Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.11.1994, Az.: 13 Sa 1219/94

Aufhebungsvertrag nach Annahme unter Abwesenden; Gesamtzeit bis zum Eingang der Anwort entscheidend; Aufhebungsvertrag ohne finanzielle Verpflichtungen als Geschäft der laufenden Verwaltung; Anfechtung eines Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher Drohung; Ernsthaftes in Erwägung ziehen einer außerordentlichen Kündigung wegen schwerwiegender Vertragspflichtverletzungen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
15.11.1994
Aktenzeichen
13 Sa 1219/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 17352
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1994:1115.13SA1219.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Emden - 02.06.1994 - AZ: 2 Ca 391/93
nachfolgend
LAG Hannover - 15.11.1994 - AZ: 13 Sa 1219/94
BAG - 31.01.1996 - AZ: 2 AZR 91/95

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Berechnung der Annahmefrist gemäß § 147 Abs. 2 BGB bei Abschluß eines Aufhebungsvertrages.

  2. 2.

    Annahme eines Aufhebungsvertragsangebote als Geschäft der laufenden Verwaltung gemäß § 58 Abs. 4 NLO.

  3. 3.

    Zur Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung.

In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
die ehrenamtlichten Richter Kleesath und Dirks
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 02.06.1994, 2 Ca 391/93, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18.744,31 DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß sein Arbeitsverhältnis mit dem beklagten Landkreis nicht durch Aufhebungsvertrag vom 17.07.1992 aufgelöst worden ist. Widerklagend begehrt der Beklagte Erstattung der gezahlten Vergütung für die Zeit vom 18. bis 31.07.1992.

2

Gemäß Arbeitsvertrag vom 03.02.1977 (Bl. 5 u. 6 d. A.) war der Kläger seit dem 01.01.1977 als Heimleiter, Vergütungsgruppe IV b BAT, beschäftigt. Er leitete ein psychatrisches Pflegeheim. Aufgrund Vollmacht konnte er über Taschengeldkonten von Heimbewohnern verfügen. Für einen Teil der Heimbewohner bestand Vermögenspflegschaft.

3

Der Kläger gründete mit Heimbewohnern im Mai 1991 eine "Aktiv-Gruppe". Der Vorstand dieses nicht rechtsfähigen Vereins wurde von Heimbewohnern gebildet, der Kläger wurde Geschäftsführer. Die Aktivgruppe erhob keine Mitgliedsbeiträge, vielmehr übernahm die Gruppe den Verkauf von Kaffee, Kuchen und ähnlichen Artikeln an Heimbewohner. Diese zahlten aber nicht bar, sondern die Käufe wurden notiert und die Einzelausgaben wurden monatlich addiert von den Taschengeldkonten der Bewohner durch den Kläger abgebucht. Für den ersten Monat August 1991 erfolgte keine vollständige Erfassung der Einzelverkäufe, der Kläger buchte pauschal 100,00 DM von den Taschengeldkonten als Gründungsbeitrag ab, allerdings nur von Konten der Bewohner der Stationen B und C, nicht von denen anderer Stationen. Bezug genommen wird insoweit auf die Aufstellung Anlage 1 zur Berufungserwiderung, Bl. 155 bis 157 d. A. Der Kläger führte für die Aktivgruppe ein gesondertes Konto, auf das er auch den Bestand einer Freizeitkasse mit 2.627,00 DM einzahlte. Er führte die Vereinsgeschäfte in seiner Wohnung und ließ sich von der Gruppe einen Telefonanschluß, Telefaxanschluß und Telefaxgerät bezahlen.

