Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.03.1994, Az.: 12 Sa 478/93
Zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nach Eintritt des Berufsunfähigkeit; Erfordernis der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bei Schwerbehinderten; Bedeutung der Zustellung des Rentenbescheides
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 04.03.1994
- Aktenzeichen
- 12 Sa 478/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 10732
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:0304.12SA478.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Emden - 21.01.1993 - AZ: 1 Ca 312/92
- nachfolgend
- BAG - 28.06.1995 - AZ: 7 AZR 555/94
Rechtsgrundlage
- § 59 Abs. 1 BAT
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
YYY
Prozeßbevollmächtigte: Rotermundstraße 11, 30165 Hannover
In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 1993
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 21.01.1993 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Der am 7. Februar 1933 geborene Kläger steht seit dem 1. Juni 1988 als Rettungssanitäter in den Diensten des beklagten Landkreises. Zuvor war er seit dem 1. Mai 1976 ebenfalls als Rettungssanitäter tätig. Das Arbeitsverhältnis richtet sich gemäß § 2 des Arbeitsvertrages vom 13. Juni 1988 (Bl. 26 d.A.) nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen.
Mit Bescheid des Versorgungsamtes Oldenburg vom 24. Mai 1989 wurde beim Kläger ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Ein Gleichstellungsantrag des Klägers gemäß § 2 Schwerbehindertengesetz vom 23. April 1990 ist vom Arbeitsamt Emden nicht beschieden worden. Durch Bescheid vom 19. November 1990 erkannte das ... beim Kläger einen Grad der Behinderung von 40 an. Auf entsprechenden Antrag des Klägers bewilligte ihm die ... für Angestellte mit Bescheid vom 22. Juli 1991 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Dezember 1990. Der Beklagte teilte daraufhin dem Kläger unter dem 23. September 1991 (Fotokopie Bl. 29 d.A.) mit, daß sein Arbeitsverhältnis gemäß § 59 BAT am 31. März 1992 enden werde. Der Kläger beantragte in der Folge am 20. März 1992 beim Arbeitsamt Emden die Gleichstellung mit den Schwerbehinderten und wurde durch Bescheid vom 13. April 1992 gemäß § 2 Schwerbehindertengesetz ab 20. März 1992 gleichgestellt. Von dem Gleichstellungsantrag des Klägers erhielt der Beklagte durch Schreiben des Arbeitsamts Emden vom 23. März 1992 am 24. März 1992 Kenntnis. Der Beklagte beantragte unter dem 6. Mai 1992 bei der Hauptfürsorgestelle in ... die Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Oktober 1992 erteilt, welcher dem Beklagten am 8. Oktober 1992 zugegangen ist. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, den der Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle mit Beschluß vom 13. Juli 1993 zurückwies. Eine dagegen angestrengte Klage des Klägers ist beim ... anhängig.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, mangels vorheriger Einholung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle finde eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 1992 nicht statt. Die Beklagte habe aufgrund seines Gleichstellungsantrages die Hauptfürsorgestelle einschalten müssen. Daß er nicht früher auf seine Gleichstellung gepocht habe, beruhe darauf, daß zwischen den Parteien zwischen dem 23. September 1991 und Februar 1992 Verhandlungen über eine Weiterbeschäftigung an anderer Stelle mündlich geführt worden seien. Im übrigen sei auch seine Weiterbeschäftigung im Innendienst, den er bereits seit einigen Jahren versehe, möglich.
Mit seiner am 22. April 1992 erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,
- 1.
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht am 31.03.1992 endet, sondern darüber hinaus fortbesteht,
- 2.
hilfsweise, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht am 31.03.1992 geendet hat, sondern mindestens bis zur Entscheidung der Hauptfürsorgestelle über den Bescheid des Arbeitsverhältnisses fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat bestritten, vor Erhalt des Bescheides des ... vom 13. April 1992 die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers gekannt zu haben. Auch habe sich der Kläger bis zum März 1992 zu keiner Zeit auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Rechtswirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde durch den jetzt gestellten Antrag auf Gleichstellung vom 20. März 1992 nicht berührt. Abzustellen sei auf die unter dem 23. September 1991 erfolgte Mitteilung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger habe sich nämlich nicht innerhalb eines Monats nach der Mitteilung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung berufen.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im übrigen wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 58, 59 d.A.) sowie die vor dem Arbeitsgericht gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat durch das am 21. Januar 1993 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 57 bis 63 d.A.) die Klage kostenpflichtig abgewiesen und den Streitwert auf 10.328,85 DM festgesetzt.
Gegen dieses am 25. Februar 1993 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. März 1993 Berufung eingelegt und diese am 21. April 1993 begründet.
Der Kläger macht geltend, ihm könne nicht angelastet werden, wenn das Verfahren seitens des Arbeitsamts hinsichtlich seines Gleichstellungsantrages im Jahre 1990 nicht betrieben worden sei. Im übrigen meint der Kläger, daß im Falle des § 59 BAT die Geltendmachung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 22 Schwerbehindertengesetz nicht an eine Frist nach Zugang der Mitteilung des Arbeitgebers über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden sei.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Emden vom 21.01.1993 - 1 Ca 312/92 -, zugestellt am 25.02.1993, festzustellen
- 1.
daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht am 31.03.1992 endet, sondern darüber hinaus fortbesteht,
- 2.
hilfsweise, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht am 31.03.1992 geendet hat, sondern mindestens bis zur Entscheidung der Hauptfürsorgestelle über den Bestand des Arbeitsverhältnisses fortbesteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 4. Juni 1993 (Bl. 99 bis 103 d.A.).
