Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.01.1994, Az.: 13 Sa 751/93 E
Tätigkeit als staatlich anerkannte Erzieherin in einer heilpädagogischen Gruppe ; Eingruppierung einer staatlich anerkannten Erzieherin; Tätigkeit als Unterrichtshilfe an einer Sonderschule; Anspruch auf Fallgruppenaufstieg; Volle Anrechnung der Berufsausübungszeiten bei Teilzeitbeschäftigung; Tarifliche Regelung des Fallgruppenaufstiegs im Hinblick auf die Teilzeitbeschäftigung; Unwirksamkeit einer Kürzungsregelung wegen mittelbarer Frauendiskriminierung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 25.01.1994
- Aktenzeichen
- 13 Sa 751/93 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 17357
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:0125.13SA751.93E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Wilhelmshaven - 22.03.1993 - AZ: 2 Ca 1147/92 E
Rechtsgrundlagen
- § 23a BAT
- § 23b BAT
- § 236 BAT
- Art. 119 EWG-Vertrag
- GG Art. 3 Abs. 1
- Anl 1a BAT
Fundstelle
- ZTR 1994, 378-380 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Nach § 5 des TV zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 24.04.1991 muß die vierjährige Berufsausübung für eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe IV b BAT am 31.12.1990 vorliegen. Das gilt auch dann, wenn die Berufsausübungszeit wegen Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub nicht erfüllt ist. Weder Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 119 EWG-V rechtfertigen eine Anrechnung des Erziehungsurlaubs oder bei Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub ein Hinausschieben des Stichtags 31.12.1990.
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
den ehrenamtlichen Richter Müller und
die ehrenamtliche Richterin Saatkamp
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 22.03.1993, 2 Ca 1147/92 E, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b BAT ab 01.06.1990, hilfsweise ab 01.09.1991. Sie stützt ihren Anspruch auf Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 in Verbindung mit der Protokollnotiz Nr. 3 der Anlage 1 a zum BAT, Teil II G II in der bis 31.12.1990 anwendbaren Fassung des Tarifvertrages (im folgenden: Tarifvertrag Erziehungsdienst alt). Mit Wirkung vom 01.06.1990 erhielt die Klägerin Vergütung nach Vergütungsgruppe V b BAT gemäß Fallgruppe 1 k Tarifvertrag Erziehungsdienst alt. Die Parteien streiten über die Auswirkung von Erziehungsurlaub auf die Erfüllung der 4jährigen Berufsausübungszeit, die Klägerin macht einen Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag geltend.
Die Klägerin ist staatlich anerkannte Erzieherin und seit 06.03.1986 als pädagogische Mitarbeiterin in unterrichtsbegleitender Funktion an einer Sonderschule tätig. Der BAT findet kraft Tarifbindung Anwendung. Bis 31.08.1989 war die Klägerin mit der Hälfte, ab 01.09.1989 mit 3/4 der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten tätig. Sie hat Erziehungsurlaub in Anspruch genommen vom 23.09.1987 bis 27.05.1988 sowie vom 09.08.1990 bis 12.06.1991.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeitszeiten seien trotz Teilzeitbeschäftigung voll anzurechnen, ebenso die Erziehungsurlaubszeiten. Selbst wenn der Erziehungsurlaub unberücksichtigt bleibe, sei am 31.12.1990 5/6 der Tätigkeitszeit abgeleistet gewesen. Die damit erworbene Anwartschaft habe durch die Neufassung des Tarifvertrages nicht beseitigt werden können.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 01.06.1990, hilfsweise seit dem 01.09.1991 nach der Vergütungsgruppe IV b BAT anstelle der Vergütungsgruppe V b BAT zu vergüten.