4

Ab 15.06.1992 war der Kläger arbeitsunfähig, seine Vertretung entdeckte die finanziellen Geschäfte zugunsten der Aktivgruppe. In der Folgezeit kam es zu mehreren Gesprächen zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten, Kreisoberamtsrat ..., über den Komplex Aktivgruppe. Das letzte dieser Gespräche fand am 17.07.1992 statt. Nach Darstellung des Klägers hat Herr ... dieses Gespräch damit eröffnet, ihm sei erst jetzt der strafrechtliche Aspekt der ganzen Angelegenheit aufgegangen. Sofort anschließend habe er ihn gefragt, wie er sich die weitere Zukunft vorstelle. Er, der Kläger, habe geantwortet, er wisse nicht, welche Möglichkeiten er habe, wenn er wieder auf dem Posten sei. Herr ... habe entgegnet, diese Möglichkeit habe er nicht mehr. Auf die Frage, welche Möglichkeit er denn habe, habe Herr ... erklärt, daß er die einvernehmliche Auflösung des Anstellungsvertrages beantragen könne, eine andere Möglichkeit habe er nicht. Nach Darstellung des Beklagten hat der Kläger von sich aus ohne Einflußnahme durch Herrn ... den Entschluß zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gefaßt.

5

Der Kläger unterschrieb daraufhin den Aufhebungsvertrag vom 17.07.1992 (Bl. 7 d. A.) und unterzeichnete außerdem das an den Oberkreisdirektor gerichtete und ebenfalls im Rahmen des Gesprächs erstellte Schreiben vom 17.07.1992. Auf dessen Inhalt, Bl. 159 d. A. wird Bezug genommen.

6

Mit Schreiben vom 20.07.1992 (Bl. 89 f. d. A.) leitete Kreisoberamtsrat ... den Aufhebungsvertrag an den Oberkreisdirektor weiter, der am 22.07.1992 sein Einverständnis erteilte. Mit Schreiben vom 22.07.1992 (Bl. 93 d. A.) teilte Herr ... dem Kläger mit, der Auflösungsvertrag sei vom Oberkreisdirektor akzeptiert worden. Dieses Schreiben ging am 28.07.1992 beim Kläger ein. Mit Schreiben vom 28.07.1992 (Bl. 95 d. A.) teilte der Kläger schriftlich mit, daß er voreilig aufgrund Medikamenteneinflusses unterschrieben habe. Ein Exemplar des Aufhebungsvertrages, der auf Seiten des Beklagten vom Oberkreisdirektor unterschrieben wurde, ist den Kläger nach dem 28.07. zugesandt worden. Mit Erklärung vom 14.11.1994 hat der Landrat den Auflösungsvertrag genehmigt (Bl. 169 d. A.). Mit Klageschrift vom 17.03.1993 hat der Kläger die Anfechtung des Aufhebungsvertrages erklärt.

7

Der Kläger hat erstinstanzlich geltend gemacht, bei Abschluß des Aufhebungsvertrages sei er aufgrund von Medikamenteneinfluß geschäftsunfähig gewesen. Nachdem das Arbeitsgericht Geschäftsunfähigkeit nicht als bewiesen angesehen hat, macht er zweitinstanzlich Geschäftsunfähigkeit nicht mehr geltend.

8

Er hat vorgetragen, der Aufhebungsvertrag sei nicht zustandegekommen, die Annahme des Angebots des Klägers am 28.07.1992 sei verspätet erfolgt. Im übrigen sei die Anfechtung aufgrund widerrechtlicher Drohung wirksam.

9

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 17.07.1992 aufgelöst worden ist.

10

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er hat vorgetragen, eine Drohung mit außerordentlicher Kündigung sei nicht erfolgt. Im übrigen hätten ausreichende Gründe für eine außerordentliche Kündigung bestanden, so daß die Anfechtung nicht wirksam sei. Daß das Arbeitsverhältnis am 17.07.1992 beendet worden sei, sei der Kläger zur Rückzahlung der restlichen Juli-Vergütung verpflichtet.

12

Der Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an ihn 1.353,07 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (i.e.d. 23.12.1992) zu zahlen.

