Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.02.1994, Az.: 13 Sa 1601/93
Eigruppierung einer in einem Sprachheilzentrum als Erzieherin tätigen Kinderpflegerin; Überwiegende Tätigkeit entsprechend der Tätigkeitsbeschreibung; Pädagogische Betreuungsarbeit als typische Erziehertätigkeit; Bestehen gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 22.02.1994
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1601/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 17356
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:0222.13SA1601.93.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Wilhelmshaven - 16.07.1993 - AZ: 1 Ca 1099/92
- nachfolgend
- BAG - 17.01.1996 - AZ: 4 AZR 602/94
Rechtsgrundlagen
- Vergütungsgruppe V c des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt Teil I B 1. Sozial- und Erziehungsdienst
- § 22 Abs. 1 des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt Teil I B 1. Sozial- und Erziehungsdienst
- § 1 TVG
Fundstelle
- ZTR 1994, 426 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Hat eine Kinderpflegerin 6 Jahre in einem Sprachheilzentrum die Tätigkeit einer Erzieherin ausgeübt, ist sie als sonstige Angestellte wie eine Erzieherin einzugruppieren. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber nicht substantiiert bestreitet, daß entsprechende Fähigkeiten und Erfahrungen vorliegen.
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
die ehrenamtlichen Richter van der Wall und Albers
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 16.07.1993, 1 Ca 1099/92, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab 01.04.1994 Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BMT-AW II zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 1/3, der Beklagte zu 2/3.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.737,28 DM festgesetzt.
Für den Beklagten wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt für den Zeitraum 01.10.1991 bis 31.07.1993 im Wege der bezifferten Leistungsklage, hilfsweise mit Feststellungsantrag Vergütung nach Vergütungsgruppe V c des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt Teil I B 1. Sozial- und Erziehungsdienst (im folgenden: BMT-AW).
Die 1955 geborene Klägerin hat 1974 eine Ausbildung als staatlich anerkannte Kinderpflegerin abgeschlossen und arbeitete sodann von 1974 bis 1976. Eine erneute Beschäftigung nahm sie bei dem Beklagten auf am 01.04.1988 im Sprachheilzentrum in ... Die Parteien haben arbeitsvertraglich (Bl. 4 d.A.) Vergütung nach BMT-AW vereinbart, ursprünglich erhielt die Klägerin Vergütung nach Vergütungsgruppe VII, seit dem 01.04.1992 erhält sie Vergütung nach Vergütungsgruppe VI.
Die Klägerin arbeitet im Heimbereich, in dem die Kinder außerhalb der Schulzeit betreut werden. Es bestehen sechs Wohngruppen zu je acht sprachbehinderten Kindern. Die Klägerin ist zusammen mit zwei Erzieherinnen eingesetzt in einer Gruppe von Kindern im Alter von sechs bis neun Jahren. Die drei Erziehungskräfte der Gruppe leisten im Wechsel Frühdienst (6.30 Uhr bis 13.30 Uhr), Mitteldienst (10.00 Uhr bis 18.00 Uhr) und Spätdienst (12.30 Uhr bis 20.30), und zwar von montags bis donnerstags. Freitags endet der Dienst um 16.15 Uhr.
Gelegentlich ist Wochenenddienst zu leisten. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die von der Klägerin vorgelegten Einsatzpläne (Bl. 24 bis 26 d.A.).
Die betreuten Kinder sind sprachbehindert und aus diesem Grund Behinderte im Sinne des § 39 BSHG. Die Tätigkeiten der Erziehungskräfte beinhalten vor der Schule Betreuung der Kinder bei Körperpflege, Anziehen und Frühstück. Während der Schulzeit (Schulschluß ist um 11.25 Uhr) sind hauswirtschaftliche Arbeiten zu erledigen sowie schriftliche Arbeiten. Nach dem Mittagessen und der Mittagsruhe folgt Betreuung der Kinder, die unter anderem beinhaltet Beschicken der Therapien, Durchführung von heilpädagogischen Übungen oder Sprechübungen, schulischen Übungen, Spiel- und Freizeitgestaltung, Bekleidungseinkauf und ähnliches. Wegen der Einzelheiten eines Tagesablaufs wird Bezug genommen auf die von dem Beklagten erstellte Tätigkeitsdarstellung der Erzieher im Gruppenablauf der stationären Abteilung (Bl. 76 ff. d.A.).
