Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.03.2001, Az.: 10 Sa 1224/00
Auslegung einer Betriebsvereinbarung; Arbeitsfreistellungen zum Ausgleich eines positiven Arbeitszeitkontos
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 16.03.2001
- Aktenzeichen
- 10 Sa 1224/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 10909
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:0316.10SA1224.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 29.01.2002 - AZ: 1 AZR 227/01
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Wirksamkeit der in Ziffern 108-115 des MTV für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im Raum der Bundesrepublik Deutschland vom 24.01.1997 getroffenen von Ausschlussfristen begegnet im Hinblick darauf, dass sie so kompliziert und unübersichtlich ist, dass die Normadressaten nicht erkennen, welchen Inhalt diese Regelung konkret hat, verfassungsrechtlichen Bedenken.
- 2.
Ziffer 109 MTV erfasst nur die Fälle, in denen der überwiesene Betrag offenkundig mit der Entgeltabrechnung nicht oder an sich unstreitige Ansprüche versehentlich in der Abrechnung nicht ausgewiesen sind, die Abrechnung also eindeutig unrichtig ist.
- 3.
Für Ansprüche, die aus von den Arbeitsvertragsparteien unterschiedlich ausgelegten, im Betrieb geltenden Normen oder aus sonstigen zwischen den Parteien streitigen Umständen resultieren, gilt allein die Ausschlussfrist der Ziffer 113 MTV.
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2001
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 30.05.2000 - 1 Ca 743/99 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.759,73 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 31.12.1999 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 15 % dem Kläger, zu 85 % der Beklagten auferlegt.
- 3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im vorliegenden Rechtsstreit ist über die Auslegung einer Betriebsvereinbarung zu entscheiden. Zwischen den Parteien ist streitig, ob bei der Ermittlung der Arbeitszeit für 1998, die für die Berechnung der Urlaubs- und Feiertagsvergütung sowie der Entgeltfortzahlung maßgeblich ist, Arbeitsfreistellungen zum Zwecke des Ausgleichs eines positiven Arbeitszeitkontos (künftig: AZK-Tage) zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist als Kraftfahrer für die Beklagte tätig. Kraft beiderseitiger Tarifbindung finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im Nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland Anwendung. Im Manteltarifvertrag vom 24. Januar 1997 (künftig: MTV) heißt es unter "Geltendmachung und Verwirkung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis":
108.
Der Arbeitnehmer ist zur sofortigen Nachprüfung des ausgezahlten Entgeltbetrages verpflichtet. Stimmt der Geldbetrag mit dem Entgeltnachweis nicht überein, so hat der Arbeitnehmer dies sofort dem Auszahlenden zu melden; später erfolgende Reklamationen werden nicht berücksichtigt.109.
Einwendungen gegen die Richtigkeit der Entgeltabrechnung sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie spätestens innerhalb einer Woche nach Feststellung der Unrichtigkeit vorgebracht werden.110.
Zuviel gezahltes Entgelt kann der Arbeitgeber zurückfordern oder nachträglich verrechnen, sofern dieser Anspruch eine Woche nach Feststellung des Irrtums angezeigt wird.111.
Die Verwirkungsbestimmungen der Ziffern 113 und 114 bleiben unberührt.113.
Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zulagen jeder Art und auf Rückzahlung von Barauslagen sind spätestens zwei Monate, alle übrigen gegenseitigen Ansprüche sechs Monate nach Fälligkeit geltend zu machen.114.
Nach Ablauf der angeführten Fristen sind die Ansprüche verwirkt, es sei denn, daß sie vorher dem anderen Teil gegenüber schriftlich (z. B. auf dem Arbeitszettel) geltend gemacht worden sind.115.
Die Ansprüche des Arbeitnehmers können auch über den Betriebsrat schriftlich oder durch Protokoll geltend gemacht werden.
