Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.10.1994, Az.: 13 Sa 1222/94
Überprüfung der Wirksamkeit einer Kündigung im Hinblick auf die soziale Rechtfertigung; Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung durch Pflichtverletzungen; Begehung einer erheblichen Vertragsverletzung durch das unkorrekte Ausfüllen einer Arbeitskarte; Entschuldigung des falschen Ausfüllens des Arbeitszettels durch die Zuweisung niederer Arbeiten durch den Arbeitgeber; Entbehrlichkeit der Abmahnung wegen eines groben Pflichtverstoßes des Arbeitnehmers; Soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung; Soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung; Unwirksamkeit einer tariflichen Kündigungsfrist wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG; Auflösung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Frist von zwei Monaten zum Monatsende; Fehlverhalten im Vertrauensbereich; Kündigung als ultima ratio; Erforderlichkeit einer erfolglosen Abmahnung vor Kündigung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.10.1994
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1222/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 17159
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:1018.13SA1222.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 22.04.1994 - AZ: 2 Ca 845/93
Rechtsgrundlagen
- § 1 KSchG
- § 622 BGB
- Art. 3 GG
Verfahrensgegenstand
Feststellung
Die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
den ehrenamtlichen Richter Tjarks und
die ehrenamtliche Richterin Oetjens
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.04.1994, 2 Ca 845/93, unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 07.12.1993 nicht zum 14.01.1994 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 28.02.1994 fortbestanden hat.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 9/10, der Beklagte zu 1/10.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.657,10 DM festgesetzt.
Für den Beklagten wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung vom 07.12.1993 nicht aufgelöst worden ist.
Er war zuletzt seit November 1988 beim Beklagten, der eine Autolackiererei betreibt, als Lackierer beschäftigt. Davor war er bereits in den Jahren 1983 bis 1988 mit Unterbrechungen beschäftigt, Einzelheiten dazu sind nicht vorgetragen. Der Kläger arbeitete im Stundenlohn und erhielt 21,35 DM brutto pro Stunde. Die Lohnabrechnung erfolgte nach Zeiterfassung. Die Arbeitsleistung wird im Betrieb des Beklagten wie folgt erfaßt. Für jeden Auftrag besteht eine Arbeitskarte, auf der die Arbeitnehmer, die mit dem Auftrag befaßt sind, die von ihnen gearbeitete Zeit eintragen. Außerdem sind in einem Arbeitsbuch, das der Arbeitnehmer zu führen hat, die bearbeiteten Aufträge mit der aufgewendeten Zeit einzutragen. Im Dezember 1993 verglich der Beklagte die Aufzeichnungen des Klägers auf den Arbeitskarten mit den Aufzeichnungen im Arbeitsbuch und stellte für einen Monat fest, daß in 22 Fällen Abweichungen bestanden, im Arbeitsbuch waren 10 1/4 Arbeitsstunden mehr aufgeführt als auf den Arbeitskarten.
Nach seiner eigenen Einlassung ist der Kläger nicht nur in dem kontrollierten Monat, sondern ständig so verfahren. Er hat die Arbeitskarten häufig nicht nach tatsächlichem Arbeitsaufwand ausgefüllt. Bei Zeitvorgaben für einen Auftrag hat er die Auftragskarte nach den Vorgaben ausgefüllt. Bei Festpreisvereinbarung für einen Auftrag hat er den Zeitaufwand ausgehend von einer Stundenkalkulation von 96,- DM pro Stunde berechnet und die Stunden nach dieser Berechnung in die Arbeitskarte aufgenommen. Im Arbeitsbuch hat er die tatsächlich aufgewendete Zeit eingetragen. Das Arbeitsbuch hat der Kläger Mitte Dezember 1993 mit nach Hause genommen, es ist seitdem nicht mehr verfügbar.
Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 07.12.1993 zum 14.01.1994 (Kündigungsschreiben Bl. 2 d. A.). Eine Abmahnung ist der Kündigung nicht vorausgegangen. Der Beklagte hat den Kläger nach Klageerhebung vom 03.02.1994 bis 31.05.1994 vorläufig weiterbeschäftigt. In der Zeit vom 08.02. bis 24.03.1994 hat der Kläger erneut 27 Stunden im Arbeitsbuch mehr aufgeführt als auf den Arbeitskarten.
