Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.02.2001, Az.: 3 Sa 1487/00
Ordentliche Kündigung; Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs; Prognoseentscheidung des Arbeitgebers
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 16.02.2001
- Aktenzeichen
- 3 Sa 1487/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 10407
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:0216.3SA1487.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover 8 Ca 74/00 vom 23. 06. 2000
- nachfolgend
- BAG - 12.04.2002 - AZ: 2 AZR 256/01
Fundstelle
- schnellbrief 2002, 4
Amtlicher Leitsatz
Wird eine Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände konkrete und greifbare Formen angenommen haben. Davon ist nach der Rechtsprechung des BAG auszugehen, wenn aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung bei Ausspruch der Kündigung absehbar ist, zum Zeitpunkt des Vertragsendes werde mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erfordernden betrieblichen Grundes gegeben sein (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 03.09.1998 - 8 AZR 306/97 - NZA 1999, 147).
Dies gilt nicht nur bei Kündigungen aus innerbetrieblichen Umständen, sondern auch bei Kündigungen, die durch außerbetriebliche Gründe veranlasst sind, z. B. wenn bei einem Unternehmen des Reinigungsgewerbes ein bestehender Reinigungsauftrag ausläuft und fraglich ist, ob das Unternehmen bei der Neuausschreibung den Zuschlag erhalten wird.
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 16.02.2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
den ehrenamtlichen Richter ... und
die ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 23.06.2000 - 8 Ca 74/00 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer am 09.03.2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage setzt sich die Klägerin gegen eine ordentliche Kündigung vom 22.02.2000 zum 30.06.2000 zur Wehr.
Die am ... geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 19.06.1989 bei der Beklagten als Gebäudereiniger in beschäftigt.
Einsatzort der Klägerin war die ..., für die die Beklagte aufgrund eines Dienstleistungsvertrages vom 29.06.1994 seit dem 01.07.1994 tätig war. Der Dienstleistungsvertrag enthält in § 15 unter anderem folgende Regelung:
"1.
Das Vertragsverhältnis beginnt am 01. Juli 1994 und kann mit einer Kündigungsfrist von einem Monat erstmals zum 30.06.1997 gekündigt werden.
...2.
Wird das Vertrags Verhältnis nicht zu dem in Abs. 1 Satz 1 genannten Termin gekündigt, so verlängert es sich jeweils um ein Jahr, sofern nicht mit einer Frist von drei Monaten vorher gekündigt wurde. Es sind höchstens zwei Verlängerungen um jeweils ein Jahr zulässig."
Mit Schreiben vom 30.03.1999 teilte die Auftraggeberin ... der Beklagten mit, dass der Vertrag zum 30.06.1999 auslaufe. Da keine weitere Vertragsverlängerung mehr möglich sei, müsse das Los neu ausgeschrieben werden. Für die Zeit der Ausschreibung bot die ... der Beklagten einen für ein Jahr befristeten Vertrag zu den bestehenden Konditionen an. Hiermit erklärte sich die Beklagte einverstanden. Zwischenzeitlich hatte die ... den Reinigungsauftrag ausgeschrieben, auch die Beklagte beteiligte sich an dieser Ausschreibung, und zwar mit Angeboten vom 11.10.1999.
Mit Schreiben vom 29.03.2000 teilte die der Beklagten - nach Ausspruch der im vorliegenden Fall streitbefangenen Kündigung - mit, dass der Zuschlag nicht auf eines der von der Beklagten abgegebenen Angebote erteilt werde.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei bereits deshalb gemäß § 1 KSchG rechtsunwirksam, weil sie bereits zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Entscheidung über die Vergabe des Reinigungsauftrages noch nicht getroffen gewesen sei. Eine vorsorgliche Kündigung im Hinblick auf einen lediglich möglichen Auftragsverlust sei unzulässig. Darüber stellte die Kündigung einen Verstoß gegen das ultima-ratio-Prinzip dar.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22.02.2000 nicht beendet wird.