Die Nachfrage nach den von der Beklagten hergestellten Fenstern und Türen unterliegt starken saisonalen Schwankungen, die bis 1996/1997 durch Kurzarbeit abgefangen wurden. Nachdem die Arbeitsverwaltung signalisiert hatte, dass sie die Beklagte als Saisonbetrieb ansehe und kein Kurzarbeitergeld mehr zahlen werde, führte die Beklagte am 1. Juni 1997 Arbeitszeitkonten ein. Danach wird jeweils für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Mai des Folgejahres ein Jahresarbeitszeitkonto geführt. Plusstunden, die sich aus bedarfsabhängigen Arbeitszeiterhöhungen ergeben, werden dem Jahresarbeitszeitkonto gutgeschrieben. Diese werden grundsätzlich durch Arbeitsfreistellung ausgeglichen. Dabei werden pro vollen Tag Arbeitsfreistellung bei Kraftfahrern neun Stunden aus dem Arbeitszeitkonto abgezogen. Sofern bis zum 31. Juli des Folgejahres aus betriebsbedingten Gründen kein Zeitausgleich erfolgt ist, werden verbliebene Plusstunden mit einem Zuschlag von 25% in bar abgegolten.
Hinsichtlich der Vergütung von Fehlzeiten, die ohne Arbeitsleistung zu entgelten sind, trifft die für den streitbefangenen Zeitraum maßgebliche Betriebsvereinbarung vom 13. Juli 1998 (künftig: BV), auf die im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 80 f. d.A.), folgende Regelung:
3.
... Arbeitsausfall aufgrund von Urlaub, Krankheit, Verhinderung an der Arbeitsleistung (MTN Ziffern 56, 57) sowie an Feiertagen und am 24.12. wird durchgehend auf Basis der Regelarbeitszeit, z.Z. grundsätzlich montags bis donnerstags 7,5 Stunden, freitags 5 Stunden, bemessen.4.
Abweichend von den Bestimmungen der Ziffer 3 wird für die überwiegend als Kraftfahrer im Werkfernverkehr Beschäftigten ... die im Monatsdurchschnitt neun (statt sieben) Stunden arbeitstäglich übersteigende Arbeitszeit als Plusstunden auf Jahresarbeitszeitkonten gutgeschrieben. Neun Stunden täglich werden - zunächst - auch bei Urlaub, Krankheit und lohnzahlungspflichtigen Feiertagen abgerechnet. Nach Ermittlung der tatsächlichen durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit im Kalenderjahr (Arbeitsstunden <inkl. KUG> dividiert durch Arbeitstage <inkl. KUG>) erfolgen Anpassungen für den Monat Dezember:- Urlaub: Urlaubstage × durchschnittliche Arbeitsstunden = Jahresurlaubsanspruch in Stunden
- Lohnfortzahlung: die durchschnittlichen Arbeitsstunden die abgerechneten Stunden, wird die Differenz auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben (Plusstunden),
- unterschreiten die durchschnittlichen Arbeitsstunden die abgerechneten Stunden, werden die Differenzstunden zunächst mit Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto, danach mit Urlaubsanspruch verrechnet, verbleibende Differenzstunden sind entgeltlich auszugleichen.
Der Kläger arbeitete im Jahr 1998 1.616,75 Stunden. Hinsichtlich der Verteilung auf die einzelnen Monate wird auf die Aufstellung auf S. 3 der Berufungsbegründung (Bl. 76 d.A.) Bezug genommen. Diese Arbeitsleistung erbrachte er an 166 Arbeitstagen. Ferner nahm er im Jahr 1998 31 AZK-Tage. Streitig ist, ob diese Tage in die Ermittlung der durchschnittlichen jährlichen Arbeitszeit für die Berechnung der Vergütung für Fehltage einzubeziehen sind. Die Beklagte ist der Auffassung, dass diese Tage als Arbeitstage mit der Stundenzahl "null" einzubeziehen sind, der Kläger vertritt die Ansicht, die AZK-Tage seien bei der Ermittlung der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit entweder gar nicht oder aber mit der Stundenzahl "neun" einzubeziehen. Unstreitig ist, dass die Urlaubs- und Krankheitstage selbst, deren Vergütung durch Ziffer 4 Satz 3 BV gerade errechnet werden soll, nicht als Arbeitstage zählen.