In der Gruppe der Klägerin sind zwei Erzieherinnen tätig, die nach Vergütungsgruppe V c vergütet werden. In anderen Gruppen sind zwei Kinderpflegerinnen tätig, die seit dem 01.04.1992 von dem Beklagten nach Vergütungsgruppe V c vergütet werden.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe Anspruch auf Vergütung wie eine Erzieherin. Sie übe dieselben Tätigkeiten aus wie die in der Gruppe tätigen Erzieherinnen. Eine Unterscheidung in der Tätigkeit bestehe nicht. Sie arbeite selbständig und nicht nach Anweisung und führe alle erzieherischen und pflegerischen Betreuungsaufgaben in der Gruppe durch. Wie sich aus den Dienstplänen ergebe, arbeite sie zum Teil auch allein.
Die Klägerin hat beantragt,
- a)
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 6.630,52 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den jeweils monatlich fälligen Nettodifferenzbetrag zu zahlen,
- b)
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 01.08.1993 weitere 293,34 DM brutto monatlich zu zahlen.
Hilfsweise beantragt sie,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ab dem 1. Oktober 1991 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c des Bundesmanteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II B Nr. 1) zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat bestritten, daß die Klägerin über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine ausgebildete Erzieherin verfüge. Bereits deshalb komme eine Vergütung nach Vergütungsgruppe V c nicht in Betracht. Die Klägerin übe auch nicht dieselbe Tätigkeiten wie die Erzieherinnen in ihrer Gruppe aus, ihre Aufgabe bestehe darin, Hilfstätigkeiten im Erziehungsdienst zu leisten. Soweit zwei Kinderpflegerinnen als Erzieherinnen vergütet würden, seien diese mit Aufgaben einer Erzieherin betraut.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt die Klägerin vor, bei den betreuten Kindern lägen massive Sprachstörungen vor, die fast immer verbunden seien mit Störungen im Bereich der Motorik, Konzentration und im Lernverhalten. Entsprechend den Behinderungen sei eine individuelle Betreuung der Kinder erforderlich, wobei jede in der Gruppe eingesetzte Erziehungskraft dieselbe Arbeit leiste. Eine Trennung in der Tätigkeit von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen bestehe nicht. Alle Erziehungskräfte nähmen gleichberechtigt an internen Fortbildungen und Fallbesprechungen teil, hielten Kontakt zur Schule und Therapeuten, schrieben gleichwertige Berichte und erarbeiteten pädagogische Inhalte.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den zuletzt im ersten Rechtszuge gestellten Anträgen der Berufungsklägerin zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Klägerin habe nicht dargelegt, daß sie über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine ausgebildete Erzieherin verfüge. Das theoretische Wissen, das sich die Klägerin aufgrund ihrer praktischen Arbeit angeeignet haben könne, entspreche nicht im entferntesten dem, was in der Ausbildung der Erzieher vermittelt werde. Die von der Klägerin vorgelegte Tätigkeitsdarstellung beziehe sich ausschließlich auf Erzieher, sie gelte nicht für Kinderpflegerinnen.
Ergänzend wird wegen des zweitinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen auf die Berufungsbegründung sowie auf den Klägerschriftsatz vom 01.11.1993 und auf die Berufungserwiderung.
Gründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist teilweise begründet. Es war festzustellen, daß die Klägerin ab 01.04.1994 Anspruch auf Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BMT-AW hat. Im übrigen war die Klage abzuweisen.
