Betriebsablauf normal möglich gewesen.

Entscheidungsgründe

26

Die Berufung der Kläger ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG. Unschädlich ist, daß der auf jeden einzelnen Kläger entfallende Beschwerdewert unter 800,00 DM liegt. Nach der Rechtsprechung des BAG sind nämlich bei Rechtsmitteln mehrerer Streitgenossen die Beschwerdewerte gemäß § 5 ZPO zusammenzurechnen (BAG vom 31.01.1984, 1 AZR 174/81, AP Nr. 15 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BGHZ 23, 333, 339) [BGH 18.02.1957 - II ZR 287/54].

27

Die Berufung ist auch begründet.

28

Die Beklagte schuldet den Klägern für den 16. Juni 1992 Lohn in Höhe des eingeklagten Betrages unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gemäß §§ 615, 611, 293, 296 BGB.

29

Voraussetzung des § 615 S. 1 BGB ist, daß der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug geraten ist. Verzug tritt gemäß §§ 293 ff. BGB ein, wenn der Dienstberechtigte die tatsächlich angebotene Leistung nicht annimmt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

30

Die Kläger sind am 16. Juni 1992 zur Arbeit erschienen und haben diese auch aufgenommen. Dies muß nach der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.1994 als unstreitig angesehen werden. Die Beklagte hat nämlich ihre ursprüngliche Behauptung, die Kläger hätten nicht mit ihrer Arbeit begonnen, nicht aufrecht gehalten, sondern erklärt, dies für jeden Kläger konkret nicht behaupten zu können. Ein qualifiziertes Bestreiten der von den Klägern dargelegten Arbeitsleistung zwischen 14.00 Uhr um 15.00 Uhr, für die im übrigen auch die Tatsache spricht, daß diese Stunde von der Beklagten vergütet worden ist, kann deshalb nicht mehr angenommen werden. In dieser Arbeitsaufnahme liegt ein tatsächliches Angebot der geschuldeten Arbeitsleistung im Sinne des § 294 BGB für die Zeit nach 15.00 Uhr.

31

Mit der Aufforderung an die Kläger, um 15.00 Uhr nach Hause zu gehen, hat die Beklagte zu erkennen gegeben, daß sie nicht mehr bereit ist, die Arbeitsleistung der Kläger an diesem Tag anzunehmen, § 293 BGB.

32

Nach dem nunmehr unstreitigen Parteivortag kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Kläger um 15.00 Uhr nicht leistungsbereit gewesen sind. Denn wenn die Kläger vor 15.00 Uhr gearbeitet haben, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß sie nicht ernsthaft bereit gewesen sein könnten, die angebotene Leistung, so wie sie geschuldet ist, auch weiterhin zu erbringen. Die von der Kammer ursprünglich beabsichtigte Beweisaufnahme war unter diesen Umständen nicht mehr erforderlich.

33

Der Eintritt des Annahmeverzuges ist auch nicht durch eine Arbeitskampfmaßnahme ausgeschlossen. Es konnte nämlich nicht festgestellt werden, daß die Beklagte eine suspendierende Abwehraussperrung wirksam ausgesprochen hat.

34

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können auch Arbeitgeber, die keinem Arbeitgeberverband angehören, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit Kurzstreiks mit Abwehraussperrungen beantworten (BAG vom 11.08.1992, 1 AZR 103/92, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Begründet wird dies u.a. damit, daß gerade der Außenseiter-Arbeitgeber, der in einem Konflikt um einen Firmentarifvertrag einer Gewerkschaft allein gegenübersteht, die Möglichkeit haben muß, auf einen Streik mit einer Aussperrung zu antworten. Denn die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG dienen im Bereich der Tarifautonomie der Herstellung der Verhandlungsparität (BVerfG vom 26.06.1991, 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).

35

Allerdings müssen sich Abwehraussperrungen gegen Kurzstreiks im Rahmen der Verhältnismäßigkeit halten, was anhand einer abstrakt-materiellen Betrachtungsweise zu beurteilen ist. Die Beantwortung eines Streiks mit einer Aussperrung darf nicht gegen das Übermaßverbot verstoßen (BAG vom 11.08.1992, a.a.O.).

36

Ob diese Voraussetzungen vorliegend als erfüllt angesehen werden können, brauchte nicht entschieden zu werden. Es fehlt nämlich bereits an der erforderlichen Aussperrungserklärung der Beklagten.