Der Kläger fehlte im Jahr 1998 einschließlich Urlaub und Feiertagen an mindestens 66 Arbeitstagen. Die Verteilung dieser Fehltage ergibt sich aus der Aufstellung auf S. 4 der Berufungsbegründung (Bl. 77 d.A.) sowie aus der Krankheitsbescheinigung der ... vom 26. Oktober 1999 (Bl. 89 d.A.), auf die jeweils Bezug genommen wird.
Die Beklagte setzte unter Zugrundelegung ihrer Rechtsauffassung die durchschnittliche Jahresarbeitsleistung des Klägers für 1998 auf (abgerundet) acht Stunden fest (1.616,75 Stunden: 197 Arbeitstage = 8,21 Stunden/Tag). Mit der Abrechnung für Dezember 1998, auf die verwiesen wird (Bl. 82 d.A.), nahm sie eine entsprechende Korrekturabrechnung vor. Diese Abrechnung ging dem Kläger im Januar 1999 zu. Der Kläger begehrt im vorliegenden Rechtsstreit ausgehend von seiner Rechtsauffassung die Vergütung der 66 Fehltage mit 10 Stunden täglich, also die Nachzahlung von 122 Stundenlöhnen á 24,17 DM brutto = 3.190,64 DM brutto. Mit Schreiben vom 2. Juni 1999 machte der Kläger diese Nachzahlung geltend.
Durch das der Beklagten am 8. Juni 2000 zugestellte Urteil vom 30. Mai 2000 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 7. Juli 2000 eingelegt und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7. September 2000 am 7. September 2000 begründet worden ist.
Die Beklagte ist der Auffassung, bei Nichtberücksichtigung der AZK-Tage bei der Ermittlungen der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit werde der Kläger so behandelt, als sei seine Mehrarbeit tatsächlich nicht ausgeglichen. Auch wirke sich dann die im Vorjahr geleistete und berücksichtigte Mehrarbeit ein zweites Mal erhöhend auf die tägliche Durchschnittsarbeitszeit aus. Schließlich führe die Auffassung des Klägers zu einem Wertungswiderspruch, weil danach Tage mit völliger Freistellung zum Zwecke des Arbeitszeitausgleichs nicht durchschnittsmindernd berücksichtigt würden, wohl aber Tage, an denen mit weniger als neun Stunden gearbeitet worden sei. Jedenfalls sei der Anspruch des Klägers verfallen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 30. Mai 2000 - 1 Ca 743/99 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Ansicht, für die Ermittlung der tatsächlichen durchschnittlichen Arbeitszeit seien nur die Tage und Stunden zur Anrechnung zu bringen, in denen tatsächlich Arbeitsleistung erbracht worden sei. Eine Ausnahme gelte nur für die Kurzarbeit. Sein Anspruch sei nicht verfallen, weil er die dafür geltende Ausschlussfrist von sechs Monaten gewahrt habe.
Gründe
A.
Die Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO).
B.
Die Berufung ist jedoch nur zum geringen Teil begründet. Die AZK-Tage sind bei der Ermittlung der tatsächlichen durchschnittlichen Arbeitszeit im Kalenderjahr gemäß Ziffer 4 Satz 3 BV nicht mit zu berücksichtigen. Der Kläger hat daher eine tägliche durchschnittliche Arbeitsleistung von 9,73 Stunden erbracht, so dass ihm für die 66 eingeklagten Fehltage eine Vergütung von 114,18 Stunden und damit 2.759,73 DM brutto nachträglich zu gewähren ist. Dieser Anspruch ist nicht verfallen. Hinsichtlich des diesen Betrag übersteigenden Klagbetrages ist die Klage unbegründet.
I.
Die AZK-Tage sind bei der Ermittlung der tatsächlichen durchschnittlichen Arbeitszeit des Klägers im Kalenderjahr zur Berechnung der Vergütung der Fehltage nicht mit zu berücksichtigen. Dies ergibt die Auslegung von Ziffer 4 BV.
1.