Der Kläger hat vorgetragen, ihm seien überwiegend zeitaufwendige Aufträge, die viele Vorarbeiten und Spachtelarbeiten verlangten, übertragen worden. Die vorgegebenen Zeiten hätten nicht eingehalten werden können. Aus Angst vor einer Kündigung habe er deshalb die Arbeitskarten nicht korrekt ausgefüllt.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 07.12.1993 zum 14.01.1994 aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, daß Verhalten des Klägers habe zu einem erheblichen Schaden geführt. Da die erbrachten Stunden nicht korrekt auf der Arbeitskarte vermerkt worden seien, hätten diese den Kunden auch nicht vollständig in Rechnung gestellt werden können. Die Kündigungsfrist des § 42 des Rahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk sei eingehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt der Kläger vor, er sei zur Fehleintragung in den Arbeitskarten gezwungen gewesen, um nicht im Betrieb "vollständig unterzugehen". Dem Beklagten sei hierdurch kein Schaden entstanden.
Er sei mit den schlechtesten, zeitaufwendigsten und niedrigst kalkulierten Aufträgen betraut worden. Er habe fast ausschließlich Spachtelarbeiten erledigen müssen. Andere Arbeitskollegen hätten Aufträge erhalten, die gut und schnell zu erledigen gewesen seien, sie seien bereits mittwochs mit den Stunden fertig gewesen. Wenn er bei mit dem Kunden vereinbarten Festpreisen die Arbeitszeit nicht entsprechend der Kalkulation eingehalten habe, sei er beschimpft worden und ihm sei Entlassung angedroht worden. Häufig habe er Aufträge erhalten, bei denen auf dem Arbeitsauftrag Zeitvorgaben gemacht worden seien. Er habe dann, um nicht "niedergemacht" zu werden, nur die entsprechenden Vorgabezeiten auf der Arbeitskarte vermerkt. Die korrekte Zeiterfassung auf der Arbeitskarte hätte dem Beklagten keinen Vorteil gebracht, da in fast allen Fällen mit dem Kunden Festpreise vereinbart worden seien. Er sei gezwungen gewesen, Überstunden zu machen, die nicht alle bezahlt worden seien, aus März, Mai, Juni, Juli und Dezember 1993 seien noch 98,14 Stunden offen. Er habe sich zwar nicht korrekt verhalten, ausreichend sei jedoch eine Abmahnung gewesen, so daß die Kündigung nicht gerechtfertig sei. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung, Bl. 63 f. d. A.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 22.04.1994 abzuändern und festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 07.12.1993 zum 14.01.1994 aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, der Kläger sei überwiegend mit Vorarbeiten und Spachtelarbeiten betraut worden, da er für Lackierarbeiten nur über begrenzte Fertigkeiten verfügt habe. Es sei nicht richtigt, daß der Kläger bei Nichteinhaltung vorgegebener oder kalkulierter Zeiten beschimpft worden sei oder daß ihm eine Kündigung angedroht worden sei. Durch das Verhalten des Klägers sei auch ein Schaden entstanden, da ein Festpreis nur selten vereinbart werde und überwiegend nach Arbeitsleistung abgerechnet werde. Davon abgesehen, habe der Kläger durch die Falscheintragung dem Beklagten jede Möglichkeit der Nachkalkulation genommen und ebenso eine Leistungskontrolle verhindert. Für Überstunden sei überwiegend Freizeitausgleich gewährt worden, soweit es nicht möglich gewesen sei, sei Bezahlung erfolgt. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung, Bl. 83 f. d. A.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist im wesentlichen unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die ausgesprochene ordentliche Kündigung für sozial gerechtfertigt gemäß § 1 KSchG erklärt. Lediglich wegen der Kündigungsfrist war das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern. Die tarifliche Kündigungsfrist, auf die sich der Beklagte stützt, ist nicht wirksam wegen Verstoß gegen Artikel 3 GG, das Arbeitsverhältnis ist mit einer Frist von zwei Monaten zum Monatsende gemäß § 622 BGB neuerer Fassung aufgelöst worden.