Da der Anspruch aus Vergütungsgruppe V c erst ab 01.04.1994 besteht, ist der bezifferte Klageantrag, der sich auf den Zeitraum 01.10.1991 bis 31.07.1993 bezieht, unbegründet. Der zweite Hauptantrag betrifft Verurteilung zur zukünftigen Leistung, für ihn liegen die Voraussetzungen der §§ 257 ff. ZPO aber nicht vor, so daß insoweit die Klage unzulässig ist. Lediglich dem Hilfsantrag, der als Feststellungsantrag auszulegen war, konnte teilweise stattgegeben werden.
Gemäß § 22 Abs. 1 BMT-AW hat die Eingruppierung zu erfolgen nach der überwiegenden Tätigkeit. Zugrunde zu legen ist dabei die Tätigkeitsbeschreibung, die der Beklagte für Erzieher erstellt hat und die nach Behauptung der Klägerin auch ihre Tätigkeit beschreibt.
Die Gruppe ist mit drei Erziehungskräften im Wechseldienst besetzt, wobei überwiegend von 6.30 Uhr bis 10.00 Uhr und von 18.00 Uhr bis 20.30 Uhr jeweils eine Kraft tätig ist, von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr arbeiten zwei Betreuungskräfte. Geringfügige Abweichungen ergeben sich mittags, dienstags und freitags, die hier unberücksichtigt bleiben können. Gerade in der Zeit nach Schulschluß mit Schwerpunkt am Nachmittag findet die pädagogische Betreuungsarbeit statt. Hauswirtschaftliche und pflegerische Tätigkeiten füllen hier nur einen geringen Teil der Zeit aus. Die Klägerin und die beiden Erzieherinnen leisten in regelmäßigem Wechsel Früh-, Mittel- und Spätdienst. Bereits daraus ist zu folgern, daß die Klägerin und die Erzieherinnen dieselben Aufgaben zu erledigen haben und daß eine Trennung zwischen pflegerischen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten einerseits und Erziehungsarbeit nicht stattfindet. Hinzu kommt, daß die Betreuungstätigkeit am Nachmittag intensiv ausgestaltet ist. Von zwei Erziehungskräften sind acht behinderte Kinder zu fördern und zu betreuuen. Eine auch nur ansatzweise individuelle Betreuung bei heilpädagogischen Übungen, Sprechübungen, schulischen Übungen, Spiel- und Freizeitgestaltung ist nur denkbar, wenn beide Erziehungskräfte gleichermaßen diese pädagogischen Aufgaben wahrnehmen.
Die Klägerin hat damit schlüssig dargelegt, daß die Tätigkeitsbeschreibung der Erzieher auch für sie gilt. Es ergeben sich zudem erhebliche Indizien dafür, daß dieser Vortrag richtig ist, nämlich Dienstplangestaltung und Ausgestaltung der Betreuungstätigkeit am Nachmittag. Ergänzend ist als weiteres Indiz heranzuziehen, daß die Betreuung durch die Erziehungskräfte üblicherweise in Teamarbeit geleistet wird, eine Aufgabenteilung zwischen Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen nicht stattfindet. Der Beklagte hat das schlüssige Vorbringen der Klägerin nicht substantiiert bestritten. Er hat insbesondere nicht dargelegt, welche konkreten Aufgaben den Erzieherinnen vorbehalten sind und welche die Klägerin als Kinderpfleger in zu erledigen hat. Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO gilt deshalb der Vortrag der Klägerin zu ihrer Tätigkeit als zugestanden. Im Ergebnis ist hier ebenso wie in dem vom BAG AP Nr. 84 zu §§ 22, 23 BAT 1975 entschiedenen Fall nicht festzustellen, daß eine tatsächliche Trennung zwischen pflegerischen Aufgaben einer Kinderpflegerin und Erziehungsaufgaben gegeben ist.