Betriebsvereinbarungen sind wie Tarifverträge und diese wiederum wie Gesetze auszulegen. Danach ist maßgeblich auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gelangten Willen der Betriebspartner abzustellen und der von diesen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, soweit diese in den Regelungen der Betriebsvereinbarung noch ihren Niederschlag gefunden haben (BAG, stRspr seit Urteil vom 27.08.1975, 4 AZR 454/74, AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972).
2.
Nach dem Wortlaut von Ziffer 4 Satz 3 BV ist die für die Vergütung der Fehltage maßgebliche tatsächliche durchschnittliche tägliche Arbeitszeit im Kalenderjahr dadurch zu ermitteln, dass die Arbeitsstunden inklusive der Stunden, für die Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, durch die Arbeitstage dividiert werden. "Arbeitstage" sind vom Wortsinn zum einen die Tage, an denen tatsächlich Arbeitsleistung erbracht worden ist, unabhängig davon, in welchem Umfang dies geschehen ist. Zwar können vom Wortsinn "Arbeitstage" darüber hinaus alle Tage sein, die nicht Feiertage, Samstage oder Sonntage sind, also die regelmäßigen Arbeitstage Montag bis Freitag. In diesem Sinn haben die Betriebspartner den Begriff "Arbeitstage" jedoch gerade nicht verstanden. Das ergibt sich daraus, dass sie zur Erläuterung der Bezeichnung "Arbeitstage" den Zusatz "inkl. KUG" angefügt haben. Da es sich bei den Tagen, für die Kurzarbeitergeld gezahlt wurde, auch um Tage handelt, an denen regelmäßig Arbeit zu erbringen ist, wäre dieser Zusatz nicht nötig gewesen, wenn die Betriebspartner als Divisor die Zahl der regelmäßigen Arbeitstage hätten annehmen wollen. Unter "Arbeitstagen" haben die Betriebspartner daher - mit Ausnahme der ausdrücklich aufgeführten Tage, für die Kurzarbeitergeld gezahlt worden ist - nur die Tage verstanden, an denen tatsächlich gearbeitet worden ist. Alle übrigen (Arbeits)Tage, an denen nicht gearbeitet worden ist, sind damit nach dem eindeutigen Wortlaut von Ziffer 4 Satz 3 BV keine Arbeitstage im Sinne der Norm und damit nicht in die Ermittlung der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit einzubeziehen. Dass sind zum einen nach der unstreitigen Handhabung im Betrieb der Beklagten die Urlaubs- und Krankheitstage selbst, deren Vergütung gerade durch die Regelung in Ziffer 4 Satz 3 BV ermittelt werden soll. Das sind zum anderen aber auch die AZK-Tage. Wenn die Betriebspartner diese Tage ebenso wie die Tage, an denen Kurzarbeit angefallen ist, in den Divisor hätten einstellen wollen, hätten sie dies in die Regelung in Ziffer 4 BV aufnehmen müssen.
3.
Diese Auslegung widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Regelung in Ziffer 4 BV.
Die Einführung der flexiblen Jahresarbeitszeit soll den im Verlauf des Jahres infolge der Saisonabhängigkeit der Produktion der Beklagten stark schwankenden Arbeitsanfall abfangen und so Kurzarbeit weitgehend vermeiden. Ziffer 4 Satz 3 BV soll sicherstellen, dass die Kraftfahrer nicht eine unterschiedlich hohe Vergütung für Fehlzeiten erhalten, je nachdem, ob im Referenzzeitraum überdurchschnittlich hoher oder niedriger Arbeitsanfall herrscht. Vielmehr sollen sie eine Vergütung erhalten, die der im Jahresdurchschnitt erbrachten Arbeitsleistung entspricht. Der Kläger hat aber an den Tagen, an denen er gearbeitet hat, im Jahresdurchschnitt 9,73 Stunden Arbeitsleistung erbracht und hat daher nach dem Sinn der Regelung in Ziffer 4 Satz 3 BV Anspruch darauf, dass er auch bei entgeltzahlungspflichtigen Fehltagen eine dieser tatsächlichen Arbeitsleistung entsprechende Vergütung enthält.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass es zu einem Wertungswiderspruch komme, wenn Tage mit völliger Freistellung zum Zwecke des Arbeitszeitausgleichs nicht durchschnittsmindernd berücksichtigt würden, wohl aber Tage, an denen mit weniger als neun Stunden gearbeitet worden sei, so folgt dies ebenso wie eine etwaige doppelte Berücksichtigung von Mehrarbeit des Klägers aus dem eindeutigen Inhalt der von den Betriebspartnern getroffenen Regelung. Dies kann daher an der vorstehenden Auslegung nichts ändern.