Die Beklagte hat behauptet, zum Zeitpunkt der Kündigung sei aufgrund der Neuausschreibung der Reinigungsleistung völlig offen gewesen, welcher Dienstleister künftig den Reinigungsauftrag erhalte. Festgestanden habe lediglich, dass sie ihren gegenwärtigen Auftrag am 30.06.2000 verlieren würde. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, damit habe der betriebsbedingte Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen. Die Sozialauswahl sei auf das Objekt beschränkt gewesen, da dieses Objekt als eigenständiger Betrieb organisiert gewesen sei. Wegen des Sachvorbringens der Beklagten wird insoweit auf die Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 06.04.2000 verwiesen.
Durch Urteil vom 23.06.2000 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.02.2000 nicht beendet wird. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Beklagten auf erlegt und den Streitwert auf 5.100,00 DM festgesetzt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 78 bis 81 d.A.) Bezug genommen.
Das Urteil ist der Beklagten am 21.07.2000 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 17.08.2000 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.10.2000 am 18.10.2000 begründet.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2000 kündigen dürfen, weil bei Kündigungsausspruch einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen gewesen sei, dass zum Zeitpunkt des Kündigungstermins mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein werde. Die Beklagte behauptet, sie habe zum Kündigungszeitpunkt gewusst, dass keine Möglichkeit zur Verlängerung des alten Reinigungsauftrages bestanden habe. Die ... habe die Anbieter im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens ausdrücklich aufgefordert. Alternativangebote zu unterbreiten. Sie habe im Rahmen der beschränkten Ausschreibung zwei Angebote unterbreitet. Das erste Angebot sei ein sog. konventionelles Angebot gewesen, das die Reinigungsleistungen in unveränderter Form vorgesehen habe. Die Chance, auf dieses Angebot den Zuschlag zu erhalten, habe bei unter 10 % gelegen, da die angebotenen Dienstleistungspreise höher gewesen seien als im Rahmen des bisherigen Reinigungsauftrages. Im zweiten Angebot, das neueste Techniken des Gebäudereinigungshandwerks berücksichtigt habe, habe sie eine Personalreduzierung von 15 % vorgesehen. Die Chancen, für dieses zweite Angebot den Zuschlag zu erhalten, hätten wiederum deutlich unter 50 % gelegen, weil sie im Rahmen des "Pro-Mopp-Verfahrens" Reinigungschemie verwenden müsse, die ausweislich der Ausschreibungsunterlagen in der ... als Krankenhaus nicht zugelassen sei. Letztlich sei es hierauf allerdings nicht angekommen, weil sie mit dem ersten Angebot außer Konkurrenzfähigkeit und mit dem zweiten Angebot erst an vierter Stelle des Bewerberkreises gelegen habe, und daher selbst bei Zulassung der erforderlichen Reinigungsmittel den Zuschlag nicht erhalten hätte. Die Beklagte ist der Ansicht, das Arbeitsgericht übersehe bei seinen Überlegungen zum Schutzzweck der Sozialauswahl einen etwaigen Wiedereinstellungsanspruch der gekündigten Arbeitnehmer. Hätte sie also während des Laufs der Kündigungsfrist den Neuauftrag zu unveränderten Bedingungen erhalten, hätte sie selbstverständlich allen 180 Arbeitnehmern im Rahmen der Wiedereinstellung die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen angeboten. Die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Hannover führe im übrigen zu dem paradoxen Ergebnis, dass sie sich in Zukunft zur Vermeidung unproduktiver Entgeltzahlungskosten gar nicht erst an einer Neuausschreibung beteiligen dürfe. Die Kündigung scheitere schließlich auch nicht an einer fehlerhaften Sozialauswahl. Die Beklagte behauptet insoweit, in der Niederlassung Hannover, insbesondere im Großraum Hannover, bestünden keine mit dem Arbeitsplatz der Klägerin bei der ... vergleichbare Arbeitsplätze. In den betreuten Objekten würden ausschließlich Teilzeitkräfte eingesetzt und überwiegend fielen dort Zweistundenschichten pro Tag an.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 23.06.2000 - 8 Ca 74/00 - aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 19.12.2000 (Bl. 137 - 144 d.A.).