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, Erziehungsurlaubszeiten seien bei der Berechnung des Fallgruppenaufstiegs nicht zu berücksichtigen. Eine Berufsausübung sei in dieser Zeit nicht erfolgt. Die Zeit vom 28.05.1988 bis 08.08.1990 könne nicht voll berücksichtigt werden, weil die Klägerin mit Wirkung vom 01.09.1989 eine längere Arbeitszeit vereinbart habe, dies ergebe sich gemäß §§ 23 b, 23 a Satz 2 Nr. 6 b BAT. Bis 31.12.1990 habe die Klägerin die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe IV b BAT nicht erfüllt, sie habe deshalb keinen entsprechenden Anspruch erworben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt die Klägerin vor, die Zeiten ihrer Teilzeitbeschäftigung seien voll zu berücksichtigen. Soweit sich nach § 23 a Nr. 6 b BAT etwas anderes ergebe, sei festzustellen, daß diese Vorschrift wegen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG unwirksam sei. Im übrigen seien die Zeiten des Erziehungsurlaubs als Berufsausübungszeit zu berücksichtigen. Der Fallgruppenaufstieg sei nunmehr in § 23 b BAT abschließend geregelt, auf § 23 a BAT, der die Nichtanrechnung von Erziehungsurlaubszeiten regele, könne nicht zurückgegriffen werden. Erziehungsurlaub müsse insoweit wie Erholungsurlaub behandelt werden. Selbst wenn man den Erziehungsurlaub unberücksichtigt lasse, sei festzustellen, daß dann eine erhebliche Benachteiligung der Klägerin erfolge und ein Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag vorliege. Durch den Erziehungsurlaub, der zu 95 % von Frauen in Anspruch genommen werde, werde der Klägerin auf Dauer die Möglichkeit einer Höherstufung nach Vergütungsgruppe IV b BAT genommen. Die Übergangsregelung des Tarifvertrages, die eine Berücksichtigung von Erziehungsurlaubszeiten nicht vorsehe, sei deshalb gemäß Artikel 119 EWG-Vertrag und auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes anzupassen. Daß der Erziehungsurlaub überwiegend von Frauen in Anspruch genommen werde, ergebe sich auch aus einer Statistik für den Bereich der ... Von 85 pädagogischen Mitarbeitern in unterrichtsbegleitender Funktion (Erzieher) hätten nach dem Stand 01.11.1991 ab 1986 29 Angestellte Erziehungsurlaub in Anspruch genommen, davon 28 Frauen und ein Mann. Im Lande Niedersachsen seien 483 Erzieher und Erzieherinnen als pädagogische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an Sonderschulen für geistig Behinderte tätig, hinzu kämen 138 Betreungskräfte an Sonderschulen und etwa 500 Erzieher an den Landesbildungszentren für Blinde und Hörgeschädigte. Es sei davon auszugehen, daß sich in diesem Personenkreis männliche Erzieher befänden, die 1985 oder 1986 eingestellt worden seien, Erziehungsurlaub aber nicht in Anspruch genommen hätten und folglich nach Vergütungsgruppe IV b BAT höhergruppiert worden seien. Genauere Zahlen könne sie, die Klägerin, nicht vortragen, vielmehr sei es unter dem Gesichtspunkt der Beweisnähe Sache des beklagten Landes, substantiiert zu bestreiten. Ergänzend wird wegen des zweitinstanzlichen Klägervortrags Bezug genommen auf die Berufungsbegründung (Bl. 53 f d. A.) und auf den Schriftsatz vom 07.01.1994 (Bl 74 f. d. A.).
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin seit dem 01.06.1990, hilfsweise seit dem 01.09.1991 Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT zu gewähren, nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettodifferenzbetrag ab jeweiliger monatlicher Fälligkeit, frühestens jedoch ab Rechtshängigkeit.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung abzuweisen.
Es verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, die Klägerin habe die Berufsausübungszeit nicht erfüllt. Gerade beim Fallgruppenaufstieg könne die Zeit fehlender Berufsausübung nicht berücksichtigt werden. Infolge der von den Tarifsparteien gewählten Stichtagsregelung bestehe deshalb kein Anspruch auf Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b BAT. Ein Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag liege nicht vor. Es müsse mit Nichtwissen bestritten werden, daß Erziehungsurlaub überwiegend von Frauen in Anspruch genommen werde. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung, Bl. 64 f d. A.
Gründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66, ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.
Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß die Klägerin als staatlich anerkannte Erzieherin in einer heilpädagogischen Gruppe tätig ist, nämlich als Unterrichtshilfe an einer Sonderschule. Erfüllt sind damit entsprechend der Rechtssprechung des BAG (Urteil vom 15. Mai 1991, ZTR 1991, S. 422 [BAG 15.05.1991 - 4 AZR 532/90]) die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 1 K in Verbindung mit der Protokollnotiz Nr. 3 des Tarifvertrages Erziehungsdienst alt. Anspruch auf Fallgruppenaufstieg nach Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 Tarifvertrag Erziehungsdienst alt hätte die Klägerin nur, wenn sie gemäß § 5 der Übergangsvorschrift des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 24.04.1991 am 31.12.1990 die Voraussetzungen dieser Vergütungsgruppe erfüllt hätte, sie hätte bis zu diesem Zeitpunkt eine vierjährige Berufsausübung zurückgelegt haben müssen.
Die Kammer geht davon aus, daß trotz Teilzeitbeschäftigung die Berufsausübungszeiten bis 31.12.1987 voll anzurechnen sind und zwar in Anwendung der Grundsätze des Urteils des BAG vom 02.12.1992 (ZTR 1993, S. 198 [BAG 02.12.1992 - 4 AZR 152/92]). Ab 01.01.1988 waren die Teilzeitbeschäftigungszeiten nach § 23 b A in Verbindung mit § 23 a Nr. 6 b BAT voll zu berücksichtigen. Soweit die letztgenannte Vorschrift bei Vereinbarung einer höheren Arbeitszeit nur eine anteilige Berücksichtigung vorschreibt, ist der Tarifvertrag wegen Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG nichtig. Dies hat die Kammer im Urteil vom 26.01.1993, 13 Sa 1347/92 E, festgestellt. Eine abschließende Begründung dieser Problematik braucht hier nicht zu erfolgen. Auch bei voller Berücksichtigung der in Teilzeit zurückgelegten Berufsausübungsjahre erreicht die Klägerin bis 31.12.1990 nur 45 Monate und 2 Tage. Erziehungsurlaubszeiten können nämlich nicht angerechnet werden.
Im Gegensatz vom Bewährungsaufstieg gemäß § 23 a BAT ist der Fallgruppenaufstieg in § 23 b BAT nur teilweise, nämlich wegen der Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung, tariflich geregelt. Da die Bezeichnung Fallgruppenaufstieg eine Sammelbezeichnung darstellt und unterschiedlich formulierte Fallgruppen betrifft, der Aufstieg kann zum Beispiel an Bewährung, Tätigkeit oder Berufsausübung geknüpft sein, kann nach Auffassung der Kammer keine allgemeine Aussage darüber getroffen werden, wie sich Erziehungsurlaub auf Fallgruppenaufstieg auswirkt. Ein genereller Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 23 a Nr. 4, der die Nichtberücksichtigung der Erziehungsurlaubszeiten vorsieht, erscheint nicht möglich. Allenfalls dann, wenn der Fallgruppenaufstieg an Bewährung anknüpft, kann auf § 23 a BAT zurückgegriffen werden, nicht dagegen bei Berufsausübung. Vielmehr ist dann durch Auslegung des Tarifvertrages zu ermitteln, ob Erziehungsurlaubszeiten zu berücksichtigen sind oder nicht (dazu BAG AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Milch/Käseindustrie). Mit der Voraussetzung Berufsausübung knüpfen die Tarifvertragsparteien den Fallgruppenaufstieg aber nicht an an den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern sie stellen ab auf tatsächliche Tätigkeit, also Ausübung des Berufes. Während des Erziehungsurlaubs ruht aber das Arbeitsverhältnis, es besteht für den Arbeitnehmer keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Deshalb können diese Zeiten auch nicht als Berufsausübungszeiten gewertet werden. Daß Urlaub oder auch kurzfristige Erkrankungen anders zu behandeln sind und nicht zur Unterbrechung der Berufsausübung führen, steht dem nicht entgegen. Jahresurlaub und kurzfristige Erkrankungen sind typischerweise mit einer Berufsausübung verbunden, so daß unterstellt werden kann, daß sie nicht abzuziehen sind. Anders dagegen ist es bei langfristigen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses wie im Falle des Erziehungsurlaubs.