4.
Die Richtigkeit vorstehender Auslegung wird durch folgende Überlegung bestätigt: hätte der Kläger im Jahr 1998 nicht nur 31, sondern wegen entsprechender Mehrarbeit im Jahr 1997 soviel AZK-Tage genommen, dass seine ohne Fehltage und AZK-Tage erbrachte Arbeitsleistung auf weniger als 1.477,50 Stunden im gesamten Jahr 1998 gesunken wäre, so würde die Beklagte, die als Divisor weiterhin 197 Tage einsetzen würde, die Fehlzeiten mit weniger als 7,5 Stunden je Fehltag vergüten. Dies widerspricht jedoch der tariflichen Regelung. Gemäß Ziffer 19 lit. a MTV beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden. Sofern abweichende Vereinbarungen durch Arbeitszeitkonten im Rahmen der Öffnungsklausel der Ziffer 19 lit. b Nr. 3 MTV getroffen werden, erfolgt laut Ziffer 19 lit. c MTV die Lohnzahlung auf Basis der 35-Stunden-Woche. Bei der Ermittlung der für die Berechnung des Urlaubsentgelts maßgeblichen Stundenzahl ist gemäß Ziffer 87 lit. c MTV demzufolge die tarifliche regelmäßige Stundenzahl von 35 Stunden/Woche zugrundezulegen. Eine Vergütung von weniger als 7,5 Stunden/Tag für zu vergütende Fehlzeiten ist damit von der tariflichen Öffnungsklausel nicht mehr gedeckt und würde gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung führen. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass die Betriebspartner eine Regelung vereinbaren wollten, die je nach den Umständen des Einzelfalls zu einer Verletzung der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG führen kann. Im Gegenteil haben sie gerade zur Vermeidung dieser Folge für die Arbeitnehmer, die nicht wie der Kläger als Kraftfahrer beschäftigt sind, in Ziffer 3 3. Abs. BV die Regelung getroffen, dass Arbeitsausfall infolge Urlaub und Krankheit stets auf Basis der tariflichen Regelarbeitszeit zu vergüten ist. Zwar sind laut Ziffer 3 Abs. 2 BV bei diesen Arbeitnehmern grundsätzlich Minusstunden für die Dauer des vom 1. Juni bis zum 31. Mai des Folgejahres dauernden Arbeitszeitjahres nicht vorgesehen. Auch bei diesen Arbeitnehmern ist es jedoch möglich, dass die tatsächliche Arbeitszeit im Referenzzeitraum aufgrund von AZK-Tagen unter 35 Stunden/Woche absinkt. Entsprechend der tariflichen Vorgaben ist daher für diese Arbeitnehmer unabhängig von der tatsächlichen durchschnittlichen Arbeitszeit im maßgeblichen Zeitraum stets eine Vergütung auf Basis der 35-Stunden-Woche vorgesehen, ohne dass die AZK-Tage durchschnittssenkend Berücksichtigung finden.
5.
Der Kläger hat an mindestens 66 Tagen im Jahr 1998 gefehlt, für die die Beklagte eine Vergütung schuldet. Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung nur 64 Fehltage zugestanden hat, hat der Kläger durch Bescheinigung der ... vom 26. Oktober 1999 (Bl. 89 d.A.) nachgewiesen, dass er durchgehend vom 23. April bis zum 20. Mai 1998 arbeitsunfähig war, so dass zu den von der Beklagten zugestandenen Fehltagen noch der 27. und 28. April 1998 sowie der 4., 11. und 18. Mai 1998 hinzukommen, so dass zumindest die vom Kläger geltendgemachten und eingeklagten 66 Fehltage nachzuvergüten sind.
