Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.03.2001, Az.: 10 Sa 451/99
Einordnung als Kraftfahrer der Bauhöfe
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 02.03.2001
- Aktenzeichen
- 10 Sa 451/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 24337
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:0302.10SA451.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 05.02.1999 - AZ: 4 Ca 313/98
Verfahrensgegenstand
Tariflicher Bauzuschlag für Kraftfahrer;
hier: § 3 TV Lohn/West in der ab 01.04.1998 geltenden Fassung
Amtlicher Leitsatz
Kraftfahrer, deren Einsatz vom Bauhof aus erfolgt und dort endet und die Materialien und Aushub vom Bauhof zu Baustellen und zurück sowie zwischen verschiedenen Baustellen unter Benutzung des öffentlichen Straßennetzes durchführen, sind Kraftfahrer der Bauhöfe i. S § 3 TV Lohn/West in der ab 01.04.1998 geltenden Fassung. Ihnen steht daher kein Bauzuschlag zu.
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2001
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ... und
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 05.02.1999 - 4 Ca 313/98 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
- 3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gewährung des tariflichen Bauzuschlags für einen Kraftfahrer.
Der Kläger ist seit 1979 als Kraftfahrer bei der Beklagten tätig. Das Arbeitsverhältnis unterfällt kraft beiderseitiger Tarifbindung den Tarifverträgen des Baugewerbes. Bis zum 31. März 1998 erhielt er den Gesamttarifstundenlohn nach Berufsgruppe M IV 2 von 23,68 DM brutto, der sich aus dem Tarifstundenlohn von 22,37 DM brutto und dem Bauzuschlag von 1,31 DM brutto zusammensetzte. Zum 1. April 1998 wurde der Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe (TV Lohn/West) geändert. Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger auch nach dem 1. April 1998 noch der jeweils aktuelle Tarifstundenlohn zuzüglich Bauzuschlag oder im Wege der Besitzstandswahrung nur noch der bis 31. März 1998 geltende Gesamttarifstundenlohn von 23,68 DM brutto zusteht. Der TV Lohn/West 1998 bestimmt diesbezüglich:
§ 2 Lohnregelung
...(2)
Der Arbeitnehmer erhält einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 5,9 v.H. seines Tarifstundenlohnes (Bauzuschlag). Der Bauzuschlag wird gewährt zum Ausgleich der besonderen Belastungen, denen der Arbeitnehmer insbesondere durch den ständigen Wechsel der Baustelle (2,5 v.H.) und die Abhängigkeit von der Witterung außerhalb der gesetzliche Schlechtwetterzeit (2,9 v.H.) ausgesetzt ist; er dient ferner in Höhe von 0,5 v.H. dem Ausgleich von Lohneinbußen, die sich in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit ergeben.§ 3 Löhne für stationär beschäftigte Arbeitnehmer
(1)
Arbeitnehmer, die in dem jeweiligen Lohnabrechnungszeitraum arbeitszeitlich überwiegend nicht auf Baustellen, sondern stationär, insbesondere in Bauhöfen und Werkstätten einschließlich Produktionsstätten für Fertigteile oder als Kraftfahrer der Bauhöfe und der Fahrdienste beschäftigt werden, erhalten, wenn sie nach dem 31. März 1998 eingestellt wurden, den Tarifstundenlohn gemäß § 2 Abs. 5, nicht jedoch den Bauzuschlag. Für die auf Baustellen geleisteten Arbeitsstunden erhalten diese Arbeitnehmer den Tarifstundenlohn und den Bauzuschlag (Gesamttarifstundenlohn).(2)
Die in Abs. 1 genannten Arbeitnehmer, die am 31. März 1998 bereits beschäftigt waren, haben Anspruch auf die zu diesem Zeitpunkt geltenden Gesamttarifstundenlöhne. Ab 1. April 2000 erhalten sie den dann geltenden Tarifstundenlohn, nicht jedoch den Bauzuschlag. ... Für die auf Baustellen geleisteten Arbeitsstunden erhalten diese Arbeitnehmer den jeweils geltenden Stundenlohn und den jeweils geltenden Bauzuschlag (Gesamttarifstundenlohn).
Der Kläger begehrt die Zahlung des Bauzuschlags für die Zeit von April 1998 bis September 1998 in rechnerisch unstreitiger Höhe. Er transportierte im streitbefangenen Zeitraum Baumaterialien von Lieferfirmen oder dem Bauhof der Beklagten mit dem LKW im öffentlichen Straßenverkehr auf die jeweilige Baustelle oder den Bauhof, er transportierte ferner ebenfalls im öffentlichen Straßenverkehr Aushub von den Baustellen zwischen verschiedenen Baustellen oder zur Deponie. Der LKW des Klägers war - wie alle übrigen von der Beklagten betriebenen LKW - auf dem Bauhof stationiert. Die LKW wurden nachts auf dem Bauhof abgestellt. Die Einteilung der Fahrten erfolgte morgens vom Bauhof aus. Hinsichtlich der einzelnen von ihm in dieser Zeit geleisteten Fahrten wird auf die Fahrtenberichte für die Zeit vom 14. April bis zum 16. Juli 1998 (Bl. 113-169 d.A.) sowie auf die Aufstellung des Klägers im Schriftsatz vom 14. Juni 2000 (Bl. 226 f. d.A.), die nicht zwischen den reinen Tätigkeiten des Klägers auf der Baustelle und den Fahrten zwischen zwei Baustellen differenziert, Bezug genommen.