13

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

14

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage den Kläger verurteilt, an den Beklagten 1.353,07 DM nebst Zinsen zu zahlen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

15

Mit Berufung macht der Kläger geltend, der Streitwert sei vom Arbeitsgericht falsch berechnet, zugrunde zu legen sei ein Monatsgehalt von 5.797,08 DM. Der Aufhebungsvertrag sei nicht wirksam zustande gekommen. Dies folge aus § 147 Abs. 1 BGB. Da es sich um ein Angebot unter Anwesenden gehandelt habe, Kreisoberamtsrat ... sei bevollmächtigter Vertreter des Landkreises gewesen, habe es sofort angenommen werden müssen. Selbst wenn man von einem Angebot unter Abwesenden ausgehe, sei die Annahme am 28.07.1992 nicht mehr innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt. Im übrigen sei die Anfechtung wirksam. Nach dem Gesprächsverlauf vom 17.07. habe er konkludent davon ausgehen müssen, daß er entweder den Aufhebungsvertrag unterzeichnen könne oder daß ihm fristlos gekündigt werde und Strafanzeige erstattet werde. Damit liege eine Drohung vor, die auch widerrechtlich sei, Gründe für eine außerordentliche Kündigung hätten nämlich nicht bestanden. Er sei nicht Mitglied des Vereins gewesen, die Einnahmen aus dem Verkauf seien dem Verein zugeflossen, der darüber verfügt habe. Er habe sich selbst zu keinem Zeitpunkt bereichert. Da der Aufhebungsvertrag nicht wirksam sei, sei auch die Widerklage wegen Gehaltsüberzahlung abzuweisen.

16

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Emden vom 02.06.1994 - AZ: 2 Ca 391/93 - - zugegangen am 20.06.1994 -,

  1. 1.

    festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch den Aufhebungsvertrag vom 17.07.1992 aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht,

  2. 2.

    die Widerklage abzuweisen,

  3. 3.

    dem beklagten Landkreis die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17

Der Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

18

Er trägt vor, der Aufhebungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Herr ... habe dem Kläger am 17.07.1992 erklärt, daß er für den Vertragsabschluß nicht zuständig sei und die Entscheidung beim Oberkreisdirektor liege, deshalb sei auch noch das vom Kläger unterschriebene Anschreiben vom 17.07.1992, gerichtet an den Oberkreisdirektor, verfaßt worden. Die Annahme des Angebots am 28.07.1992 sei nicht verspätet erfolgt. Die Anfechtung sei nicht wirksam. Eine Drohung liege nicht vor. Im übrigen sei Widerrechtlichkeit zu verneinen, weil ausreichender Anlaß bestanden habe, eine außerordentliche Kündigung in Erwägung zu ziehen. Vorzuwerfen sei dem Kläger: Abbuchung des Gründungsbeitrags von den Taschengeldkonten der Bewohner der Stationen B und C, bei denen zum Teil Vermögenspflegschaft bestanden habe. Die Bewohner erhielten Vollverpflegung, für Verkauf von Kaffee und Kuchen habe keine Veranlassung bestanden, viele Bewohner der Stationen B und C seien aufgrund ihrer Desorientierung gar nicht in der Lage gewesen, zu erkennen, daß sie für diese Leistungen besonders bezahlen mußten. Anschaffung von Telefon und Telefaxgerät in der Wohnung des Klägers auf Vereinskosten. Erstattung von Reisekosten für Fahrten nach Holland, Essen, Remels, Jever und Wuppertal durch den Verein.

19

Ergänzend wird wegen des zweitinstanzlichen Parteivortrages Bezug genommen auf Berufungsbegründung und Berufungserwiderung.

Gründe

20

Die Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist nicht begründet, das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Der Aufhebungsvertrag ist wirksam zustande gekommen, die Anfechtung ist unwirksam. Daraus folgt weiter, daß der Kläger zur Rückzahlung des überzahlten Gehalts für Juli verpflichtet ist.

21

Die Annahmefrist des § 147 BGB ist eingehalten. Die Frist bestimmt sich nach Absatz 2, nicht nach Absatz 1, weil kein Angebot unter Anwesenden vorliegt.