Die vom Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und wirksam. Ob Pflichtverletzungen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen. Es ist festzustellen, ob angesichts der Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers oder der eingetretenen Störungen im Vertrauensbereich das Arbeitsverhältnis derart belastet ist, daß eine Fortsetzung nicht in Betracht kommt und die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheint (BAG EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung, Nr. 14 und Nr. 43; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 7. Aufl., S. 1040; KR, 3. Aufl. § 1 KSchG, RdNr. 230). Regelmäßig kommt eine ordentliche Kündigung wegen Vertragspflichtverletzungen nur dann in Betracht, wenn vorab der Arbeitnehmer vergeblich wegen einer ähnlich gelagerten Pflichtverletzung abgemahnt worden ist. Dies gilt bei Störungen im Leistungsbereich. Bei Fehlverhalten im Vertrauensbereich ist eine vorherige erfolglose Abmahnung jedenfalls dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber als nicht erheblich für den Bestand des Arbeitsverhältnisses eingestuft (BAG EzA § 611 BGB Abmahnung, Nr. 18; KR 3. Aufl., § 1 KSchG, RdNr. 234; Stahlhacke-Preiss, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Auflage, RdNr. 684). Entscheidend für die Frage, ob eine vorherige vergebliche Abmahnung erforderlich ist, ist damit, ob das beanstandete Fehlverhalten bereits eine klare Negativprognose für die weitere Vertragsbeziehung zuläßt oder ob noch die Möglichkeit der Rückkehr zu einem vertragskonformen Verhalten besteht. (Stahlhacke-Preiss, a.a.O.; BAG EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung, Nr. 37).
Das Verhalten des Klägers, unkorrektes Ausfüllen der Arbeitskarten, stellt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung dar, die sowohl den Leistungsbereich als auch den Vertrauensbereich berührt, und die als verhaltensbedingter Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Der Kläger hat nicht nur in Einzelfällen und nicht nur in den vom Arbeitgeber im Dezember 1993 festgestellten 22 Fällen mit Abweichung von 10,25 Stunden Falscheintragungen vorgenommen. Nach eigener Einlassung ist er ständig so verfahren und hat die Eintragungen auf den Arbeitskarten angepaßt an Zeitvorgaben bzw. vorgegebenen Festpreisen.
Die Falscheintragung ist eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung. Die Arbeitskarte dient im Betrieb des Beklagten der Überprüfung des Produktionsprozesses. Sie ist vom Arbeitgeber eingesetzt als Grundlage für die Abrechnung mit Kunden, wenn kein Festpreis vereinbart ist. Ist ein Festpreis vereinbart, dient sie als Grundlage für die Überprüfung der Kalkulation, sie dient also der Nachkalkulation. Im übrigen dient die Arbeitskarte in beiden Fällen der Leistungskontrolle des Arbeitnehmers.
Der Kläger hat sich bewußt dieser Leistungskontrolle durch Falscheintragungen entzogen. Wie er selbst vorträgt, befürchtete er Vorhaltungen und eventuell sogar eine Kündigung wegen nichtausreichender Arbeitsleistung.
Ob und in welcher Höhe dem Beklagten ein materieller Schaden entstanden ist, ist nicht zu bewerten. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, in fast allen Fällen sei bei den Aufträgen, die er bearbeitet habe, mit den Kunden ein Festpreis vereinbart worden. Der Beklagte hat dies nicht im einzelnen widerlegt, insbesondere nicht Einzelfälle dargelegt, in denen kein Festpreis vereinbart worden ist und aufgrund der falsch ausgefüllten Arbeitskarte der tatsächliche Arbeitsaufwand nicht mit den Kunden abgerechnet werden konnte. Auszugehen ist damit vom Vorbringen des Klägers, daß in fast allen Fällen ein Festpreis vereinbart worden ist. Aber auch dann steht fest, daß die wirtschaftlichen Interessen des Beklagten in erheblichem Umfang gefährdet worden sind. Wenn in fast allen Fällen Festpreise vereinbart worden sind, räumt der Kläger damit ein, daß auch Aufträge ohne Festpreis vorhanden waren. Hier konnte es zur Schädigung des Beklagten kommen, zumindest bestand die entsprechende Gefahr. Auch bei Festpreisvereinbarungen waren die Interessen des Beklagten gefährdet. Durch die Verfahrensweise des Klägers war eine Nachkalkulation eines Auftrags nicht möglich. Ebenso hat der Kläger eine Leistungskontrolle verhindert. Die Verhaltensweise des Klägers, Falscheintragungen auf der Arbeitskarte nicht nur in Einzelfällen, sondern in einer Vielzahl von Fällen, stellt damit eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung im Leistungsbereich dar, die als Kündigungsgrund an sich geeignet ist.