Durch das der Beklagten am 11. Februar 1999 zugestellte Urteil vom 5. Februar 1999, auf das hiermit zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die zugelassene Berufung der Beklagten, die am 8. März 1999 eingelegt und gleichzeitig begründet worden ist.
Die Beklagte ist der Ansicht, dem Kläger stehe der Bauzuschlag nicht mehr zu. Er sei Kraftfahrer der Bauhöfe. Diesem Begriff unterfielen alle Kraftfahrer, die nicht als Baustellenfahrer auf Baustellen tätig seien, demnach auch Beschäftigte, die Transportfahrten von und zu Baustellen unternähmen und dabei überwiegend im Straßenverkehr tätig seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 5. Februar 1999 - 4 Ca 313/98 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Ansicht, er sei kein Kraftfahrer der Bauhöfe und der Fahrdienste im Sinne der tariflichen Regelung. Kraftfahrer der Bauhöfe seien nur die Kraftfahrer, deren Arbeitsfeld und Tätigkeitsschwerpunkt unmittelbar an den Bauhof gebunden seien. Allein die Arbeiten, die auf Bauhöfen erbracht würden, seien ohne Bauzuschlag zu vergüten. Kraftfahrer der Fahrdienste seien solche Arbeitnehmer, die zum Beispiel in der Hauptverwaltung eines Betriebes tätig seien und sich überwiegend mit Versorgungs- und Botenfahrten beschäftigten.
Auf die vom Arbeitsgericht Heilbronn im Verfahren 5 Ca 105/99 zum mit § 3 TV Lohn/West wörtlich übereinstimmenden § 3 TV Lohn Baden-Württemberg eingeholten Auskünfte des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie e.V. vom 14. Juli 1999 (Bl. 196 f. d.A.), des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes vom 16. Juli 1999 (Bl. 198 f. d.A.) sowie des Landesverbandes der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt vom 13. Juli 1999 (Bl. 205 d.A.) wird Bezug genommen. Die Parteien haben auf diese Auskünfte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 10. Mai 2000 Bezug genommen und sich mit ihrer Verwertung einverstanden erklärt (Bl. 215 d.A.).
Entscheidungsgründe
A.
Die zugelassene Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO).
B. Sie ist auch begründet. Dem Kläger steht seit dem 1. April 1998 kein Anspruch auf Gewährung eines Bauzuschlages (§ 2 Abs. 2 TV Lohn/West) mehr zu. Er ist Kraftfahrer der Bauhöfe. Er kann daher nach dem 1. April 1998 im Wege der Besitzstandswahrung lediglich den bis zum 31. März 1998 geltenden Gesamttarifstundenlohn von 23,68 DM beanspruchen (§ 3 Abs. 2 TV Lohn/West). Der Kläger hat auch nicht dargelegt, an welchen Tagen er mit wie viel Stunden als Kraftfahrer innerhalb von Baustellen tätig war, so dass ihm auch nicht für einzelne, nach dem 1. April 1998 auf Baustellen geleistete Arbeitsstunden der Bauzuschlag zugesprochen werden konnte.
I.
Der Kläger ist Kraftfahrer der Bauhöfe. Dies ergibt die Auslegung des § 3 Abs. 2 TV Lohn/West in der ab dem 1. April 1998 geltenden Fassung.
1.
Die Auslegung der normativen Bestimmungen in Tarifverträgen folgt den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln. Sie hat vom Tarifwortlaut auszugehen. Über den reinen Wortsinn hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Bestimmungen ihren Niederschlag gefunden haben. Ferner ist auf den tariflichen Gesamt Zusammenhang abzustellen. Bleiben bei entsprechender Auswertung von Tarifwortlaut und Gesamtzusammenhang als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, z. B. auf die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags (BAG, 12.09.1984, 4 AZR 336/82, AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, stRspr).
2.
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Kläger, dessen Einsatz vom Bauhof aus erfolgt und dort endet und der Fahrten von Materialien und Aushub vom Bauhof zu Baustellen und zurück sowie zwischen verschiedenen Baustellen im öffentlichen Straßenverkehr durchführt, Fahrer der Bauhöfe im tariflichen Sinn.
a)
Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 3 TV Lohn/West in der ab dem 1. April 1998 geltenden Fassung. Den Bauzuschlag sollen danach nur noch solche Arbeitnehmer erhalten, die arbeitszeitlich überwiegend auf Baustellen eingesetzt werden. Dagegen sollen die Arbeitnehmer, die stationär beschäftigt sind, den Zuschlag nicht mehr erhalten. Als stationär beschäftigte Arbeitnehmer haben die Tarifvertragsparteien ausdrücklich auch die Kraftfahrer der Bauhöfe und Fahrdienste angesehen. Anspruch auf den Baustellenzuschlag für ihre gesamte Tätigkeit haben also nur solche Kraftfahrer, die mit mehr als 50% ihrer Arbeitszeit direkt und unmittelbar auf Baustellen tätig werden. Das sind Fahrer, die auf Großbaustellen Material und Aushub ausschließlich innerhalb der Baustelle transportieren, ohne den öffentlichen Straßenraum zu berühren.