Die Klägerin erfüllt ab 01.04.1994 die Voraussetzungen der Fallgruppe 5 der Vergütungsgruppe V c BMT-AW, die folgenden Wortlaut hat:
Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten. (Hierzu Protokollnotizen Nr. 1, 3, 5 und 6).
Die Klägerin ist nicht staatlich anerkannte Erzieherin, aber sonstige Angestellte, die Tätigkeiten einer Erzieherin ausübt und die ab 01.04.1994 über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt.
Die Gruppenbetreuung ist als Erziehertätigkeit zu bewerten. Zwar sind auch pflegerische Aufgaben (Betreuung bei Körperpflege, Mittagessen) und hauswirtschaftliche Arbeiten zu erledigen. Diese nehmen aber nur einen geringen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Zeitlich überwiegend ist die pädagogische Betreuungsarbeit am Nachmittag, zu der Zusammenhangstätigkeiten wie schriftliche Arbeiten, Vorbereitung von Übungen, Hospitation in der Schule hinzuzurechnen sind. Insbesondere für den Mitteldienst und den Spätdienst (2/3 der Arbeitszeit) ist die pädagogische Arbeit weitaus überwiegend und damit prägend für die Gesamttätigkeit. Die pflegerische und die hauswirtschaftliche Arbeit ist den Erziehungskräften übertragen, um eine umfassende Betreuung durch wenige Personen sicherzustellen. Wären Arbeitsvorgänge zu bilden, so wäre die gesamte Tätigkeit als Betreuungstätigkeit zu einem Arbeitsvorgang zusammenzufassen (BAG AP Nr. 155 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Entsprechend ist hier von einer einheitlichen Gesamttätigkeit auszugehen, für die die pädagogische Betreuungsarbeit prägend ist.
Die pädagogische Betreuungsarbeit, wie sie in der Tätigkeitsbeschreibung beschrieben ist, ist aber, erst recht, wenn sie in einer Gruppe von Behinderten geleistet wird, typische Erziehertätigkeit. Durchführen von heilpädagogischen Übungen, Kontrolle von Sprechübungen, schulische Übungen, angeleitete Spiel-, Freizeitgestaltung und Bekleidungseinkauf sind typische, pädagogische Tätigkeiten einer Erzieherin. Hier ist das durch die Fachschulausbildung erworbene Wissen auf pädagogischem und psychologischem Gebiet einzusetzen. Die Klägerin erledigt damit die Tätigkeit einer Erzieherin. Die Klägerin verfügt auch ab 01.04.1994 über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine Erzieherin. Zwar ist die Ausbildung zur Kinderpflegerin einer Erzieherausbildung nicht gleichzusetzen, festzustellen ist aber, daß die Ausbildung der Kinderpfleger in darauf gerichtet ist, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die zur Unterstützung sozialpädagogischer Fachkräfte wie Erziehern notwendig sind (so BAG ZTR 1991, S. 466 [BAG 21.03.1991 - 2 AZR 616/90]). Die Ausbildung zur Kinderpflegerin ermittelt damit jedenfalls teilweise einschlägiges Fachwissen. Von daher ist die Klägerin nicht als völlig berufsfremde Kraft anzusehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegen gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen dann vor, wenn eine ähnlich gründliche Beherrschung eines entsprechend umfangreichen Wissensgebietes, wie es durch die Fachausbildung vermittelt wird, festzustellen ist. Fähigkeiten und Erfahrungen dürfen sich nicht nur auf ein eng begrenztes Teilgebiet beschränken, der sonstige Angestellte muß ähnlich umfangreich wie eine ausgebildete Kraft eingesetzt werden können. Zur Feststellung der subjektiven Voraussetzung, Fähigkeiten und Erfahrungen des sonstigen Angestellten, können Rückschlüsse aus der ausgeübten Tätigkeit gezogen werden (BAG AP Nr. 66 und Nr. 96 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
