Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.12.1994, Az.: 7 Sa 1213/93 E

Frühgeborenenstation eines Kreiskrankenhauses als Einheit für Intensivmedizin

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
01.12.1994
Aktenzeichen
7 Sa 1213/93 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 10729
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1994:1201.7SA1213.93E.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Emden - 08.06.1993 - AZ: 2 Ca 132/93 E

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

YYY

Amtlicher Leitsatz

Die Frühgeborenenstation eines Kreiskrankenhauses stellt eine Einheit für Intensivmedizin i. S. d. Vergütungsgruppe Kr. VI Fallgruppe 6 b BAT/VKA dar, wenn 5 Betten als Monitorplätze zur Intensivüberwachung und 1 Bett als Beatmungsplatz ausgestattet sind.

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht und
die ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 08.06.1993, 2 Ca 132/93 E, abgeändert.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über den 24.11.1992 hinaus eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe KR VI der Anlage 1 b BAT nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettodifferenzbetrag seit dem 22.02.1993 bzw. bei späterer Fälligkeit ab Fälligkeit zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Eingruppierung der Klägerin nach der Anlage 1 b zum Bundesangestelltentarifvertrag (BAT/VKA). Streitig ist dabei insbesondere, ob die Frühgeborenenstation des Kreiskrankenhauses ... des Beklagten eine Einheit für Intensivmedizin im Sinne der Vergütungsgruppe Kr. VI Fallgruppe 6 b BAT/VKA darstellt.

2

Die am 11. September 1959 geborene Klägerin ist seit dem 1. April 1977 bei dem Beklagten beschäftigt. Mach erfolgreichem Abschluß ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester wurde sie gemäß Arbeitsvertrag vom 1. April 1980 (Bl. 29 d. A.) als Kinderkrankenschwester eingestellt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des BAT und den diese ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge. In § 5 wurde zunächst eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe III BAT/Kr. und ab 1. Oktober 1980 nach der Vergütungsgruppe IV BAT/Kr. vereinbart.

3

In der Zeit vom 5. November 1984 bis zum 31. Oktober 1986 nahm die Klägerin an den Städtischen Kliniken in ... an einem Weiterbildungslehrgang für Anästhesie und Intensivpflege teil. Nach erfolgreich bestandener Prüfung erhielt sie mit Wirkung vom 1. November 1986 die staatliche Anerkennung als Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege (Bl. 7 d. A.). Gemäß Änderungsvereinbarung vom 17. Dezember 1986 (Bl. 14 d. A.) wurde sie zudem ab 1. November 1986 in die Vergütungsgruppe V BAT/Kr. eingruppiert.

4

Mit Schreiben vom 28. September 1989 (Bl. 28 d. A.) teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß sie entsprechend der Neufassung des Tarifvertrages für Angestellte im Pflegedienst vom 30.06.1989 ab 1. August 1989 in die Vergütungsgruppe V a BAT/Kr. eingruppiert sei. Ab November 1989 zahlte der Beklagte dann eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe VI BAT/Kr., ohne daß hierüber eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde.

5

Mit Schreiben vom 24. November 1992 (Bl. 76, 77 d. A.) teilte der Beklagte der Klägerin mit, daß hinsichtlich der erfolgten Zahlung nach der Vergütungsgruppe VI BAT/Kr. eine offensichtliche Unrichtigkeit vorliege, es sei versehentlich nach der falschen Vergütungsgruppe gezahlt worden. In der Folgezeit zahlte der Beklagte der Klägerin lediglich noch eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe Kr. V a BAT. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 11.02.1993 bei Gericht eingegangenen Klage.

6

Die Klägerin wird seit dem 1. April 1980 auf der Frühgeborenenstation des Kreiskrankenhauses ... eingesetzt. Die Frühgeborenenstation umfaßt ausweislich der Stellungnahme des Oberarztes der Kinderabteilung ... vom 29.01.1993 (Bl. 15 d. A.) acht Betten, von denen fünf als Monitorplätze zur Intensivüberwachung ausgestattet sind. Bin Bett hat einen voll ausgestatteten Beatmungsplatz mit Neonatalrespirator, Pulsoxymetrie, transcutanem Po2/PCO2 Monitoring, EKG-Monitoring und Oscillotonometer. Die Station betreut zudem einen Rettungsabholdienst, der mit einem Transportinkubator und Beatmungseinrichtung ausgestattet ist.