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht den Rechsstreit zutreffend entschieden hat. Die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, da sie nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin in dem Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt ist. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war noch nicht mit hinreichender Sicherheit absehbar, dass der Arbeitsplatz der Klägerin wegfallen würde.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung ist der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs, es ist auf die objektiven Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung abzustellen (st. Rspr. des BAG, s. z. B. Urt. vom 27.02.1997 - 2 AZR 160/96 - AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = EzA KSchG § 1 Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1 EzA m.w.N.; KR, Etzel, § 1 KSchG, Rn. 259 m.w.N.). Bei Zugang der streitbefangenen Kündigung war jedoch noch völlig offen, ob die Beklagte über den 30.06.2000 hinaus weiterhin im Rahmen eines Reinigungsauftrages für die ... tätig sein würde. Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z. B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einstellung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben (vgl. zu dieser Unterscheidung BAG, Urt. vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - AP 101 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 102 m.w.N). In beiden Alternativen müssen die betrieblichen Erfordernisse "dringend" sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig machen (BAG, Urt. vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - a.a.O.). Wird eine Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände konkrete und greifbare Formen angenommen habe. Davon ist nach der Rechtsprechung des BAG auszugehen, wenn aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung bei Ausspruch der Kündigung absehbar ist, zum Zeitpunkt des Vertragsendes werde mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erfordernden betrieblichen Grundes gegeben sein (st. Rspr. des BAG, vgl. BAG vom 28.04.1988 - 2 AZR 623/87 - AP 74 zu § 613 a BGB = EzA BGB § 613 a Nr. 80; BAG, Urt. vom 19.06.1991 - 2 AZR 127/91 - AP 53 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70; BAG, Urt. vom 10.10.1996 - 2 AZR 477/95 - AP 81 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 87; BAG, Urt. vom 27.02.1997 - 2 AZR 160/96 - AP 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung = EzA KSchG § 1 Wiedereinstellungsanspruch Nr. 1; BAG, Urt. vom 11.03.1998 - 2 AZR 414/97 - AP 43 zu § 111 BetrVG 1972; BAG, Urt. vom 03.09.1998 - 8 AZR 306/97 - NZA 1999, 147; s. auch Kiel/Koch Rn. 125 m.w.N.).
Sämtliche zu diesem Themenkomplex ergangenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts betrafen aber Sachverhalte, bei denen es um Unternehmerentscheidungen (meist Betriebsstillegungen) ging. In derartigen Fällen ist es für den Arbeitgeber ohne besondere Schwierigkeiten möglich, eine hinreichend klare Prognose wegen des Arbeitsplatzwegfalls aufzustellen, schließlich beruhen die betrieblichen Umstände letztlich auf seiner eigenen Willensentschließung. Im Fall einer durch außerbetriebliche Gründe bedingten Kündigung dagegen beruht der Arbeitsplatzwegfall auf äußeren Umständen, die der Arbeitgeber nicht beeinflussen und deren Entwicklung er folglich schwerer prognostizieren kann. Gleichwohl müssen auch in dieser Fallkonstellation dieselben Maßstäbe gelten. Denn anderenfalls würde man das unternehmerische (Prognose-)Risiko auf die Arbeitnehmer abwälzen, insbesondere auf Arbeitnehmer mit längeren Kündigungsfristen, denen ja früher gekündigt werden müsste, um auf eine befürchtete negative Entwicklung rechtzeitig reagieren zu können. Auch bei einer Kündigung, die auf außerbetrieblichen Gründen beruht, muss bei Ausspruch der Kündigung absehbar sein, dass zum Zeitpunkt, zu dem gekündigt wird, mit einiger Sicherheit kein Bedarf mehr für die weitere Beschäftigung des betroffenen Mitarbeiters besteht. Allein ein gewisses Risiko, der Arbeitsplatz könne in Zukunft wegfallen, reicht dagegen nicht aus.