22

Ob der Kreisoberamtsrat ... im Rahmen seines Aufgabenbereichs befugt war, den Aufhebungsvertrag abzuschließen, ist unerheblich. Auch wenn ein Stellvertreter, der Vertragsverhandlungen führt, Abschlußvollmacht hat, muß er diese nicht ausüben. Es ist durchaus möglich, daß er nur als Bote ein Angebot entgegennimmt, um es dem abwesenden Vertretenen zu übermitteln. Wenn so verfahren wird, liegt kein Angebot unter Anwesenden, sondern unter Abwesenden vor.

23

Der Kreisoberamtsrat ... hat den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben, er hat ihn an den Oberkreisdirektor zur Entscheidung weitergeleitet. Dem Kläger war dies bekannt, was sich bereits daraus ergibt, daß er das Anschreiben vom 17.07.1992 (Bl. 159 d. A.) unterschrieben hat, gerichtet an den Oberkreisdirektor persönlich. Einleitend heißt es dort, daß er heute um den Abschluß eines Auflösungsvertrages per 17.07.1992 nachgesucht habe. Der Kläger hat damit am 17.07.1992 gerichtet an den Oberkreisdirektor ein Angebot auf Abschluß eines Aufhebungsvertrages unter Abwesenden gemacht.

24

Dieses Angebot hat der Beklagte fristgerecht am 28.07.1992 angenommen. Eine Annahmefrist war nicht bestimmt, maßgebend ist damit gemäß § 147 Abs. 2 BGB, wann der Kläger unter regelmäßigen Umständen die Annahme erwarten durfte.

25

Die damit zu bestimmende Frist setzt sich aus drei Abschnitten zusammen: Übermittlung an den Abwesenden, Bearbeitungszeit beim Empfänger, Übermittlung der Antwort. Maßgeblich ist dabei nicht, welche Zeiträume tatsächlich für die einzelnen Abschnitte verbraucht wurden. Entscheidend ist die Gesamtzeit bis zum Eingang der Antwort.

26

Für die Länge der Annahmefrist lassen sich keine allgemein gültigen Festlegungen treffen. Dies zeigt auch eine Auswertung der Rechtssprechung. Der BGH (NJW 1985, S. 196) verlangt bei Wechseldiskontierung Annahme in wenigen Tagen. Nach OLG Frankfurt (NJW RR 1986, S. 329) steht bei Umwandlung von Vollkaskoversicherung in Teilkaskoversicherung für die Annahme ein Zeitraum von vier Wochen zur Verfügung. Ein Antrag per Telex auf Abschluß eines Vertrages über eine Flugreise kann nach AG Frankfurt (NJW RR 1989, S. 47) innerhalb von drei bis vier Werktagen angenommen werden.

27

Maßgebend für die Bestimmung der Annahmefrist ist die Art. des angestrebten Vertrages. Wer verderbliche Ware anbietet, etwa Obst oder Gemüse, kann Annahme innerhalb von Stunden oder maximal einem Tag erwarten.

28

Wer eine umfangreiche Werkleistung anbietet (Bau eines Hauses), ist u. U. einen Monat oder länger an das Angebot gebunden.

29

Vorliegend geht es um den Abschluß eines Aufhebungsvertrages. Vom Beklagten war zu entscheiden, ob er diesem zustimmt oder ob er außerordentlich kündigt. Der Schwebezustand war für den Kläger nicht besonders belastend, die Bearbeitung des Aufhebungsantrags war nicht besonders eilbedürftig. Der Kläger war arbeitsunfähig, über seinen Arbeitseinsatz war nicht aktuell zu entscheiden. Der Zeitablauf war nachteilig allenfalls für den Beklagten, weil die Frist für die außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB lief. Es erscheint dann aber sachgerecht, unter Rückgriff auf die Frist des 626 Abs. 2 BGB von einer Annahmefrist von etwa zwei Wochen auszugehen. In jedem Fall ist die hier erfolge Annahme am 28.07.1992 rechtzeitig. Zwischen dem 17.07. und dem 28.07. liegen zwei Wochenenden. Die Annahme ist dem Kläger am siebten Arbeitstag nach dem 17.07. zugegangen. Einen derartigen Zeitraum konnte und mußte der Kläger für die Annahme des Angebots hinnehmen. Die Annahmefrist gemäß § 147 Abs. 2 BGB ist gewahrt.