Daneben ist in erheblichem Umfang der Vertrauensbereich berührt. Der Kläger hat durch Falscheintragung auf den Auftragskarten seinen Arbeitgeber in einer Vielzahl von Fällen getäuscht, er hat damit das Vertrauen in eine zukünftige korrekte Arbeitsabwicklung erheblich gestört. Die Pflichtverletzung ist deshalb auch als Störung im Vertrauensbereich als Kündigungsgrund geeignet.
Entschuldigungsgründe, die zugunsten des Klägers zu berücksichtigen wären, sind nicht gegeben. In erster Linie beruft sich der Kläger darauf, wenn er Arbeitszeitvorgabe nicht eingehalten habe, sei er beschimpft worden und mit Kündigung bedroht worden, er habe befürchtet, "niedergemacht" zu werden.
Dieses Vorbringen ist als Entschuldigungsgrund nicht geeignet. Der Kläger bestätigt damit nur, daß er sich einer Leistungskontrolle bewußt entziehen wollte, er hat eine Auseinandersetzung über Vorgabezeiten und ihre Angemessenheit unmöglich gemacht und bestätigt mit diesem Vorbringen die Schwere seiner Pflichtverletzung. Im übrigen hat er den Entschuldigungsgrund nicht ausreichend substantiiert dargelegt. Zwar muß der Arbeitgeber, weil er die Darlegungs- und Beweislast für die Kündigungsgründe trägt, auch Entschuldigungsgründe des Arbeitnehmers widerlegen. Im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast ist allerdings zu verlangen, daß der Arbeitnehmer konkret und detalliert zu den Entschuldigungsgründen vorträgt (BAG EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung, Nr. 43). Einen entsprechend detaillierten Vortrag hat der Kläger aber nicht gebracht, er hat keine konkreten Einzelfälle geschildert, in denen er wegen Nichteinhaltung von Zeitvorgaben beschimpft worden ist oder mit Kündigung bedroht worden ist. Er beschränkt sich auf nichtberücksichtigungsfähigen Pauschalvortrag.
Die weiteren Entschuldigungsgründe sind nicht als erheblich anzusehen. Er beruft sich darauf, ihm seien die schlechtesten Arbeiten zugewiesen worden, Aufträge mit hohem Anteil von Spachtelarbeiten und Vorarbeiten.
Der Kläger war im Stundenlohn beschäftigt, Vorarbeiten und Spachtelarbeite gehören zu den typischen Aufgaben eines Autolackierers. Er ist damit vertragsgemäß von dem Beklagten beschäftigt worden. Wenn dieser der Auffassung war, der Kläger könne aufgrund fehlender Fertigkeiten nicht mit schwierigen Lackierarbeiten beschäftigt werden, ist das nicht zu beanstanden, zumindest rechtfertigt das nicht die Falscheintragung auf den Arbeitskarten.
Ebenso ist der Vortrag des Klägers unerheblich, weil im vorliegenden Zusammenhang sachfremd, er habe Überstunden leisten müssen, die zum Teil nicht abgerechnet worden seien. Die Kammer wertet diesen Vortag als Schutzbehauptung, die Überstunden stehen in keinem Zusammenhang mit dem Ausfüllen der Arbeitskarten. Auch dieser Vortrag kann deshalb die Bewertung der Arbeitspflichtverletzungen des Klägers nicht ändern.
Eine Abmahnung war im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Wie ausgeführt, liegt eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung vor, die den Leistungsbereich und den Vertrauensbereich erheblich berührt. Die Falscheintragungen hat der Kläger nicht in Einzelfällen, sondern in einer Vielzahl von Fällen vorgenommen. Damit ist das Vertrauen in eine zukünftige korrekte Arbeitsweise so erheblich gestört, daß vorliegend auf eine vorherige Abmahnung verzichtet werden kann. Dies gilt auch deshalb, weil für den Kläger keine Anhaltspunkte bestanden, das sein Verhalten hingenommen würde. Ihm mußte deutlich sein, daß er durch seine Pflichtverletzungen den Bestand des Arbeitsverhältnisses ernsthaft gefährdete und daß es zu einer Kündigung kommen würde. Die Schwere der Pflichtverletzung und die Offenkundigkeit der Pflichtverletzung für den Kläger rechtfertigen eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung.