37

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Großer Senat des BAG vom 21.04.1971 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ist zur Wirksamkeit einer Arbeitskampfmaßnahme die Verlautbarung eines einheitlichen Kampfentschlusses notwendig. Die Kampfmaßnahme muß dabei gegenüber dem Kampfgegner kundgetan werden (LAG Hamm vom 21.08.1980, 8 Sa 66/80, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) und eindeutig sein. Sie muß zu erkennen geben, daß ihre Ausführung planmäßig zur Erreichung des Kampfzieles erfolgt (BAG vom 14.10.1960, 1 AZR 233/58, AP Nr. 10 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).

38

So ist bei einer Arbeitsniederlegung erforderlich, daß dem Vertragsgegner eindeutig erklärt wird, ob es sich um einen Arbeitskampf oder beispielsweise um die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts handelt. Die Arbeitsniederlegung kann nämlich verschiedene Ursachen haben. Der Arbeitgeber muß deshalb "in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise" davon in Kenntnis gesetzt werden, wenn ein Zurückbehaltungsrecht und kein Arbeitskampf vorliegen soll (BAG vom 20.12.1963, 1 AZR 428/62, AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Otto in Münchner Handbuch, Band 3, § 274 Rdz. 14, § 279 Rdz. 136).

39

Auch bei einer Aussperrung muß mit der nach dem Beschluß des Großen Senats (a.a.O.) erforderlichen Eindeutigkeit erklärt werden, was gewollt ist (BAG vom 26.10.1971, 1 AZR 113/68, AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Der Gegner einer Arbeitskampfmaßnahme muß diese als solche erkennen können. Denn dies ist erforderlich, um eine angemessene Reaktion zu ermöglichen. Auch müssen für den Gegner die Folgen der Arbeitskampfmaßnahme erkennbar sein, was aus dem Gebot des fairen Arbeitskampfes folgt. Denn während bei einer rechtmäßigen Aussperrung der Anspruch der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt entfällt, stellt sich bei der Geltendmachung von Produktionsstörungen bzw. von Störungen im Arbeitsablauf die Frage des Annahmeverzuges und hier der Risikozuordnung. Der Tarifgegner wird regelmäßig seine Reaktion davon abhängig machen, ob die Arbeitsunterbrechung durch den Arbeitgeber auf eine Aussperrung oder andere Ursachen zurückzuführen ist, und je nachdem gegebenenfalls kurzfristig eigene Kampfmaßnahmen planen oder aber die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen empfehlen.

40

Eine eindeutige Aussperrungserklärung in diesem Sinne hat die Beklagte vorliegend nicht abgegeben. Vielmehr hat sie nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Kläger die erforderliche Arbeitsniederlegung damit begründet, daß wegen des Streiks ein geordneter Produktionsablauf nicht mehr gewährleistet sei. Sie hat damit zu erkennen gegeben, daß die Unterbrechung der Produktion ihre Ursache in dem vorhergegangenen Verhalten der Arbeitnehmer hat. Dies ist aber etwas grundlegend anderes als die aktive Erklärung einer eigenen Kampfmaßnahme. Während der Arbeitgeber mit einer Aussperrung in die Offensive geht und frei über die Fortführung der Produktion entscheiden kann, ist er bei Produktionsablaufstörungen regelmäßig zur Produktionseinstellung gezwungen und reagiert lediglich auf bereits vorhandene Umstände.

41

Angesichts dieser eindeutigen Äußerung mußte auch die IG Metall als Erklärungsgegner nicht von dem Vorliegen einer Aussperrungserklärung ausgehen.

42

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Beklagte sämtliche Mitarbeiter, mithin auch die des Verwaltungsbereichs, nach Hause geschickt hat. Denn zum einen ist es nicht zwingend, daß der Betriebsablauf im Angestelltenbereich unter keinem Gesichtspunkt infolge der Streikmaßnahmen derart beeinträchtigt worden ist, daß auch hier ein sinnvolles Weiterarbeiten bis zum bald folgenden Dienstschluß nicht möglich erscheint. Zum anderen kann jedenfalls angesichts der den Arbeitnehmern gegebenen anderslautenden Erklärung nicht davon ausgegangen werden, daß eine Aussperrung mit der notwendigen Deutlichkeit ausgesprochen worden ist.

43

Aus dem letztgenannten Gesichtspunkt kann auch der neue Sachvortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 01.09.1994, gegenüber einer Gruppe von Arbeitnehmern sei auf eine entsprechende Frage erwidert worden, dies sei eine Aussperrung, als wahr unterstellt werden. Selbst wenn dies gegenüber einzelnen Beschäftigten geäußert worden sein sollte, steht dies im Widerspruch zu den anderen Erklärungen, so daß nicht hinreichend klar wurde, was die Beklagte nun tatsächlich gewollt hat.