30

Der Aufhebungsvertrag ist auch nach § 61 Abs. 5 in Verbindung mit § 58 Abs. 2 und Abs. 4 NLO wirksam zustande gekommen. Nach § 61 Abs. 5 Satz 3 NLO gelten für Erklärungen zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Angestellten und Arbeitern § 58 Abs. 2 und Abs. 4 NLO. Nach § 58 Abs. 2 NLO sind Verpflichtungserklärungen von Landrat und Oberkreisdirektor mit Dienstsiegel zu unterzeichnen, ausgenommen sind nach Abs. 4 Geschäfte der laufenden Verwaltung.

31

Nach der Rechtssprechung des BAG (EZA § 174 BGB Nr. 5 - ergangen zu gleichlautenden Vorschriften der Niedersächsischen Gemeindeordnung -) beinhaltet § 61 Abs. 5 Satz 3 NLO keine Rechtsgrundverweisung, sondern lediglich eine Rechtsfolgeverweisung. Das heißt, unabhängig davon, ob ein Verpflichtungsgeschäft vorliegt, bedürfen die angesprochenen Erklärungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Unterschriften von Landrat und Oberkreisdirektor, sofern kein Geschäft der laufenden Verwaltung vorliegt. § 58 Abs. 2 NLO beinhaltet keine Formvorschrift, sondern eine Vertretungsregelung (dazu BAG am angegebenen Ort). Wenn die Voraussetzungen des § 61 Abs. 5 Satz 3 NLO vorliegen und kein Geschäft der laufenden Verwaltung gegeben ist, kann der Kreis nur wirksam durch Oberkreisdirektor und Landrat vertreten werden.

32

Nach Auffassung der Kammer liegt bei Abschluß eines Aufhebungsvertrages, der keine finanziellen Verpflichtungen des Kreises wie Abfindungszahlungen enthält, ein Geschäft der laufenden Verwaltung vor, der Oberkreisdirektor war alleinvertretungsberechtigt. Die Annahme des Aufhebungsvertrages durch den Kreisoberamtsrat ... im Auftrag mit Schreiben vom 22.07.1992 war wirksam.

33

Gemäß § 61 Abs. 4 Satz 3 NLO beschließt der Kreisausschuß über Einstellung, Eingruppierung und Entlassung von Angestellten und Arbeitern. Er kann diese Befugnis auf den Oberkreisdirektor übertagen, letzteres ist hier nicht geschehen, die Zuständigkeit ist beim Kreisausschuß verblieben.

34

Was Geschäft der laufenden Verwaltung ist, insbesondere bei der Abwicklung von Arbeitserhältnissen, ist in der NLO nicht näher beschrieben. Aus § 61 Abs. 4 NLO kann aber geschlossen werden, daß Einstellungen, Eingruppierungen und Entlassungen kein Geschäft der laufenden Verwaltung sind. Durch die Zuständigkeitsbegründung für den Kreisausschuß sind diese für ein Arbeitsverhältnis wesentlichen Punkte herausgehoben und können nicht unter § 58 Abs. 4 NLO subsumiert werden.