7

Das Einzugsgebiet der Kinderabteilung erstreckt sich pro Jahr auf 1600 Geburten in drei geburtshilflichen Abteilungen. Im Jahre 1991 wurden 202 Kinder und im Jahre 1992 186 Kinder stationär aufgenommen. Hiervon waren 21 Kinder beatmungspflichtig, bei fünf Kindern wurde eine Thoraxdrainage erforderlich.

8

In der Frühgeborenenstation liegen alle Frühgeburten unabhängig von dem Grad der im Einzelfall erforderlichen Überwachung und Pflege. Risikosäuglinge, deren Vitalfunktionen gefährdet sind, weil sie im Mutterleib nicht voll ausgereift sind, werden durch intensive, apparative Einrichtungen überwacht.

9

Wenn ein Frühgeborenes künstlich beatmet werden muß, muß die Klägerin u. a. regelmäßig den Tubus kontrollieren und hat auch für die Nahrungsaufnahme und richtige Lage des Patienten Sorge zu tragen.

10

Die Klägerin assistiert ferner bei Thoraxdrainagen, die erforderlich sind, wenn sich entweder Flüssigkeit zwischen Lunge und Brustraum oder Luft zwischen Lunge und Brustraum angesammelt hat. Mittels einer Einstichnadel wird dann ein kleiner Schlauch in den Brustkorb eingeführt, an dessen anderem Ende eine Unterdruckeinrichtung angeschlossen ist. Der Klägerin obliegt in solchen Fällen die Wundversorgung.

11

Die Klägerin assistiert ferner bei der Verlegung eines Patienten auf einen Beatmungsplatz.

12

Auf die Frühgeborenenstation werden auch an Infektionskrankheiten leidende Säuglinge aufgenommen. Die Klägerin schuldet dann die Verabreichung der zur Behandlung erforderlichen Medikamente. Sie assistiert bei den erforderlichen Infusionen und Transfusionen.

13

Kinder der very low birth weight Gruppe (unter 1250 g), bei denen eine längere Beatmung nötig wird, sowie Neugeborene mit angeborenen Fehlbildungen, die einer kinderchirurgischen Therapie bedürfen, werden aus logistischen Gründen nach der Erstversorgung und Stabilisierung auf die Intensivstation der ... Kinderklinik übernommen. Ausweislich einer Stellungnahme des ... vom 14.11.1994 (Bl. 93 d. A.) erfolgt zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Zurückverlegung auf die Frühgeborenenstation der Kinderabteilung ... um die Nähe zu den Eltern zu gewährleisten. Es handelt sich dann um sehr unreife Frühgeborene, teilweise unter 1000 g, die, auch wenn sie nicht mehr beatmet werden müssen, zu diesem Zeitpunkt noch sehr labil sind. Sie sind noch lange bedroht von Atempausen, Infektionen, Ernährungsproblemen und Stoffwechselveränderungen. Häufig ist die Gesamtsituation instabiler als unter der maschinellen Beatmung.

14

Die Beatmungsdauer der auf der Frühgeborenenstation in ... verbleibenden Patienten liegt zwischen einem und drei Beatmungstagen.

15

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe KR VI zu zahlen.

16

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

17

Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 9. Juli 1993 zugestelltes Urteil vom 8. Juni 1993, auf dessen Inhalt zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 55-60 d. A.), die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe der Klägerin zu keiner Zeit ausdrücklich oder konkludent eine Vergütung nach einer bestimmten Vergütungsgruppe zugesagt. Deshalb richte sich die Vergütung nach der tatsächlich von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit. Nach der Protokollnotiz Nr. 3 liege aber eine Einheit für Intensivmedizin nur dann vor, wenn sowohl eine Intensivüberwachung als auch eine Intensivbehandlung erfolge. Vorliegend fehle es in der Frühgeborenenstation im Kreiskrankenhaus ... jedenfalls an einer Intensivbehandlung im Sinne der Protokollnotiz. Dies ergebe sich bereits daraus, daß Kinder mit einem extrem niedrigen Geburtsgewicht gerade nicht betreut würden. Es finde allenfalls eine intensive Überwachung der betreuten kleinen Patienten statt.

18

Hiergegen richtet sich die am 26. Juli 1993 eingelegte und gleichzeitig begründete Berufung der Klägerin.