Zutreffend ist allerdings der Hinweis der Beklagten, dass die betroffenen Mitarbeiter bei einer fehlerhaften betriebswirtschaftlichen Prognose des Arbeitgebers nicht schutzlos sind, ihnen steht vielmehr, wenn sich die Prognose im Nachhinein als falsch herausstellt, ein Wiedereinstellungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu (vgl. hierzu zuletzt BAG, Urt. vom 28.06.2000 - 7 AZR 904/98 - AP 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung). Dieser Schutz ist jedoch schwächer als der gem. § 1 KSchG. Der Wiedereinstellungsanspruch ist nämlich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts begrenzt auf den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, später eintretende Umstände bleiben außer Betracht (BAG, Urt. vom 28.06.2000 - 7 AZR 904/98 - a.a.O.; anders für den Fall eines späteren Betriebsübergangs BAG, Urt. vom 13.11.1997 - 8 AZR 295/95 - AP 169 zu § 613 a BGB = EzA BGB § 613 a Nr. 154). Möglicherweise würde diese Einschränkung allerdings im vorliegenden Fall nicht gelten, weil die Kündigung selbst eine Einstellungszusage enthalten könnte, die nicht zeitlich auf das Ende der Kündigungsfrist (30.06.2000) begrenzt ist. Dies ändert aber nichts daran, dass ein etwaiger Wiedereinstellungsanspruch generell an den Bestand des Arbeitsverhältnisses geknüpft ist und damit nicht Fälle erfasst, in denen sich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit herausstellt, z. B. weil sich die Entscheidung im Ausschreibungsverfahren unvorhergesehener Weise hinauszögert. Schwächer ist der durch den Wiedereinstellungsanspruch gewährte Schutz auch dann, wenn die spätere Entwicklung der Prognose teilweise widerspricht und nur ein Teil der zuvor entlassenen Arbeitnehmer wieder eingestellt werden kann. Denn bei der sozialen Auswahl im Falle der Wiedereinstellung gelten andere Maßstäbe als bei einer Kündigung. Die für die Kündigung geltenden Grundsätze des § 1 Abs. 3 KSchG lassen sich auf die Entscheidung, welche der entlassenen Mitarbeiter wieder eingestellt werden müssen, nicht ohne weiteres übertragen. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber vielmehr, wenn es für einen freigewordenen Arbeitsplatz mehrere Bewerber gibt, anhand betrieblicher Belange und sozialer Gesichtspunkte eine den §§ 242, 315 BGB genügende Auswahlentscheidung zu treffen (vgl. BAG, Urt. vom 28.06.2000 - 7 AZR 904/98 - AP 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung).
Die Anforderungen an die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers können allerdings dazu führen, dass der Arbeitgeber im Fall eines tatsächlichen Auftragswegfalles erst so spät kündigen kann, dass er Beschäftigte mit längerer Betriebszugehörigkeit und daraus folgender längerer Kündigungsfrist über einen bestimmten Zeitraum weiter vergüten muss, ohne dass noch eine tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Hierbei handelt es sich jedoch um ein Risiko, das sich aus der Einführung von Kündigungsfristen generell ergibt und das der Gesetzgeber der Risikosphäre des Arbeitgebers zugeordnet hat. Auch in Fällen, in denen sich sehr kurzfristig der Wegfall eines Arbeitsplatzes ergibt, muss der Arbeitgeber unter Umständen längere Kündigungsfristen wahren, ohne eine Beschäftigungsmöglichkeit für die betroffenen Arbeitnehmer zu haben.