wegen des weiteren Parteivorbringens zweiter Instanz wird auf den Inhalt der vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach der Beschwer statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 ArbGG, 518, 519 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht und mit im wesentlichen zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Das erkennende Gericht schließt sich gemäß § 543 Abs. 1 ZPO den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts an und beschränkt sich im Hinblick auf die Angriffe der Berufung auf nachfolgende, ergänzende Ausführungen:
Wird ein Angestellter, der wie der Kläger den Regelungen des BAT unterfällt, berufsunfähig, so endet sein Arbeitsverhältnis bei unkündbaren Angestellten, die noch keinen Anspruch auf Zusatzversorgung haben - wie im Falle des Klägers - gemäß § 59 Abs. 2 BAT nach Ablauf einer Frist von 6 Monaten zum Schluß eines Kalendervierteljahres nach Zustellung des Rentenbescheides, d. h. im Streitfall mit dem 31. März 1992. Bei Schwerbehinderten endet das Arbeitsverhältnis nach § 59 Abs. 4 BAT gegebenenfalls erst mit Zustellung des Zustimmungsbescheides der Hauptfürsorgestelle, das ist im Streitfall der 8. Oktober 1992. Von vorstehenden Grundsätzen ist im Streitfall auszugehen, denn entgegen der Ansicht des Klägers (Seite 7 der Berufungsschrift) ist der Rentenbescheid nicht rückwirkend wieder aufgehoben worden. Der vom Kläger insoweit herangezogene weitere Rentenbescheid vom 25. November 1992 (Bl. 90 bis 95 d.A.) betrifft nur die Neuberechnung der klägerischen Rente, nicht aber den Rentenanspruch, wie sich aus Anlage 10 Seite 3 dieses Bescheides eindeutig ergibt.
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten - einschließlich der Gleichgestellten nach § 2 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz - bedarf jedoch nach § 22 Schwerbehindertengesetz auch dann der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle, wenn sie im Falle des Eintritts der Berufsunfähigkeit ohne Kündigung erfolgt.
Damit kann das Arbeitsverhältnis der unter § 59 Abs. 1 und 2 BAT fallenden berufsunfähigen Schwerbehinderten grundsätzlich frühestens nach der Zustellung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle enden. Die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ist jedoch nicht erforderlich, wenn zum Zeitpunkt der Zustellung des Rentenbescheides weder die Schwerbehinderteneigenschaft noch Gleichstellung noch entsprechende Anträge vorliegen. Im Streitfall hat zwar der Kläger vorgetragen, er habe bereits am 23. April 1990 einen Gleichstellungsantrag nach § 2 Schwerbehindertengesetz gestellt, der indes nicht beschieden worden sei. Ob dieser Antrag - was der Beklagte bestreitet - tatsächlich gestellt worden ist und ob die lange Untätigkeit des Klägers im Hinblick auf eine Bescheidung dieses Antrages dazu führt, den Antrag nicht mehr zu berücksichtigen kann dahinstehen, denn der Kläger hat sich nicht rechtzeitig auf seinen Schwerbehindertenschutz berufen. Nach allgemeiner Auffassung (Dörner, Schwerbehindertengesetz, Kommentar, Stand Juni 1993, § 22 Seite 2; Neumann-Pahlen, Schwerbehindertengesetz, Kommentar. 8. Aufl. 1992, § 22 Randnr. 5; Großmann in GK-SchwbG, 1992, § 22 Randnr. 10), der die Kammer folgt, muß bei Unkenntnis des Arbeitgebers über die Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Antragstellung der Arbeitnehmer sich wie bei einer Kündigung verhalten. Das heißt, er muß sich binnen Monatsfrist auf seine Schwerbehinderung berufen, andernfalls verwirkt er den Schutz des § 22 Schwerbehindertengesetz. Streit besteht nur, ab wann die Mitteilungsfrist läuft. Während Dörner (a.a.O.) auf die arbeitgeberseitige Nachricht der zukünftigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, nimmt Großmann (a.a.O.) als maßgebenden Zeitpunkt die Zustellung des Rentenbescheids an, wozu wohl auch Neumann-Pahlen (a.a.O.) neigen, wenn sie an die Feststellung der Berufsunfähigkeit anknüpfen. Diese Frage bedarf jedoch keiner weiteren Klärung, denn nach allen vorstehend zitierten Auffassungen ist die erst unter dem 23. März 1992 erfolgte Mitteilung des Klägers über seinen Gleichstellungsantrag verspätet, weil der Rentenbescheid bereits im Juli 1991 zugestellt worden ist und die Beendigungsmitteilung des Beklagten vom 23. September 1991 datiert.
Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, auch ein Gleichstellungsantrag im Zeitraum zwischen Feststellung der Berufsunfähigkeit und Beendigungszeitpunkt nach § 59 Abs. 1 und 2 BAT unterfalle der Zustimmungsbedürftigkeit nach § 22 Schwerbehindertengesetz, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Das Gesetz (§ 22 Schwerbehindertengesetz) knüpft an den "Eintritt der Berufsunfähigkeit" an. Dieser wird dokumentiert durch die Zustellung des Rentenbescheides, welchem in diesem Zusammenhang eine ähnliche Bedeutung wie der Zugang der Kündigung zukommt (vgl. Großmann a.a.O.). Eine derartige Auslegung rechtfertigt sich auch aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Schwerbehindertengesetz, wonach die Vorschriften über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung entsprechend gelten. Auch bei einer Kündigung kommt es aber für die Zustimmungsbedürftigkeit auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an und nicht etwa auf den Ablauf der Kündigungsfrist.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.