Die vorstehende Auslegung der Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 Tarifvertrag Erziehungsdienst alt verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG. Der sachliche Grund für die Regelung besteht darin, daß es den Tarifvertragsparteien freistehen muß, Zeiten einer Berufstätigkeit und Zeiten eines ruhenden Arbeitsverhältnisses unterschiedlich zu behandeln (BAG EZA § 611 BGB Gratifikation, Prämie, Nr. 104).
Ebenso wie bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis keine Vergütungspflicht besteht, muß es auch den Tarifvertragsparteien gestattet werden, Ruhenszeiten wie Erziehungsurlaub nicht als Berufsausübung zu werten.
Auch die Übergangsregelung in § 5 des Änderungstarifvertrages vom 21.04.1991 ist wirksam und nicht zu beanstanden. Richtig ist, daß durch diese Stichtagsregelung 31.12.1990 auf Dauer die Möglichkeit für die Klägerin beseitigt wird, im Wege des Fallgruppenaufstiegs nach Vergütungsgruppe IV b BAT aufzusteigen. Diese Übergangsregelung stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Klägerin dar. Zu berücksichtigen ist insoweit, daß nach Tarifvertrag Erziehungsdienst alt die hier fraglichen Fallgruppen grundsätzlich vorgesehen waren für Sozialpädagogen, lediglich über die Protokollnotiz Nr. 3, eine Übergangsregelung, wurden seit 1970 Erzieherinnen Sozialpädagogen gleichgestellt. Diese Übergangsvorschrift der Protokollnotiz Nr. 3 ist letztmalig durch Tarifvertrag vom 19.12.1983 zum 31.12.1986 verlängert worden. Hinzukommt, daß die Anlage 1 a BAT zum 31.12.1983 gekündigt war, die Klägerin wurde im Nachwirkungszeitraum dieses Tarifvertrages eingestellt. Wenn die Tarifvertragsparteien auf dieser Grundlage eine Stichtagsreglung zum 31.12.1990 getroffen haben, kann dies nur als sachgerecht bezeichnet werden, ein unverhältnismäßiger Eingriff in Rechte der Klägerin liegt nicht vor.
Die Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs verstößt nicht gegen Artikel 119 EWG-Vertrag, sie zwingt auch nicht zu einer europarechtskonformen Auslegung der tariflichen Übergangsvorschrift.
Nach Artikel 119 EWG-Vertrag haben Männer und Frauen bei gleicher Arbeit Anspruch auf gleiches Entgelt. Gegen diese Vorschrift verstößt die Nichtanrechnung des Erziehungsurlaubs nicht unmittelbar, weil sowohl Männer als auch Frauen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen können, folglich gleichermaßen von der Nichtanrechnung betroffen sein können. Nach Artikel 119 EWG-Vertrag ist aber auch bereits eine mittelbare Frauendiskriminierung ausreichend und würde zur Unwirksamkeit der Kürzungsregelung führen.
Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn unter den von einer Rechtsnorm nachteilig Betroffenen erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts sind und zusätzlich unter den von dieser Rechtsnorm Begünstigten das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter wesentlich anders ist. Es muß sich beispielsweise bei der Gruppe der Benachteiligten im wesentlichen um Frauen handeln, während die Gruppe der Begünstigten im wesentlichen aus Männern besteht. Weitere Voraussetzung ist, daß für eine diskriminierende Regelung keine objektiven Gründe bestehen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ist erforderlich, Verfolgung eines sachlichen, nicht auf das Geschlecht bezogenen Zwecks, der gewichtig sein muß und notwendigen Zielen der Sozialpolitik dient (BAG vom 02.12.1992, ZTR 1993, S. 198).
Bereits die erste Voraussetzung, wesentlich mehr Frauen als Männer in der benachteiligten Gruppe und wesentlich mehr Männer als Frauen in der begünstigten Gruppe, ist nicht gegeben. Maßgebliche Rechtsnorm, die für Benachteiligung und Begünstigung heranzuziehen ist, ist hier Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 Tarifvertrag Erziehungsdienst alt. Es müßte dann aber feststellbar sein, daß durch Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs wesentlich mehr Frauen später oder gar nicht die Voraussetzungen des Fallgruppenaufstiegs erreicht haben und zusätzlich wesentlich mehr Männer (weil sie keinen Erziehungsurlaub in Anspruch genommen haben) im Verhältnis zu Frauen begünstigt worden sind. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte.
Daß generell Erziehungsurlaub zu 95 % von Frauen und allenfalls zu 5 % von Männern in Anspruch genommen wird, ist unerheblich. Abzustellen ist nur auf die Angestellten, die von dem fraglichen Fallgruppenaufstieg erfaßt worden sind, hier konkret auf Erzieherinnen und Erzieher, die in einer heilpädagogischen Gruppe tätig waren und zudem erziehungsurlaubsberechtigt waren.
Aus der Statistik 12. Lehrkräfte/nicht lehrendes Personal, Tabelle 12.8, die die Klägerin im Berufungstermin überreicht hat (Bl. 82 d. A.) ist zu entnehmen, daß als pädagogische Mitarbeiter an Sonderschulen insgesamt 483 Angestellte beschäftigt waren, 417 = 86,3 % Frauen. Zieht man die Sozialpädagogen ab, beträgt der Anteil der Frauen bei Erziehern ca. 88 %. Weiter zu berücksichtigen ist, daß nach Vortrag der Klägerin von 85 pädagogischen Mitarbeitern in unterrichtsbegleitender Funktion im Bezirk Weser-Ems im Zeitraum 1986 bis Oktober 1991 28 Frauen und ein Mann Erziehungsurlaub in Anspruch genommen haben. Da nicht jede Erzieherin oder jeder Erzieher erziehungsurlaubsberechtigt war, machen diese Zahlen ebenfalls deutlich, daß fast ausschließlich Frauen in der fraglichen Tätigkeit beschäftigt sind und daß auch Männer von der Regelung Nichtberücksichtigung des Erziehungsurlaubs betroffen sind. Feststellbar ist im Ergebnis, daß zwar wesentlich mehr Frauen als Männer zur benachteiligten Gruppe gehören. Nicht feststellbar ist dagegen, daß wesentlich mehr Männer als Frauen begünstigt sind. Da im übrigen in die Vergleichsgruppen nur erziehungsurlaubsberechtigte Angestellte einzubeziehen sind, ist die erforderliche Begünstigung einer wesentlich höheren Anzahl von Männern im Verhältnis zu begünstigten Frauen durch die fragliche Rechtsnorm nicht gegeben. Da bis auf einen geringen Prozentsatz fast nur Frauen in den fraglichen Tätigkeiten beschäftigt werden, sind von der Begünstigung wie von der Benachteiligung praktisch nur Frauen betroffen, die erforderliche wesentliche Begünstigung einer Männergruppe besteht nicht.