35

Eine systematische Auslegung des Gesetzes, insbesondere der Zusammenhang zwischen § 61 Abs. 4 Satz 3, § 61 Abs. 5 Satz 3 und § 58 Abs. 2 und 4 NLO führt zu dem Ergebnis, daß korrespondierend mit der Zuständigkeit nach § 61 Abs. 4 Satz 3 NLO die Vertretungsregelung des § 58 Abs. 2 NLO Anwendung findet, wenn es sich um Einstellung, Eingruppierung oder Entlassung handelt. Für alle weiteren im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses abzugebenden Erklärungen folgt dann aus der Gesetzessystematik, daß es sich um Geschäfte der laufenden Verwaltung handelt gemäß § 58 Abs. 4 NLO.

36

Die Annahme eines Aufhebungsvertrages ist keine Entlassung im Sinne des § 61 Abs. 4 NLO, sie ist Geschäft der laufenden Verwaltung jedenfalls dann, wenn besondere finanziellen Verpflichtungen mit dem Aufhebungsvertrag nicht verbunden sind. Entlassung ist im Sinne von Kündigung durch den Kreis zu verstehen, es handelt sich um eine einseitige Arbeitgebermaßnahme zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für diese Interpretation spricht auch der Zweck der Vorschrift. § 61 Abs. 4 NLO begründet die Zuständigkeit des Kreisausschusses für wesentliche Punkte des Arbeitsverhältnisses, die insbesondere mit finanziellen Belastungen verbunden sind. Dies trifft nicht nur zu bei Einstellungen und Eingruppierungen, sondern auch bei Kündigungen. Unberechtigte Kündigungen können erhebliche finanziellen Folgen haben. Bei Aufhebungsverträgen, bei denen es keinen Kündigungsschutz gibt, bedarf es der Sicherung durch Zuständigkeit des Kreisausschusses dagegen nicht. Ob etwas anderes gilt, wenn im Aufhebungsvertrag Abfindungszahlungen ausgehandelt sind, also mit dem Aufhebungsvertrag finanzielle Belastungen verbunden sind, muß hier nicht entschieden werden.

37

Aufhebungsverträge werden häufig ausgehandelt und nach Verhandlung unmittelbar abgeschlossen. Auch das spricht dafür, Aushandeln und Abschluß eines Aufhebungsvertrages als Geschäft der laufenden Verwaltung anzusehen. Die Annahmeerklärung bedurfte deshalb nicht der Unterschrift des Landrats.

38

Selbst wenn kein Geschäft der laufenden Verwaltung vorliegt, die Vertretungsregelung des § 58 Abs. 2 NLO eingreift, ist der Aufhebungsvertrag mit Genehmigungserklärung durch den Landrat vom 14.11.1994 wirksam zustandegekommen. Wenn der Oberkreisdirektor nach § 58 Abs. 2 NLO nicht alleinvertretungsberechtigt war, hat er als vollmachtloser Vertreter gehandelt, der Vertrag konnte dann aber mit Rückwirkung (§ 184 Abs. 1 BGB) vom Landrat genehmigt werden.

39

Daß der Kläger bereits mit Schreiben vom 28.07.1992 die Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages geltend gemacht hat und nachfolgend Anfechtung erklärt hat, steht dem nicht entgegen. Nach § 178 BGB ist zwar der Vertragspartner des vollmachtlosen Vertreters zum Widerruf bis zum Zeitpunkt der Genemigung berechtigt. Dieser Widerruf muß aber erkennen lassen, daß der Vertrag wegen des Vertretungsmangels nicht gelten soll, eine Lossagung vom Vertrag aus anderen Gründen ist kein Widerruf nach § 178 BGB (Palandt, Kommentar zum BGB, 53. Aufl., § 178, RdNr. 9; BGH NJW 1965, S. 1714).

40

Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt vor der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren den Vertretungsmangel gerügt und folglich auch nicht vor Genehmigung sein Widerrufsrecht ausgeübt. Ein Widerruf nach § 178 BGB ist nicht erfolgt. Zumindest aufgrund der Genehmigung ist damit ein wirksamer Aufhebungsvertrag zustande gekommen.