6.
Da im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz der bis zum 31. Juli 1999 laufende Ausgleichszeitraum abgelaufen war, hat der Kläger nach der im Termin vom 16. März 2001 abgegebenen Erklärung der Beklagten Anspruch auf Barauszahlung der nachzuberechnenden Stunden. Bei 1,73 nachzuvergütenden Stunden je Fehltag und 66 Fehltagen stehen dem Kläger damit 2.759,73 DM (114,18 Stunden X 24,17 DM) brutto zu. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
II.
Dieser Anspruch ist nicht untergegangen. Der Kläger hat die gemäß Ziffer 113 2. Halbsatz MTV geltende Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit gewahrt.
1.
Die Ziffern 108 bis 115 MTV enthalten eine äußerst ausdifferenzierte und komplizierte Ausschlussfristenregelung. Es bestehen vier unterschiedlich lange Ausschlussfristen, die vom Arbeitnehmer je nach Art des von ihm geltend gemachten Anspruchs einzuhalten sind:
- Abweichungen zwischen ausgezahltem Geldbetrag und Abrechnung sind sofort geltend zu machen, Ziffer 108 MTV;
- Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung sind innerhalb von einer Woche nach Feststellung der Unrichtigkeit vorzubringen, Ziffer 109 MTV;
- Ansprüche auf Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit und Zulagen jeder Art sind zwei Monate nach Fälligkeit, Ziffer 113 1. HS. MTV und
- alle übrigen Ansprüche sind binnen sechs Monaten nach Fälligkeit
geltend zu machen.
Die Kammer hat erhebliche Zweifel, ob die Normadressaten, die im Regelfall keine Juristen sind, anhand dieser Regelungen mit der erforderlichen Eindeutigkeit und Sicherheit erkennen können, welche Ansprüche unter welche Ausschlussfrist fallen. Tarifliche Ausschlussfristen dienen jedoch der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Sie sollen in kurzer überschaubarer Zeit den Arbeitsvertragsparteien Klarheit darüber verschaffen, ob und welche Ansprüche noch bestehen (vgl. BAG, 08.06.1983, 5 AZR 632/80, AP Nr. 78 zu § 4 TVG - Ausschlussfristen <2 b d.Gr.>, stRspr). Eine tarifliche Regelung von Ausschlussfristen, die so kompliziert und differenziert ist wie die vorliegende, ermöglicht es den Koalitionsmitgliedern nicht mehr, schnell und ohne Heranziehung juristischer Hilfsmittel zu überschauen, ob eine Verfolgung eines Anspruchs noch sinnvoll ist. Im Gegenteil fordert sie gerichtliche Auseinandersetzungen darüber, ob ein Anspruch verfallen ist oder nicht, geradezu heraus. Sie verfehlt damit grundlegend den Zweck einer jeden Ausschlussfrist. Eine solche Regelung begegnet unabhängig davon, ob die Tarifvertragsparteien unmittelbar an Grundrechte gebunden sind (ablehnend BAG, 30.08.2000, 4 AZR 563/99<I 2 d.Gr.>), verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es sowohl dem Gesetzgeber (vgl. dazu BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, 22.03.2000, 1 BvR 1136/96, AP Nr. 27 zu § 18 BetrAVG <II 2 c cc d.Gr.>) als auch den Tarifvertragsparteien verwehrt ist, ohne zwingenden, in der Komplexität des zu regelnden Sachverhalts liegenden Grund Regelungen zu treffen, die so unübersichtlich sind, dass die Normadressaten nicht mehr erkennen können, welchen Inhalt eine für sie geltende Bestimmung hat. Ein solcher Grund ist - gerade im Hinblick auf den Regelungszweck - für Ausschlussfristen nicht zu erkennen, zumal in zahlreichen anderen Tarifverträgen hinreichend klare, eindeutige Regelungen zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart worden sind.
2.
Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass sich der tariflichen Regelung im Wege der Auslegung gerade noch mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lässt, welche Ausschlussfrist für den vorliegenden Sachverhalt gilt.
a)
Die Auslegung der normativen Bestimmungen in Tarifverträgen folgt den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln. Sie hat vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Wortsinn hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben. Ferner ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen (BAG, 12.09.1984, 4 AZR 336/82, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, stRspr).
b)
Bei Anlegung dieses Maßstabs gilt für Ansprüche, die aus von den Arbeitsvertragsparteien unterschiedlich ausgelegten, im Betrieb anzuwendenden Normen oder aus sonstigen, zwischen den Parteien streitigen Umständen resultieren, die Frist der Ziffer 113 MTV.
Ziffer 109 MTV erfasst von ihrem Wortlaut her zwar alle die Fälle, in denen der Arbeitnehmer meint, mehr beanspruchen zu können als abgerechnet wurde. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie dem oben genannten Sinn und Zweck von Ausschlussfristen ergibt sich jedoch, dass diese kurze Ausschlussfrist nur für die Fälle gilt, in denen der überwiesene Betrag offenkundig mit dem abgerechneten Betrag nicht übereinstimmt oder an sich unstreitige Ansprüche in der Entgeltabrechnung nicht ausgewiesen sind.
Dies folgt zum einen daraus, dass die Ausschlussfrist an die Feststellung der Unrichtigkeit anknüpft. Nur bei offenkundigen Abweichungen zwischen Auszahlungsbetrag und Abrechnung oder eindeutig unrichtiger Abrechnung ist jedoch die Unrichtigkeit der Abrechnung leicht festzustellen und damit der Zeitpunkt, in dem die Ausschlussfrist zu laufen beginnt, mit der erforderlichen Sicherheit und Eindeutigkeit zu bestimmen. Dies ergibt sich zum anderen aus der Stellung der Ziffer 109 MTV im tariflichen Gesamtzusammenhang. Die darin geregelte Frist schließt sich unmittelbar an die Frist der Ziffer 108 MTV an, die den Fall der Barauszahlung betrifft. Ihr folgt die Frist der Ziffer 110 MTV, die auch für den Arbeitgeber eine lediglich einwöchige Frist nach Feststellung des Irrtums für die Rückforderung zuviel gezahlten Entgelts enthält. Erst in Ziffer 113 sind dann die Ausschlussfristen für Ansprüche aus Mehrarbeit etc. und alle übrigen gegenseitigen Ansprüche geregelt. Die Ziffern 109 und 110 MTV sollen damit nur die Ansprüche erfassen, die mit ähnlicher Sicherheit wie die in Ziffer 108 geregelten Zählfehler bei Barauszahlung zu erkennen sind. Dafür spricht auch der Umstand, dass eine einwöchige Ausschlussfrist, auch wenn sie erst mit Erkennen der Unrichtigkeit beziehungsweise der Überzahlung zu laufen beginnt, unüblich kurz ist und daher nur für solche Ansprüche gelten kann, bei denen weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer eine längere Überlegungsfrist benötigen, ob sie sie tatsächlich geltend machen wollen.
Der Arbeitnehmer hat demnach bei Ansprüchen, die aus unterschiedlicher Normauslegung oder aus sonstigen, zwischen den Parteien streitigen Umständen resultieren, nicht alternativ - je nachdem, welche Frist zuerst abgelaufen ist - die Frist der Ziffer 109 oder der Ziffer 113 MTV, sondern ausschließlich die Frist der Ziffer 113 MTV einzuhalten (a.A. wohl BAG, 14.09.1994, 5 AZR 407/93, AP Nr. 127 zu § 4 TVG - Ausschlussfristen <II 1 d. Gr.> für die wortgleiche Regelung in Ziffer 112 und 116 MTV vom 10.01.1989).
3.
Der Kläger hat die Korrekturabrechnung (Bl. 82 d.A.) im Januar 1999 erhalten. Die Geltendmachung mit Schreiben vom 2. Juni 1999 hat damit die Ausschlussfrist gemäß Ziffer 113 2. HS MTV gewahrt.
III.
Die Zinsen ergeben sich aus §§ 291, 288 BGB.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.