Hilfsweise ist daraufhinzuweisen, daß eine Abmahnung vorliegend auch keinen Erfolg gehabt haben dürfte und deshalb überflüssig war. Dies ist daraus zu schließen, daß der Kläger selbst während der vorläufigen Weiterbeschäftigung, also nach der Kündigung, noch Falscheintragungen auf den Arbeitskarten vorgenommen hat. Durch dieses Verhalten nach der Kündigung hat er gezeigt, daß eine Abmahnung überflüssig weil sinnlos gewesen wäre.
Im Rahmen der Interessenabwägung war zu berücksichtigen, daß der Kläger seit 1988 eine Betriebszugehörigkeit von etwa 5 Jahren auf weist, er war auch davor zeitweilig für den Beklagten tätig. Andererseits ist das Arbeitsverhältnis nicht nur belastet durch Einzelfälle von Falscheintragungen, sondern durch eine ganze Kette von solchen Pflichtverstößen. Die Vertragspflichtverletzung des Klägers ist schwerwiegend, das Vertrauen des Arbeitgebers in eine zukünftige korrekte Arbeitsleistung ist erheblich gestört. Unter diesen Umständen erscheint trotz langjähriger Betriebszugehörigkeit die ausgesprochene ordentliche Kündigung als billigenswert und angemessen.
Die wirksame ordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht zum 14.01.1994 aufgelöst, sondern erst zum 28.02.1994. § 42 Ziffer 2 des Rahmentarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30.03.1992, der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, sieht zwar bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit eine Kündigungsfrist von 18 Werktagen zum Monatsende vor. Diese tarifliche Bestimmung ist aber wegen Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz verfassungswidrig und damit nichtig. Die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der tariflichen Kündigungsfristenregelung ist von den Gerichten für Arbeitssachen festzustellen und führt vorliegend dazu, daß das Arbeitsverhältnis mit der in § 622 BGB nF vorgesehenen gesetzlichen Frist von zwei Monaten zum Monatsende beendet worden ist.
ImUrteil vom 10.03.1994, 2 AZR 605/93, hat das Bundesarbeitsgericht zu tariflichen Kündigungsfristen, die aufgrund der Öffnungsklausel des § 622 Abs. 3 BGB vor dem 15.10.1993 (Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes vom 07.10.1993) vereinbart wurden, folgendes ausgeführt: Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse nicht nur ein die Ungleichbehandlung durch unterschiedliche Kündigungsfristen bei Arbeitern und Angestellten rechtfertigender Grund vorliegen, sondern die Ungleichbehandlung und der rechtfertigende Grund müßten auch in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Die Neufassung des § 622 BGB stelle eine Konkretisierung des Artikel 3 Abs. 1 GG dar. Wenn die Tarifvertragsparteien von der Öffnungsklausel zur Regelung tariflicher Kündigungsfristen Gebrauch machten, so seien diese tariflichen Kündigungsfristen auch an den neuen Vorgaben des Kündigungsfristengesetzes zu messen. Die Tarifautonomie gelte insoweit nicht schrankenlos.
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kündigungsfristenregelung in § 42 RTV-Arbeiter jedenfalls für den Fall fünfjähriger Betriebszugehörigkeit verfassungswidrig. Für den Arbeiter haben die Tarifvertragsparteien bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit eine Kündigungsfrist von 18 Werktagen zum Monatsende vorgesehen. Ein Angestellter mit vergleichbarer Kündigungsfrist kann gemäß § 28 RTV-Angestellte nur mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Der Unterschied in der Länge der Kündigungsfristen ist unverhältnismäßig, ein sachlich rechtfertigender Grund hierfür ist nicht anzuerkennen, insbesondere wird beim Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig gering bewertet.