19

Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe ihr eine ihrer Aus- und Weiterbildung entsprechende Vergütung zukommen lassen wollen. Die Zahlung eines Gehaltes nach der Vergütungsgruppe KR V ab dem 1. November 1986 beruhe auf der Motivation des Beklagten, die erfolgreiche Absolvierung der Intensivausbildung auch finanziell zu honorieren. In diesem Sinne habe sich der Beklagte auch nach der Neufassung der Anlage 1 b zum BAT verhalten, indem zunächst eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe KR V a und ab 1. November 1989 nach der Vergütungsgruppe KR VI gezahlt worden sei. Nach der Neufassung seien nämlich Krankenschwestern mit Weiterbildung in der Intensivpflege bzw. Intensivmedizin zunächst in die Vergütungsgruppe KR V a und nach dreijähriger Bewährung in die Vergütungsgruppe KR VI eingruppiert worden.

20

Zudem sei sie in einer in Einheit für Intensivmedizin im Sinne der Anlage 1 b zum BAT tätig. Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Protokollnotiz sei nicht darauf abzustellen, welche Zeitanteile auf die Intensivbehandlung fallen und welche Zeitanteile mit Tätigkeiten der Intensivüberwachung belegt seien. Entscheidend sei, daß in der jeweiligen Einheit Intensivbehandlung und Intensivpflege stattfinde. Ausreichend sei eine Tätigkeit auf einer Wachstation, die für die Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet sei. Beides treffe für die Frühgeborenenstation des Beklagten zu.

21

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Emden vom 08.06.1993, 2 Ca 132/93 E, festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr über den 24.11.1992 hinaus anstelle von diesem Zeitpunkt ab gewährter Vergütung nach der Vergütungsgruppe Kr. V a der Anlage 1 b zum BAT Vergütung nach der Vergütungsgruppe Kr. VI der Anlage 1 b zum BAT nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettodifferenzbetrag seit dem 11.02.1993 zu zahlen.

22

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

23

Der Beklagte ist der Auffassung, ein vertraglicher Anspruch auf die begehrte Vergütung bestehe nicht, da der Klägerin zu keinem Zeitpunkt zugesagt worden sei, daß sie übertariflich wie eine Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege vergütet werde. Ohne besonderen Anlaß könne ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst nicht davon ausgehen, daß übertarifliche Leistungen Vertragsinhalt geworden seien. Gegen das Bestehen eines vertraglichen Anspruchs spreche auch, daß eine entsprechende Zahlung nicht schriftlich vereinbart worden sei, obwohl nach dem Arbeitsvertrag vom 1. April 1980 für Änderungen und Ergänzungen die Einhaltung der Schriftform erforderlich sei.

24

Die Klägerin werde schließlich auch nicht auf einer Einheit für Intensivmedizin im Tarifsinne tätig. Die höhere Eingruppierung für Krankenschwestern in Einheiten für Intensivmedizin beruhe darauf, daß der ständigen nervlichen Anspannung Rechnung getragen werde, die durch die Überwachung und Pflege von Frischoperierten nach schwierigen Eingriffen sowie bei Schwerverletzten und Schwerkranken bis zur Überwindung der kritischen Phase ihrer Erkrankung erforderlich sei sowie wegen der Behandlung und Pflege von Schwerkranken, Schwerverletzten und Vergifteten, deren vitale Funktionen gefährdet oder gestört seien. Diese Voraussetzungen erfülle die Frühgeborenenstation bei dem beklagten Landkreis nicht.

Entscheidungsgründe:

25

Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG.

26

Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung aus der Vergütungsgruppe Kr. VI BAT/VKA ab dem 24. November 1992.

27

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme sowie beiderseitiger Tarifbindung die Vorschriften des BAT/VKA Anwendung. Die Eingruppierung der Klägerin richtet sich mithin nach den §§ 22, 23 BAT. Danach hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale der von der Klägerin in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe Kr. VI BAT erfüllen, § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT.

28

Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter einem Arbeitsvorgang in diesem Sinne die unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit zu verstehen, die zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führt (BAG vom 19.03.1986, 16.04.1986, 12.11.1986 und 20.10.1993, AP Nr. 116, 120, 129, 172 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Insofern ist jeder Arbeitsvorgang als solcher zu bewerten und darf hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.