44

Aus der Bezeichnung der Maßnahme durch die IG Metall in dem Flugblatt vom 01.07.1992 bzw. in der Tarifinfo Nr. 2 ergibt sich keine andere Beurteilung. Zum einen wird die Maßnahme hier als "rechtswidrige" Aussperrung bezeichnet - eine Wertung, die auch bei fehlender Aussperrungsbekanntgabe zutreffend ist -, zum anderen kommt es auch bei der Kundgabe einer Arbeitskampfmaßnahme auf den objektiven Erklärungsinhalt an, nicht aber auf das, was der Empfänger subjektiv darunter versteht oder verstehen will. Den genannten Schreiben kann jedenfalls nicht entnommen werden, daß die IG Metall von einer rechtmäßigen Aussperrung ausgegangen ist.

45

Der Lohnanspruch des Klägers ist schließlich auch nicht auf der Grundlage der Lehre vom Arbeitskampfrisiko entfallen. Nach den Grundsätzen der Verteilung des Arbeitskampfrisikos haben arbeitswillige Arbeitnehmer in einem unmittelbar betroffenen Betrieb keinen Beschäftigungs- und Vergütungsanspruch, wenn arbeitskampfbedingt die Beschäftigung unmöglich oder unzumutbar wird (BAG vom 14.12.1993, 1 AZR 550/93, DB 1994, S. 632, 633; LAG Hamm vom 16.07.1993, 18 Sa 201/93, NZA 1994, S. 430, 431). Der Grundsatz der Kampfparität wirkt sich dadurch auf das Recht der Leistungsstörungen aus (BAG vom 22.12.1980, 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).

46

Daß vorliegend eine Beschäftigung der Kläger und seiner Kollegen unmöglich oder unzumutbar war, hat die Beklagte nicht hinreichend konkret dargetan. Nach der Erklärung der Beklagten zu Protokoll vom 01.09.1994 vor dem Landesarbeitsgericht muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die vorausgegangene Streikmaßnahme nicht ursächlich für den Arbeitsausfall ab 15.00 Uhr geworden ist. Die Beklagte geht nunmehr nämlich selbst davon aus, daß dann, wenn sämtliche Arbeitnehmer um 14.00 Uhr normal an ihrem Arbeitsplatz gearbeitet hätten, der Betriebsablauf ungestört hätte fortgeführt werden können. Da aber der Warnstreik der IG Metall zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war, fehlt es an der erforderlichen Kausalität.

47

Nicht konkretisiert hat die Beklagte das Verhalten der Arbeitnehmer nach 14.00 Uhr. Ursprünglich hat sie zwar behauptet, sämtliche Beschäftigten hätten die Arbeit nicht aufgenommen. Zuletzt hat sie dies allerdings eingeschränkt und ausgeführt, sie könne nicht konkret für jeden Kläger behaupten, daß nicht gearbeitet worden sei. Unter diesen Umständen ist nicht hinreichend konkret dargelegt, daß aus bei den Arbeitnehmern liegenden Gründen die weitere Produktion unmöglich oder unzumutbar geworden ist. Nicht nachgegangen mußte deshalb auch der Frage, ob überhaupt eine Arbeitsniederlegung trotz Beendigung des Streiks dazu führen kann, daß der Kläger, dem ein konkretes Fehlverhalten nicht vorgeworfen wird, seinen Lohnanspruch verliert.

48

Der Annahmeverzug ist schließlich auch nicht für die Zeit ab 20.00 Uhr wieder entfallen. Zwar war für diese Zeit und/oder für 20.45 Uhr an diesem Tag eine weitere Streikmaßnahme vorgesehen. Hierzu ist es aber wegen des vorausgegangenen Verhaltens der Beklagten gerade nicht gekommen, so daß auch die Voraussetzungen der §§ 293-299 BGB nicht weggefallen sind.

49

Auf die Berufung der Kläger war das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und die Beklagte zur Zahlung des noch offenen Lohnes für den 16. Juni 1992 zu verurteilen, wobei der sich aus dem Bruttobetrag ergebende Nettobetrag gemäß §§ 291, 288 BGB ab Rechtshängigkeit mit 4 % zu verzinsen ist.

50

Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß §§ 46 Abs. II ArbGG, 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

51

Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.

52

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. II Ziffer 1 ArbGG.

Streitwertbeschluss:

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits bei einem Streitwert von 5.011,99 DM zu tragen.