Auszugehen ist davon, daß das Maler- und Lackiererhandwerk rein auftragsbezogen arbeitet, Auswirkungen hat dies insbesondere im Bereich der gewerblichen Arbeiternehmer. Anzuerkennen ist damit ein branchenspezifisches Flexibilitätsbedürfnis im produktiven Bereich, im Ansatz ist damit ein sachlicher Grund für unterschiedliche Kündigungsfristen bei Arbeitern und Angestellten gegeben. Dieser sachliche Grund rechtfertigt aber nicht das Auseinanderklaffen der Kündigungsfristen in dieser extremen Höhe, der Arbeiter hat im Minimum eine Kündigungsfrist von drei Wochen, der Angestellte eine solche von drei Monaten.
Zu berücksichtigen war in diesem Zusammenhang, daß dem Flexibilitätsbedürfnis in einem wesentlichen Punkt bereits durch § 15 des RTV-Arbeiter Rechnung getragen worden ist. Diese Vorschrift sieht bei witterungsbedingter Arbeitseinstellung im Winterhalbjahr eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit eintägiger Kündigungsfrist vor verbunden mit einer Wiedereinstellungsklausel. Die Tarifvertragsparteien haben damit sachgerecht ein zentrales Problem der Branche, nämlich witterungsbedingte Arbeitseinstellung, geregelt. Das Flexibilitätsbedürfnis verliert damit an Gewicht, es reduziert sich auf praktisch in allen Branchen des produzierenden Gewerbes anzutreffende Auftragsabhängigkeit. Arbeit auf Lager ist, weil zu teuer, praktisch in allen produktiven Bereichen unüblich und betriebswirtschaftlich nicht zu vertreten. In welchem Umfange dem verbleibenden Rest an Flexibilitätsbedürfnis Rechnung getragen werden kann durch tariflich unterschiedliche Kündigungsregelungen, ist hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls ist festzustellen, daß nach der Systematik gesetzlicher und auch tariflicher Kündigungsfristen erhöhte Betriebszugehörigkeit auch zu einer nicht unerheblichen Verlängerung der Kündigungsfrist zu führen hat. Gerade bei erhöhter Betriebszugehörigkeit bedarf der Arbeitnehmer des besonderen Schutzes einer langen Kündigungsfrist. Wenn der Tarifvertrag bei einer Grundkündigungsfrist von 12 Werktagen bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit lediglich eine Erhöhung auf 18 Werktage zum Monatsende vorsieht, also eine Erhöhung der Kündigungsfrist im Minimum um eine Woche, so kann dies im Vergleich zu den Angestelltenkündigungsfristen nur als unverhältnismäßig bewertet werden, ein sachlich rechtfertigender Grund ist hierfür nicht ersichtlich.
Auch ein Vergleich der tariflichen Kündigungsfrist mit der gesetzlichen Neuregelung in § 622 BGB nF belegt, daß die Tarifvertragsparteien die Grenzen ihrer Autonomie überschritten haben. Nach § 622 Abs. 1 BGB nF beträgt bereits die Grundkündigungsfrist eines Arbeiters vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Nach Abs. 2 Ziffer 2 beträgt die Kündigungsfrist bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats. Wenn der Tarifvertrag hier eine Kündigungsfrist von 18 Werktagen zum Monatsende vorsieht, dann gewährt er dem Arbeitnehmer bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit noch nicht einmal in jedem Fall die Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB nF. Entsprechend groß ist die Diskrepanz zur gesetzlichen Kündigungsfrist bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit. Da aber, wie das BAG zu Recht feststellt, § 622 BGB nF eine Konkretisierung des Artikel 3 Abs. 1 GG darstellt und auch alte tarifliche Kündigungsfristenregelung an den neuen Vorgaben des Gesetzes zu messen sind, folgt auch aus der erheblichen Abweichung von § 622 Abs. 2 BGB nF die Verfassungswidrigkeit der hier zu prüfenden tariflichen Kündigungsfrist. Das Arbeitsverhältnis ist damit erst nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende beendet worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Wertfestsetzung auf § 12 Abs. 7 ArbGG. Gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG in Verbindung mit § 72 a Abs. 1 Ziffer 2 war die Revision zuzulassen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.657,10 DM festgesetzt.
der ehrenamtliche Richter Tjarks
die ehrenamtliche Richterin Oetjens