41

Der Aufhebungsvertrag ist nicht aufgrund der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung, § 123 Abs. 1 BGB, unwirksam. Nach der Gesprächsdarstellung des Klägers liegt bereits keine Drohung vor, im übrigen ist auch Widerrechtlichkeit zu verneinen.

42

Drohung ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt oder Nichteintritt der Drohende einwirken zu können behauptet und das verwirklicht werden soll, wenn der Bedrohte nicht die von dem Drohenden gewünschte Willenserklärung abgibt. Das angekündigte Übel kann eine Strafanzeige oder eine Kündigung sein. Die Drohung muß nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sie kann auch versteckt oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Drohung in der Ankündigung eines Übels besteht, der Drohende muß das Übel irgendwie in Aussicht stellen. Es genügt nicht, wenn der Anfechtende bei Abgabe der Willenserklärung lediglich erwartet hat, der andere Teil werde bei Nichtabgabe der Erklärung ein Übel zufügen, wenn sich diese Befürchtung lediglich aus der objektiven Sachlage ergibt, nicht aber von dem anderen Teil hervorgerufen oder bestärkt wird. Das Ausnützen einer Zwangslage des Erklärenden erfüllt nicht den Tatbestand einer Drohung (zum Vorstehenden BGH NJW 1988, Seite 2599).

43

Nach dem vom Kläger dargestellten Gesprächsverlauf hat Herr ... zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich Strafanzeige oder außerordentliche Kündigung in Aussicht gestellt, angesprochen wurde lediglich, daß der Fall strafrechtliche Aspekte habe, der Kläger nicht die Möglichkeit habe, auf seinen Posten zurückzukehren und für ihn nur die Möglichkeit bestehe, eine einvernehmliche Auflösung des Anstellungsvertrages zu beantragen. Die Beteiligten haben danach in diesem Gespräch lediglich erörtert, daß der Kläger nicht in seine alte Position zurückkehren werde, sodann ist die Möglichkeit des Aufhebungsvertrages besprochen worden. Daß der Kläger bei Nichtabschluß des Aufhebungsvertrages mit einer fristlosen Kündigung rechnen mußte, daß er sich in einer Zwangslage befand, ist eindeutig. Diese Zwangslage bestand aber aufgrund der vorliegenden Fakten und der Bewertung durch den Vertreter des Beklagten. Sie ist nicht entstanden, wie für eine Drohung erforderlich, durch eine ausdrückliche oder unausgesprochene stillschweigende Ankündigung einer fristlosten Kündigung oder Strafanzeige durch den Vertreter des Beklagten. Damit ist der Tatbestand der Drohung nicht erfüllt.

44

Im übrigen, eine Drohung unterstellt, wäre auch Widerrechtlichkeit zu verneinen. Da eine außerordentlich Kündigung gesetzlich vorgesehen ist und auch ein Aufhebungsvertrag rechtlich wirksam geschlossen werden kann, kann die Widerrechtlichkeit vorliegend nur folgen aus einer rechtswidrigen Verknüpfung von dem Mittel der Drohung (Kündigung oder Strafanzeige) und Drohungszweck (Aufhebungsvertrag). Eine Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist aber dann nicht widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht zu prüfen ist, ob eine ausgesprochene außerordentliche Kündigung wirksam gewesen wäre. Ausreichend ist, daß objektiv Vertragspflichtverletzungen vorlagen, aufgrund derer ernsthaft eine außerordentliche Kündigung in Erwägung gezogen werden konnte (BAG EZA § 123 BGB, Nr. 20, Nr. 36).