Allerdings trifft der von den Tarifvertragsparteien zur Abgrenzung der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer verwandte Begriff "stationär" an sich für die Tätigkeit eines Kraftfahrers nicht zu, der begriffsnotwendig seine Tätigkeit gerade nicht an ein und demselben Ort verrichtet, worauf der Bevollmächtigte des Klägers im Termin vom 2. März 2001 zutreffend hingewiesen hat. Die Tarif Vertragsparteien haben mit diesem Begriff jedoch an den Bauhof als Ausgangs- und Endpunkt der Tätigkeit der Fahrer, die Material vom Bauhof und zurück, aber auch zwischen verschiedenen Baustellen im öffentlichen Straßennetz hin- und hertransportieren, angeknüpft. Demgegenüber erfolgt der Einsatz der ausschließlich auf Baustellen eingesetzten Fahrzeuge nicht vom Bauhof, sondern von der Großbaustelle aus, auf der sie über Nacht verblieben sind.
b)
Diese wortlautgemäße Auslegung wird durch Sinn und Zweck der tariflichen Regelung bestätigt.
aa)
Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien, der von den eingeholten Tarifauskünften bestätigt wird, sollte durch die Neuregelung des Bauzuschlags der Lohnkostenabstand zu nicht den Tarifverträgen des Baugewerbes unterfallenden Speditionsunternehmen, deren Fahrer ebenfalls für Fahrten im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt werden können, verringert und so der Trend zur Ausgliederung von Fuhrparks gestoppt werden. Dieser tarifliche Zweck kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Mehrzahl der im Baugewerbe beschäftigten Kraftfahrer von der Neuregelung erfasst wird. Nach ebenfalls übereinstimmendem Vortrag der Parteien ist die Transporttätigkeit vom Bauhof zu Baustellen und zwischen Baustellen unter Benutzung des öffentlichen Straßenraumes die für Kraftfahrer des Baugewerbes typische. Würde dieser Gruppe und damit der Mehrzahl der im Baugewerbe beschäftigten Kraftfahrer nach wie vor ein Anspruch auf den Baustellenzuschlag zustehen, so würde die von den Tarifvertragsparteien beabsichtigte Senkung der Kosten der Unterhaltung eines eigenen Fuhrparks der Bauunternehmen gerade verfehlt werden.
bb)
Darüber hinaus sind gerade Kraftfahrer, die wie der Kläger bei ihren Fahrten überwiegend das öffentliche Straßennetz benutzen, nicht in gleicher Weise wie Arbeitnehmer, die überwiegend auf Baustellen eingesetzt werden, von den Belastungen betroffen, die durch die Zahlung des Bauzuschlags gemildert werden sollen. Auch dies spricht dafür, dass die Tarifvertragsparteien die überwiegend mit Transportfahrten im öffentlichen Straßenverkehr beschäftigten Kraftfahrer vom Bauzuschlag ausnehmen wollten.
Kraftfahrer im öffentlichen Straßenverkehr sind Witterungseinflüssen nur beim Be- und Entladen und damit in weit weniger großem Umfang ausgesetzt als Arbeitnehmer, die direkt auf der Baustelle tätig sind. Auch die Tätigkeit von Kraftfahrern, die Materialien und Aushub innerhalb von Baustellen in der Regel auf Behelfsstraßen transportieren, wird in weitaus stärkerem Maße von der Witterung beeinflusst als die von Fahrern, die Transporte überwiegend auf öffentlichen Straßen durchführen. Vielfach wird auch bei Schlechtwetter außerhalb der Baustelle noch ein Einsatz der Kraftfahrer möglich sein, so dass sie auch die Gefahr von Lohneinbußen innerhalb der gesetzlichen Schlechtwetterzeit nicht im gleichen Maße tragen wie Arbeitnehmer, die überwiegend direkt auf Baustellen tätig sind. Bei einem überwiegenden Einsatz im öffentlichen Straßenverkehr schwanken auch die Arbeitsbedingungen nicht so stark wie bei Einsätzen direkt auf unterschiedlichen Baustellen.
II.
Der Kläger hat auch auf die Auflage vom 10. Mai 2000 (Bl. 216 d.A.) nicht dargelegt, an welchen Tagen er mit wie viel Stunden als Kraftfahrer innerhalb von Baustellen tätig war, so dass ihm auch nicht für einzelne, nach dem 1. April 1998 auf Baustellen geleistete Arbeitsstunden der Bauzuschlag zugesprochen werden konnte. Die von ihm vorgetragene Auflistung (Bl. 226 f. d.A.) differenziert gerade nicht zwischen reinen Tätigkeiten auf einer Baustelle und Fahrleistungen zwischen Baustellen. Die Klage hatte daher auch nicht nur teilweise Erfolg.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
IV.
Die Revision war zuzulassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).