29

Nach der in der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 BAT zum Ausdruck kommenden Wertung der Tarifvertragsparteien soll die Bewertung der Tätigkeit anhand des kleinsten bei natürlicher und vernünftiger Betrachtungsweise abgrenzbaren Teils der gesamten Tätigkeit erfolgen. Die Abgrenzung ergibt sich mithin aus dem jeweiligen konkreten Arbeitsergebnis, zu dem der Arbeitsvorgang führen soll. Es muß sich dabei nicht unbedingt um den kleinstmöglichen abstrakt abgrenzbaren Teil einer Tätigkeit handeln, vielmehr ist von dem von dem Angestellten im Einzelfall zu erbringenden Arbeitsergebnis auszugehen (BAG vom 07.12.1977, AP Nr. 3 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

30

Die Tätigkeit der Klägerin als Kinderkrankenschwester stellt einen Arbeitsvorgang in diesem Sinne dar. Denn alle Tätigkeiten der Klägerin dienen letztlich dem Arbeitsergebnis der Pflege der auf der Frühgeborenenstation untergebrachten Patienten. Unerheblich ist insofern, in welchem zeitlichen Umfang Patienten ohne Monitorüberwachung, Patienten mit Monitorüberwachung bzw. Patienten, die beatmet werden, zu betreuen sind. Der Klägerin ist nämlich die Tätigkeit auf der Frühgeborenenstation insgesamt übertragen worden. Sie muß deshalb jeder Zeit und sofort in der Lage sein, sämtliche auf der Station aufgenommenen Patienten pflegerisch zu betreuen. Dies rechtfertigt die Annahme eines einheitlichen großen Arbeitsvorgangs (vgl. hierzu auch BAG vom 29.04.1992, 4 AZR 458/91, AP Nr. 162 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 28.06.1989, 4 AZR 277/89, AP Nr. 147 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

31

Für die Eingruppierung der Klägerin sind folgende Tätigkeitsmerkmale des BAT für Angestellte im Pflegedienst heranzuziehen:

Vergütungsgruppe Kr. V

1. Krankenschwestern mit entsprechender Tätigkeit

nach zweijähriger Tätigkeit in der Vergütungsgruppe Kr. IV Fallgruppe 1.

(hierzu Protokollerklärungen Nrn. 1 und 2)

...

16. Krankenschwestern, die in Einheiten für die Intensivmedizin tätig sind.

(hierzu Protokollerklärungen Nrn. 1 und 3)

Vergütungsgruppe Kr._ V a

7. Krankenschwestern der Vergütungsgruppe Kr. V Fallgruppen 1 bis 19

nach vierjähriger Bewährung in einer dieser Fallgruppen, frühestens jedoch nach sechsjähriger Berufstätigkeit nach Erlangung der staatlichen Erlaubnis. (hierzu Protokollerklärungen Nrn. 2 und 4)

Vergütungsgruppe Kr. VI

6.b) Kankenschwestern mit erfolgreich abgeschlossener Weiterbildung in der Intensivpflege/-medizin in Einheiten für Intensivmedizin mit entsprechender Tätigkeit. (hierzu Protokollerklärungen Nrn. 1, 3 und 10)

19. Krankenschwestern der Vergütungsgruppe Kr. V Fallgruppen 11 oder 14 bis 18

nach sechsjähriger Bewährung in der jeweiligen Fallgruppe der Vergütungsgruppe V oder in dieser Tätigkeit in Vergütungsgruppe Kr. V a Fallgruppe 7.

(hierzu Protokollerklärung Nr. 2)

Protokollerklärungen:

Nr. 3

Einheiten für Intensivmedizin sind Stationen für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung. Dazu gehören auch Wachstationen, die für Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet sind.

32

Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt die tariflichen Anforderungen der Vergütungsgruppe Kr. VI Fallgruppe 6 b. Unstreitig verfügt die Klägerin über die erforderliche Ausbildung als (Kinder-) Krankenschwester sowie eine erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung in der Intensivpflege/-medizin im Sinne der Protokollerklärung Nr. 10. Sie ist nach der Überzeugung der Kammer auch mit einer entsprechenden Tätigkeit in Einheiten für Intensivmedizin im Sinne der Vergütungsgruppe Kr. VI Fallgruppe 6 b BAT/VKA tätig.

33

Was unter Einheiten für Intensivmedizin zu verstehen ist, haben die Tarifvertragsparteien in der Protokollerklärung Nr. 3 definiert. Nach Satz 1 dieser Protokollerklärung liegt eine Einheit für Intensivmedizin vor, wenn sowohl eine Intensivüberwachung als auch eine Intensivbehandlung erfolgt. Die Begriffe der Intensivbehandlung und Intensivüberwachung werden im Tarifvertrag allerdings nicht ausdrücklich definiert.