Nach Auffassung der Kammer reicht bereits das vorliegende Zahlenmaterial aus, um eine mittelbare Diskriminierung zu verneinen. Hilfsweise ist anzumerken, daß jedenfalls die für den Verstoß gegen Artikel 119 EWG-Vertrag darlegungspflichtige Klägerin nicht substantiiert dargelegt hat. Da sie sich auf den Verstoß beruft, war sie darlegungspflichtig. Allein der Hinweis, das beklagte Land müsse aufgrund Sachnähe substantiiert bestreiten, ist nicht ausreichend. Die Klägerin bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter verfügt über Statistiken, die auszugsweise vorgelegt sind. Aus welchen Statistiken oder aus welchem weiteren Zahlenmaterial sich eine mittelbare Diskriminierung ergeben soll, ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht konkret angegeben. Es bestand deshalb keine Veranlassung, dem beklagten Land den Vortrag weiterer Zahlen (welcher?) aufzugeben. Die Annahme eines Verstoßes gegen Artikel 119 EWG-Vertag scheitert deshalb auch an fehlender Darlegung durch die Klägerin.
Selbst wenn im übrigen eine Benachteiligung von Frauen durch Nichtberücksichtigung des Erziehungsurlaubs im Sinne des Artikels 119 EWG-Vertrag festgestellt werden könnte, wäre dies sachlich gerechtfertigt. Die Einführung des Erziehungsurlaubs ist eine Maßnahme des Gesetzgebers zur Durchsetzung der Gleichberechtigung. Erziehungsurlaub ist eine wesentliche Hilfe, um Berufsausübung und Kindererziehung vereinbar zu machen. Die Regelung im einzelnen ist als gleichberechtigungsfreundlich anzusehen. Erziehungsurlaubsberechtigt sind sowohl Vater als auch Mutter, Erziehungsurlaub kann auch geteilt werden. Konsequenz der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs ist allerdings, daß das Arbeitsverhältnis ruht. Während der Arbeitgeber nach dem Erziehungsgeldgesetz zur Erhaltung des Arbeitsplatzes gezwungen wird, muß der Arbeitnehmer, der Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt, für dessen Dauer auf Vergütung verzichten. Dem entspricht es aber, Erziehungsurlaubszeiten nicht als Berufsausübungszeiten zu berücksichtigen. Eine andere Entscheidung würde zur Überbelastung des Arbeitgebers führen.
Daß faktisch Erziehungsurlaub im wesentlichen von Frauen, nur vereinzelt von Männern in Anspruch genommen wird, kann zu keiner anderen Bewertung führen. Da sowohl Vater als auch Mutter erziehungsurlaubsberechtigt sind, ist es Angelegenheit dieser beiden, zu entscheiden und abzuwägen, wer sinnvollerweise Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt und wer den Nachteil eines zeitweisen Ausstiegs aus dem Beruf in Kauf nimmt. Da die zugrundeliegende gesetzliche Regelung gleichberechtigungsfreundlich ausgestaltet ist, ist es Sache der Partner, diese Gleichberechtigung auch faktisch durchzusetzen. Flankierende zusätzliche Schutzmaßnahmen wie etwa Anrechnung des Erziehungsurlaubs als Berufsausübungszeit mögen zwar wünschenswert sein, können dem Arbeitgeber aber ohne gesetzliche Grundlage nicht auferlegt werden.
Auch der Hinweis der Klägerin, der Wunsch zu stillen zwinge faktisch dazu, daß allein Frauen Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen können, führt nicht zu einer abweichenden Bewertung. Zum einen kann Erziehungsurlaub auch geteilt werden, so daß die Mutter während ihres Anteils des Erziehungsurlaubs stillen kann und anschließend der Partner Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt. Zum anderen erscheint auch dieses Argument nicht ausreichend, um eine sachliche Rechtfertigung der Nichtberücksichtigung von Erziehungszeiten als Berufausübungszeiten zu verneinen. Der Arbeitgeber ist bereits durch Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs und durch den Zwang zur Sicherung des Arbeitsplatzes so erheblich belastet, daß eine weitergende Belastung nicht gerechtfertigt wäre und unverhältnismäßig wäre.
Da die Berufung zurückzuweisen war, trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsmittels § 97 ZPO. Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.