Die Klägerin übt seit 1988 typische Erziehertätigkeit aus, nämlich pädagogische Betreuung von Kindern. Es finden in der Einrichtung Fallbesprechungen statt und interne Fortbildung, zum Tätigkeitsbereich gehören Hospitationen in der Schule und bei Therapien, Durchführung von heilpädagogischen Übungen, Kontrolle von Sprechübungen, schulische Übungen. Daß die Klägerin diese Aufgaben ordnungsgemäß wie eine Erzieherin erledigt, hat der Beklagte nicht substantiiert bestritten. Die Klägerin verfügt über eine zwar nicht gleichwertige, aber für das Fachgebiet einschlägige Ausbildung als Kinderpflegerin. Zudem leistet sie seit 1988 die anspruchsvolle Tätigkeit einer Betreuung von behinderten Kindern. Dies alles zusammengenommen läßt den Schluß zu, daß sie nach sechsjähriger Tätigkeit über gleichwertige Kenntnisse und Erfahrungen wie eine Erzieherin verfügt und entsprechend über den Teilbereich der Behindertenbetreuung hinaus vielseitig einsetzbar ist. Daß die Kammer der Klägerin erst ab 01.04.1994 gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen zugestanden hat, beruht darauf, daß die Klägerin nach langjähriger Pause in der beruflichen Tätigkeit erst 1988 ihre Tätigkeit aufgenommen hat, sie ist von dem Beklagten mit dem Kenntnisstand einer gerade ausgebildeten Kinderpflegerin eingestellt worden. Kenntnisse und Fähigkeiten, wie sie eine Erzieherausbildung vermittelt, mußte sich die Klägerin im Rahmen ihrer Berufstätigkeit erwerben. Es erscheint dann aber angemessen, die doppelte Zeit einer Erzieherausbildung von drei Jahren anzusetzen, um von gleichwertigen Fähigkeiten und Erfahrungen ausgehen zu können.
Daß hier zur Feststellung der subjektiven Voraussetzung als sonstige Angestellte allein auf die Art. der Arbeitsaufgaben und die Dauer der Tätigkeit abgestellt ist, ist in der besonderen Problematik des Erziehungsdienstes begründet. Während ingenieurmäßige Tätigkeiten und etwa Technikertätigkeiten objektiv und nachvollziehbar abgegrenzt werden können, etwa durch sachverständige Begutachtung der durchgeführten Arbeiten, erscheint dieser Weg im Erziehungsdienst nicht gangbar. Pädagogische Betreuungstätigkeit durch Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen, wenn sie dieselben Aufgaben wahrnehmen, lassen sich praktisch nicht qualitativ unterscheiden in Erziehertätigkeit und Kinderpflegerinnentätigkeit. Soll die tariflich vorgesehene Gleichstellung des sonstigen Angestellten mit dem Erzieher nicht leerlaufen oder der Alleinentscheidung des Arbeitgebers überlassen bleiben, bleibt nur die Möglichkeit, aus der beanstandungsfreien Erledigung typischer Erzieheraufgaben unter Einschluß der Dauer der Tätigkeit auf entsprechende Fähigkeiten und Erfahrungen zu schließen. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, substantiiert, nicht nur pauschal zu bestreiten, daß entsprechende Fähigkeiten und Erfahrungen nicht vorliegen. Entsprechendes substantiiertes Bestreiten ist durch den Beklagten aber nicht erfolgt. Die Klägerin war einer Erzieherin gleichzusetzen.
Da die Klägerin eine Gruppe mit Behinderten im Sinne des § 39 BSHG betreut, liegt gemäß Protokollnotiz Nr. 6 b besonders schwierige fachliche Tätigkeit vor. Die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5 BMT-AW sind erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes auf § 12 Abs. 7 ArbGG.
Die Revisionszulassung ist erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1, 72 a Abs. 1 Ziffer 2 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.737,28 DM festgesetzt.