34

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist aber der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (so ausdrücklich BAG vom 21.10.1992, 4 AZR 88/92, AP Nr. 165 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

35

Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag ist davon auszugehen, daß die Begriffe Intensivbehandlung und Intensivüberwachung so zu verstehen sind, wie dies dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Auffassung der beteiligten Fachkreise entspricht. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Arbeitsgericht mit dem Landesarbeitsgericht München (Urteil vom 4. März 1991, 3 Sa 690/90, ZTR 1991, Seite 511 [LAG München 04.03.1991 - 3 Sa 690/90]) auf die Definition der Deutschen Krankenhausgesellschaft für diese Begriffe zurückgreift. Danach beinhaltet der Begriff der "Intensivüberwachung" die Überwachung und Pflege von Frischoperierten nach schwierigen Eingriffen sowie von Schwerverletzten und Schwerkranken bis zur Überwindung der kritischen Phase der Erkrankung. Unter "Intensivbehandlung" ist demgegenüber die Behandlung und Pflege von Schwerkranken, Schwerverletzten und Vergifteten zu verstehen, deren vitale Funktionen (Atmung, Herz- und Kreislauffunktionen, Temperatur und Stoffwechselregulation, Bewußtseinslage) gefährdet oder gestört sind und durch besondere Maßnahmen aufrechterhalten und/oder wiederhergestellt werden müssen.

36

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Unstreitig sind fünf von acht Betten der Frühgeborenenstation als Monitorplätze zur Intensivüberwachung ausgestattet. Die hier betreuten Risikosäuglinge werden, wie der Beklagte selbst in seinem Schriftsatz vom 18. Mai 1993 ausgeführt hat (Bl. 39 d. A.), durch eine intensive apparative Einrichtung überwacht. Diese Überwachung ist erforderlich, weil die Vitalfunktionen der nicht voll im Mutterleib ausgereiften Säuglinge gefährdet sind. Diese Risikosäuglinge sind mithin mit Schwerkranken im Sinne der obigen Definition zu vergleichen. Die Intensivüberwachung erfolgt auch solange, bis die kritische Phase überwunden ist, d. h. bis der Säugling einen Zustand erreicht hat, in dem eine Gefährdung der Vitalfunktionen nicht mehr zu befürchten ist. Daß hier in der Tat eine Intensivüberwachung zu erfolgen hat und erfolgt, ergibt sich anschaulich auch aus dem Schreiben des Arztes der Städtischen Kinderklinik ... vom 14.11.1994, wonach bei in die Frühgeborenenstation der Kinderabteilung ... zurückverlegten Säuglingen häufig die Gesamtsituation instabiler ist als unter der maschinellen Beatmung.

37

Entgegen der von dem Beklagten vertretenen Auffassung wird auf der Frühgeborenenstation des Kreiskrankenhauses ... auch eine Intensivbehandlung durchgeführt. Nach der Definition der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist erforderlich, daß vitale Funktionen durch besondere Maßnahmen aufrechterhalten und/oder wiederhergestellt werden müssen. Diese Voraussetzung trifft zweifelsfrei für die kleinen Patienten zu, die beatmet werden müssen. Ausweislich der Stellungnahme des Oberarztes ... vom 29. Januar 1993 waren dies immerhin 21 Kinder bei einer Beatmungsdauer von zwischen einem und drei Beatmungstagen.

38

Aber auch die Assistenztätigkeit der Klägerin bei Thoraxdrainagen ist unter Intensivbehandlung in dem geschilderten Sinne zu subsumieren. Durch die Ansammlung von Flüssigkeit oder Luft zwischen Lunge und Brustraum sind die vitalen Funktionen der Säuglinge extrem gefährdet und müssen durch die Drainagen wiederhergestellt bzw. aufrechterhalten werden.

39

Auch die Betreuung des Rettungsabholdienstes spricht für die Durchführung von Intensivbehandlung auf der Frühgeborenenstation. Der Abholdienst ist ausgestattet mit Transportinkubator und Beatmungseinrichtung. Gerade bei der Notwendigkeit eines entsprechenden Krankentransportes ist häufig eine Intensivbehandlung erforderlich. Gerade bei der Erstversorgung werden an Arzt und Pflegekraft besonders hohe Anforderungen gestellt, da die ersten Maßnahmen unter Umständen über Leben und Tod entscheiden können.