Daher kommt es für die Entscheidung des vorliegenden Falles darauf an, ob bei Ausspruch der Kündigung absehbar war, zum Zeitpunkt des Vertragsendes (30.06.2000) werde mit einiger Sicherheit der Wegfall des Reinigungsauftrages bei der ... gegeben sein. Hiervon kann jedoch auch unter Zugrundelegung des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten nicht ausgegangen werden, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich nur eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 10 % bestand, die Beklagte werde den Auftrag in der bisherigen Form (aufgrund des sog. konventionellen Angebotes) nicht fortführen können.
Denn auch bei einer Zuschlagserteilung auf ihr zweites Angebot hätte sie eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin gehabt. Die Beklagte gibt insoweit nämlich an, das zweite Angebot beinhalte eine Personalreduzierung um 15 %. Von dieser Reduzierung wäre jedoch die Klägerin aufgrund ihrer Sozialdaten, insbesondere der langen Betriebszugehörigkeit, nicht betroffen gewesen. Wegen dieses zweiten Angebots macht die Beklagte geltend, die Chancen, den Zuschlag zu erhalten, hätten deutlich unter 50 % gelegen. Insoweit handelt es sich jedoch um eine bloße Wahrscheinlichkeitsannahme der Beklagten, für die konkrete tatsächliche Umstände nicht vorgetragen sind. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargelegt, die habe ihr zum Zeitpunkt der Kündigung bereits in irgendeiner Form signalisiert, sie werde auch für dieses zweite Angebot den Zuschlag nicht erhalten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang das Vorbringen der Beklagten, sie habe deshalb schlechte Chancen gehabt, weil sie im Rahmen des von ihr vorgesehenen "Pro-Mopp-Verfahrens" Reinigungschemie verwenden müsse, die ausweislich der Ausschreibungsgrundlagen in der ... nicht zugelassen sei. Die Beklagte selbst hat hieraus aber offenbar nicht gefolgert, sie könne für dieses Angebot - ggf. mit Modifikation - keinen Zuschlag erhalten, anderenfalls wäre eine Teilnahme an der Ausschreibung kaum sinnvoll gewesen. Sie macht auch nicht etwa geltend, die ... habe ihr gegenüber mitgeteilt, ihre Bewerbung sei schon wegen dieser Umstände von vornherein völlig aussichtslos. So hat denn die Beklagte auch mit Schriftsatz vom 16.03.2000 - also nach Zugang der streitbefangenen Kündigung - erklärt, es sei "gegenwärtig völlig offen", welcher Dienstleister künftig den Reinigungsauftrag erhalte. Offenbar hat sie sich zu diesem Zeitpunkt also noch realistische Chancen zugeschrieben. Noch deutlicher formuliert sie dies in dem Kündigungsschreiben, wo es heißt:
"Unsere Firma bemüht sich jedoch, den Anschlussauftrag von der ... zu erhalten. Hierzu bestehen, nicht zuletzt auch dank Ihrer Einsatzbereitschaft, gute Chancen".
Selbst wenn dieses Schreiben auch dazu gedient haben mag, die Arbeitsmotivation der betroffenen Reinigungskräfte zu erhalten, so kommt hierin doch zumindest die Einschätzung zum Ausdruck, dass eine erneute Auftragserteilung durchaus für möglich gehalten wird. Zutreffend ist allerdings der Hinweis der Beklagten, die Situation habe sich gegenüber der in den Vorjahren insoweit geändert, als nunmehr endgültig ein Auslaufen des bisherigen Reinigungsauftrages mit dem 30.06.2000 festgestanden habe. Hieraus allein ergibt sich allerdings in Anbetracht der laufenden Ausschreibung, an der sich die Beklagte beteiligt hat, noch nicht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin. Konkrete Umstände für eine zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit des Auftragsverlustes zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs sind damit nicht dargelegt.
Daher kommt es für die Entscheidung des Falles nicht mehr auf die Frage an, ob die Kündigung wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, insbesondere ob es sich bei der MHH um einen eigenständigen Betrieb handelt, und ob die Klägerin mit Teilzeitbeschäftigten, die in anderen Objekten tätig sind, überhaupt vergleichbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.