45

Vorliegend bestanden erhebliche Vertragspflichtverletzungen, der Beklagte durfte ernsthaft eine außerordentliche Kündigung und ggf. auch eine Strafanzeige in Erwägung ziehen. Hauptpunkt ist hier das Abbuchen des Gründungsbeitrages für den Verein von den Taschengeldkonten der Bewohner der Stationen B und C. Ein Gründungsbeitrag durfte nicht erhoben werden, der Verein hat keine Mitgliedsbeiträge eingezogen. Im übrigen ist auch vom Kläger nie behauptet worden, daß alle Bewohner der Stationen B und C Vereinsmitglieder waren. Nach eigener Einlassung hat der Kläger, weil Verkäufe von Kaffee, Kuchen und ähnlichem nicht exakt erfaßt waren, zu dem unzulässigen Mittel der Pauschalabbuchung gegriffen. Zudem hat er nur einen Teil der Bewohner belastet, nicht alle. In diesem Zusammenhang hat er sich auch über bestehende Vermögenspflegschaften hinweggesetzt unter Ausnutzung seiner Vollmacht über Taschengeldkonten. Bereits dieser Vorgang ist ansich geeignet, einen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden.

46

Als weitere Pflichtverletzung steht fest, daß der Kläger sich durch den Verein einen Telefonanschluß, einen Telefaxanschluß und ein Telefaxgerät hat finanzieren lassen, was sich in seiner Wohnung befand. Hier ist ein nicht sachgemäßer Umgang mit Taschengeldern der Bewohner festzustellen. Wenn der Kläger einen solchen Verein innerhalb des Heimes initiiert hat, insoweit im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses tätig geworden ist, bestand keine Veranlassung, den Verein für private Investitionen bezahlen zu lassen. Dies alles hatte im Rahmen des Heimbetriebes zu geschehen.

47

Als weitere Verfehlung ist dem Kläger vorzuhalten, daß er Reisekosten für diverse Reisen vom Verein bezogen hat. Diese Behauptung des Beklagten hat der Kläger nicht bestritten. Dem Kläger war Unterstützung der Vereinstätigkeit nur im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses gestattet, der Einzug von Reisekosten beim Verein stellt eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung dar.

48

Eine weitere schwerwiegende Vertragspflichtverletzung ist darin zu sehen, daß der Verkauf von Kaffee, Kuchen und ähnlichem nicht gegen Barzahlung erfolgte, sondern daß die Verkäufe angeschrieben wurden und die Kaufpreise monatlich addiert von den Taschengeldkonten abgebucht wurden. Ein solches Verfahren bedarf bei Personen unter Vermögenspflegschaft der Genehmigung des Pflegers, die nicht erfolgt ist. Im übrigen widerspricht es dem Zweck des Taschengeldes. Die Heimbewohner sollen über dieses Taschengeld frei und eigenverantwortlich verfügen können, das Aufschreiben der Einkäufe und pauschale Abbuchen am Monatsende widerspricht damit eindeutig der Zwecksetzung des Taschengeldes.

49

Dem Kläger sind damit im Bereich der Tachengeldverwendung von Heimbewohnern, also in einem durchaus sensiblen Bereich, erhebliche Vorwürfe zu machen. Er hat die ihm erteilte Vollmacht über die Taschengeldkonten zweckwidrig verwendet. Unter diesen Umständen durfte der Beklagte eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Erwägung ziehen, ebenso auch eine Strafanzeige. In jedem Fall ist damit Widerrechtlichkeit der Drohung nicht gegeben.

50

Da das Arbeitsverhältnis am 17.07.1992 wirksam beendet worden ist, war der Kläger auch verpflichtet, die restliche Juli-Vergütung zurückzuerstatten. Einwände gegen diese Forderung, mit Ausnahme der Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages, hatte er im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht.

51

Da die Berufung insgesamt zurückzuweisen war, trägt der Kläger die Kosten des Rechtsmittels, § 97 ZPO. Im Berufungsverfahren hat der Kläger unwidersprochen vorgetragen, sein Monatsgehalt habe 5.797,08 DM betragen. Auf dieser Basis war deshalb der Streitwert in Höhe von drei Monatsvergütungen (§ 12 Abs. 7 ArbGG) zuzüglich Widerklageforderung für den gesamten Rechtsstreit festzusetzen.

52

Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 18.744,31 DM festgesetzt.