40

Unschädlich ist, daß Kinder der very low birth weight Gruppe bei einer längeren Beatmung in die Städtische Kinderklinik ... weiterverlegt werden. Dies bedeutet nicht, daß bis zu der Verlegung auf der Frühgeborenenstation des Beklagten keine Intensivbehandlung durchgeführt wird. Vielmehr gilt auch hier, daß gerade die Erstversorgung und notwendige Stabilisierung auf der Frühgeborenenstation des Beklagten erfolgt, was für den betroffenen Säugling von lebensentscheidender Bedeutung sein kann.

41

Zusammenfassend ist festzustellen, daß auf der Frühgeborenenstation des Beklagten sowohl Intensivüberwachung als auch Intensivbehandlung durchgeführt wird. Die Frühgeborenenstation ist deshalb eine Einheit für Intensivmedizin im Sinne des Tarifvertrages. Zu Recht hat der Beklagte deshalb auch die Klägerin veranlaßt, die Zusatzausbildung zur Fachkinderkrankenschwester in der Intensivpflege zu absolvieren. Ebenfalls zu Recht hat er der Klägerin nach erfolgreichem Abschluß dieser Weiterbildung eine ihrer Ausbildung entsprechende Vergütung bezahlt. Eine irrtümliche fehlerhafte zu hohe Eingruppierung liegt nicht vor.

42

Selbst wenn entgegen vorstehenden Ausführungen die Frühgeborenenstation keine Station für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung im Sinne des Satzes 1 der Protokollerklärung Nr. 3 wäre, ist die Klage begründet. Denn nach Satz 2 der Protokollerklärung Nr. 3 gehören zu Einheiten für Intensivmedizin auch Wachstationen, die für Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet sind.

43

Was unter einer Wachstation im Sinne des Tarifvertrages zu verstehen ist, ist im Tarifvertrag selbst nicht näher geregelt. Es hat deshalb auch hier entsprechend den oben ausgeführten Grundsätzen eine Auslegung zu erfolgen. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Protokollerklärung mit der Neuregelung der Anlage 1 b auch neu gefaßt worden ist. Bis zum 30.06.1989 waren die Einheiten für Intensivmedizin definiert als Wachstationen/Wachräume für Frischoperierte und Stationen für Intensivbehandlungen. Der Zusatz "für Frischoperierte" ist in der Neufassung nicht mehr vorhanden. Entgegen der von dem Beklagten vertretenen Auffassung ist deshalb mit dem Landesarbeitsgericht München (a. a. O.) davon auszugehen, daß dies nicht nur deklaratorische Bedeutung hat, sondern eine echte Strukturverbesserung darstellt. Denn weder dem Tarifwortlaut noch dem Tarifzusammenhang kann nunmehr entnommen werden, daß sich Wachstationen auf Stationen für Frischoperierte beschränken. Vielmehr ist ausreichend, daß es sich allgemein um eine Wachstation handelt, also eine Station, in der eine intensive Überwachung der Patienten erfolgt. Dies ist aber bei der im Streit stehenden Frühgeborenenstation auch nach dem Vortrag des Beklagten der Fall. Wie ausgeführt werden gerade Risikosäuglinge durch intensive apparative Einrichtungen überwacht.

44

Die Frühgeborenenstation ist schließlich auch für Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet. Dies ergibt sich zwangsläufig bereits daraus, daß unstreitig fünf Monitorplätze und ein Beatmungsplatz eingerichtet sind.

45

Da nach vorstehenden Ausführungen die tariflichen Voraussetzungen für einen Vergütungsanspruch nach der Vergütungsgruppe Kr. VI BAT/VKA gegeben sind, konnte dahinstehen, ob der Klägerin eine entsprechende Vergütung auch ausdrücklich oder konkludent anläßlich des Abschlusses ihrer Weiterbildung zugesagt worden ist.

46

Unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils war mithin festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin über den 24.11.1992 hinaus eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe Kr. VI der Anlage 1 b BAT zu zahlen.

47

Der Beklagte ist auch verpflichtet, den sich ergebenden Nettodifferenzbetrag seit Klagezustellung bzw. bei späterer Fälligkeit ab Fälligkeit zu verzinsen, §§ 291, 288 Abs. 1, 284 Abs. 2 BGB. Soweit die Klägerin darüber hinaus Zinsen bereits ab Klageeingang begehrt, war die Berufung zurückzuweisen. Eine Anspruchsgrundlage hierfür hat die Klägerin nicht schlüssig dargetan.

48

Dem Beklagten waren gemäß § 92 Abs. 2 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da die Zinsforderung verhältnismäßig geringfügig war und keine besonderen Kosten veranlaßt hat.

49

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.